Schlussbericht des Gremiums zur Überprüfung der Dissertation von Frau Dr. Franziska Giffey

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Anfrage zum Bericht des Prüfungsgremiums zur Doktorarbeit von Franziska Giffey

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Freie Universität&(4 RER Das Präsidium Rechtsamt Freie Universität Berlin, Das Präsidium Kaiserswerther Straße 16-18, 14195 Berlin                            ,                            Kaiserswerther Straße 16-18 14195 Berlin Otto-von-Simson Str. 23                                                                  Telefon   +49 30 838-73720 14195 Berlin                                                                                 Fax  +49 30 838-473702 E-Mail  rechtsamt@fu-berlin.de Internet  www.fu-berlin.de Bearb.-Zeichen     RA Bearbeiter/in Aktenzeichen      .6.3.         N Datum    25.09.2020 Ihr Antrag vom 31.10.2019 Bescheid vom 14.11.2019 Ihr Widerspruch vom 05.12.2019 Widerspruchsbescheid vom 21.07.2020 Sen vor mit dem oben genannten Widerspruchsbescheid vom 21.07.2020 wurde Ihnen unter Aufhebung des Bescheids vom 14.11.2019 der mit Antrag vom 31.10.2019 beantragte Informationszugang gewährt. Nachdem der Widerspruchsbescheid bestandskräftig geworden ist, übersenden wir Ihnen anbei die folgenden antragsgegenständlichen Unterlagen: Schlussbericht des Prüfungsgremiums mit Anlage und das Präsidiumsprotokoll. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag x _  Dick                    E I\TEXTE\RA\Texte 2020\20due297 IFG Informationszugang Schlussbericht.docx Seite 1 von 1
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Schlussbericht des Gremiums zur Überprüfung der Dissertation von Frau Dr. Franziska Giffey (1) Aufgabe und Gegenstand .des Gremiums Die Aufgabe des Gremiums war die Erarbeitung eines Vorschlags für das Präsidium der Freien Universität Berlin auf der Grundlage des $ 34 Abs. 7 und Abs. 8 BerIHG. Das Gremium hatte zu prüfen, ob Frau Dr. Giffey ihren Doktorgrad durch Täuschung über die Eigenständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung erworben hat. Frau Dr. Giffey hatte die Freie Universität Berlin im Februar 2019 darum gebeten, ein solches formelles Prüfungsverfahren einzuleiten, nachdem das Magazin Der SPIEGEL über eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Disserta- tion auf der Plattform Vroniplag berichtet hatte. Das Gremium wurde durch den Promotionsausschuss des Otto-Suhr-Instituts eingesetzt und konstituierte sich am 9. April 2019. Es setzt sich zusammen aus vier Mitgliedern des Fachbe- reichs Politik und Sozialwissenschaften (PolSoz) der FU Berlin, darunter drei Hochschullehre- rinnen und Hochschullehrer und ein Vertreter des akademischen Mittelbaus. Darüber hinaus gehörte dem Gremium ein externer Hochschullehrer an. Alle fünf Mitglieder waren stimmbe- rechtigt. Mitarbeiterinnen des Rechtsamts der Freien Universität und der Abteilung Nach- wuchsförderung des Fachbereichs PolSoz haben die Arbeit des Gremiums beratend und un- terstützend begleitet. Keines der Mitglieder hatte zuvor die Dissertätion von Frau Dr. Giffey begutachtet oder an der Kommission zu ihrem Promotionsverfahren mitgewirkt. Das Gre- mium ist gleichwohl im thematischen Bereich der Dissertation (insbesondere zu Fragen Euro- päischer Integration, Europäischer Öffentlichkeit, der Europäischen Kommission, der Demo- kratietheorie und zivilgesellschaftlicher Beteiligung) sehr gut ausgewiesen. Es ist somit inhalt- lich und formal geeignet, die Prüfung vorzunehmen. Gegenstand