14_11_20_Gutachten_Prof_Riedel_Nicht-EU-Auslaender

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „An NRW übermittelte Daten zu Studiengebühren

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Prof. Dr. Eibe Riedel, LL.B.( London), A.K.C. Universität Mannheim / Visiting Professor, Academy of International Humanitarian Law and Human Rights, Genf Zur rechtlichen Zulässigkeit der gesetzlichen Einführung selektiver Studiengebühren in Baden-Württemberg Gutachten erstattet dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg Mannheim/Genf, im Dezember 2013
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Inhaltsverzeichnis A. Definition der zu untersuchenden Fragestellung 2 B. Vereinbarkeit selektiver Studiengebühren mit universellem Völkerrecht 11 I. Allgemeines Völkerrecht                                         11 II. Völkervertragsrecht 14 1. Multilaterale Menschenrechtsverträge 15 2. Bilaterale zwischenstaatliche Abkommen 28 III. Völkergewohnheitsrecht und Allgemeine Völkerrechtsprinzipien 29 IV. Zwischenergebnis 29 C. Vereinbarkeit selektiver Studiengebühren mit europäischem Recht... 30 I. Recht der Europäischen Union (EU) 30 II.         Europarat                                        31 III. Zwischenergebnis 37 D. Vereinbarkeit selektiver Studiengebühren mit innerstaatlichem Recht 38 I.       Grundgesetz                                           38 II. Einfaches Bundesrecht 46 III. Landesrecht Baden-Württemberg 48 IV. Zwischenergebnis                                              51 E.Zusammenfassung der Ergebnisse                                       52 F. Quellenverzeichnis 56 G.         Anhänge                        I   und            II    60
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A. Definition der zu untersuchenden Fragestellung Das vorliegende Gutachten geht der Frage nach, ob und inwieweit die Zulassung von ausländischen Staatsangehörigen, die nicht Staatsangehörige eines Staates der Europäischen Union (EU) bzw. des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sind und keinen gefestigten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik haben, zu einem Hochschulstudium in Baden-Württemberg von der Zahlung einer Studiengebühr abhängig gemacht werden darf. Unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen, europarechtlichen, verfassungsrechtlichen, bundes- und landesrechtlichen Ebene wird die Zulassigkeit der Einführung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im baden-württembergischen Hochschulrecht einer eingehenden Prüfung unterzogen. Innerhalb des einschlägigen Personenkreises kann zunächst zwischen zwei Gruppen unterschieden werden: Nicht-EU-/EWR-Staatsangehörige, die sich bereits im Bundesgebiet bzw. im Gebiet der EU aufhalten und Nicht-EU-/EWR- Staatsangehörige, die von außerhalb die Zulassung für ein Studium anstreben. Studierende mit bestehendem Aufenthalt im Inland bzw. in der Europäischen Union (EU) Bezüglich der ersten Gruppe stellt sich die Frage, ob eine Differenzierung anhand der verschiedenen Aufenthaltstitel erforderlich ist. Das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) unterscheidet in erster Linie zwischen Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis.1 Die dem Gutachten zugrunde liegende Fragestellung impliziert, dass Drittstaatsangehörige mit festem Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet nicht unter die Gebührenregelung fallen sollen. Von entscheidender Bedeutung ist also, bei welchem Aufenthaltstitel bzw. in welchen Fällen von einem festen Status gesprochen werden kann. Bei der stets unbefristet zu erteilenden Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 AufenthG ist dies unproblematisch, denn sie steht gewissermaßen sinnbildlich für den Grund, weshalb bestimmte Gruppen von in Deutschland ansässigen Drittstaatsangehörigen aus dem Adressatenkreis einer Gebührenerhebung auszuschließen sind.2 Im Kern geht es um den Gedanken der 1 Respektive geregelt in § 7 und § 9 Aufenthaltsgesetz 2 Näheres zur Niederlassungserlaubnis u a bei G Renner, Auslanderrecht, 9. Aufl. München 2011, § 9. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 9 AufenthG erläutert die Niederlassungserlaubnis wie folgt: „Die Niederlassungserlaubnis gilt unbefristet, berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und darf nur in den durch das Aufenthaltsgesetz geregelten Fällen mit einer Nebenbestimmung versehen werden...Die Niederlassungserlaubnis verleiht immer ein vollumfänghches Aufenthaltsrecht, losgelost von einer ursprunglichen Zweckbindung." 2
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innerstaatlichen Solidargemeinschaft und der sozialen Verankerung. Bei Personen, die infolge längeren und gefestigten Aufenthalts für eine Niederlassungserlaubnis in Frage kommen, ist davon auszugehen, dass sie selbst oder ihre nächsten Angehörigen einen nicht unerheblichen Beitrag zur Gemeinschaft geleistet haben bzw. weiterhin leisten. Wer in das Arbeitsleben integriert ist, im Inland die Schule (zumindest teilweise) absolviert hat, sich im Alltag des sozialen Umfelds engagiert, oder auch durch Zahlung von Abgaben und Steuern einen Beitrag geleistet hat, kann im Ergebnis kaum anders behandelt werden als deutsche bzw. EU- Staatsangehörige. Dieser Gedanke ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Rats in Tampere im Jahre 1999, dass die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen und EU-Staatsangehörigen anzunähern sei, leitend für das Aufenthaltsrecht im EU-Raum3. Die feste gesellschaftliche Verankerung lässt die Staatsangehörigkeit hier als Unterscheidungskriterium zurücktreten. Aufgrund der EU-Richtlinie 2003/109/EG, die von der Bundesrepublik im Jahre 2007 durch Einführung der § 9a-c AufenthG umgesetzt wurde, erhalten Drittstaatsangehörige, die in einem der 28 Mitgliedstaaten der EU langfristig aufenthaltsberechtigt sind, die sog. Erlaubnis zum Daueraufenthalt in der Europäischen Gemeinschaft (EG), die gemäß § 9a AufenthG, ähnlich der Niederlassungserlaubnis, unbefristet erteilt wird. Artikel 11 Abs. 1 b) der Richtlinie ordnet die Inländergleichbehandlung im Hinblick auf allgemeine und berufliche Bildung ausdrücklich an. Dementsprechend sind gemäß der Richtlinie daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige in jedem Fall zu dem Kreis derer mit festem Aufenthaltsstatus zu zählen und scheiden als Adressaten einer Gebührenerhebung aus. Fraglich ist, ob und inwiefern weitere Aufenthaltstitel den hier relevanten Adressatenkreis eingrenzen. Orientierung könnte hier die oben bereits herangezogene EU-Richtlinie 2003/109/EG geben, genau genommen deren Artikel 3. Dieser regelt den personellen Anwendungsbereich der Richtlinie. Die in § 7 AufenthG geregelte und oben bereits erwähnte Aufenthaltserlaubnis gilt stets befristet (mit Verlängerungsmöglichkeit). Sie ist zudem zweckgebunden, was zu der berechtigten Frage führt, ob und inwieweit man sie als festen Aufenthaltsstatus bezeichnen kann. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Bandbreite der Zwecke groß ist und sowohl Kurz- als auch Daueraufenthalte bewilligt werden können. Unbeschadet aufenthaltsrechtlicher Detailfragen sollten Studierende bzw. 3 Deutsche Version siehe http://www.europarl.euroDa.eu/summits/tam de htm: 3
