An:
Antragsteller/in
Per Fax
Aktenzeichen: 13 IFG – 02814 – In 2020 / NA 181
https://fragdenstaat.de/a/193242
Berlin, den 14. Dezember 2020
Betreff: Anfrage nach dem Informationsgesetz (IFG) vom 21. Juli 2020, hier Widerspruch.
Sehr
Antragsteller/in
gegen Ihren Bescheid vom 12. November 2020 (Az. 13 IFG-02814-In2020/NA 181), hier zugegangen per Postzustellungsurkunde am 16. November 2020 lege ich
Widerspruch
ein.
Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in eigenen Rechte.
Es besteht ein Anspruch auf Informationszugang, insbesondere nach § 3 UIG.
Die vorgetragenen Ablehnungsgründe liegen nicht vor. Die Herausgabe der angefragten amtlichen Informationen ist nicht geeignet, nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen auszulösen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG bzw. § 3 Nr. 1 lit. g IFG). Ferner handelt es sich bei dem Schiedsgerichtsverfahren nicht um ein in den Schutz des § 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG bzw. § 3 Nr. 1 lit. g IFG einbezogenes Gerichtsverfahren.
Im ablehnenden Bescheid wurde nicht ausreichend dargelegt, weshalb die Ablehnungsgründe praktisch vorliegen.
Insbesondere verkennen Sie bei Ihrer Bescheidung die aktuelle Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, ECLI:EU:C:2018:158), nach der Klagen von Investoren gegenüber EU-Mitgliedsstaaten vor privaten Schiedsgerichten abseits der staatlichen Gerichtsbarkeit als unzulässig anzusehen sind und die Urteile auch nicht vollstreckbar sind. Entsprechende Schiedsvereinbarungen sind daher auch nicht geeignet, europarechtlich begründete Umweltinformationsrechte auszuhebeln. Über EU-Recht entscheidet letztentscheidungsbefugt nicht das private Schiedsgericht und dessen Regularien, sondern der EuGH. Dem haben staatliche Gerichte zu folgen. Sie können nicht, Informationszugangsansprüche unter Verweis auf vorrangiges, privat vereinbartes Recht abweisen (so noch VG Berlin, Urteil vom 3. November 2016 – 2 K 434.15).
1. Keine Beeinträchtigung internationaler Beziehungen durch die Erfüllung gesetzlicher Transparenzstandards bei Durchführung rechtswidriger Schiedsverfahren
Der Schutz internationaler Beziehungen kann nicht als Ablehnungsgrund angeführt werden.
Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass die Beziehungen zu Schweden nachteilig beeinträchtigt werden könnten. Es sind jedoch für den Verweis auf den Ablehnungsgrund solche besonderen Umstände erforderlich (vgl. Reidt/Schiller/Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 8 UIG Rn. 10). Diese sind erst dann gegeben, wenn der Eintritt des Nachteils für die geschützten Belange hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BeckOK Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal, § 8 UIG, Rn. 25a).
Zunächst weist der Rechtsstreit ohnehin nur einen mittelbaren Bezug zu internationalen Beziehungen auf. Der Rechtsstreit betrifft die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt auf der einen und die privatrechtlichen Unternehmen, u.a. Vattenfall AB auf der anderen Seite. Bei diesen handelt es sich nicht um Völkerrechtssubjekte. Unter internationalen Beziehungen sind diese zwischen Nationen, also zwischen Völkerrechtssubjekten zu verstehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.6.2016 – 7 C 32.15, NVwZ 2016, 1566 Rn. 22). Die Offenlegung der Dokumente des Rechtsstreits ist daher nicht geeignet, die internationalen Beziehungen zu gefährden.
Eine reale „Belastung“ für internationale Beziehungen vermag sich ggf. daraus ergeben, dass ein sich überwiegend in Staatsbesitz befindliches, jedoch privatautonom im Wirtschaftsverkehr agierendes Unternehmen einen Staat unter Umgehung der demokratisch legitimierten, staatlichen Gerichte vor einem privaten Schiedsgericht auf 4,4 Milliarden EUR Entschädigung verklagt, weil ihm entsprechend einer demokratischen Mehrheitsmeinung eine die Umwelt und Menschen erheblich gefährdende Energieerzeugung untersagt wird. Es besteht jedoch kein Anspruch darauf, dieses Vorgehen in der Öffentlichkeit nach Möglichkeit geheim zu halten und es ist nicht ersichtlich, wie die Transparentmachung dieses Vorgehens zu einer zusätzlichen Erschütterung der internationalen Beziehungen führen sollte. In Bezug auf die Vattenfall AB ist hierbei zudem anzumerken, dass sich das Unternehmen Vattenfall AB auf der einen Seite, namentlich in den Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (vgl.