der Prüfung war die schriftliche Dissertation von Frau Dr. Giffey mit dem Titel „Europas Weg zum Bürger — Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zi- vilgesellschaft“. Das Gremium hatte zu prüfen, ob angesichts der von Vroniplag als problema- tisch ausgewiesenen Textstellen (a) der objektive Tatbestand der Täuschung über die Eigen- ständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung und (b) der subjektive Tatbestand der Vor- sätzlichkeit erfüllt seien. Ein weiteres Prüfkriterium war, ob (c) die als Plagiat identifizierten Stellen die Arbeit als Ganze quantitativ, qualitativ und/oder in der Gesamtschau      prägen und darum die wissenschaftliche Eigenleistung der Promovendin substantiell beeinträchtigen. Da- von abgesehen war die wissenschaftliche Qualität der (mit „magna cum laude“ bewerteten) Dissertation ausdrücklich nicht Gegenstand der Prüfung. Das Gremium setzte sich mit der beanstandeten Arbeit auf der Grundlage der im Oktober 2009 eingereichten Fassung auseinander. Gegenstand der Überprüfung waren insbesondere die in 1
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der öffentlich zugänglichen „kollaborativen Plagiatsdokumentation“ durch Vroniplag (in der Fassung vom 09.05.2019) identifizierten Mängel. In dieser Dokumentation werden auf 76 (von insgesamt 214) Seiten der Arbeit        Plagiatsstellen moniert. Hierbei handelt es sich um insgesamt 119 sogenannte „Fragmente“, also einzelne beanstandete Textstellen. Darunter befinden sich 11 sog. „herausragende Fundstellen“, die Vroniplag als besonders gravierend hervorhob. Den Mitgliedern des Gremiums wurden im Laufe ihrer Arbeit von den Rechtsanwälten von Frau Dr. Giffey (Dr. Köhler und         Partner) vier Ausarbeitungen    („vertraulich   und persönlich“) zugeleitet: -   eine Ausarbeitung zu den 11 „herausragenden Fundstellen“ von Vroniplag von Prof. Dr. Uwe Wesel; -   eine „Gutachterliche Stellungnahme“ zur Zitierweise in der Dissertation von Frau Dr. Giffey; -   eine Übersicht über den Verlauf des Promotionsvorhabens auf der Grundlage von Pro- tokollen, Exposes, etc.; -   eine Zusammenstellung der Protokolle sämtlicher Forschungsinterviews, die Frau Dr. Giffey im Rahmen ihres Promotionsvorhabens durchgeführt hat. Vor allem durch die letzten beiden „Konvolute“ hat das Gremium einen detaillierten Überblick über Verlauf und Durchführung des Promotionsvorhabens sowie über Art und Umfang der Betreuung der Doktorandin erhalten. Die Stellungnahmen der Rechtsanwälte zielen insbeson- dere darauf ab'nachzuweisen, dass (a) die Mängel in der’ Arbeit geringfügig sind (fehlender objektiver Tatbestand); dass (b) diese Mängel auf Vorgaben der Betreuerin zur Zitierweise zu- rückzuführen     sind (fehlender subjektiver Tatbestand); und dass (c) sie die wissenschaftliche Eigenleistung der Arbeit nicht substantiell beeinträchtigen           (fehlende Relevanz des Tatbe- stands). Insgesamt ist diesen Stellungnahmen zu entnehmen, dass Frau Dr. Giffey den gegen sie erhobenen Vorwürfen in vollem Umfang widerspricht. (2) Vorgehensweise bei der Prüfung Das Gremium       hat sich in einem aufwendigen Verfahren ein eigenständiges Gesamtbild der formalen Mängel der Dissertation von Frau Dr. Giffey gemacht. Zu diesem Zweck hat es sich eingehend mit dem Arbeitsstil und der Zitierweise der Autorin beschäftigt. Es folgte bei ihrer Arbeit weder den quantitativen Vorgaben von Vroniplag, noch den Bewertungen der elf „her- ausragenden Fundstellen“ von Prof. Wesel. Das Gremium machte es sich zur Aufgabe, alle 119 