2020 11 04 - BerlHG - Gutachten Battis

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Alle relevanten Dokumente zur Doktorarbeit von Franziska Giffey

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Berlin, November 2020                                              Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis Humboldt Universität Berlin Bleibtreustraße 5 10623 Berlin Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag der Freien Universität Berlin Zur Klärung der Rechtsfrage: „Ist es rechtmäßig, auf der Grundlage von § 34 Absätze 7 und 8 Berliner Hochschulgesetz (BerIHG) eine Rüge zu erteilen, auch wenn das BerIHG dies nicht ausdrücklich regelt und die jeweilige Promotionsordnung zur Entziehung eines Doktorgrades auf die gesetzlichen Bestimmungen bzw. das BerIHG verweist?“ erstellt von Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis unter Mitarbeit von Niklas Eder (LL.M., Maîtr. en Droit)
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Inhaltsverzeichnis I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse                         3 II. Gegenstand des Gutachtens                                          4 III. Ermessensentscheidung                                             6 IV. Die Rüge als Ermessensüberschreitung                               7 V. Die Rechtmäßigkeit der Rüge als ungeklärte Rechtsfrage              9 1. Die Rüge vor den Gerichten                                    9 2. Die Rüge in der Literatur                                    13 3. Die Rüge in der Praxis                                       16 VI. Die Rüge als verfassungsrechtlich zulässige und gebotene Maßnahme 16 1. Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsgrundlagen    18 2. Minusmaßnahme oder Aliud                                     19 3. Verfassungsmäßigkeit der Rüge als Minusmaßnahme              24 4. Verhältnismäßigkeit und Differenzierungsgebot                27 VII. Zusammenfassung                                                  28 2
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I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Der Präsident der FU Berlin ist nach § 34 Abs. 7, 8 Berliner Hochschulgesetz befugt, in rechtmäßiger Ausübung seines gesetzlich eingeräumten Ermessens statt des Entzugs des Doktorgrades eine Rüge auszusprechen. 2. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das daraus folgende Differenzierungsgebot gebieten in minderschweren Fällen eine Rüge auszusprechen, auch wenn die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage eine Rüge nicht ausdrücklich regelt. 3. Die Rüge ist kein aliud zur Entziehung des Doktortitels. Sie genügt dem rechtstaatlichen   und   demokratischen    Vorbehalt  des   Gesetzes  und    dem rechtstaatlichen Bestimmtheitsgebot. 4. Die Rüge ist eine typische Minusmaßnahme, wie sie auch in anderen Rechtsgebieten vorkommt. Sie wird von dem Bundesverfassungsgericht etwa im Versammlungsrecht als Ergebnis einer gerechten Abwägung gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durchgesetzt. 5. Rüge und Entzug sanktionieren beide, mit unterschiedlicher Intensität, dass ein/e Doktorand/in den Anforderungen guter wissenschaftlicher Praxis nicht genügt hat. 6. Die Zulässigkeit einer Rüge ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung wird im Wissenschaftsrecht von Rechtsprechung und juristischer Literatur kontrovers und zum Teil in sich widersprüchlich behandelt. 7. Auch in anderen Universitäten als der FU Berlin werden Rügen ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in minder schweren Fällen anstelle des Titelentzugs ausgesprochen. 8. Auch Autoren, die die Rechtmäßigkeit des Ausspruchs einer Rüge ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verneinen, befürworten die Einführung einer Rüge de lege ferenda, um den in der Praxis vielfach ungerechten Alles-oder-nichts-Mechanismus zu vermeiden. 3
