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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Analyse „Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der ‚Covid-19‘-Pandemie“

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ZKA ST/ST14-2020-0012222936
BAMAD (per gesonderter Mail) st14@bka.bund.de

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PMK/A - Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der
„Covid-19“-Pandemie
Bezug: EPOST des BKA vom 30.10.2020 (buhebk 114400:3010)

Kr
27.11.2020

Seitelvon5

Grundsätzlich behalten die Ausführungen in der Gefährdungsbewertung des
BKA vom 30.10.2020 (buhebk 114400:3010) zu den aktuellen Entwicklungen
in den Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) im
Kontext der „Covid-19“- Pandemie sowie in der EPOST des BKA vom
12.11.2020 (buhebk 155101:2011) weiterhin ihre Gültigkeit. In Ergänzung zu
den dortigen Aussagen ist unter Gefährdungsgesichtspunkten folgendes
festzuhalten:

1. Aktuelle Lage
Aufgrund der themenimmanenten Dynamik ist die aktuelle Lage ständigen
Veränderungen unterworfen, die eine hinreichend belastbare
Gefährdungsbewertung nicht in Gänze zulassen. Unabhängig davon ist
anzumerken, dass das aktuelle Protestgeschehen rund um die staatlichen
„Corona-Schutzmaßnahmen“ nach wie vor ein beherrschendes Thema in der
öffentlichen Wahrnehmung ist. Bundesweit finden in unterschiedlicher
Ausdehnung verschiedenartige Proteste statt, die von einer heterogenen
„Mischszene“ frequentiert werden. Diese Szene dürfte neben einer generellen
Kritik an den „Corona-Schutzmaßnahmen“ zumindest partiell auch eine
staatskritische bis staatsfeindliche Haltung einen. Eine tragende Rolle
übernimmt dabei anhaltend die aus dem zivil-demokratischen Spektrum
initiierte „Querdenken-Bewegung“, die mit ihrer Fülle regionaler Ableger
durch zahlreiche Versammlungsanmeldungen in Erscheinung tritt.

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Bundeskriminalamt RE ER ERETETTSEN

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2. Versammlungen
Insgesamt betrachtet ist jüngst eine Intensivierung des
Versammlungsgeschehens rundum die „Covid-19“-Pandemie zu
verzeichnen. Die Initiatoren versuchen, durch gezieltes Bewerben ein
möglichst breit gefächertes Personenspektrum auszuschöpfen, um hohe
Teilnehmerzahlen zu generieren. Dabei werden beispielsweise auch
Versammlungsanmeldungen wie aktuell im deutsch-polnischen Grenzgebiet
vorgenommen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Versammlungen mit geringerer
Teilnehmerzahl überwiegend friedlich verlaufen. Es können meist nur
vereinzelt Verstöße gegen die geltenden Hygiene- und Abstandsregeln sowie
Straftaten festgestellt werden.
Dagegen wohnt insbesondere den teilnehmerstarken Versammlungen ein
deutlich erhöhtes Eskalationspotenzial inne. Diese sind häufig geprägt von
einer geringen Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen und erheblichen
Verstößen gegen geltende Hygiene- und Abstandsregeln. Zum Teil werden
gefälschte ärztliche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht vorgelegt.
Andere Teilnehmer -wiederrum treten durch anderweitig prätentiöses
Verhalten (z. B. das Tragen von nicht wirksamen Masken) in Erscheinung.
Zuletzt kam es bundesweit mehrfach zu erheblichen Ausschreitungen, die
sich vor allem nach der Auflösung von Großveranstaltungen (bedingt durch
Auflagenverstöße) entfalteten. Eingesetzte Polizeikräfte wurden dabei teils
massiv attackiert und auch verletzt. Auch verbale Anfeindungen oder
physische Angriffe auf Medienvertreter/-vertreterinnen wurden registriert.
Diese Vorfälle lassen auf eine signifikante Progression in der Bereitschaft zur
Gewaltanwendung schließen. Es ist davon auszugehen, dass die in der EPOST
vom 30.10.2020 skizzierte Radikalisierungstendenz der Proteste zumindest
bei Einzelpersonen bzw. Kleinstgruppen voranschreitet. In Anbetracht der
Verschärfung der „Corona-Schutzmaßnahmen“ bzw. der Verlängerung des
„Lockdowns“ steht zu befürchten, dass sich diese Entwicklung zumindest bei
Einzelnen weiter fortsetzt. Insofern ist die Möglichkeit weiterer
Ausschreitungen - vor allem bei größeren oder spontan formierten
Versammlungen -, bei denen eingesetzte Polizeikräfte oder auch
Medienvertreter/-vertreterinnen ins Visier gewaltgeneigter
Versammlungsteilnehmer geraten, einzukalkulieren.

3. Personenpotenzial
Zum Personengefüge und politischer Ausrichtung derer, die auf
vorgenannten Veranstaltungen Gewalt ausgeübt haben, kann derzeit keine
verlässliche Aussage getroffen werden. Auch inwiefern Personen aus der
rechten Szene an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt waren, kann aktuell
nicht valide beurteilt werden.

