In der Verwaltungsstreitsache
Semsrott, Arne ./. Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt
- 6 A 343/16 MD -
begründen wir für den Kläger die mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2016 erhobene Klage wie folgt:
A) Sachverhalt
Der Kläger begehrt nach dem Informationszugangsgesetz Sachsen-Anhalt (IZG LSA) Zugang zu dem Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young vom 28. Februar 2013 zur Evaluierung der JVA Burg als PPP-Projekt in der Betriebsphase.
Das Projekt hat große Aufmerksamkeit erfahren, weil es eines der ersten überhaupt in Deutschland war, bei der Betrieb eines Gefängnisses in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft geplant wurde.
Das Interesse des Klägers an dem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsge-sellschaft ergibt sich vor allem daraus, dass das Gutachten Grundlage der Kündigung einiger Verträge war. Die Einsichtnahme würde also überhaupt erst eine Kontrolle dieser Entscheidung ermöglichen, etwa zur Frage, ob die Einschätzungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Wirtschaftlichkeit des Projekts nachvollziehbar waren, oder nicht.
Mit E-Mails vom 25. Mai 2016 und vom 16. Juni 2016 beantragte der Kläger den Informationszugang bei dem Beklagten. Der Beklagte lehnte den An-trag mit Bescheid vom 4. August 2016 ab (Anlage K1, liegt dem Gericht bereits vor), wogegen der Kläger mit Schreiben vom 25. August 2016 Wi-derspruch einlegte, den der Beklagte wiederum mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2016 zurückwies (Anlage K2, liegt dem Gericht bereits vor).
Zwischenzeitlich wandte sich der Kläger auch an den Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit mit der Bitte, die Rechtmäßigkeit der Ablehnung seines Antrags auf Informationszugang zu prüfen. Mit Schreiben vom 14. September 2016 (diesem Schriftsatz beigefügt als Anlage K3) führte der Landesbeauftragte gegenüber dem Beklagten aus, dass er dessen im Ausgangsbescheid geäußerte Rechtsauffassung nicht teile und bat um eine erneute Prüfung.
B) Rechtliche Würdigung
Der Bescheid des Beklagten vom 4. August 2016, Az. 4439 (E) – 304.1913/2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2016, Az. 4439(E)-304.1913/2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), soweit der mit E-Mail vom 25. Mai 2016 und vom 16. Juni 2016 begehrte Informationszugang abge-lehnt wurde.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übersendung des Gutachtens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zu den sie-ben Dienstleistungsverträgen in Zusammenhang mit der JVA Burg von 2014 aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a IZG LSA.
I. Anspruchsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Informationszugang liegen vor. Der Beklagte ist als Ministerium eine Behörde des Landes Sachsen-Anhalt. Bei dem Gutachten handelt es sich um eine amtliche Information im Sinne von § 2 Nr. 1 IZG LSA.
II. Nichtvorliegen von Ausnahmetatbeständen
Dem Anspruch steht kein Ausnahmetatbestand entgegen. Der Beklagte beruft sich insofern auf den Schutz des geistigen Eigentums (§ 6 Satz 1 IZG LSA), hilfsweise auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (§ 6 Satz 2 IZG LSA). Keiner der beiden Tatbestände ist hier einschlägig. Auch eine eventuelle Vertraulichkeitsvereinbarung ist von vornherein nicht geeignet, den Anspruch auf Informationszugang auszuschließen.
1. Schutz des geistigen Eigentums
Dem Anspruch steht nicht der Schutz geistigen Eigentums entgegen. Weder dürfte das in Frage stehende Gutachten überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießen, noch kommt es darauf überhaupt an.
a) Gutachten ist nicht schutzfähig
Auch wenn uns eine abschließende Beurteilung mangels eigener An-schauung des Gutachtens nicht möglich ist, liegt es fern, dass das fragliche Gutachten überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießt. Bei dem Gutach-ten könnte es sich allenfalls um ein Sprachwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG handeln. Als solches wäre das Gutachten aber nur dann urhe-berrechtlich geschützt, wenn er auch die Voraussetzungen einer „persönli-chen geistigen Schöpfung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG erfüllen würde. Davon ist allerdings nur dann auszugehen, wenn sie
„etwas Neues und Eigentümliches darstellen und eine das Durch-schnittliche deutlich überragende individuelle Eigenart aufweisen“
(Partsch, in: Berger/Partsch/Roth/Scheel, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2013, § 6, Rn. 7).
Denn bei wissenschaftlichen Werken findet der erforderliche geistig-schöpferische Gehalt seinen Niederschlag und Ausdruck in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes und nicht ohne weiteres auch, wie meist bei literarischen Werken, in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts. Die Frage, ob ein Schriftwerk einen hinreichenden schöpferischen Eigen-tümlichkeitsgrad besitzt, bemisst sich dabei
„nach dem geistig-schöpferischen Gesamteindruck der konkreten Ge-staltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen.“
(BGH GRUR 1986, 739, 741 – „Anwaltsschriftsatz“). Lassen sich nach Maß-gabe des Gesamtvergleichs mit dem Vorbekannten schöpferische Eigen-heiten feststellen, so sind diese dem Durchschnittlichen gegenüberzustellen. Die Urheberrechtsschutzfähigkeit erfordert ein
„deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials“
(BGH GRUR 1986, 739, 741 – „Anwaltsschriftsatz“, Unterstreichung nur hier). Dabei beschränkt sich der urheberrechtliche Schutz wissenschaftlicher Werke grundsätzlich auf die Formgestaltung, während die inhaltlichen Elemente ungeschützt bleiben. Die in der Vorlage enthaltenen inhaltlichen Schlussfolgerungen sind nicht schutzfähig (LG Berlin, Beschl. v. 11. Februar 2014, Az. 15 O 58/14).
