K L A G E
des Herrn Arne Semsrott,
Open Knowledge Foundation, Singerstraße 109, 10179 Berlin
- Klägers -
Prozessbevollmächtigte: Thomas Rechtsanwälte, Oranienburger Straße 23, 10178 Berlin
gegen
die Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
11014 Berlin
- Beklagte -
wegen: Informationszugang
Wir bestellen uns zu Prozessbevollmächtigten des Klägers und beantragen wie folgt zu erkennen:
I. die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 15.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2019, die für die Koalitions-fraktionen gefertigten Formulierungshilfen für Gesetzentwürfe zur Zustim-mung zum Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 und zur Umsetzung des europäischen Wahlaktes im deutschen Europawahlrecht, herauszugeben.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Begründung
A. Sachverhalt
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Informationszugang geltend. Er ist Journalist und Projektleiter bei FragDenStaat.de, einem Portal der Open Knowledge Foundation e.V., das es Jedermann ermöglicht, Informationsanfragen bei Behörden zu stellen.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat für die Koalitionsfraktionen Formulierungshilfen für Gesetzentwürfe gefertigt, die zum einen die Zustimmung zum Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 und zum anderen die Umsetzung des europäischen Wahlaktes im deutschen Europawahlrecht zum Gegenstand haben. Der Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 betrifft die Einführung einer Sperrklausel, auf die sich die EU-Staaten auf Initiative der Bundesregierung geeinigt haben. Die Formulierungshilfe zur Umsetzung des europäischen Wahlaktes soll einen Gesetzentwurf zur Einführung einer 2 % - Hürde bei Europawahlen vorbereiten (entsprechende Zeitungsartikel anbei als Anlagenkonvolut K 1).
Mit E-Mail vom 12.07.2018 (beigefügt als Anlage K 2) bat der Kläger die Beklagte über FragDenStaat.de um die Zusendung der Formulierungshilfe, die das BMI für den Gesetzentwurf bei der EU-Wahl für den Bundestag verfasst hat.
Mit Bescheid vom 31.07.2018 (beigefügt als Anlage K 3) wies die Beklagte den Antrag des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass das Bekanntwerden der entsprechenden Informationen die Beratungen von Behörden beeinträchtigen würde und der Antrag deshalb nach § 3 Nr. 3 b IFG abzulehnen sei.
Der Kläger erhob mit vorab versandter E-Mail vom 19.11.2018 Widerspruch (beigefügt als Anlage K 4), der mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2019 (beigefügt als Anlage K 5), dem Kläger zugestellt am 25.02.2019, zurückgewiesen wurde. Ergänzend stütze die Beklagte ihre Ablehnung nun auf die fehlende Verfügungsgewalt des BMI i.S.d. § 7 Abs. 1 IFG sowie die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen i.S.d. § 3 Nr. 3 a IFG.
B. Rechtliche Würdigung
I. Zulässigkeit
Die Klage ist zulässig. Sie ist als Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO statthaft. Das erforderliche Vorverfahren wurde durchgeführt und die Klagefrist des § 74 VwGO eingehalten.
II. Begründetheit
Die Klage ist auch begründet. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Der Kläger hat gem. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu den beantragten Informationen. Ausschlussgründe liegen nicht vor.
1. Behördliche Beratungen, § 3 Nr. 3 b IFG
Dem Zugang zu den begehrten Informationen steht insbesondere nicht der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 b IFG entgegen.
Der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 b IFG erfasst nur Beratungen von Behörden i.S.d. § 1 Abs. 4 VwVfG. „Beratungen von Behörden“ kann somit sowohl Beratungen zwischen Behörden als auch Beratungen innerhalb der Behörden meinen. Die Erstreckung des Ausschlussgrundes auf Beratungen zwischen Exekutive und Legislative bzw. sonstige Einrichtungen ist vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt (vgl. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 178).
Selbst wenn der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 b IFG grundsätzlich auch Beratungen zwischen Exekutive und Legislative erfasst, ist vorliegend die nachteilige Beeinflussung der notwendigen Vertraulichkeit behördlicher Beratungen durch die beantragte Information weder nachvollziehbar dargetan noch erkennbar. Die informationspflichtige Stelle muss einzelfallbezogen, hinreichend substantiiert und anhand konkreter Umstände darlegen, ob und warum die Gewährung des beantragten Informationszugangs nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit behördlicher Beratungen haben kann. Die Möglichkeit einer Verletzung des Schutzguts muss dargetan werden (Schoch, a.a.O., § 3 Rn. 188). Die Beklagte behauptet jedoch ohne weitere Ausführungen, dass ein unbefangener und freier Meinungsaustausch sowie eine offene Meinungsbildung innerhalb des BMI, zwischen dem BMI und anderen Ressorts, sowie zwischen BMI und Fraktionen des Deutschen Bundestags durch die Herausgabe der Formulierungshilfen beeinträchtigt würde. Damit kommt sie ihrer behördlichen Darlegungslast nicht nach und der Klage ist schon deshalb stattzugeben.
