Sehr geehrter Herr Semsrott,
zu Ihrer Anfrage nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) bzw. Landespressegesetz (LPresseG) vom 31. Mai 2022 ergeht folgende Entscheidung:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Dies hat folgende Gründe:
Zu 1.:
Mit Ihrem Antrag begehren Sie die Zusendung des Schreibens des Anwalts des Inspekteurs der Polizei zu dessen Disziplinarverfahren, das Herr Minister Thomas Strobl im Dezember 2021 einem Pressevertreter übermittelt hat.
Eine Herausgabe des Schreibens scheidet aufgrund einer inzwischen veränderten Sachlage zum jetzigen Zeitpunkt sowohl nach dem LIFG als auch nach LPresseG aus.
Aus § 1 Absatz 2 LIFG ergibt sich kein Anspruch auf Herausgabe des Schreibens.
Die Herausgabe des Anwaltsschreibens durch Herrn Minister Thomas Strobl ist inzwischen Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Zudem hat der Landtag von Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich unter anderem mit diesem Gegenstand befasst.
Einer Herausgabe des Schreibens steht daher der Ablehnungsgrund aus § 4 Absatz 2 Satz 1 Variante 1 LIFG in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Satz 2 des Untersuchungsausschussgesetz (UAG) entgegen.
Der Ausnahmetatbestand des § 4 Absatz 2 Satz 1 LIFG dient dem besonderen Geheimnis- und Vertraulichkeitsschutz. Diejenigen Informationen, die aufgrund anderer Rechtsvorschriften der Geheimhaltung unterliegen, sollen auch nach LIFG nicht herausgegeben werden müssen. Nach § 9 Absatz 1 Satz 2 UAG sind Mitteilungen an die Öffentlichkeit über den Inhalt von Unterlagen, soweit dieser nicht durch eine öffentliche Verhandlung bekannt geworden ist, vor Abschluss der Beratung nicht zulässig.
Ein Anspruch nach LIFG ist wegen der bestehenden Geheimhaltungspflicht nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über § 4 Absatz 2 Satz 1 Variante 1 LIFG in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Satz 2 UAG abzulehnen, da das in Rede stehende Schreiben Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist (vgl. Landtagsdrucksache 17/2640 unter II.:
https://www.landtag-bw.de/files/live/...).
Sinn und Zweck der Geheimhaltungspflicht in § 9 Absatz 1 Satz 2 UAG ist es, den Zweck des Untersuchungsverfahrens nicht zu gefährden und die Verfahrensherrschaft des Untersuchungsausschusses zu gewährleisten. Der Inhalt von Unterlagen, mit denen sich der Untersuchungsausschuss befasst, soll - soweit dieser nicht-öffentlich behandelt wurde - nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind deshalb nach § 9 Absatz 1 UAG zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Wertung des Gesetzes muss auch Stellen außerhalb des Untersuchungsausschusses binden.
Aus denselben Gründen steht der Herausgabe ferner der Ablehnungsgrund nach § 4 Absatz 1 Nr. 8 LIFG entgegen, der die Vertraulichkeit des Austauschs zwischen Landtag und Landesregierung schützen soll. Der vertrauliche Austausch zwischen dem Untersuchungsausschuss des Landtags und der Landesregierung ist wie oben ausgeführt für den Zweck des Untersuchungsverfahrens wesentlich. Der Ablehnungsgrund aus § 4 Absatz 1 Nr. 8 LIFG dient der Flankierung der weitgehenden Ausnahme des Landtags nach § 2 Absatz 2 Nr. 1 LIFG vom Anwendungsbereich des LIFG, insbesondere des gesamten Bereichs der parlamentarischen Angelegenheiten.
Dem entspricht, dass parlamentarische Untersuchungsausschüsse nicht in den Kreis der informationspflichtigen Stellen nach LIFG fallen. Untersuchungsausschüsse erfüllen keine Verwaltungsaufgaben und fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des LIFG. Ein Informationszugangsrecht nach LIFG gegenüber dem Untersuchungsausschuss selbst besteht daher gleichfalls nicht.
Des Weiteren steht dem Informationszugang auch der Ablehnungsgrund aus § 4 Absatz 1 Nr. 5 LIFG entgegen.
Nach § 4 Absatz 1 Nr. 5 LIFG besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, soweit und solange das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen auf den Erfolg eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Strafvollstreckungsverfahrens oder den Verfahrensablauf eines Gerichts-, Ordnungswidrigkeiten- oder Disziplinarverfahrens haben kann.
Das Bekanntwerden der Informationen hat nachteilige Auswirkungen auf die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, wenn aufgrund einer auf konkreten Tatsachen beruhenden prognostischen Bewertung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Bekanntwerden der Information den Untersuchungszweck, d.h. die Sachverhaltsaufklärung und Wahrheitsfindung, beeinträchtigt. Nachteilige Auswirkungen können auch die öffentliche Aufmerksamkeit für einen Prozess und der gesteigerte öffentliche Druck auf die beteiligten Akteure sein.
Die Herausgabe des Anwaltsschreibens zum jetzigen Zeitpunkt würde aller Voraussicht nach dazu führen, dass hierdurch die ohnehin schon große Aufmerksamkeit für das laufende Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit weiter zunimmt. Dies wiederum erscheint geeignet, zu einem gesteigerten öffentlichen Druck gegenüber der Staatsanwaltschaft hinsichtlich ihrer Ermittlungstätigkeit zu führen. Ein solcher öffentlicher Druck ist daher geeignet, die Durchführung des Ermittlungsverfahrens nachteilig zu beeinflussen.
Aus diesen Erwägungen heraus ist der Zugang nach § 4 Absatz 1 Nr. 5 LIFG zum derzeitigen Zeitpunkt abzulehnen.
Ob und gegebenenfalls wann ein späterer Informationszugang auf erneuten Antrag hin in Betracht kommt, ist aktuell nicht absehbar und kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden (vgl. § 9 Absatz 2 LIFG).
Aus den presserechtlichen Vorschriften ergibt sich nichts anderes. Die oben geführte Argumentation schließt über § 4 Absatz 2 Nrn. 1.-3. LPresseG auch einen Anspruch nach Presserecht aus. Im Übrigen ergibt sich § 4 Absatz 1 LPresseG kein Herausgabe-, sondern lediglich ein Auskunftsanspruch. Der Inhalt des Schreibens ist jedoch durch die Presseberichterstattung bereits bekannt.
Zu 2.:
Die Gebührenentscheidung beruht auf § 10 Absatz 3 Satz 1 LIFG i.V.m. § 4 Absatz 2 Landesgebührengesetz i.V.m. Ziffer 20.2.1 Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 1 der Gebührenverordnung des Innenministeriums.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben werden.
Mit freundlichen Grüßen