Bei Gutachten – auch betriebswirtschaftlicher Natur – wird die Struktur im Regelfall vollständig von den Gepflogenheiten und sachlichen Zwängen des jeweiligen Fachgebiets vorgegeben, so dass sich auch daraus kein ur-heberrechtlicher Schutz ergeben kann (vgl. Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 2 UrhG, Rn. 117 m.w.N.). Im Fall solcher Gutachten ist nur das-jenige urheberrechtlich schutzfähig, was über das rein alltägliche und rou-tinemäßige Schaffen hinausgeht (Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 2 UrhG, Rn. 92).
Diese Anforderungen dürften auch auf betriebswirtschaftliche Gutachten übertragbar sein, auch diese sind allenfalls als Sprachwerke einzustufen und unterliegen im Wesentlichen vergleichbaren Anforderungen. Die demnach erforderlichen, über das Routinemäßige hinausgehenden Qualitäten weist das hier gegenständliche Gutachten allerdings auch nach dem Vortrag des Beklagten nicht auf.
Da eine Prüfung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Gutachtens allerdings nur in Ansehung des Gutachtens selbst möglich ist, regen wir an, dem Beklagten die Vorlage des Gutachtens aufzugeben. Sollte der Beklagte dies verweigern, wäre ggf. nach § 99 VwGO zu verfahren.
b) Keine Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts
Auch wenn man von einer urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Gutach-tens ausgehen wollte und man zugleich unterstellen wollte, dass das Gut-achten durch den Kläger veröffentlicht werden würde, läge darin jedenfalls keine Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts aus § 12 UrhG.
Insofern unterliegt der Beklagte ohnehin einem fundamentalen Missver-ständnis: Das Erstveröffentlichungsrecht ist Teil des Urheberpersönlich-keitsrechts. Als Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts kann es allerdings sowieso niemals dem Verwerter oder Lizenznehmer eines Werks zustehen, sondern alleine dessen Schöpfer (Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, Praxis-kommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage 2014, § 12, Rn. 2), wobei es sich beim Schöpfer (§ 7 UrhG) ausschließlich um eine natürliche Person handeln kann (Thum, in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage 2014, § 7, Rn. 8). Daher kommt es für die Frage, ob einer Erstver-öffentlichung zugestimmt wurde, von vornherein nicht auf den Willen von Ernst & Young an, sondern ausschließlich auf den der natürlichen Person, die das Gutachten für Ernst & Young verfasst hat. Insofern dürfte es aller-dings an der Durchführung eines Drittbeteiligungsverfahrens gemäß § 8 Abs. 1 IZG LSA fehlen.
Ungeachtet dessen dürfte das Erstveröffentlichungsrecht bereits ausgeübt worden sein. Die Ausübung des Erstveröffentlichungsrechts kann insbe-sondere stillschweigend dadurch erfolgen, dass der Urheber einem Dritten Nutzungsrechte an dem Werk einräumt:
„Da eine Werkverwertung zumeist die Veröffentlichung des Werkes mit sich bringt, übt der Urheber das Veröffentlichungsrecht aus, wenn er an dem unveröffentlichten Werk ein Nutzungsrecht einräumt (…)“
(Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage 2014, Rn. 10 m.w.N.).
Nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten hat der Beklagte allerdings von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young das Recht einge-räumt bekommen, das Gutachten „an die für das Projekt relevanten Landes-behörden, sowie den mit der weiterführenden Aufgaben betrauten Dritten“ (sic!) weiterzugeben (S. 11 des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2016). Darin liegt zweifelsohne die Einräumung entsprechender Nutzungsrechte. Da der Kreis der „für das Projekt relevanten Landesbehörden“ sowie der „mit der weiterführenden Aufgaben betrauten Dritten“ (sic!) für Ernst & Young nicht näher eingrenzbar ist, liegt darin auch ein Einverständnis in die Veröffentlichung, da der Begriff der Veröffentlichung (§ 6 Abs. 1 UrhG) lediglich voraussetzt, dass das Werk einem „nicht von vorne herein bestimmt abgegrenzten Personenkreis“ zur Kenntnis gegeben wird (Dreier, in: Drei-er/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 5. Auflage 2015, § 6, Rn. 7 m.w.N.). Das ist hier der Fall: Aus Sicht von Ernst & Young ist weder klar, noch von Bedeu-tung, wer die „für das Projekt relevanten Landesbehörden“ sowie die „mit der weiterführenden Aufgaben betrauten Dritten“ sind. Andernfalls wären die Behörden und Dritten konkret bezeichnet worden.