Unabhängig davon, betreffen die Formulierungshilfen keine Beratungen i.S.d. § 3 Nr. 3 b IFG. Geschützt ist lediglich der Beratungsprozess an sich, nicht aber die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung oder das Ergebnis von Beratungen. Erfasst ist somit der „Vorgang des gemeinsamen Überlegens, Besprechens bzw. Beratschlagens zu treffender Entscheidungen“ (vgl. OVG Schleswig, NVwZ 1999, 670). Bei den Formulierungshilfen handelt es sich um das Ergebnis von Beratschlagungen im BMI, die aus sich heraus auch keinen Aufschluss über die anschließenden Beratungen zum Gesetzentwurf geben können.
Darüber hinaus müsste die Beratung aus tragfähigen Gründen notwendig sein. Dies ist nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass gesetzesvorbereitende Tätigkeit grundsätzlich vom Informationszugang ausgeschlossen sein soll.
2. angeblich fehlende Verfügungsgewalt, § 7 Abs. 1 IFG
Einer Herausgabe der Information steht auch nicht die fehlende Verfügungsgewalt des BMI über die von ihm gefertigten Formulierungshilfen entgegen.
Die Zuständigkeitsregelung des § 7 Abs. 1 IFG entfaltet ohnehin alleine in den Fällen Bedeutung, in denen eine Behörde Daten von anderen erhalten hat und somit mehrere Behörden über denselben Datensatz verfügen (BeckOK Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal, 23. Edition, Rn. 23 m.w.N.). Über ihre eigene, von ihr selbst erhobene Information, ist die Behörde verfügungsbefugt (vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 14). Das BVerwG hat entsprechend festgestellt, dass der Urheber einer Information grundsätzlich verfügungsbefugt über diese sei (BVerwG, Urteil vom 3.11.2011 – 7 C 4.11).
Das BMI hat die Formulierungshilfen erstellt. Ob dies in eigener Initiative oder Entscheidungsgewalt geschehen ist, ist keine zu berücksichtigende Voraussetzung der Verfügungsbefugnis i.S.d. § 7 Abs. 1 IFG. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 3.11.2011 – 7 C 4.11) hat in vergleichbarer Konstellation ausgeführt:
„Einem Bundesministerium steht als Urheber der Information die Verfügungsberechtigung i.S. von § 7 I 1 IFG über eine Stellungnahme zu, die es gegenüber dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages abgegeben hat.“
(...)
„Die Beklagte kann sich indessen nicht darauf berufen, dass allein dem Petitionsausschuss die Verfahrensherrschaft über das Petitionsverfahren zukomme und er deshalb allein über alle ihm übermittelten Unterlagen verfügen dürfe. Soweit auch in der Begründung des Gesetzentwurfs von einem Übergang der Verfügungsberechtigung die Rede ist, bezieht sich das jeweils nur darauf, dass bei Weitergabe der Information der weitere Empfänger ein eigenes Verfügungsrecht erhält.“
Diese Gedanken gelten ebenso für die vorliegende Konstellation. Das BMI mag den Formulierungsvorschlag auf Anfrage der Fraktionen entwickelt haben. Dies hat es dennoch im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung getan. Für die Konstruktion der Amtshilfe ist hier kein Raum.
3. § 3 Nr. 3 a IFG
Auch der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 a IFG ist nicht einschlägig. Weder ist die Beklagte der behördlichen Darlegungslast in Bezug auf die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes nachgekommen, noch liegen diese vor.
Die Beklagte hat lediglich vorgetragen, dass der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene noch nicht abgeschlossen ist und behauptet, dass die Verhandlungsposition der Bundesregierung durch die Herausgabe der Formulierungshilfe geschwächt werden könnte.
Die bloße Deklaration von Verhandlungen durch die an sich informationspflichtige Stelle als „vertraulich“ genügt für die Informationsverweigerung jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob im jeweiligen Zusammenhang nach den erkennbaren Umständen die Möglichkeit eines freien Gedankenaustausches geschaffen und eine Entscheidungsfindung erleichtert werden soll. Dies ist seitens der informationspflichtigen Stelle mir substantieller Begründung darzulegen (Schoch, a.a.O., § 3 Rn. 173). Es ist nicht ersichtlich, dass das gesamte europäische Gesetzgebungsverfahren entgegen den Grundsätzen von Demokratie und Transparenz vertraulich und einem Informationszugangsanspruch nicht zugänglich sein soll.
Darüber hinaus ist nicht erkennbar, inwiefern hier überhaupt internationale Verhandlungen vorliegen sollen, in denen eine Verhandlungsposition Deutschlands geschwächt werden könnte. Der Beschluss des Rates der EU vom 13. Juli 2018 ist bereits veröffentlicht. Nun fehlt die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Es liegt schon keine Verhandlungssituation mehr vor. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Einführung der Sperrklausel auf Initiative der Bundesregierung beschlossen wurde und eine der Formulierungshilfen die Zustimmung hierzu betrifft. Die andere Formulierungshilfe betrifft bereits die Einführung der entsprechenden Sperrklausel. Die deutschen Interessen dürften somit hinreichend bekannt sein.
Nach alldem ist die Klage vollumfänglich begründet.
Beglaubigte und einfache Abschrift anbei.