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II. Gegenstand des Gutachtens Gegenstand des Rechtsgutachtens ist der von dem Präsidenten der Freien Universität Berlin am 22. September 2020 erteilte Auftrag: „Ist es rechtmäßig, auf der Grundlage von § 34 Absätze 7 und 8 Berliner Hochschulgesetz (BerIHG) eine Rüge zu erteilen, auch wenn das BerIHG dies nicht ausdrücklich regelt und die jeweilige Promotionsordnung zur Entziehung eines Doktorgrades auf die gesetzlichen Bestimmungen bzw. das BerIHG verweist?“ Gegenstand des Gutachtens ist damit allein die Frage nach der zulässigen Rechtsfolge der § 34 Abs. 7 und 8 BerIHG. Das Gutachten nimmt zu der Frage, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit der Tatbestand des § 34 Abs. 7 BerIHG erfüllt ist, keine Stellung. Das Gutachten bezieht sich nicht auf konkrete Fälle und beantwortet die Frage nach der zulässigen Rechtsfolge im Allgemeinen. Ferner beschäftigt es sich nicht mit Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Entscheidung nach § 34 Abs. 7 und 8 BerIHG zurückgenommen werden kann oder muss, oder unter welchen Bedingungen ein Verfahren nach § 34 Abs. 7 und 8 BerIHG neu aufgenommen werden muss. Als Hintergrund für dieses Gutachten dienen das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Juli 20201 sowie das Gutachten von Professor Gärditz vom 27. Oktober 2020. 2 In beiden Gutachten wird neben der einer Reihe anderer und weitergehender Rechtsfragen zu der Zulässigkeit einer Rüge nach dem BerlHG Stellung genommen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes befasst sich zwar nur zu einem kleinen Teil mit der hier relevanten Rechtsfrage, und das Gutachten von Professor Gärditz befasst sich - im Gegensatz zu diesem Gutachten - im Wesentlichen mit einem konkreten Fall. Beide Gutachten nehmen zu der Frage der Zulässigkeit der Rüge nur kurz Stellung. Gleichwohl bieten sie nützliche Ansatzpunkt für die ausführlicheren Erklärungen in diesem Gutachten. Dieses Gutachten befasst sich nach einleitenden Feststellungen (III.) zunächst mit der     in     dem     Gutachten       des     Wissenschaftlichen           Parlamentsdienstes            des Abgeordnetenhauses dargestellten Auffassung, dass eine Rüge, welche auf Grundlage 1 „Gutachten zu einer Reihe von Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Entzug eines Doktortitels aufgrund der Aufdeckung von Plagiaten“, Wissenschaftlicher Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses von Berlin, 21. Juli 2020, abrufbar unter: https://www.parlament- berlin.de/C1257B55002B290D/vwContentByKey/W2BSGCZQ428WEBSDE/$File/200731_Gutachten-Entzug-Doktortitel.pdf (zuletzt besucht am 3. November 2020). Das Gutachten wurde auf Anfrage der AfD-Fraktion erstellt. 2 Gärditz, Gutachtliche Stellungnahme betreffend die Überprüfung einer Dissertation durch die Freie Universität Berlin (Fall Dr. Franziska Giffey), 27. Oktober 2020. 4
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von § 34 Abs. 7 und 8 BerIHG ergehe, rechtswidrig sei (IV.). Es stellt die Argumente dar, welche für die Rechtswidrigkeit einer solchen Rüge angeführt werden, und prüft anschließend,     unter    Berücksichtigung     relevanter        verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung und Literatur sowie angesichts der üblichen Praxis, deren Überzeugungskraft (V.). Anschließend prüft das Gutachten u.a. in Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Professor Gärditz, die verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen verwaltungsrechtliches Handeln im allgemeinen und die Erteilung einer Rüge nach § 34 Abs. 7 und 8 BerIHG im konkreten zu genügen hat (VI.) und kommt zu einem abschließenden Ergebnis (VII.). 5
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III. Ermessensentscheidung §   34     Abs.    7    und     8   BerlHG       räumen          dem     Normananwender         eine Ermessensentscheidung an. Die Ermessensentscheidung ist von dem Leiter oder der Leiterin der Hochschule auf Vorschlag des zuständigen Gremiums zu treffen. Die § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG lauten: (7) Ein von einer staatlichen Hochschule gemäß § 1 Absatz 2 verliehener akademischer Grad kann wieder entzogen werden, 1. wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist oder dass wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung nicht vorgelegen haben, 2. wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Inhaber oder die Inhaberin der Verleihung eines akademischen Grades unwürdig war, 3. wenn sich der Inhaber oder die Inhaberin durch späteres Verhalten der Führung eines akademischen Grades unwürdig erwiesen hat. (8) Über die Entziehung eines von einer staatlichen Hochschule gemäß § 1 Absatz 2 verliehenen akademischen Grades entscheidet der Leiter oder die Leiterin der Hochschule auf Vorschlag des Gremiums, das für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist. § 32 Absatz 2 gilt entsprechend. Ausdrücklich vorgesehene Rechtsfolge des § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG ist der Entzug des akademischen Grades — oder, im gegenteiligen Fall, die Entscheidung, dass der akademische Grad nicht entzogen werden soll. Eine Rüge fällt nicht unter die ausdrücklich vorgesehenen Rechtsfolgen. Wählt der Leiter oder die Leiterin der Hochschule       trotzdem       die    Rüge      als     Rechtsfolge,        so     kann      darin  eine Ermessensüberschreitung liegen. Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn eine nicht mehr im Rahmen des Ermessens liegende Rechtsfolge gewählt wird oder eine andere nach dem Gesetz nicht vorgesehene Maßnahme ergriffen                      wird. 3  In Bezug auf die hier zu prüfendenden Rechtsvorschriften läge eine Ermessensüberschreitung also dann vor, wenn die Rüge keine zulässige Rechtsfolge der § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG ist. Ob dies der Fall ist, wird im Folgenden geprüft. 3 So auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes, Fn. 1, S. 8f., mit Verweis auf Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 44; Schwarz, in: Fehling, Kastner, Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 50. 6
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IV. Die Rüge als Ermessensüberschreitung Das        Gutachten          des       Wissenschaftlichen         Parlamentsdienstes           des Abgeordnetenhauses stellt fest, dass eine Rüge keine zulässige Rechtsfolge der § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG sei.4 Zwar habe das OVG Münster                    5   offengelassen „ob bei geringfügigeren Täuschungshandlungen auch ein nicht vorgesehenes Sanktionsmittel anstelle der in einer Prüfungsordnung allein vorgesehenen Sanktion ergriffen werden                     kann“ . 6  Auch werde in der Literatur teilweise vertreten, dass Prüfungsbehörden Sanktionen verhängen könnten, die zwar rechtlich nicht vorgesehen seien, welche jedoch weniger belastend wirkten als die geregelte Sanktion.7 Dies solle dann gelten, wenn es sich nur um leichte Verstöße handelte.8 Dieser Ansicht sei jedoch weder grundsätzlich zu folgen, noch ließen sich Verstöße gegen die Sorgfalt wissenschaftlichen Arbeitens im Rahmen der § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG als „leichte Verstöße“ qualifizieren.9 Das Gutachten geht davon aus, dass in „vorsätzlichen Fällen des Plagiieren(s)“ ein hoher Unwertgehalt vorläge, sodass die von der genannten Literatur gestellten Anforderungen im Rahmen der § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG regelmäßig nicht vorlägen.10 Im Übrigen käme es darauf jedoch auch nicht an, da die in der zitierten Literatur vertretenen Auffassungen ohnehin insgesamt abzulehnen seien.11 Diese Auffassungen bauten auf der Meinung auf, dass der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine weitere Differenzierung verlangen könnte, selbst wenn in einer Prüfungsordnung nur eine Sanktion für den Fall eines Fehlverhalten vorgesehen sei.12 Die Rechtsprechung, welche zur Rechtfertigung dieser Meinung angeführt werde, lasse diesen Schluss jedoch nicht                zu.13 Das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes geht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ein.14 In dem zitierten Urteil stellt das BVerwG fest, dass einer Prüfungsbehörde jegliche Sanktionierung verwehrt sei, wenn      das    in   Rede      stehende      Fehlverhalten      zwar      „einen   nicht   völlig    zu vernachlässigenden Unwertgehalt“ verkörpere, das Gewicht dieses Fehlverhaltens 4 Siehe Fn. 1, S. 7-10. 5 OVG Münster Urt. v. 4.1.2018 – 14 A 610/17, Rn. 69. 6 Siehe Fn. 1, S. 6, mit Verweis auf OVG Münster Urt. v. 4.1.2018 – 14 A 610/17. 7 Siehe Fn. 1, S. 7 mit Verweis auf Haase, in: Johlen/Oerder, Münchener Anwaltshandbuch Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2017, § 16 Rn. 342. 8 Siehe Fn. 1, S. 7 mit Verweis auf Haase, ebenda. 9 Siehe Fn. 1, S. 7. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Ebenda, mit Verweis auf Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 240. 13 Siehe Fn. 1, S. 7. 14 Ebenda, S. 7f. mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 21. März 2012 – 6 C 19/11. 7