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Studienbewerber/innen mit Aufenthaltserlaubnis nach den Abschnitten 4 (Aufenthalt zu Erwerbszwecken) und 6 (Familienzusammenführung) des Aufenthaltsgesetzes zum Kreis derjenigen mit festem Aufenthaltsstatus gezählt werden. Bei ersteren spricht die Integration in den inländischen Arbeitsmarkt dafür, bei letzteren die Einbindung in ein familiäre Lebensgemeinschaft und damit in der Regel sozialer Verwurzelung.4 Innerhalb der Gruppe der sich bereits im Bundesgebiet aufhaltenden Personen sind schließlich noch (LangzeitJGeduldete, Asylbewerber/innen und Asylberechtigte bzw. anerkannte Flüchtlinge nach Art. 20 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, sowie Staatenlose in Betracht zu ziehen. Das aufenthaltsrechtliche Reglement geht hier grundsätzlich (auf dem Papier) davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet nur von vorübergehender Dauer und keine Verfestigungsperspektive wie bei der Aufenthaltserlaubnis vorgesehen ist. Das Aufenthaltsrecht soll nach dem Gesetz nur solange gelten, wie ein Asyl- bzw. Duldungsgrund gegeben ist. Gleichwohl spricht die Praxis eine andere Sprache. Bei anerkannten Asylberechtigten wird der Asyigrund nur in seltenen Fällen so zügig wieder wegfallen, dass eine feste Verankerung - insbesondere von Kindern - in der Gesellschaft nicht stattgefunden hat. Daher sollte man Asylberechtigte (und anerkannte Flüchtlinge) unter die Gruppe derer mit festem Aufenthaltsstatus fassen. Ähnlich ist die Sachlage angesichts der häufig langen Verfahrensdauer bei Asylbewerber/innen sowie bei Langzeitgeduldeten zu sehen. Konkret geht es um geduldete Ausländer/innen, die sich bereits längere Zeit, oftmals über Jahre, im Bundesgebiet aufhalten und deren Kinder etwa hier der Schulpflicht unterliegen und auch sonst sozial integriert sind. Ähnliches dürfte für Asylbewerber/innen und anerkannte Asylberechtigte gelten. In solchen und vergleichbaren Fällen sollte eine Freistellung von der Gebührenzahlungspflicht erfolgen. Im Einzelfall können Ermessensspielräume für den erforderlichen Zeitraum des Aufenthalts im Inland und die bereits erfolgte soziale Integration berücksichtigt werden. Bei Staatenlosen sollte generell ein großzügigerer Maßstab angelegt werden. Studierende ohne bestehenden (gefestigten) Inlandsbezug Mit Blick auf die Gruppe derjenigen, die einen Aufenthaltstitel ausschließlich zu Ausbildungszwecken anstreben, stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich die zu ihr 4 Vgl dazu BVerwGE 65, 179f. oder BVerfGE 76, 42f 4
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gehörenden Personen gegenüber deutschen Hoheitsträgern auf inner- bzw. zwischenstaatliche Rechtsnormen berufen können. Dies kann beispielsweise für den Fall des Grundgesetzes nur dann bejaht werden, wenn man davon ausgeht, dass dessen Grundrechte auch für Personen gelten, die sich noch außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik befinden.5 Jedenfalls für den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist dies gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen der Fall.6 In einem Urteil zu unterschiedlicher Besteuerung von im Inland bzw. im Ausland befindliche Steuerpflichtige aus dem Jahre 1976 stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) fest: „Maßstab für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung des Beschwerdeführers ist Art 3 Abs 1 GG. Das aus dieser Norm folgende Grundrecht steht auch dem nicht im Inland ansässigen Beschwerdeführer zu, da es "allen Menschen" die Gleichbehandlung vor dem Gesetz garantiert." Als Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage nach der räumlichen Geltung des Grundgesetzes nennt das Bundesverfassungsgericht Artikel 1 Absatz 3 GG, der den Geltungsumfang der Grundrechte im Allgemeinen bestimme. In seinem Urteil zu Auslandsbezügen der Fernmeldeüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus dem Jahre 1999 führt das Gericht aus: „Aus dem Umstand, dass diese Vorschrift (Art. 10 GG, Anm. des Verfassers) eine umfassende Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte vorsehe, ergibt sich noch keine abschließende Festlegung der räumlichen