Die Gewaltausübung scheint jedoch insgesamt von einer „radikalen“
Minderheit auszugehen, die in ihrer Konstitution analog zum Gesamtgefüge
nur schwer definierbar ist. Diese Gewalt kann einerseits mitunter dazu
führen, dass gemäßigte Personen und Organisationen von einer Teilnahme
an entsprechenden Veranstaltungen absehen. Andererseits können
Solidarisierungseffekte eintreten, bei denen nicht gewaltgeneigte Teilnehmer
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im Rahmen eskalativer Ereignisse zu Tätern werden. Generell scheinen
teilnehmerstarke Proteste, denen umfassende Mobilisierungen vorausgingen,
eine Art „Sogwirkung“ auch auf gewaltbereite Personen zu entfalten, die dem
Staat - unabhängig von einer möglichen politischen Orientierung - ohnehin
feindselig gegenüberstehen. Ein Überschwappen etwaiger
Radikalisierungsprozesse auf breitere zivil-demokratische
Bevölkerungsschichten steht derzeit weiterhin nicht zu erwarten.

Ein katalysierender Faktor könnte gleichwohl die weitere Fortdauer der
Pandemie und dadurch möglicherweise induzierte wirtschaftliche Nöte und
Existenzängste darstellen. i

4. Agitation
Eine nährende Wirkung für potenzielle Radikalisierungen bieten auch die
insbesondere im Internet prosperierenden Verschwörungsmythen, die dort
in vielfältigster Art und Weise kundgetan werden. Besonders populäre
„Galionsfiguren“ der Verschwörungsszene sind bestrebt, ihre Anhänger zu
mobilisieren und die Stimmungslage entsprechend aufzuheizen. Generell
werden krude Hypothesen aufgestellt, etwa wenn der Staat aufgrund der
aktuellen Situation als diktatorisch gebrandmarkt und eine „Corona-
Diktatur“ postuliert wird. Besonders antisemitisch konnotierte Narrative und
Ressentiments werden fortlaufend geschürt und verbreitet. Teilweise werden
die jüngsten Änderungen im Infektionsschutzgesetz mit dem
„Ermächtigungsgesetz von 1933“ gleichgesetzt oder es wird von einem
„Impf-Holocaust“ fabuliert.
Auch konnten (wissentlich oder unwissentlich) geschichtsrevisionistische
bzw. den Holocaust verharmlosende Äußerungen und Handlungen
festgestellt werden. So verglichen sich auf einer auf einer „Querdenken“-
Versammlung in Hannover/NI am 21.11.2020 eine Rednerin mit der
deutschen Widerstandkämpferin gegen den Nationalsozialismus BE]
EEE und eine Woche zuvor setzte eine junge Rednerin in Karlsruhe/BW
ihre Situation während der „Covid-19*-Pandemie mit der des jüdischen
Mädchens EEE bei der Verfolgung der Juden im Dritten Reich gleich.

Gleichermaßen spitzen sich auch Aufrufe zu (physischer) Gewalt oder verbale
Drohgebärden gegen als „verantwortlich“ ausgemachte Personen weiter zu.
Vereinzelt sind dabei auch „Aktionen“ oder Straftaten im privaten
Nahbereich dieser Personen denkbar.

In diesem Kontext stellt insbesondere „Telegram“ ein multipel genutztes
Medium dar, auf dem in diversen internen Chatgruppen und Kanälen u.a.
sog Listen, Aufrufe zu Straftaten (u. a. Mordaufrufe, Aufrufe zur Besetzung
symbolischer Orte) oder auch beleidigende, diffamierende oder in sonstiger
Weise strafrechtlich relevante Inhalte geteilt werden. Auch in Bezug auf
(Veranstaltungs-)Mobilisierungen ist „Telegram“ derzeit eine

. herausgehobene Bedeutung beizumessen.

5, Phänomenbezogene Aspekte
Darüber hinaus ist konkret in Bezug auf die Phänomenbereiche der Politisch
motivierten Kriminalität (PMK) -rechts- und -links- folgendes festzuhalten:
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Bundeskriminalamt EEE Te en AR

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Insbesondere die rechte Szene scheint die Thematik wieder verstärkt in ihre
Agenda aufgenommen zu haben. Besonders für teilnehmerstarke
Versammlungen konnten teils deutliche Mobilisierungsbestrebungen auf
einschlägigen Szeneplattformen festgestellt werden. Auch wurden
Teilnehmer aus dem rechtsextremistischen, zum Teil gewaltorientierten
Spektrum bzw. (rechtsorientierte) Hooligan-Gruppen bei Veranstaltungen
registriert. Zudem ist auch eine Teilnahme von Personen aus dem
Reichsbürger-/Selbstverwalterspektrum, vor allem aufgrund verschiedener
optisch wahrnehmbarer Symboliken, anzunehmen. Die Angabe einer
exakten Größenordnung ist hierbei derzeit jedoch nicht möglich, gleichwohl
ist die Beteiligung nach jetzigem Erkenntnisstand weiterhin nicht prägender
Natur. Demzufolge können eine umfassende Beeinflussung bzw.
Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht
konstatiert werden.