https://www.handelsblatt.com/unternehme…), als privatrechtliches und staatsfernes Unternehmen geriert, sich damit als grundrechtsberechtigt darstellt, um Entschädigungen wegen Enteignungen durchzusetzen. Auf der anderen Seite werden hier nun die mittelbaren staatlichen Bezüge des Unternehmens angeführt, um möglichst geheim die Bundesrepublik Deutschland vor einem privaten Schiedsgericht auf hohe Entschädigungszahlungen in Anspruch zu nehmen. Nicht die Herausgabe von Informationen aus dem anhängigen Schiedsgerichtsverfahren ist geeignet, die internationalen Beziehungen zu beeinträchtigen, sondern das Anrufen eines geheimen, privaten Schiedsgerichts trotz eines ausreichenden und rechtsstaatlichen nationalen Rechtsschutzsystems.
Vattenfall AB hatte die Notwendigkeit zur Durchführung des Schiedsgerichtsverfahrens zunächst damit begründet, dass es unklar sei, ob als ausländisches Unternehmen ausreichender Rechtsschutz in Deutschland möglich wäre. Das ist spätestens seit dem 6.12.2016 mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12) beantwortet. Mit der Entscheidung, dass die Beschleunigung des Atomausstiegs in Teilen verfassungswidrig sei, da den Betreibern keine ausreichende Entschädigung für die Reststrommenge angeboten werde, hat das Bundesverfassungsgericht betroffenen Unternehmen den Weg geebnet, vor den staatlichen Gerichten Entschädigungszahlungen aus Staatshaftung zu erhalten. Mit dem Beschluss vom September 2020 (BVerfG, Beschluss vom 29. September 2020 – 1 BvR 1550/19 –, juris) ist für Vattenfall jeglicher Grund für die Aufrechterhaltung des Rechtsstreits vor dem Schiedsgericht weggefallen. Vattenfall AB muss es jedenfalls ertragen, dieses privatgerichtliche Parallelverfahren, das an die Einhaltung rechtstaatlicher Garantien nicht gebunden und demokratisch nicht legitimiert ist, nicht im Verborgenen führen zu können.
Der Verweis auf „andere Staaten und Völkerrechtssubjekte“ ist im Übrigen unsubstantiiert.
2. Der Schutz eines laufenden Gerichtsverfahrens (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG und § 8 Nr. 1 lit g IFG) erstreckt sich nicht auf private Schiedsgerichte
Der Ablehnungsgrund des Schutzes eines laufenden Gerichtsverfahrens ist nicht einschlägig. Bei einem Schiedsgerichtsverfahren handelt es sich nicht um ein durch § 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG geschütztes Gericht.
Aus der Systematik zu § 2 Abs. 1 lit b) UIG ergibt sich, dass staatliche Gerichte von der Informationspflicht in Bezug auf ihre Rechtsprechungstätigkeit befreit sein sollen (vgl. Bundestags-Drucksache 15/3406, S. 14). Durch diese Ausnahme von der Informationspflicht soll die Funktion der Rechtspflege und die Tätigkeiten, die in richterlicher Unabhängigkeit durchgeführt werden, geschützt werden. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Schutz aus Art. 97 GG (vgl. BeckOK Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal, § 2 Rn 40). Internationale Schiedsgerichte sind jedoch keine Gerichte, auf die die Regel des Art. 97 Abs. 1 GG Anwendung findet, wonach die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Sie benötigen besondere öffentliche Kontrolle. Schiedsgerichte sind nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH schon keine Gerichte, die Kompetenz für rechtsverbindliche Entscheidungen von Sachverhalten hätten, die, wie hier, EU-Recht unterliegen und in diese EU-Mitgliedsstaaten involviert worden sind (hierzu sogleich unter 3.).