Selbst wenn man aber das Erstveröffentlichungsrecht als tangiert ansehen wollte, wäre dies nach den Grundsätzen der „Ashby Donald“-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ge-rechtfertigt (dazu noch unten unter c. bb.).
c) Urheberrechtliche Schranken
Unterstellte man, dass das Gutachten urheberrechtlichen Schutz genießt und wollte man auch unterstellen, dass der Kläger das Gutachten veröf-fentlichen wird, so wären insofern zwar die urheberrechtlichen Verwer-tungsrechte aus §§ 16, 19a UrhG tangiert. Die Veröffentlichung wäre in diesem Fall allerdings von urheberrechtlichen Schranken gedeckt (vgl. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 6, Rn. 53).
aa) Berichterstattung über Tagesereignisse
Die hypothetische Veröffentlichung des Gutachtens wäre von § 50 UrhG gedeckt. Hiernach ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse die Ver-vielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. In diesem Sinn sind Tagesereignisse
„(…) tatsächliche Begebenheiten, unabhängig ob sie den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sport, Kunst oder Kultur zugehören. Das Ereignis muss aktuell sein und die Allgemeinheit, mindestens aber eine größere Gruppe, interessieren (…). Die Aktualität ist so lange gegeben, wie der Verkehr die Berichterstattung als ‚Gegenwartsberichterstattung‘ versteht (…).“
(Lüft, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 51 UrhG, Rn. 4 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen ist auch die Debatte über die Zukunft der teilpri-vatisierten JVA Burg ein Tagesereignis, denn zumindest in Sachsen-Anhalt ist das Thema Gegenstand kontroverser Erörterungen in der regionalen Presse. Mit Blick auf die Vorbildfunktion des PPP-Projekts ist es aber auch überregional von Interesse. In diesem Zusammenhang ist auch das hier im Streit stehende Gutachten von Ernst & Young von Interesse für die Öffent-lichkeit, denn hieraus ergeben sich Informationen über betriebswirtschaft-liche Vor- und Nachteile der Teilprivatisierung.
bb) Meinungs- und Pressefreiheit als Schranke
Daneben stünde dem Kläger im Fall einer Veröffentlichung des Gutachtens auch die Meinungs- und Pressefreiheit zur Seite, die im hier gegebenen Fall eine Schranke des Urheberrechts bildet und bewirkt, dass die Veröffentli-chung der Texte nicht „widerrechtlich“ im Sinne von § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG wäre.
Im Zusammenhang mit der „Ashby Donald“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die schon zuvor ab und an gestellte Frage, wie es um das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ur-heberrecht bestellt ist, wieder in den Fokus des rechtswissenschaftlichen Interesses gerückt. Gerade in dem hier vorliegenden Fall stellt sie sich in besonders zugespitzter Art und Weise.
Die „Ashby Donald“-Entscheidung bildet dabei den vorläufigen Schluss-punkt einer Entwicklung in der Rechtsprechung, die das früher geltende Dogma von den vermeintlich abschließenden Schrankenbestimmungen des Urheberrechts zu Gunsten einer einzelfallbezogenen Abwägung in solchen Sachverhalten, die einen deutlichen Bezug zur Meinungs- und Pressefreiheit aufweisen, aufgebrochen hat. Diese Entwicklung soll im Folgenden zunächst skizziert werden:
α) Landgericht Berlin und Kammergericht: „Botho Strauß“
Bereits im Jahr 1995 hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin im Fall „Botho Strauß“ entschieden, dass die von § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG vorausge-setzte „Widerrechtlichkeit“ einer Urheberrechtsverletzung entfallen kann, wenn sich mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und dem Urheberrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) zwei verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter gegenüberstehen und die zu deren Ausgleich erforderliche Abwägung ergibt, dass die Meinungsfreiheit gegenüber dem Urheberrecht im konkre-ten Fall höher wiegt (LG Berlin, Urt. v. 10. Januar 1995, Az. 16 O 788/94, NJW 1995, 881). Die Kollision der beiden verfassungsrechtlich geschützten Güter „Meinungsfreiheit“ und „Urheberrecht“ sei über eine Güter- und Interes-senabwägung auszugleichen (LG Berlin NJW 1995, 881, 882).
Im zugrundeliegenden Fall sah das Landgericht die einwilligungslose Ver-öffentlichung von Briefen des dortigen Antragstellers als rechtmäßig an, weil ein „ungewöhnlich dringendes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit“ diese rechtfertige.
Das Landgericht Berlin bezog sich damals wesentlich auf die „Lili Marleen“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1985, 2134), in welcher der BGH andeutete, dass ein Eingriff in urheberrechtlich geschützte Positionen seiner Meinung nach in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein könne, sofern ein ungewöhnlich dringendes Informationsbedürfnis dies erfordert (BGH NJW 1985, 2134, 2135).