Fundstellen, die Vroniplag als problematisch ausgewiesen hatte, einzeln auf der Grundlage eigener Kriterien zu prüfen. Es orientierte sich dabei unter anderem an den neuen Leitlinien für gute wissenschaftliche       Praxis, die die Deutsche     Forschungsgemeinschaft in diesem Jahr verabschiedet hat. Demnach ist bei der Anwendung von Zitierregeln und der Überprüfung von Plagiaten    „eine   die  Vielfalt   der   Fächerkulturen    ernst nehmende,      qualitativ gewichtete Textanalyse ... geboten” (Rixen, in Forschung & Lehre 9/2019, 5. 819). 2
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N Für seine Analyse entwickelte das Gremium ein differenziertes Kategorienschema, mit Hilfe dessen jede von Vroniplag identifizierte „Fundstelle“ in Bezug auf zwei verschiedene Dimen- sionen beurteilt werden konnte. Zum einen wurden Art und Umfang der Übernahme fremder Textteile festgehalten. In diesem Zusammenhang wurden folgende Kategorien unterschieden: (1) die wörtliche Übernahme einer geschlossenen Textpassage, zumindest eines ganzen Sat- zes; (2) die Paraphrasierung von Texten mit deutlichen wörtlichen Textübernahmen,         i.d. R. ganzer Satzteile; und (3) die Paraphrasierung ohne bzw. mit geringfügiger wörtlicher Textüber- nahme. Zum anderen wurde bei jeder Textstelle vermerkt, ob und auf welche Weise die Quelle für diese Textübernahmen genannt wurde. Hierbei wurde unterschieden zwischen folgenden Kategorien: (A) keine Nennung der Quelle; (B) Nennung der Quelle im unmittelbaren Zusam- menhang, aber ohne Möglichkeit der eindeutigen Zuordnung; und (C) Nennung der Quelle im Kontext bei Möglichkeit eindeutiger Zuordnung.       Dieses Kategorienschema ermöglicht eine höchst differenzierte Einordnung von Mängeln bei Quellenangaben und Textübernahmen in der Arbeit von Frau Dr. Giffey (siehe Anlage). Das Vorgehen des Gremiums bei der Prüfung der Arbeit war zweistufig. Zunächst wurde jede von Vroniplag monierte Textstelle von jedem der Gremiumssmitglieder unabhängig geprüft und, soweit einschlägig, in das Kategorienschema       eingeordnet. Im nächsten Schritt wurde dann jede Textstelle im Kreis des Gremiums diskutiert und Konsens über die Art.des Mangels hergestellt. Das Ergebnis wurde im Protokoll festgehalten. Wichtig war bei diesem Vorgehen, dass für die Beurteilung einer Fundstelle der weitere Textzusammenhang bzw. Kontext der Aussage berücksichtigt wurde. Dieser umfasste mindestens den gesamten Absatz, in dem eine Fundstelle stand, sowie den vorangehenden        sowie den nachfolgenden Absatz. D.h., abwei- chend von der Vorgehensweise von Vroniplag war für die Einordnung einer Referenz nicht nur die direkte Wortübernahme im engeren Sinne relevant, sondern die Übernahme von Texttei- len im Kontext des Absatzes bzw. größerer Sinneinheiten. Die systematische Analyse der monierten Fundstellen war die Grundlage der unabhängigen Beurteilung, ob im Fall der Dissertation von Frau Dr. Giffey (a) eine objektive Täuschung vor- liegt; ob (b) eine subjektive Täuschungsabsicht zu erkennen ist; und ob die (c) als fehlerhaft ausgewiesenen Textstellen für die Bewertung der wissenschaftlichen Leistung relevant sind. Frau Dr. Giffey wurde die Möglichkeit der Stellungnahme gewährt, die sie, über die unter (1) aufgeführten vier Ausarbeitungen hinaus, nicht wahrgenommen hat. (3) Ergebnisse Zunächst ergab die Prüfung, dass die von Vroniplag genannte Zahl von 119 problematischen Fundstellen nicht eindeutig ist. So werden einzelne Monita, die sich über mehr als eine Seite erstrecken, parzelliert und für jede Seite separat gezählt. Diese Mehrfachnennung einzelner Fundstellen führt zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der potentiell     fehlerhaften Textstellen. Auch erschwert die „selektive“, aus dem    Kontext gerissene Betrachtung der Fragmente bei Vroniplag die Beurteilung von Fehlermustern. Ein Beispiel bildet die wiederholte Bezugnahme