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jedoch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Verhängung der vorgesehenen (strengen) Maßnahme, nicht hinreiche.                        15  Das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes zieht aus dieser Feststellung des BVerwG den Schluss, dass das BVerwG der Erteilung einer milderen Sanktion, sofern diese nicht von der relevanten Vorschrift ausdrücklich genannt ist, ausschließe. Zur Begründung der Position, dass eine Rüge als schwächere, nicht ausdrücklich genannte Maßnahme nicht ergehen dürfe, wird des weiteren die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf angeführt.16 Das VG Düsseldorf habe festgestellt, dass „für die Erteilung einer Rüge weder die Promotionsordnung noch eine sonstige Vorschrift eine Ermächtigungsgrundlage enthalte“.17 Das Gutachten schließt aus dieser Feststellung des VG Düsseldorfs, dass dieses der Auffassung sei, dass für die Erteilung einer Rüge eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage notwendig sei.18 Das Gutachten stellt fest, dass die in ihm vertretene Auffassung zu einem „‚Alles- oder-nichts-Mechanismus‘“19 führe; wissenschaftliches Fehlverhalten könnte entweder gar nicht geahndet werden oder müsse mit der ausdrücklich vorgesehenen Sanktion geahndet werden. Es weist auf Stimmen aus der Literatur hin und scheint sich diesen anzuschließen, nach welchen das Ergebnis des „Alles-oder-nichts“ als unbefriedigend betrachtet wird, und zum Anlass genommen wird um gesetzliche Reformen zu fordern.20 Die Lösung der unbefriedigenden aktuellen Rechtslage wäre die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage welche differenzierte Sanktionsmöglichkeiten vorsähe. Eine angemessene Regelung sähe also neben den Möglichkeiten, wissenschaftliches Fehlverhalten entweder gar nicht oder mit dem Entzug des akademischen Grades zu ahnden, etwa die Möglichkeit einer Rüge vor. Solange eine solche Regelung in Berlin jedoch nicht bestehe, bleibe es nach der Argumentation des Gutachtens bei dem Alles- oder-nichts-Mechanismus. Des weiteren führt das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes aus, dass die Rüge eine Maßnahme sei, die aus dem Disziplinarrecht stamme. Deshalb sei sie keine mit dem Entzug eines Doktortitels vergleichbare Maßnahme - sie sei damit kein 15 BVerwG, Urteil vom 21. März 2012 – 6 C 19/11, Rn. 27. 16 Siehe Fn. 1, S. 8, mit Verweis auf VG Düsseldorf, 20. März 2014, 15 K 2271/13. 17 Siehe Fn. 1, S. 8. 18 Ebenda. 19 Ebenda. 20 Ebenda, mit Verweis auf Gärditz, Die Feststellung von Wissenschaftsplagiaten im Verwaltungsverfahren, 46 WissR (2013) 3 (34). 8
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von den § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG „mitumfasstes geringeres Mittel“ 21 , sondern eine andere Maßnahme22. Das Berliner VG führt diesbezüglich aus: „Anders als die Beklagte meint, ist die verfügte Rüge auch nicht ein von der Ermächtigungsgrundlage in § 34 Absatz 7 Nummer 1, Absatz 8 Berliner Hochschulgesetz mit umfasstes „Minus“ zum Entzug des akademischen Grades. Die Rüge ist vielmehr ein eigenständiges, wenn auch weniger einschneidendes, selbstständig neben dem Entzug des akademischen Grades stehendes Sanktionsmittel für festgestelltes wissenschaftliches Fehlverhalten (...). Hierfür bedarf es aber, ebenso wie für den Entzug des akademischen Grades, einer besonderen Ermächtigungsgrundlage.“        23 In Übereinstimmung mit der dritten Kammer des VG Berlin kommt das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes zu dem Schluss, dass eine Rüge in den § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG keine Rechtsgrundlage findet, ihr Ausspruch damit eine Ermessensüberschreitung darstellt. V. Die Rechtmäßigkeit der Rüge als ungeklärte Rechtsfrage Die in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes dargestellte Auffassung zu der Frage, ob § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG Rechtsgrundlage für den Ausspruch einer Rüge sein kann, dient im Folgenden als Ansatzpunkt für eine ausführlichere kritische Auseinandersetzung mit der relevanten Literatur und Rechtsprechung. Insbesondere stellt sich die Frage, ob eine Auswertung der relevanten Rechtsprechung (1.) und Literatur (2.) nur den Schluss zulässt, dass eine Rüge nicht auf § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG gestützt werden kann — oder ob sich auch die gegenteilige Auffassung mit ebenso guten oder besseren Argumenten begründen lässt. Im Übrigen ist ein Blick in Praxis aufschlussreich (3.). 