Gleichwohl sind Akteure der rechten Szene jedoch nach wie vor bemüht, die
aktuelle Lage für ihre eigenen Agitationszwecke zu instrumentalisieren.
Dabei wird der Versuch unternommen, Anschluss an zivil-demokratische
Bevölkerungsschichten herzustellen und sich im Sinne ihrer politischen Ziele
einen öffentlichen Resonanzraum zu erschließen. Diese Bestrebungen
dürften zunächst nicht abflachen.

Innerhalb der linken Szene ist eine wachsende Partizipation insbesondere an
entsprechenden Gegenprotesten zu verzeichnen. Diese werden im Regelfall
von Initiativen aus dem zivil-demokratischen Spektrum arrangiert,
regelmäßig aber von (auch gewaltorientierten) Personen der linken Szene
begleitet. Allgemein scheint die Szene die sog. Querdenker-Proteste
zunehmend als von „Rechten“ dominiert bzw. faschistisch geprägt
einzuordnen. Wiederholt kam es - insbesondere in Leipzig/SN - zu teils
erheblichen gewalttätigen Wechselwirkungen zwischen mutmaßlichen
Linksextremisten und Teilnehmern der Veranstaltungen bzw. auch zu
Blockaden von Aufzugsstrecken. Insofern suchen autark agierende
Kleingruppen (vermutlich aus dem linken Spektrum) gezielt die
Konfrontation mit Teilnehmern der Corona-Proteste. So wurde u. a.am
21.11.2020 in Leipzig/SN eine Personengruppe durch eine schwarz gekleidete
und überwiegend vermummte Kleingruppe (mutmaßlich Linksextremisten)
tätlich angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Das Tatgeschehen wird
derzeit von der zuständigen Staatsanwaltschaft als versuchtes Tötungsdelikt
gewertet.

Folglich muss auch künftig im Rahmen des Corona bezogenen
Versammlungsgeschehens mit antifaschistischen Interventionen in Form
von (schweren) Gewalttaten oder auch Blockadeaktionen gerechnet werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben tatsächlichen „Rechten“ auch
Personen ins Zielspektrum der linken Szene geraten können, die der
Versammlung zwar physisch beiwohnen, die jedoch irrtümlicherweise für
Anhänger der rechten Szene gehalten bzw. als solche eingeordnet werden.
Auch Polizeikräfte oder Mitarbeiter kommunaler Ordnungsbehörden

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Bundeskriminalamt ER RE EN, eU2O
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könnten bei entsprechenden Auseinandersetzungen zwischen die
Konfrontationslinien oder auch in den Fokus geraten.

Insgesamt konnte im Rahmen vergangener Veranstaltungen rund um die
„Covid-19“-Pandemie eine Verschärfung im ohnehin eskalationsträchtigen
Konfrontationsverhältnis Rechts/Links festgestellt werden. Dies könnte sich
bei einer weiteren Zunahme bzw. auch Radikalisierung der Proteste und
insbesondere bei einer ggf. ansteigenden Beteiligung von rechtsorientierter
Klientel weiter fortsetzen.

Fazit

In der Gesamtschau betrachtet gestalten sich die „Aktionsvarianten“ bzw.
Straftaten unter dem Rubrum der „Corona-Proteste“ bzw. im
Zusammenhang mit der „Querdenken-Bewegung“ - auch abseits des
Versammilungsgeschehens- vielschichtig. Es ist weiterhin damit zu rechnen,
dass Agitationsmuster fortlaufend um weitere Komponenten ergänzt
werden.

Eine Zunahme der Proteste bzw. der auch strafrechtlich relevanten
„Aktionsformen“ erscheint in der jetzigen Situation realistisch. Es ist zu
berücksichtigen, dass Versammlungsverbote nicht eingehalten werden und
sich spontane Aufzüge mit dem Ziel formieren, symbolisch wirkmächtige
Orte zu besetzen.

Auch objektbezogene Straftaten (z. N. von Behörden, Institutionen - auch aus
dem Gesundheitssektor -, privatwirtschaftliche Einrichtungen) sind ebenso
wie personenbezogene Straftaten gegen u. a. von potentiellen Tätern als
politisch oder als für die „Corona-Schutzmaßnahmen“ mitverantwortlich
ausgemachten Personen in Betracht zu ziehen.

Die zumindest in Teilen festgestellte Radikalisierungstendenz bei
Einzelpersonen oder Kleinstgruppen hat sich vor dem Hintergrund diverser
Ausschreitungen weiter fortgesetzt. Dieser Umstand dürfte weiter anhalten.

Auch eine weitere Verschärfung im Konfrontationsverhältnis Rechts/Links
ist bei einem anhaltend hohen bzw. intensivierten Versammlungsniveau in
Erwägung zu ziehen.

Abschließend wird auf die Möglichkeit von strafrechtlich relevanten
Handlungen vor dem Hintergrund einer irrationalen und/oder
verschwörungstheoretischen Tatmotivation, die polizeilich nur schwerlich
bis gar nicht prognostizierbar sind, hingewiesen.

im Auftrag
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