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in einem einzigen größeren Sinnabschnitt auf ein und dieselbe nicht oder nicht eindeutig aus- gewiesene      Quelle wie etwa   Kersting (2008)    auf den Seiten 45 und 46 oder Scharpf (1997, 1999) auf den Seiten 27 und 28. 3.1 Prüfung der objektiven Täuschung Von den 119 bei Vroniplag monierten Stellen konnten 39 nicht eindeutig im Sinne der Bewer- tungskategorien zugeordnet werden. Bei diesen Fundstellen handelt es sich meistens entwe- der um Allgemeinplätze wie etwa generische             Beschreibungen des EU Integrationsprozess (‚Friedensprozess‘) oder der EU Institutionen        (‚Motor der Integration‘) oder um eine wenig auffällige Aneinanderreihung allgemein geläufiger Ausdrücke.           Diese 39 Stellen unterschied das Gremium        von einer plagiatsverdächtigen Abfolge von Fachtermini oder eigenwilligen sprachlichen Wendungen. Für die weitere Bewertung wurden folglich (nach der Zählweise von Vroniplag) noch 80 Textstellen herangezogen. Von diesen 80 Textstellen wurden insgesamt 29 von dem Gremium als geringfügige Mängel eingestuft. Hierzu zählen 19 Textstellen die den Kategorien C (Quelle im Kontext genannt, ein- deutige Zuordnung möglich) und/oder bei 10 Fundstellen der Kategorie 3 (Paraphrasierung ohne bzw. mit geringfügiger wörtlicher Textübernahme)              des Analyseschemas    zugeordnet wurden. Zu den Fehlern der 19 Textstellen der Kategorie C gehören etwa das Fehlen von Sei- tenzahlen bei Zitaten oder die Nennung der eigentlichen Quelle nur im näheren Satzumfeld und nicht am Ende des eigentlichen Zitats. In allen diesen Fällen handelt es sich um Formfeh- ler, die das Gremium als Bagatellen bewertete. Diese Fehler werfen eher auf die- nicht weiter zu bewertende - wissenschaftliche Qualität der Arbeit einen Schatten als auf die wissenschaft- liche Redlichkeit der Verfasserin. Bei 10 Textstellen der Kategorie 3, bei denen Paraphrasierungen ohne bzw. mit gering- fügiger wörtlicher Textübernahmen oder Ähnlichkeit mit einschlägigen Argumenten aus nicht eindeutig referenzierten Quellen erkennbar waren, konnte der Vorwurf der objektiven Täu- schung nicht zureichend belegt werden. Daher wurden diese Fälle nicht weiter berücksichtigt. Als eindeutige Fälle von Plagiaten stufte das Gremium Fundstellen ein, bei denen ganze Sätze oder noch      größere Textpassagen     wörtlich  aus einer nicht genannten     Quelle  übernommen wurden (Kategorie 1A). Dafür gibt es in der Dissertation von Frau Dr. Giffey vier Fälle. In einem weiteren Fall hat sie einen ganzen Satz wörtlich zitiert, die Quelle aber lediglich im Kontext genannt, so dass eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist (Kategorie 1B). Dies bedeutet, dass von den 80 zu beanstandenden          Stellen fünf als Plagiate im eigentlichen Sinne, nämlich als wörtliche Übernahme eines ganzen Satzes ohne Nennung der Quelle, zu beanstanden sind. Das Gremium        hat darüber hinaus bei 22 Fundstellen deutliche Textübernahmen oder Para- phrasen ausgemacht, bei denen keine Quelle genannt wurde (Kategorie 2A). Im Gremium be- stand Konsens darüber, dass diese 27 Textstellen den Tatbestand der „objektiven Täuschung“ erfüllen. Auf diese Fälle trifft die Behauptung der Anwälte, Frau Dr. Giffey habe auf Anraten ihrer Betreuerin eine amerikanische und „eher problemorientierte Zitierweise“ gewählt, nicht 4