Dem folgte das Landgericht Berlin, indem es im Fall „Botho Strauß“ aus-führte, dass auch die vollständige und wortlautgetreue Wiedergabe von Briefen gerechtfertigt sein könne, selbst wenn sie nicht von den positivierten Schranken des Urheberrechts gedeckt sei:
„Denn gerade im Interesse der Vermeidung von falschen oder missver-ständlichen Verkürzungen ist die vollständige Wiedergabe kleinerer Sprachwerke nicht zu beanstanden (…). Insoweit ermöglicht gerade die ungekürzte Fassung beider Briefe dem Leser eher eine selbständige Meinungsbildung, als dies bei einer verkürzten (Presse-) Mitteilung der Fall wäre.“
(LG Berlin NJW 1995, 881, 882).
In dem konkreten Fall sah das Landgericht Berlin auch die Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts des dortigen Klägers (§ 12 UrhG) als gerecht-fertigt an.
Diese Entscheidung des Landgerichts Berlin hob das Kammergericht (Urt. v. 21. April 1995, Az. 5 U 1007/95, NJW 1995, 3392) kurz darauf wieder auf und bejahte eine rechtswidrige Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts. Allerdings negierte das Kammergericht dabei keineswegs die Prämisse des Landgerichts, wonach eine Urheberrechtsverletzung grundsätzlich unter Rückgriff auf die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes zu rechtfertigen sei. Diese Prämisse bestätigte das Kammergericht vielmehr ausdrücklich:
„Kollidieren, wie hier, zwei Grundrechte, nämlich das zum Eigentums-recht des Ast. zählende Urheberrecht und die Pressefreiheit, dann ist die Lösung im Einzelfall grundsätzlich über eine Güter- und Interessen-abwägung zu suchen, wobei der Meinungs- und Informationsfreiheit für die freiheitlich demokratische Ordnung anerkanntermaßen besondere Bedeutung zukommt (…) Im Rahmen dieser am Einzelfall orientierten Abwägung wird man schon unter dem vorgenannten Gesichtspunkt nicht schematisch den Interessen des Urhebers den Vorrang zuerkennen können. Vielmehr verlangt der Grundsatz der Einheit der Verfassung, dass möglichst alle beteiligten Rechte größtmögliche Wirkung entfalten können (…). Es kommt immer im Einzelfall darauf an, wie schwer der Eingriff in die Rechte des Urhebers wiegt und welches Informations- oder Presseinteresse zur Rechtfertigung des Eingriffs herangezogen werden kann. Dabei spricht einiges dafür, es zuzulassen, dass z.B. vollständige vor Jahrzehnten veröffentlichte Gedichte einer Person der Zeitgeschichte ohne deren Einwilligung als Belege seiner früheren Gesinnung wiedergegeben werden (…).“
(KG NJW 1995, 3392, 3394, Unterstreichungen nur hier).
Letztlich sah das Kammergericht damals allerdings in der nach diesen Grundsätzen durchgeführten Güterabwägung das Urheberrecht als ge-genüber der Meinungsfreiheit überwiegend an, was seinen Grund in den konkreten Umständen des damaligen Einzelfalls hatte.
Jedenfalls aber ging auch das Kammergericht zu Recht davon aus, dass eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung im Rahmen eines re-daktionellen Zusammenhangs nicht deshalb automatisch rechtswidrig ist, weil sie nicht von einer der urheberrechtlichen Schranken gedeckt ist. Vielmehr ist eine Einzelfallabwägung der betroffenen Rechtsgüter unter Berücksichtigung des besonderen Stellenwerts, den die Meinungsfreiheit in der grundgesetzlichen Verfassungsordnung einnimmt, nach Auffassung auch des Kammergerichts in jedem Fall geboten.
β) OLG Hamburg und BVerfG: „Anwaltsschriftsatz“
Dieser Auffassung schloss sich wenige Jahre später auch das Oberlandes-gericht Hamburg (Urt. v. 29. Juli 1999, Az. 3 U 34/99, NJW 1999, 3343) an, das über die Veröffentlichung von Schriftsätzen Gregor Gysis zu befinden hatte, die dieser im in der DDR geführten Strafverfahren gegen den Regimekritiker Havemann gefertigt hatte. Gysi wollte seinen Schriftsatz, den der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in einem von ihm heraus-gegebenen Buch abdruckte, nicht veröffentlicht sehen und wandte sich an das Landgericht Hamburg, das eine zunächst erlassene einstweilige Verfü-gung auf den Widerspruch des Antragsgegners hin wieder aufhob.
Das mit der hiergegen eingelegten Berufung befasste OLG Hamburg bestä-tigte das landgerichtliche Urteil und verneinte einen Unterlassungsanspruch Gregor Gysis. Es führte aus:
„Der Senat teilt jedenfalls die Auffassung, dass das Urheberrecht, auch soweit es eine Ausformung grundgesetzlicher Positionen darstellt, in seiner Wechselwirkung mit anderen Grundrechten gesehen werden muss (…). Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 I GG) gehen vor, wenn eine Abwägung ergibt, dass schützenswerte Belange des Urhe-berrechtsinhabers nicht gefährdet sind und überragende Interessen der Allgemeinheit eine Veröffentlichung verlangen (…).“
(OLG Hamburg NJW 1999, 3343, 3344).
Das OLG Hamburg, das unter Anwendung dieser Grundsätze einen Unter-lassungsanspruch des Urheberrechtsinhabers verneinte, sah sich insofern in einer Linie mit der Entscheidung des Kammergerichts (so ausdrücklich OLG Hamburg NJW 1999, 3343, 3345).
