VG 2 K 148/21

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Software-Quellcode zu GABI

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VG 2 K 148/21

                                                                         Verkündet am 7. Juni 2023




                                    VERWALTUNGSGERICHT BERLIN


                                                     URTEIL
                                              Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache
X23(aZF8bEginN7kyY6Q




                                                                                   Klägers,

                       Verfahrensbevollmächtigte:
                       dka Rechtsanwälte-Fachanwälte,
                       Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin,

                                     gegen

                       die Humboldt-Universität zu Berlin
                       Die Präsidentin
                       - Rechtsabteilung -,
                       Unter den Linden 6, 10117 Berlin,

                                                                                   Beklagte,
X23(aZF8eNdE7kyY6Q




hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2023 durch

                       den Richter am Verwaltungsgericht
                       als Einzelrichter

für Recht erkannt:

                       Die Klage wird abgewiesen.

                       Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

                       Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.




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        Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
        110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden,
        wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
        110 Prozent des jeweiligen Vollstreckungsbetrags leistet.



                                    Tatbestand


Der Kläger begehrt Informationszugang zu einem Quellcode.

Die Beklagte, eine Universität, verwendet bei der Vergabe von Plätzen für Lehrver-
anstaltungen die Software „GABI“. Das Vergabeverfahren ist wie folgt ausgestaltet:
Nach Eingang der Anmeldungen der Studierenden erhalten die Lehrenden zunächst
die Möglichkeit, „händisch“ Plätze für Härtefälle zu vergeben. Die eingegangenen
Daten werden auf ihre Richtigkeit geprüft. Anschließend konfiguriert der Computer-
und Medienservice der Beklagten GABI neu, d.h. es werden die in dem jeweiligen
Vergabedurchlauf vorhandenen Daten angepasst, z.B. Fristen, weitere Vergabe-
schritte oder Anpassungen zum Versand der Zulassungen. Mit den neu konfigurier-
ten Anweisungen führt GABI die Berechnung der Vergabe durch und gibt im Ergeb-
nis die Vergabestatistik(en) aus.

Der Quellcode ist der GABI zugrunde liegende Befehlstext. Er wurde von Mitarbei-
tern der Beklagten entwickelt. Er besteht aus ca. 6.000 Quellcodezeichen und ca.
1.000 Zeilen für die Konfiguration, die im Versionsverwaltungssystem der Beklagten
gespeichert sind. In ausgedruckter Form ist der Quellcode für den Menschen lesbar.
Die am Quellcode vorgenommenen Änderungen werden ebenfalls im Versionsver-
waltungssystem aufgelistet. Der Quellcode ist bei der Beklagten nicht als eigener
Verwaltungsvorgang registriert und verfügt über kein Aktenzeichen.

Am 31. Oktober 2020 beantragte der Kläger die Übersendung des Quellcodes zu
GABI.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 13. April 2021 zurück. Bei dem Quellcode handele es sich nicht um eine Akte.
Zudem sei der Zugang zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu
versagen. Sie habe mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen das Programm
entwickelt und stehe in einem Wettbewerbsverhältnis zu anderen Anbietern von Ver-
gabeprogrammen. Eine Lizenzierung an andere Hochschulen sei zwar noch nicht


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erfolgt. Die vermögenswirksame Position einer zukünftigen Lizenzierung sei aber zu
bewahren. Die Offenlegung des Quellcodes könne eventuelle Schwachstellen offen-
baren und somit das System angreifbar machen.