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zu. Es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Zitierweise, die für wörtliche Zitate etwas ande- res vorsieht als doppelte Anführungszeichen am Anfang und Ende des Zitats sowie die genaue Quellenangabe mit Seitenzahl(en). Schwieriger war die Bewertung von 20 Fundstellen, bei denen zwar Paraphrasierungen mit deutlichen wörtlichen Textübernahmen gefunden wurden, die Quelle jedoch im Kontext ge- nannt wird (Kategorie 2B). In diesen Fällen könnte das Argument der „problemorientierten Zitierweise“ greifen (siehe ausführlicher folgende Seite). Beispielhaft hierfür sind die Seiten 45 und 46. Diese Seiten stützen sich maßgeblich auf Kersting (2008), laut Vroniplag eine der zwei „herausragenden Quellen“. Auf diesen Text wird auf diesen beiden Seiten insgesamt sechsmal verwiesen, einmal in einem direkten Zitat (S. 46 oben). Die von der Verfasserin verwendete Zitierweise ist problematisch, da in der Regel keine konkreten Seitenzahlen genannt werden und die Quelle häufig unspezifisch am Ende eines Absatzes genannt wird. Gleichzeitig gibt die Verfasserin den Lesern aber klar zu erkennen, dass sie sich hier in großem Umfang auf eine ganz bestimmte Quelle (Kersting 2008) stützt. Das Gremium bewertete das Vorgehen von Frau Dr. Giffey in diesen Fällen als mangelhaftes wissenschaftliches Arbeiten. In der Gesamtbewertung des Kriteriums der objektiven Täuschung kann festgestellt werden, dass der Tatbestand des klassischen Plagiats bei fünf Fundstellen gegeben ist und bei weiteren 22 Stellen Paraphrasen von nicht genannten Quellen vorliegen. Bei den zu beanstandenden Textstellen handelt es sich zumeist um einzelne Sätze oder Satzfragmente. Die für gravierende Fälle von Wissenschaftsplagiaten charakteristische wörtliche Übernahme bzw. Umarbeitung von größeren Textteilen, die Übernahme von Daten bzw. Forschungsergebnissen oder die Übernahme origineller Gedanken bzw. Erkenntnissen konnten in der Arbeit von Frau Dr. Giffey nicht gefunden werden. Auch die im Falle von Plagiaten häufig auftretenden Brüche in der Ausdrucksform oder in der Argumentation kommen in der Arbeit von Frau Dr. Giffey nicht vor. Die beiden laut Vroniplag „herausragenden Quellen“ (Kersting 2008; Liebert/Trenz 2008) wer- den in der Arbeit auch vielfach an einschlägigen Stellen      genannt. Bei den nicht genannten Quellen    handelt  es sich zumeist   um   Handbuchartikel   oder   Lexikoneinträge   (Wikipedia). Gleichwohl bestand im Gremium Konsens darüber, dass in diesen Fällen der Tatbestand der objektiven Täuschung über die Eigenständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung gege- ben ist. Darüber hinaus war sich das Gremium einig, dass es sich bei den anderen zu beanstan- den Textpassagen durchweg um Fälle mangelhaften wissenschaftlichen Arbeitens handelt. 3.2 Vorsätzlichkeit der Täuschung Mit Bezug auf die objektiv fehlerhaften Fundstellen hatte das Gremium zu klären, ob bei die- sen eine subjektive Täuschungsabsicht vorliegt. Wichtig war hier, dass bei diesem Kriterium ein bedingter Vorsatz ausreicht und keine nachgewiesene Täuschungsabsicht erforderlich ist. Davon zu unterscheiden sind bloße Nachlässigkeiten, Ungenauigkeiten oder Flüchtigkeitsfeh- ler. Für einen Vorsatz muss der Nachweis einer klar erkennbaren Eigeninitiative der Täuschung