1. Die Rüge vor den Gerichten In der Beschäftigung mit der Frage, ob eine Rüge auf § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG gestützt werden kann, wiegen solche Argumente am schwersten, die auf das hierarchisch höchste Verwaltungsgericht, nämlich die Rechtsprechung des BVerwG, gestützt werden. Das Gutachten des Parlamentsdienstes führt ein Urteil des BVerwG an, um die Auffassung zu begründen, dass Rügen nicht auf § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG gestützt 21 Siehe Fn. 1, S. 9, mit Verweis auf Horstkotte, Rügen für Betrügen, LTO, 20. Februar 2014, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/universitaet-muenster-promotion-plagiat-ruege-rechtsgrundlage/ (zuletzt besucht am 3. November 2020). 22 Siehe Fn. 1, S. 9, mit Verweis auf VG Berlin Urt. v. 26.6.2015 – VG 3 K 327.13, BeckRS 2016, 41592. 23 VG Berlin Urt. v. 26.6.2015 – VG 3 K 327.13, BeckRS 2016, 41592. 9
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werden können.          24   Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Schlussfolgerungen, welche in dem Gutachten aus den zitierten Stellen des Urteils des BVerwG gezogen werden, tatsächlich nicht auf das Urteil gestützt werden können. Die Feststellung des BVerwG, dass einer Behörde jegliche Sanktionierung verwehrt sei,    wenn      unter     Berücksichtigung      des     Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes  die Voraussetzungen für die Verhängung der ausdrücklichen vorgesehenen Maßnahme nicht vorlägen, ist für die in diesem Gutachten zu prüfende Rechtsfrage unerheblich. Das BVerwG       geht     in    seiner    Feststellung    von     einem   Fall  aus, in  dem   die Tatbestandsvoraussetzungen (welche im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgelegt werden) einer Ermächtigungsgrundlage nicht erfüllt sind. Das hier angefertigte Gutachten geht gerade von dem gegenteiligen Fall aus; dem Fall, dass die Tatbestandsvoraussetzungen zur Verhängung der ausdrücklich vorgesehenen Sanktion gegeben sind. Nur wenn dies der Fall ist, ergibt sich überhaupt ein Ermessen für die handelnde Behörde - und stellt sich die Frage unter welchen Voraussetzungen dieses Ermessen überschritten werden könne. Es steht außer Frage, dass eine Rüge nicht auf die    §    34    Abs.     7   und    8   BerlHG     gestützt     werden   kann,  wenn   deren Tatbestandsvoraussetzungen schon gar nicht erfüllt sind. Die zitierte Feststellung des BVerwG ist in einem Kontext ergangen ist, der die hier zu klärende Fragestellung nur peripher betrifft. Das BVerfG prüft in den zitierten Passagen (insbes. Rn. 27) nämlich nicht die Frage, ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ergangen ist, sondern die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift. Es kommt zu dem Schluss, dass die in Rede stehende Vorschrift (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SächsJAPO a.F.) nicht verfassungswidrig sei, wenn an die Erfüllung des Tatbestandes im Lichte des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes hohe Anforderungen gestellt werden. § 14 Abs. 1 Satz 1 SächsJAPO a.F. wiederum kann nicht mit den hier relevanten § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG verglichen werden, da letztere eine Ermessensvorschrift ist und erstere nicht. Insofern bleibt festzuhalten, dass aus dem Urteil des BVerwG keineswegs der Schluss gezogen werden kann, dass eine Rüge nicht auf § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG gestützt werden könnte - das BVerwG trifft hierzu schlicht keinerlei Aussage. Des Weiteren ist der Feststellung des VG Düsseldorfs, dass weder die Promotionsordnung noch eine sonstige Vorschrift eine Ermächtigungsgrundlage für die Erteilung einer Rüge enthalten, keine entscheidende Bedeutung beizumessen. 25 Die Feststellung des VG Düsseldorf ergeht ebenfalls nicht im Kontext einer Prüfung, ob auf eine dem § 34 Abs. 7 und 8 BerlHG vergleichbare Regelung eine Rüge gestützt werden kann. Das VG Düsseldorf prüft in dem zitierten Urteil, ob eine Behörde, die nicht erwägt 24 Siehe Fn. 1, S. 7f. mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 21. März 2012 – 6 C 19/11. 25 VG Düsseldorf, 20. März 2014, 15 K 2271/13, Rn. 193. 10
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