Der Kläger hat am 20. Mai 2021 Klage erhoben. Er trägt vor, bei dem Quellcode
handele es sich um eine Akte. Er enthalte als elektronisch festgehaltene Gedanken-
verkörperung die Anweisungen, aus denen sich ergebe, wie die Plätze in Lehrveran-
staltungen vergeben würden. Er diene amtlichen Zwecken, weil er die Vergabe von
Plätzen für Lehrveranstaltungen strukturiere und damit zentraler Bestandteil der Stu-
dienorganisation sei. Ein Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit sei
nicht erforderlich, liege hier aber hinsichtlich der Vorgänge der Platzvergabe für
Lehrveranstaltungen sowie der (Weiter-)Entwicklung und Nutzung des Quellcodes
vor. Der Quellcode sei mit analogen, internen Anweisungen vergleichbar, da auch
hier grundsätzlich Entscheidungen zu Parametern der Platzvergabe getroffen wür-
den. Der Informationszugang sei nicht zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsge-
heimnissen zu versagen. Die Beklagte befinde sich in den Bereichen Wissenschaft
und Forschung in einem Wettbewerb, sei aber nicht im privaten Wirtschaftsverkehr
erwerbswirtschaftlich tätig. Zudem sei ein Nachteil ihrer Wettbewerbsposition nicht
dargelegt. Es bestehe ein überwiegendes Informationsinteresse. Zum Schutz des
Urheberrechts sei der Informationszugang nicht zu versagen. Die Mitarbeiter hätten
etwaige Nutzungsrechte an die Beklagte übertragen. Die Offenbarung von Schwach-
stellen sei nicht zu befürchten, weil er mit der Schwärzung der Zugangsdaten zum
Backend der Beklagten einverstanden sei.

Der Kläger beantragt,

     die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Januar 2021 in Ge-
     stalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2021 zu verpflichten, ihm
     Zugang zum Quellcode zu GABI in der Produktivversion in der Fassung
     vom 31. Oktober 2020 durch Übersendung, hilfsweise Einsichtnahme vor
     Ort, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

      die Klage abzuweisen.

Ergänzend trägt sie vor, der Quellcode sei keine Akte, sondern ein „Tool“ bzw. ein
„Arbeitsmittel“, das in bestimmten Verwaltungsverfahren zum Einsatz komme. Der
Offenlegung stehe der urheberrechtliche Schutz als Computerprogramm entgegen.
Zwar hätten die Mitarbeiter ihre urheberrechtlichen Nutzungsrechte an die Beklagte
übertragen. Ein Referatsleiter habe jedoch außerhalb seiner vertraglichen Verpflich-


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tungen aus eigenem Antrieb unterstützend zur Seite gestanden. Eine Übertragung
von dessen Nutzungsrechten sei nicht erfolgt. Die Bekanntgabe des Quellcodes ge-
be diesen für gezielte Angriffe auf mögliche Schwachstellen frei. Eine Schwärzung
der sicherheitsrelevanten Daten sei mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungs-
aufwand verbunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts-
akte und den Verwaltungsvorgang verwiesen.




                               Entscheidungsgründe


Gemäß § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ist der Berichterstatter
als Einzelrichter zuständig, nachdem die Kammer ihm den Rechtsstreit durch Be-
schluss vom 13. Februar 2023 zur Entscheidung übertragen hat.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 28. Januar 2021 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Klä-
ger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch auf Zugang zum Quell-
code zu GABI (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 1 S. 1 des Berliner In-
formationsfreiheitsgesetzes - IFG Bln. Danach hat jeder Mensch nach Maßgabe die-
ses Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl
ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stel-
le geführten Akten.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht gegeben. Der Quellcode zu GABI
ist keine „Akte“ in diesem Sinne (vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 8. Mai 2019 – 3 K
1708/17.DA – juris Rn. 40; VG Wiesbaden, Urteil vom 17. Januar 2022 – 6 K
784/21.WI – juris Rn. 50 ff. zum IFG Bund und zum HDSIG). Zutreffend geht der
Kläger zwar davon aus, dass Quellcodes grundsätzlich Akten sein können. Dies folgt
aus § 3 Abs. 2 IFG Bln, wonach der Aktenbegriff u.a. elektronisch festgehaltene Ge-
dankenverkörperungen erfasst, soweit sie amtlichen Zwecken dienen. Diese Vor-
schrift erschöpft sich indes in einer Darlegung der tatbestandlichen Voraussetzungen
des Einsichts- und Auskunftsrechts, ohne dessen Gegenstand im Einzelnen zu be-
zeichnen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 – OVG 7 B 9/05
– juris Rn. 13). Akten in diesem Sinne sind allein der materiellen Verwaltungstätigkeit



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zuzuordnende Vorgänge mit Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit,
wie sie in den Verwaltungsvorgängen dokumentiert sind (OVG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 2. Oktober 2007 – OVG 12 B 11/07 – juris Rn. 20). Einen solchen Bezug
zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit weist der Quellcode zu GABI nicht auf.