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erbracht werden; für einen bedingten Vorsatz können Merkmale wie eine „Häufung und Sys- tematik“ im Vorgehen sprechen. Das Gremium      hat sich in diesem Zusammenhang          intensiv mit der von Frau Dr. Giffey in der Arbeit verwendeten        Zitierweise beschäftigt.  Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Reihe von Mängeln (insbesondere in den Fällen, in denen paraphrasiert wurde, und die Quelle entweder direkt oder indirekt genannt wurde) darauf zurückgeführt werden                   kann, wie Frau Dr. Giffey eine ganz bestimmte („problemorientierte, amerikanische“) Zitierweise verwendet. Ihre Rechtsanwälte führen hier an, dass die Doktorandin diese Zitierweise auf Wunsch ihrer Betreuerin in einer späten Phase ihrer Promotion           übernommen       habe. Davor hätte sie die in Deutschland in den Rechts- und Geisteswissenschaften gebräuchliche Zitierweise verwendet und präzise mit Seitenangaben gearbeitet. Das Gremium                hat dazu festgestellt, dass die sog. „amerikanische Zitierweise“ in der Arbeit keineswegs lege artis             umgesetzt wird. Zum einen gilt auch bei der Verwendung der sog. „amerikanischen Zitierweise“, dass bei Bezügen zu kon- kreten Textstellen Seitenangaben erforderlich sind. Zum anderen verwendet Frau Dr. Giffey diese Zitierweise uneinheitlich und inkonsistent:        Bei einigen Textpassagen wird am Ende des Absatz auf Quellen verwiesen; häufig verweist die Autorin aber auch irgendwo im Absatz auf die Quelle, oder aber im vorhergehenden oder folgenden Absatz bei Aussagen, die nicht not- wendigerweise in einem Sinnzusammenhang                mit der zitierten Aussage stehen müssen.         Ins- gesamt hat der Doktorandin zumindest die Erfahrung in der Anwendung der „problemorien- tierten“ Zitierweise gefehlt, die von ihr erwartet wurde. Dieses Argument trifft jedoch nicht auf die von dem Gremium identifizierten Fälle einer ob- jektiven Täuschung zu. In diesen Fällen wurden entweder wörtliche Textübernahmen                      nicht kenntlich gemacht und die verwendete Quelle nicht genannt bzw. nicht eindeutig zugeordnet. In beiden Fällen handelt es sich um ein problematisches Fehlverhalten. Die Rechtsanwälte führen noch ein zweites Argument an, um den Vorwurf fehlerhaften Zitie- rens zu entkräften, das der Trivialität. Sie argumentieren, dass bei allgemein bekannten Sach- verhalten Quellenangaben          nicht erforderlich seien. In den Sozialwissenschaften gelte dies auch für allgemeingebräuchliche Definitionen, z.B. von Begriffen wie „Partizipation“. Dieses Argument kann die Textentnahmen aus Wörterbüchern und Lexika ohne Angabe der Quelle, um die es hier im Wesentlichen geht, jedoch keinesfalls rechtfertigen. Denn in den zu bean- standenden Textpassagen geht es nicht um allgemeingebräuchliche Definitionen, sondern um die fachspezifische Verwendung          von Schlüsselbegriffen     in einem   Forschungsgebiet,    in dem sich eine einheitliche Begriffsverwendung (noch) nicht durchgesetzt hat. Aus genau diesem Grund war es in der Arbeit ja erforderlich, der empirischen Fallstudie ein sehr umfangreiches Kapitel voranzustellen, das sich mit „Begriffsklärungen“ beschäftigt. Davon zu unterscheiden sind indessen Zitationen aus zweiter Hand, die in der Arbeit häufig vorkommen,      die aber schwierig zu bewerten sind. Sie könnten als problematischer Versuch interpretiert werden, wissenschaftliche Tiefe vorzutäuschen, wo diese nicht vorhandenen ist.