Diese Entscheidung griff Gregor Gysi mit der Verfassungsbeschwerde an, auf die das Bundesverfassungsgericht das Urteil des OLG Hamburg ausdrücklich billigte (Beschl. v. 17. Dezember 1999, Az. 1 BvR 1611/99, NJW 2000, 2416) und die dort zugrunde gelegte Prämisse, in derartigen Fällen sei zwischen der Meinungsfreiheit und dem Urheberrecht ein Ausgleich durch Abwägung zu suchen, bestätigte (BVerfG NJW 2000, 2416, 2417).
γ) BVerfG zur Kunstfreiheit: „Brecht-Zitate“
Die nächste Gelegenheit, sich mit diesem Themenkomplex zu befassen, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits ein Jahr später im Fall „Brecht-Zitate“ (Beschl. v. 29. Juni 2000, Az. 1 BvR 825/98). Diesem lag zugrunde, dass in einem in Buchform erschienenen Theaterstück längere Textpassagen aus Werken Bertolt Brechts wiedergegeben wurden, dessen Erben hiergegen auf Unterlassung klagten und – nachdem ihrem Begehren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem OLG Brandenburg der Erfolg versagt blieb – in München auch zum gewünschten Ziel gelangten (eine Darstellung der Prozessgeschichte findet sich bei Lindhorst, MMR 2000, 688, 688). Auf die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hin hob das Bundesverfas-sungsgericht das Urteil des OLG München auf und äußerte sich näher zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht.
Dabei führte es aus, dass die Kunstfreiheit zwar mit Blick auf Art. 14 GG zu Gunsten des Urheberrechts eingeschränkt werden könne, eine Kollision dieser beiden Rechtsgüter allerdings durch Abwägung aufzulösen sei:
„Treffen mehrere grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander, so ist es zunächst Aufgabe des Richters, im Rahmen der Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Regelungen die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der ande-ren Partei zu konkretisieren (…)“
(BVerfG NJW 2001, 598, 599). Und weiter:
„Steht – wie vorliegend – ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile (z. B. Absatz-rückgänge […]) der künstlerischen Entfaltungsfreiheit gegenüber, so haben die Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber im Ver-gleich zu den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Auseinander-setzung zurückzutreten.“
(BVerfG NJW 2001, 598, 599).
Das Bundesverfassungsgericht stellt also maßgeblich auf die Funktion des Urheberrechts ab, dem Urheber die wirtschaftliche Nutzung seines Werks zu ermöglichen und setzt dem das grundrechtlich geschützte Interesse eines Dritten, sich mit dem Werk inhaltlich auseinanderzusetzen, entgegen. Dass es in diesem Zusammenhang nicht um die Meinungs- sondern um die Kunstfreiheit ging, macht den Fall nicht weniger vergleichbar, zumal auch die Kunstfreiheit – ebenso wie die Meinungsfreiheit – im Kern eine Kom-munikationsfreiheit ist. Beide sind in Art. 5 GG garantiert.
δ) OLG Stuttgart: „Filmvorführung in der Pressekonferenz“
In die gute Gesellschaft von Bundesverfassungsgericht („Brecht-Zitate“ und „Anwaltsschriftsatz“), Bundesgerichtshof („Lili Marleen“), Kammergericht („Botho Strauß-Briefe“) und OLG Hamburg („Anwaltsschriftsatz“) hat sich zuletzt auch das OLG Stuttgart begeben, das einen auf das Urheberrecht gestützten Unterlassungsanspruch des Herstellers eines Videofilms ver-neinte, der sich dagegen wandte, dass dieser Videofilm von einer politischen Partei auf einer Pressekonferenz gezeigt wurde (OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. Juli 2003, Az. 4 W 32/03 – Juris). Auch das OLG Stuttgart stellte sich auf den Standpunkt, dass die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen keineswegs abschließend seien, sondern im Fall einer Kollision von Urheberrecht und Meinungsfreiheit dieser Konflikt durch eine Abwägung zu lösen sei (Rn. 28 der Entscheidung nach Juris). Diese ergab im dortigen Fall, dass die Veröffentlichung nach Auffassung des dortigen Senats nicht als rechtswidrig im urheberrechtlichen Sinne anzusehen war.
ε) EGMR: „Ashby Donald“
Vorläufiger Höhepunkt dieser Reihe von Entscheidungen, die die grund-sätzliche Möglichkeit einer Rechtfertigung von Eingriffen in das Urheber-recht zu Gunsten der und durch die Meinungsfreiheit angenommen haben, dürfte die schon oben erwähnte „Ashby Donald“-Entscheidung des EGMR sein (EGMR, Urt. v. 10. Januar 2013, Az. 36769/08, NJW 2013, 2735).