Darüber hinaus dient der Schutz des § 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG dem Gerichtsverfahren als solchem. Es wurde bisher nicht vorgetragen, inwieweit das Schiedsverfahren als solches durch die Bekanntgabe der Informationen gefährdet werden würde, zumal es ohnehin nicht (mehr) in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Entscheidung herzustellen. Insoweit und schließlich kann auch der Aussage im Bescheid (S. 5) nicht zugestimmt werden, dass das „Schiedsgericht, an dessen sachlicher Kompetenz und Unabhängigkeit kein Zweifel besteht, eine bindende und abschließende Entscheidung trifft, die die gleichen Wirkungen wie ein innerstaatliches Urteil entfalte[t].“
Jeder Zweifel an der Kompetenz und Unabhängigkeit eines unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelnden Privatgerichts ist angebracht. Das Verfahren kann daher durch öffentliche Kontrolle nur gewinnen.
3. EU-rechtlich unzulässige Schiedsverfahren und die ihnen zugrunde liegenden Vereinbarungen sind nicht geeignet, europarechtlich begründete Transparenzpflichten auszuhebeln
Soweit das VG Berlin in einem sehr ähnlich gelagerten Fall entschieden hat, dass es ihm aus Kompetenzgründen nicht zustehe, über die nun auch in diesem Verfahren angeführte Zulässigkeit der Vertraulichkeitsanordnung durch das ICSID-Schiedsgericht zu urteilen (VG Berlin, Urteil vom 3. November 2016 – 2 K 434.15), ist diese Rechtsauffassung überholt und kollidiert insbesondere mit der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, ECLI:EU:C:2018:158) zu Schiedsverfahren. Deren Verfahrensordnungen sind nicht geeignet, anwendbares europäisches Recht zu brechen. Ihr Ausgang ist nicht geeignet, vollstreckbare Rechtspositionen im europarechtlichen Kontext zu schaffen, wie es ein innerstaatliches Gericht kann. Insbesondere sind Schiedsgerichts-Klauseln bei Rechtsstreitigkeiten gegenüber EU-Mitgliedsstaaten unionsrechtswidrig. Wegen der Autonomie der Europäischen Union, dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten sowie der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, sind Investitionsstreitigkeiten wie die zwischen Vattenfall AB und der BRD grundsätzlich vor nationalen Gerichten zu klären. Nach Auffassung des EuGH gehören Schiedsgerichte wegen des Ausnahmecharakters nicht zum Gerichtssystem der Union, da diese nicht die Kompetenz haben, nach EU-Recht zu entscheidende Sachverhalte entsprechend zu beurteilen.
Daraus ergibt sich zweierlei: Können internationale Schiedsverfahren, in denen EU-Mitgliedsstaaten von Investoren verklagt werden, schon nicht europarechtskonform und mit rechtsverbindlicher Wirkung durchgeführt werden, kann erst recht nicht unter Verweis auf Schiedsverfahren, Verfahrensordnungen und entsprechende völkerrechtliche Verträge der Informationszugang nach UIG hinsichtlich Informationen über die Durchführung dieser Schiedsverfahren ausgehebelt werden. Insbesondere können die Ablehnungsgründe nach § 8 UIG nicht anhand von Schiedsgerichtsklauseln und entsprechenden Vertraulichkeitserwartungen ausgelegt werden. Für die Anwendbarkeit des UIG haben die Vereinbarungen anlässlich der Durchführung von europarechtswidrigen Schiedsverfahren unter Beteiligung eines EU-Mitgliedsstaats keinerlei Bedeutung. Zum anderen sind laut EuGH Investitionsstreitigkeiten aus dem Grundsatz zur loyalen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedsstaaten gerade vor den nationalen Gerichten im Rechts- und Kompetenzgefüge der EU auszutragen. Dann ist aber nicht ersichtlich, wie die Eröffnung von europarechtlich geforderter Transparenz gegenüber einem Verfahren, das angesichts seines Charakters als europarechtswidriges Schiedsverfahren diese Vertrauens-Grundsätze gerade gefährdet, die internationalen Beziehungen mit Blick auf eine vertrauliche Zusammenarbeit gefährden soll. Das Gegenteil ist der Fall, da die Informationsfreiheitsrechte dazu dienen, die rechtsstaatlich gesehen bereits „auf Abwegen“ befindlichen Rechtstreitigkeiten, die Investoren gegenüber EU-Staaten unzulässigerweise angestrengt haben, zurück zu holen auf die rechtsstaatlichen Pfade und die öffentliche Kontrolle, die nach EU-Recht vorgesehen ist, jedenfalls ansatzweise zu ermöglichen.
4. Ergebnis
Aus alledem folgt, dass die vorgetragenen Ablehnungsgründe der Bekanntgabe der angefragten Informationen nicht entgegengehalten werden können.
Dem Widerspruch ist damit stattzugeben.
Mit freundlichen Grüßen