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Sie könnten beispielsweise aber auch als in der Sache gerechtfertigte Verweise auf Primär- quellen gewertet werden, um dem Leser den weiteren wissenschaftlichen Kontext zu erläu- tern und die vertiefte Beschäftigung mit einem Thema zu erleichtern. Insgesamt bestand in dem Gremium          Konsens, dass die in der Arbeit festgestellten Mängel auch einen systematischen Charakter haben. Neben einigen eindeutigen Plagiaten zeichnen sich weitere besonders problematische Fälle dadurch aus, dass bei der Präsentation des For- schungsstandes wissenschaftliche Überblicksdarstellungen genutzt wurden, ohne dass ausrei- chend erkennbar wird, in welchem Umfang diese Quellen von der Verfasserin „abgeschöpft“ wurden. Hier war die Unsicherheit darüber nicht auszuräumen,           ob diese Systematik in allen Fällen auf einen Täuschungsvorsatz schließen lässt. 3.3 Quantitative und qualitative Relevanz der plagiierten Textstellen In einem dritten Schritt hatte das Gremium        zu prüfen, ob die konstatierten Mängel für die Bewertung der wissenschaftlichen Eigenleistung relevant sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu festgestellt: „Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ. oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen. Eine quantitative Prägung ist zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtum- fangs überhandnehmen. Derartige Passagen prägen die Arbeit qualitativ, wenn die restliche Dissertation den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt.“ (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017-6 C 3/16 —, BVerwGE 159, 148-171, Rn 44, juris). Das Gremium war bei der Diskussion der Relevanz der Beanstandungen mit den Argumenten von Vroniplag konfrontiert, die sich in diesem Punkt darauf stützt, dass nach ihrer Zählung in allen Kapiteln der Arbeit fehlerhafte Stellen seien. Hervorgehoben wird insbesondere, dass sich auch im Schlusskapitel der Arbeit, in dem es um die Präsentation der eigenen Forschungs- ergebnisse geht, Plagiatsstellen befänden.       Damit soll nach Ansicht     des Gremiums die Ein- schätzung untermauert werden, dass die Arbeit insgesamt nicht als eigenständige wissen- schaftliche Leistung gelten könne. Das Gremium      hat sich ausführlich mit diesem     Punkt befasst. Es befand, dass die Textstellen, die Vroniplag im Schlusskapitel ausfindig gemacht hat, mit Ausnahme von zwei Sätzen nicht ins Gewicht fallen. Diese Textstellen wurden als nicht relevant für die Plagiatsprüfung erachtet und daher nicht oder in die Kategorien C bzw. 3 zugeordnet. Es bestand im Gremium auch Konsens darüber, dass sich die problematischsten Stellen der Arbeit von Frau Dr. Giffey in Kapitel 2 zum Thema: „Begriffsklärung und Eignungsdimensionen von Beteiligungsinstrumenten“ befinden. In diesem Kapitel wird die demokratietheoretische Literatur über     Europäische   Öffentlichkeit  und Zivilgesellschaft dargestellt  und   damit   die Grundlage für Dimensionen und Indikatoren der empirischen Fallstudie gelegt, die ganz am 7