Geltungsreichweite der Grundrechte. Das Grundgesetz begnügt sich nicht damit, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen, sondern bestimmt auch in Grundzügen sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft. Insofern geht es von der Notwendigkeit einer Abgrenzung und Abstimmung mit anderen Staaten und Rechtsordnungen aus. Zum einen ist der Umfang der Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane bei der Reichweite grundrechtlicher Bindungen zu berücksichtigen. Zum anderen muss das Verfassungsrecht mit dem Völkerrecht abgestimmt werden. Dieses 5 Eine andere Frage ist die der extraterritorialen Geltung der Grundrechte, bei der es um die Grundrechtsbindung deutscher Hoheitstrager geht, die im Ausland als solche auftreten. 6 Siehe BVerfGE 43, 1ff, wobei es hier um sog „Steuerausländer" ging 5
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schließt freilich eine Geltung von Grundrechten bei Sachverhalten mit Auslandsbezügen nicht prinzipiell aus. Ihre Reichweite ist vielmehr unter Berücksichtigung von Artikel 25 des Grundgesetzes aus dem Grundgesetz selbst zu ermitteln. Dabei können je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen und Differenzierungen zulässig oder geboten sein."7 Mit dem zitierten Urteil hat das BVerfG festgestellt, dass der Schutz des Grundgesetzes auch Vorgänge und Personen im Ausland erfassen kann, wenn eine hinreichende Verknüpfung mit staatlichem Handeln im Inland gegeben ist.8 Bei genauer Betrachtung lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen, ob und inwieweit auch ausländische Staatsangehörige im Ausland Grundrechtsschutz genießen. In der Literatur wird die Frage unterschiedlich beantwortet. Gegen eine Grundrechtsgeltung für Drittstaatsangehorige, die sich (noch) außerhalb des Bundesgebiets aufhalten, wird argumentiert, dass man die Reichweite des Grundgesetzes nicht überstrapazieren dürfe, da es sich in erster Linie um eine einzelstaatliche Verfassung handele, die Ausdruck des völkerrechtlichen Grundsatzes der staatlichen Souveränität sei und dementsprechend auch nicht in die Souveränität anderer Staaten eingreifen dürfe. Auch wenn das Grundgesetz nicht den Anspruch einer Weltrechtsordnung erheben kann und sollte, ist der entscheidende Aspekt ein anderer. Wie- die vorliegende Fragestellung verdeutlicht, geht es nicht darum, dass Grundrechte extraterritorial Recht setzen und unzulässig in die staatliche Souveränität anderer Staaten eingreifen, sondern vielmehr darum, dass die Bundesrepublik im Lichte des Art. 1 Abs. 3 GG ihrer umfassenden grundrechtlichen Verantwortung gegenüber allen Individuen gerecht wird, die mit ihrer Rechtsordnung bzw. ihren Hoheitsträgern in Berührung kommen.9 Dies deckt sich mit der im oben zitierten Urteil zur Fernmeldeüberwachung eingeschlagenen Richtung. Die Entscheidung über die Zulassung eines/r Studienbewerbers/in findet im Rahmen hoheitlichen Handelns im Inland statt. Unabhängig davon, ob ein Zulassungsantrag auf elektronischem Wege oder schriftlich per Post erfolgt, der Antrag löst aber lediglich einen Verwaltungsvorgang im Inland aus, der nach rechtsstaatlichen Vorgaben prozedural zu bescheiden ist, die Eröffnung des 7 BVerfGE 100, 313ff, Rz.176. 8 Vgl Fn 7, dort Leitsatz 2 9 Siehe dazu z.B. M Sachs in K Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland IV/1, München 2006, § 102, 748ff 6