Im Rahmen einer Beschwerde eines Fotografen wegen einer strafrechtlichen Verurteilung aufgrund einer Urheberrechtsverletzung im Zusammenhang mit Modefotografie hat der EGMR ausgeführt, dass eine solche Verurteilung einen Eingriff in die von Art. 10 EMRK geschützte Meinungsfreiheit des Fotografen darstellt, die nach Art. 10 Abs. 2 EMRK nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist „zum Schutz (…) der Rechte anderer“. In diesem Zusammenhang betonte der Gerichtshof zunächst die überragende Bedeutung der Meinungsfreiheit, die
„eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihren Fortschritt und die Entfaltung einer jeden Person“
sei. Weiter führte er aus, dass die Notwendigkeit einer Beschränkung der Meinungsfreiheit überzeugend nachgewiesen werden müsse (EGMR NJW 2013, 2735, 2736). Im Zusammenhang mit politischen Meinungsäußerungen lasse die EMRK, so der Gerichtshof weiter, „kaum Raum für Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ (EGMR NJW 2013, 2735, 2737). Zwar sei auch das Urheberrecht konventionsrechtlich geschützt. Erforderlich sei in jedem Fall eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen, wenn es um die Be-schränkung der Meinungsfreiheit gehe (EMGR, a.a.O.).
Diese Entscheidung wird etwa von Thomas Hoeren dahingehend interpre-tiert, dass die bisherige Regel-Schranken-Dogmatik des deutschen Urhe-berrechts nunmehr umgekehrt werden müsse: Schranken seien nun – je-denfalls im Zusammenhang mit Meinungsäußerungen – nicht mehr eng auszulegen, umgekehrt seien Schranken stets im Lichte konfligierender Rechte Dritter, namentlich der Meinungsfreiheit zu interpretieren:
„Also sind nicht die Schranken eng auszulegen, vielmehr die Meinungs-freiheit weit.“
(Hoeren, MMR 2013, 797, 797).
Weiter seien deutsche Gerichte nunmehr gehalten, in urheberrechtlichen Fällen, die Bezug zur Meinungsfreiheit aufweisen, das Urheberrecht als Ausnahme und die Meinungsfreiheit als Regel zu verstehen (Hoeren, a.a.O.).
Ähnliche Schlüsse zieht Holger Nieland, der unter anderem auch mit Recht darauf hinweist, dass es nach der „Ashby Donald“-Entscheidung für die Abwägung zwischen Urheberrecht und Meinungsfreiheit wesentlich darauf ankommen wird, welchen Inhalt die jeweilige Äußerung hat: Betrifft sie das politische Feld, so bedarf ihre Einschränkung (wenn die Einschränkung denn überhaupt zulässig ist) einer wesentlich intensiveren Rechtfertigung, als wenn sie den rein kommerziellen Bereich betrifft. In jedem Fall sei aber eine Einzelfallabwägung erforderlich (Nieland, K&R 2013, 285, 287). Einen Rückzug auf ein mechanisches Schrankensystem des Urheberrechts kann es danach nicht mehr geben.
ζ) Anwendung der Grundsätze auf den hier gegebenen Fall
Wendet man die oben geschilderten Grundsätze auf den hier gegebenen Fall an, so ergibt sich das folgende Bild:
Das hier streitgegenständliche Gutachten betrifft eine Angelegenheit von erheblichem politischem Interesse, nämlich die Vor- und Nachteile einer öffentlich-privaten Partnerschaft und damit einer jedenfalls teilweisen Pri-vatisierung einer Strafvollzugsanstalt. Dieses Thema ist auch von erhebli-chem öffentlichen Interesse, zu berücksichtigen ist, dass das Thema im Land Sachsen-Anhalt auf höchster Regierungsebene behandelt wird und dem Projekt eine Vorbildfunktion für ähnliche Vorhaben in der ganzen Bundesrepublik zukommt.
Demgegenüber besteht ein in urheberrechtlicher Hinsicht bestenfalls äu-ßerst geringes schützenswertes Interesse von Ernst & Young daran, dass die Veröffentlichung des Gutachtens unterbleibt. Die Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft Ernst & Young wird kaum ernstlich geltend machen wollen, dass sie beabsichtigt, urheberrechtliche Nutzungsrechte an dem Gutachten noch anderweitig zu lizenzieren. Wie oben ausgeführt hat das Bundes-verfassungsgericht allerdings mehrfach festgestellt, dass bei der Abwägung des Urheberrechts gegen die Meinungsfreiheit im Wesentlichen der urheberrechtliche Grundgedanke maßgeblich sein muss, wonach dem Urheber die wirtschaftliche Partizipation an seinem Werk ermöglicht werden muss. Dass Ernst & Young in wirtschaftlicher Hinsicht bereits hinreichend an dem Gutachten partizipiert hat – es wird wohl kaum kostenlos verfasst worden sein – liegt allerdings auf der Hand. Eine anderweitige wirtschaftliche Verwertung scheidet auch ersichtlich aus.
d) Hilfsweise: Anspruch auf Einsicht in das Gutachten
Selbst wenn man aber mit dem Beklagten zu dem Ergebnis kommen wollte, dass das Gutachten (1) urheberrechtlichen Schutz genießt und (2) keine Schranken des Urheberrechts zu Gunsten des Klägers eingreifen, so hätte der Kläger jedenfalls Anspruch auf Einsichtnahme in das Gutachten (§ 7 Abs. 4 Satz 1 IZG LSA). Denn die reine Einsichtnahme in das Gutachten ist urheberrechtlich vollkommen neutral, darin liegt keine urheberrechtliche Nutzungshandlung:
„Die Benutzung eines Werkes als solche ist kein urheberrechtlich rele-vanter Vorgang. Dies gilt für das Benutzen eines Computerprogramms ebenso wie für das Lesen eines Buches, das Anhören einer Schallplatte, das Betrachten eines Kunstwerkes oder eines Videofilms“
(BGH GRUR 1991, 449, 453 – „Betriebssystem“; BGH GRUR 1994, 363, 364 f – „Holzhandelsprogramm“; ebenso Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 6, Rn. 48).
2. Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
Die in den angegriffenen Bescheiden gegebene Begründung, der Vertrag enthielte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Projektgesellschaft Jus-tizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG, ist nicht nachvollziehbar.
a) Begriffsbestimmung
Als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse gelten nach ständiger Recht-sprechung der Verwaltungsgerichte aller Instanzen
„(…) alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem be-grenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen (…)“
(BVerwG NVwZ 2009, 1113, 1114 unter Bezugnahme auf BVerfGE 115, 205, 230; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2. Oktober 2007, Az. OVG 12 B 9.07, Rn. 41 – Juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7. Juni 2012, Az. OVG 12 B 34.10, Rn. 36 f. – Juris; VG Berlin, Urt. v. 11. November 2010, Az. 2 K 35.10, Rn. 32 – Juris; jew. m.w.N.).
Das Berechtigte Interesse an der Nichtverbreitung setzt weiter voraus, dass
„(…) die Offenlegung geeignet ist, exklusives technisches oder kauf-männisches Wissen dem Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Marktposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen oder die Veröffentlichung geeignet ist, wirtschaftlichen Schaden zuzu-fügen (BVerwG NVwZ 2009, 1113 (1114), vgl. auch BGHSt 41, 140 (142))
(OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7. Juni 2012, Az. OVG 12 B 34.10, Rn. 36 f. – Juris).
Dabei reicht es nicht aus, wenn ein bestimmter Umstand schlichtweg als Geschäftsgeheimnis deklariert wird. Die Annahme eines solchen Geheim-nisses muss vielmehr plausibel gemacht werden:
„Ob ein solches Interesse vorliegt, muss durch den Betroffenen so plau-sibel gemacht werden, dass unter Wahrung des Geheimnisses ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen der in Frage stehenden Information und der Möglichkeit eines Wettbewerbsnachteils etabliert wird. Die bloße Behauptung, dass ein Geschäftsgeheimnis vorliege, reicht dagegen nicht aus. Andernfalls könnte ein Betroffener ohne jede Rechtfertigung über die Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes verfügen.“
(OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7. Juni 2012, Az. OVG 12 B 34.10, Rn. 36 f. – Juris; Unterstreichung nur hier).
b) Anwendung auf den hiesigen Fall
Nach den oben dargelegten Grundsätzen kann im hier gegebenen Fall der Ausschluss vom Informationszugang nicht auf die Behauptung gestützt werden, dem Informationszugang stünden Betriebs- oder Geschäftsge-heimnisse der Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG entgegen.
Denn die Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG befindet sich in Bezug auf die von ihr erbrachten Leistungen überhaupt nicht in Konkurrenz zu anderen Markteilnehmern. Ein wirtschaftlicher Wettbewerb findet nur dann statt, wenn verschiedene Unternehmen auf einem abgrenzbaren Markt vergleichbare Produkte derart anbieten, dass die Leistungen der Unternehmen aus Sicht des Auftraggebers ausgetauscht werden können (vgl. OVG Berlin, Urteile vom 2. Oktober 2007, Az.: 12 B 11.07 und 12 B 9.07).
Hinsichtlich der Leistungen, mit denen sie bereits betraut wurde, steht die Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG per se nicht mehr im Wettbewerb, denn insofern hat sie sich im Wettbewerb bereits durchsetzen können. Damit kann es nur noch auf die Frage ankommen, ob durch die Erfüllung des Informationsanspruchs Informationen offengelegt werden, deren Kenntnisnahme durch Dritte der Projektgesellschaft Justiz-vollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG im Wettbewerb um künftige Aufträge Nachteile bringen könnten. Dafür ist aus den angegriffenen Bescheiden nicht das geringste ersichtlich. Vielmehr legt ja schon der Umstand, dass es sich bei der die Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG um eine „Projektgesellschaft“ handelt nahe, dass sie gerade nicht beab-sichtigt, sich auch um künftige Projekte zu bewerben.
Des Weiteren ist – jenseits einer bloß pauschalen Behauptung – nicht nachvollziehbar dargelegt worden, inwiefern durch die Bekanntgabe der begehrten Informationen die Wettbewerbsposition des Unternehmens Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG auf welchem Markt auch immer objektiv gefährdet sein könnte. Diese Gefährdungslage ist aber elementarer Bestandteil des objektiven Geheimhaltungsinteresses (BVerfGE 115, 205, 203). So ist nicht erkennbar und auch nicht dargelegt, inwieweit die Projektgesellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG sich im Wettbewerb mit Unternehmen anderer Branchen – der Beklagte spricht insoweit von Reinigung, Catering, Wach- und Sicherheit, vgl. S. 14 des Widerspruchsbescheids – befinden könnte und was derartige konkur-rierende Unternehmen aus einem mittlerweile vier Jahre alten Gutachten, das noch weiter in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zum Gegen-stand hat, überhaupt ableiten könnte.