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Ende des Kapitels vorgestellt werden. Es geht der Autorin letztlich darum, auf der Grundlage einer Literaturdiskussion Kategorien für die eigene Analyse der Beteiligungsinstrumente der EU („Analyseraster“) zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich das Gremium mit der Frage, ob die in Kapitel 2 der Dissertation ausgewiesenen Verstöße die Qualität der wissenschaftlichen Leistung insgesamt unterminieren. Die Beantwortung dieser Frage wurde dadurch erschwert, dass das Gremium nicht über die wissenschaftliche Qualität der Arbeit insgesamt zu befinden hatte, sondern al- lein über die Plagiatsvorwürfe, d.h. über die Relevanz der Literaturdarstellung im zweiten Ka- pitel für die wissenschaftliche Qualität der Arbeit. Die Diskussion im Gremium zeigte indessen, dass die beiden Aspekte im konkreten Fall schwer zu trennen sind. Bei der weiteren Diskussion des Stellenwertes von Kapitel 2 im Gesamtzusammenhang der Arbeit waren zwei Argumente gegeneinander abzuwägen. Auf der einen Seite war zu berück- sichtigen, dass die Arbeit nicht den Anspruch erhebt, „theoriegeleitet“ in dem Sinne zu sein, dass theoretisch begründete Erwartungen (Hypothesen) für die empirische Analyse entwickelt werden. Sie hat auch nicht die Ambition, selbst zur Theoriebildung beizutragen. Das Ziel des Kapitels ist ganz offensichtlich die Entwicklung einer Typologie für die anschließende empiri- sche Fallanalyse. Man kann daher argumentieren, dass der Stellenwert dieses Kapitels für die Arbeit begrenzt ist und seine Mängel keine Auswirkungen auf die Bedeutung der wissenschaft- lichen Leistung in den anderen Kapiteln haben. Diese Sicht betont den empirischen Charakter der Arbeit, die eine qualitative Einzelfallstudie auf der Basis von Leitfadeninterviews:darstellt und hier ihren wesentlichen Beitrag zum Kenntnisstand der empirischen Politikforschung über die EU-Politik leistet. Auf der anderen Seite muss bedacht werden, dass auch für Arbeiten, die einen empirischen Beitrag leisten möchten, präzise begriffliche Klärungen, eine korrekte Bearbeitung von Primär- und Sekundärliteratur im entsprechenden Forschungsfeld sowie eine Begründung der eigenen Vorgehensweise durch die eigenständige Auseinandersetzung mit den grundlegenden theo- retischen Konzepten unverzichtbar sind. Diese Anforderungen erfüllt das Kapitel 2 der Arbeit von Frau Dr. Giffey jedoch nur sehr bedingt. In der Abwägung beider Positionen kommt das Gremium zu der Auffassung, dass die fehler- haften Passagen zwar zahlreich, aber doch so punktuell sind, dass man mit Blick auf die Arbeit im Ganzen nicht von einer „Überhandnahme“ - wie von der Rechtsprechung gefordert - spre- chen kann. Unabhängig davon, welche Rolle man dem zweiten Kapitel im Zusammenhang mit dem empirisch-analytischen Forschungsdesign zuspricht, muss man der Arbeit bescheinigen, dass sie in den übrigen Teilen den inhaltlichen Anforderungen an eine eigenständige wissen- schaftliche Leistung genügt. Gerade im empirischen Teil beweist die Autorin, dass sie durchaus in der Lage ist, eigenständig wissenschaftlich zu arbeiten und bei ihrem Vorgehen die metho- dischen Standards der empirischen Politikforschung anzuwenden. Bei einer Gesamtzahl von 27 Forschungsinterviews muss diese Eigenleistung auch als substantiell bezeichnet werden.
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