Nach den Darlegungen der Beklagten verwendet sie GABI bei verschiedenen Ver-
fahren über die Vergabe von Plätzen in Lehrveranstaltungen gemäß den Anforde-
rungen aus §§ 89–91 der Fachübergreifenden Satzung zur Regelung von Zulassung,
Studium und Prüfung der Humboldt-Universität zu Berlin - ZSP-HU. Die Aufzeich-
nung des Quellcodes erfolgt mithin nicht in einer konkreten Verwaltungsangelegen-
heit, sondern als „Arbeitsmittel“ zu sonstigen amtlichen Zwecken (vgl. OVG Berlin-
Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 – OVG 7 B 9/05 – juris Rn. 15; s. auch
BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2022 – 10 C 3/21 – juris Rn. 45 ff. zu Recherchemit-
teln). Der fehlende Bezug zu einem konkreten Vorgang kommt auch darin zum Aus-
druck, dass die Software im Rahmen der einzelnen Vergabeverfahren den Bedürf-
nissen und Anforderungen des jeweiligen Verfahrens entsprechend neu konfiguriert
wird. Erst mit den neu konfigurierten Anweisungen führt GABI in dem betreffenden
Vergabeverfahren die Berechnung zur Vergabe durch und gibt die Vergabestatis-
tik(en) aus. Der Quellcode ist auch nicht – wie der Kläger meint – mit „analogen“ in-
ternen Anweisungen vergleichbar, die die Parameter im Vergabeverfahren festlegen.
Solche dienstlichen Weisungen entfalten interne Bindungswirkung für die Dienstan-
gehörigen. Für die Vergabe von Plätzen in Lehrveranstaltungen existieren bei der
Beklagten, soweit ersichtlich, keine Dienstanweisungen in diesem Sinne. Der Quell-
code implementiert lediglich die Vorgaben aus §§ 89–91 ZSP-HU technisch und ent-
faltet keine Bindungswirkung gegenüber Mitarbeitern der Beklagten.

Das Vorbringen des Klägers, der Quellcode habe einen konkreten Bezug zu der
Verwaltungsangelegenheit „(Weiter-)Entwicklung des Quellcodes“, überzeugt das
Gericht nicht. Denn der Quellcode bildet den Gegenstand dieses Vorgangs und nicht
den – dem Informationszugang ggf. zugänglichen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 1. Dezember 2021 – OVG 12 B 23/10 – juris Rn. 23) – Vorgang selbst.
Die am Quellcode vorgenommenen Änderungen, die nach dem Vortrag der Beklag-
ten in ihrem Versionsverwaltungssystem einsehbar sind und insoweit die (Weiter-
)Entwicklung des Quellcodes dokumentieren, sind nicht Gegenstand des klägeri-
schen Informationsbegehrens.

Danach kommt es nicht auf die Fragen an, ob der Informationszugang zum Schutz
von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder des Urheberrechts zu versagen ist.



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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbin-
dung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.




                              Rechtsmittelbelehrung


Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Ober-
verwaltungsgericht zugelassen wird.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils
zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7,
10557 Berlin zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen,
aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits
mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-
Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevoll-
mächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Beru-
fung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen
oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Uni-
on, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirt-
schaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber
hinaus können auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Per-
sonen und Organisationen auftreten. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteilig-
ter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen
Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebil-
deten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Rich-
teramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen
Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zu-
sammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche
Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.
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