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Schutzbereiches eines Grundrechts aber noch nicht präjudiziell. Aus einem solchen Vorgang folgt demnach nicht, dass bei Studienbewerbungen aus dem Nicht-EU- Ausland von einem hinreichenden Inlandsbezug ausgegangen werden kann. Sonderfall EU-Assoziierungsabkommen Vor dem Hintergrund, dass eine Gebührenerhebung gegenüber EU- Staatsangehörigen (siehe nur Art. 18ff. und Art. 165 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) und Daueraufenthaltsberechtigten in der EU nicht in Frage kommt, drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit die bestehenden EU-Assoziierungsabkommen und andere Vereinbarungen mit Drittsfaaten den Kreis der Gebührenadressaten beeinflussen.10 Konkret stellt sich die Frage, ob und inwieweit derart bestehende Abkommen und Vereinbarungen Angehörigen der jeweiligen Vertragsstaaten die Gleichbehandlung mit EU- Bürger/innen gewähren und dementsprechend eine Erhebung von Studiengebühren den Inhalt der Abkommen unzulässig konterkarieren würde. Als primärrechtliche Grundlage für Abkommen mit Drittstaaten hält das EU-Vertragswerk die Art. 216ff. AEUV bereit. Gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV sind von der EU mit Drittstaaten abgeschlossene Abkommen auch für die einzelnen Mitgliedstaaten verbindlich. Im Wesentlichen geht es zum einen um die sog. Assoziierungsabkommen11. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 217 AEUV. Nach heutigem Stand hat die EU beispielsweise mit der Türkei und den Mittelmeeranrainerstaaten (Ausnahme Libyen und Syrien) derartige Abkommen abgeschlossen. Das Assoziationsrecht zwischen EU und Türkei begründet Freizügigkeitsregelungen basierend auf Arbeitnehmer-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Anknüpfungspunkt für eine Gleichbehandlung von türkischen Staatsangehörigen sind also die Grundfreiheiten der vormals Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Zu klären ist hierbei, ob sich die Freizügigkeit und damit die Gleichbehandlungspflicht auch auf Studierende beziehen und eine Gebührenerhebung die Freizügigkeit unzulässig einschränken würde. Das Assoziationsrecht lässt diesen Schluss nicht zu, da es strikt an der Zugehörigkeit 10 Streng genommen gehört diese Frage zur Ebene des Völkerrechts, da das EU-Primärrecht nur die Befugnis zum Abschluss von Abkommen und das dazugehörige Verfahren regelt, die dann vereinbarten Abkommen aber nicht zum EU-Recht gezahlt werden können, sondern Volkervertragsrecht mit Bindung für die EU und ihre Mitgliedstaaten sind. 11 Siehe dazu z B T Oppermann/C. Classen/M Nettesheim, Europarecht, 5. Auflage München 2011, 676. 7
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zum regulären Arbeitsmarkt anknüpft.12 Eine Einschränkung der gesetzgeberischen Gestaltungsbefugnis im Hinblick auf den Hochschulzugang ist dem Assoziationsrecht grundsätzlich nicht zu entnehmen. Einen Sonderfall bilden gemäß Art. 9 des Assoziierungsabkommens die sich in einem EU-Mitgliedsstaat bereits rechtmäßig aufhaltenden Kinder bzw. Familienangehörigen von türkischen Beschäftigten. Nach dieser Vorschrift, insbesondere deren Satz 2, genießt diese Personengruppe ein weitgehendes Recht auf Gleichbehandlung bei der Frage des Hochschulzugangs.13 Im Ergebnis lässt sich diese Personengruppe in die oben bereits vom zulässigen Adressatenkreis ausgeschlossenen Personen mit Daueraufenthaltsrecht-EU bzw, wegen Familiennachzugs Aufenthaltsberechtigten einordnen. Die Zulässigkeit einer Erhebung von Studiengebühren gegenüber türkischen Staatsangehörigen ohne gefestigten Inlandsbezug lässt dies unberührt. Die Ausführungen zum Assoziierungsrecht der Türkei lassen sich im Wesentlichen auf die Europa-Mittelmeer-Abkommen übertragen. Auch bei diesen Abkommen geht es um den Zugang zum Arbeitsmarkt und damit verbundener Gleichbehandlung hinsichtlich sozialer Leistungen Rechtlich sind hier keine Einschränkungen der Hochschulzugangsregelung ableitbar, politisch könnte gleichwohl ein Absehen von Studiengebühren geboten sein. Sonderfall Afrikanische, Karibische und Pazifische (AKP)-Staaten Des Weiteren könnte das sog. Cotonou-Abkommen Einfluss auf den zulässigen Adressatenkreis haben, welches die EU mit den unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonien von EU-Mitgliedstaaten, d.h. mit fast 80 Staaten Afrikas, der Karibik und Ozeaniens abgeschlossen hat14. Art. 13 des Abkommens regelt eine Reihe von Grundsätzen, die im Zusammenhang mit Einwanderung bzw. Migration von allen Vertragsparteien, insbesondere der EU und ihren Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift verpflichtet die Vertragsparteien zu partnerschaftlichem Umgang. Aus Absatz 4 ergibt sich die ausdrückliche vertragliche Zusage seitens der „Gemeinschaft" (EU), die Ausbildung von AKP- 12 Siehe zum Ganzen K Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 2 Auflage Stuttgart 2008, D 5 2. 13 Siehe hierzu das Urteil des EuGH in der Sache Gurol./. Bezirksregierung Köln aus dem Jahre 2005 (Rechtssache C-374/03), kommentiert von I. Baysu/A Hänlein, in Zeitschrift für europaisches Sozial- und Arbeitsrecht (ZESAR) 2005, 425ffl vgl. zudem H. Cremer, Ausbildungsrechthche Ansprüche türkischer Kinder aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses EWG/Turkei Nr 1/80, in: Informationsbrief für Auslanderrecht 1995, 45ff. 14 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Fn 11, 671ff 8
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Staatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat der EU zu unterstützen. Zudem wird hier vereinbart, dass die Vertragsparteien Kooperationsprogramme entwickein, um Studierenden aus den AKP-Staaten den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Fraglich ist, ob die Erhebung von Studiengebühren durch ein EU-Mitgliedsland diesen vertraglich vereinbarten Zielvorgaben widerspricht und damit unzulässig ist. Entscheidend ist nach hiesiger Auffassung die Auslegung der Begriffe „unterstützen" und „erleichtern". Man konnte argumentieren, dass Studiengebühren diesen beiden Begriffen derart zuwiderlaufen, dass der mit ihnen verfolgte Zweck und damit die vertragliche Vereinbarung im Ergebnis leerlaufen. Dagegen ließe sich vorbringen, dass Art. 13 Abs. 4 des Abkommens nicht in die Befugnis einzelner EU- Mitgliedstaaten eingreifen kann, den Zugang zu ihrem Hochschulsystem zu regeln, mit der Folge, dass Studiengebühren mit dem Abkommen grundsätzlich in Einklang stehen und Angehörige der jeweiligen Vertragsstaaten zum für die Erhebung einschlägigen Personenkreis gehören. Gänzlich ohne Einfluss kann das Abkommen jedoch nicht bleiben, da ansonsten Art. 216 Abs. 2 AEUV leerlaufen würde. Daher ist es angezeigt, Art. 13 Abs. 4 des Abkommens zumindest als Vorgabe für die Ausgestaltung der Ausnahmeregelungen im Hinblick auf die Erhebung von Studiengebühren zu verstehen. „Unterstützung" und „Erleichterung" beim Zugang zu Bildung in EU-Mitgliedstaaten sollte mithin heißen, dass Befreiungs- bzw. Stundungsregelungen etc. die Herkunft aus einem AKP-Staat und insbesondere auch die jeweilige entwicklungspolitische Einstufung eines Staates im Gefüge des Cotonou-Abkommens besonders berücksichtigen. Dies sojlte nach Möglichkeit in der gesetzlichen Regelung abgebildet werden.15 Zwischenbefund Die obigen Vorüberlegungen zum relevanten Personenkreis ergeben, dass Nicht-EU- /EWR-Staatsangehörige mit gefestigtem Aufenthaltsstatus bzw. aufgrund bestimmter Aufenthaltstitel nicht als Adressaten einer Gebührenerhebung in Frage kommen. Das aufenthaltsrechtliche Reglement hält abgestufte Formen von Aufenthaltstiteln bereit, die den jeweiligen Grad der Integration, sprich sozialen Verankerung, abbilden. Nicht zur oben bezeichneten Personengruppe gehören jedenfalls Nicht-EU-/EWR- Staatsangehörige, die sich illegal im Inland befinden und nicht einmal eine Duldung besitzen. Ihnen gegenüber dürfte ein Ausschluss von kostenfreier Hochschulbildung unproblematisch sein. Keine Gebührenerhebung kommt zudem bei Nicht-EU-/EWR- 15 Dazu mehr unten in Teil E. 9
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