Denn insofern ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung sowohl der Instanzgerichte, als auch des Bundesverwaltungsgerichts schon mit Blick auf den Zeitablauf erhöhte Anforderungen an die Darlegung eines Geschäftsgeheimnisses zu stellen sind (BVerwG, Urt. v. 17. März 2016, Az. BVerwG 7 C 2.15, Rn. 35; VG Berlin, Urt. v. 19. Juni 2014, Az. VG 2 K 221.13, Rn. 54 – Juris). Das hier im Frage stehende Gutachten von Ernst & Young datiert seinerseits auf den 28. Februar 2013, ist also bereits vier Jahre alt. Es bezieht sich hauptsächlich auf noch deutlich weiter zurückreichende Sachverhalte, die JVA hat ihren Betrieb im Jahr 2009 aufgenommen, also vor acht Jahren. Es ist nicht ersichtlich, dass Informationen, die derart veraltet sind, aus heutiger Sicht noch wettbewerbliche Relevanz für die Zukunft („prognostische Einschätzung“, BVerwG, Urt. v. 17. März 2016, Az. BVerwG 7 C 2.15, Rn. 35) aufweisen können. Dafür hat der Beklagte nichts vorgetragen, es ist auch fernliegend, da die gegenwärtige Landesregierung beabsichtigt, die teilprivatisierten Dienstleistungen wieder in staatliche Hände zu überführen. Dass das Gutachten Informationen über Preisanpassungsklauseln enthält, wie es der Beklagte geltend macht (S. 14 des Widerspruchsbescheids) ist insoweit unbehelflich, denn auch dann stellt sich die Frage, ob solche Preisanpassungsklauseln, wie sie damals vereinbart wurden, heute oder in Zukunft noch vereinbart werden würden, wozu der Beklagte nichts mitgeteilt hat.
Auch zur Prüfung des Vorliegens von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch das Gericht regen wir an, dem Beklagten die Vorlage des Gutachtens aufzugeben. Sollte der Beklagte dies verweigern, wäre ggf. nach § 99 VwGO zu verfahren.
Des Weiteren weisen wir auch darauf hin, dass – sollte das Gutachten wider Erwarten tatsächlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten – je-denfalls ein teilweiser Informationszugang zu gewähren wäre (§ 7 Abs. 2 Satz 1 IZG LSA).
3. Vertraulichkeitsvereinbarung
Soweit der Beklagte eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Projektge-sellschaft Justizvollzugsanstalt Burg GmbH & Co. KG ins Feld führt, ist dies nicht erheblich. Eine solche Vertraulichkeitszusage ist nicht geeignet, den Anspruch auf Informationszugang einzuschränken. Das Gesetz erkennt eine solche Zusage nicht als Ausnahmetatbestand an. Jenseits gesetzlicher Ausnahmetatbestände kann eine solche Zusage das Recht Dritter auf In-formationszugang nicht einschränken, andernfalls läge ein (stets unzuläs-siger) Vertrag zu Lasten Dritter vor. Dies hat nicht nur kürzlich das Bundes-verwaltungsgericht so entschieden (BVerwG, Urt. v. 17. März 2016, Az. BVerwG 7 C 2.15, Rn. 36), auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ist dies schon lange anerkannt:
„Die Beklagte kann sich auch nicht in genereller Weise den gesetzlichen Pflichten zur Erteilung von Auskünften dadurch entziehen, dass sie im Verhältnis zu den betroffenen Dritten jenen vertraglich oder auf andere Weise Vertraulichkeit zusichert. Die gesetzliche Pflicht zur Gewährung von Einsicht in umweltrelevante Daten kann durch zivilrechtliche Vereinbarungen nicht umgangen werden (§ 134 BGB).“
(VGH Kassel, Beschl. v. 31. Oktober 2013, Az.: 6 A 1734/13.Z, Rn. 23 – Juris; ), sowie:
„Sonstige vertragliche Regelungen, die den Informationszugangsan-spruch der Klägerin in Frage stellen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich und wären im Rahmen einer privatrechtlichen Verein-barung ohnehin gemäß § 134 BGB nichtig, da es grundsätzlich rechtlich nicht möglich ist, den Anwendungsbereich des IFG und ein sich daraus ergebendes Informationszugangsrecht über die Ausnahmevorschriften des IFG hinaus durch vertragliche Vereinbarung zu beschränken (vgl. Berger/Roth/Scheel, IFG Kommentar zu § 1 Rdnr. 83).“
(VG Stuttgart, Urt. v. 17. Mai 2011, Az. 13 K 3505/09, Rn. 70 – Juris).
Gründe, weshalb die Informationen gleichwohl einem gesetzlichen Ver-traulichkeitsschutz unterfallen könnten sind nicht erkennbar.
Zwei beglaubigte Abschriften anbei.