Beanstandung durch die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit
Verarbeitung personenbezogener Daten von Angehörigen der Bevölkerungsgruppen der Sinti und Roma durch die Polizei Berlin
Prüfung beim LKA 2 am 9. Juli und 6. August 2020
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Beanstandung Berliner Polizei Sinti und Roma“
Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Maja Smoltczyk Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Friedrichstr. 219, 10969 Berlin Der Polizeipräsident in Berlin Geschäftszeichen: (bitte angeben) 51.1261.33 Frau Dr. Barbara Slowik Abteilung: IA Bearbeiter(in): ███ ███████ Telefon: 030 13889-0 Durchwahl-Nr.: ██ Datum: 29. Oktober 2020 Beanstandung Verarbeitung personenbezogener Daten von Angehörigen der Bevölkerungsgruppen der Sinti und Roma durch die Polizei Prüfung beim LKA 2 am 9. Juli und 6. August 2020 Sehr geehrte Frau Dr. Slowik, hiermit beanstanden wir einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 33 Abs. 1 Berliner Daten- schutzgesetz (BlnDSG) zur Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten so- wie einen Verstoß gegen die Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit uns gemäß § 13 Abs. 4 Nr. 2, § 54 BlnDSG durch Ihre Behörde. Begründung: Unserer Entscheidung liegen die nachstehenden Erwägungen zugrunde: 1. Wir haben folgenden Sachverhalt festgestellt: In derVeröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2017 hieß es auf Seite 48: „/m Bereich des Trickdiebstahls waren von 86 Tatverdächtigen 53 Sinti und Roma." Diese Passage wurde zwischenzeitlich am 15. Januar 2020 aufgrund einer Weisung des Senators für Inneres und Sport, Andreas Geisel, in der Online: Version der PKS 2017 gestrichen. Auf Anfragen unserer Behörde vom 20. Juni und 9. August 2019 zu einer etwaigen Verarbei- tung personenbezogener Daten zu Ethnien (Sinti und Roma) im Zusammenhang mit der PKS 2017 erklärte die Polizei mit Schreiben vom 12. November 2019, die Angabe in der PKS 2017 beruhe auf der fachlich fundierten Einschätzung der Fachdienststelle. Eine systematische Zu- Berliner Beauftragte für Sprechzeite.n: tgl. 10-15 Uhr Telefon 030 13889-0 Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Datenschutz und Informationsfreiheit Donnerstag 10-18 Uhr Telefax 030 2155050 U-Bahn Linie 6, Station Kochstr. oder nach Vereinbarung Elektronische Zugangseröffnung Bus Linie M29 und 248 Besuchereingang: gern. § 3a Abs. 1 VwVfG: Friedrichstr. 219 10969 Berlin Puttkarnerstr. 16-18 rollstuhlgerechter Zugang rnailbox@datenschutz-berlin.de https://datenschutz-berlin.de beffi,pmll
-2- ordnung Tatverdächtiger zur Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma erfolge indes grundsätz- lich nicht. Allenfalls im Rahmen polizeilicher Sachbearbeitung komme es vereinzelt zur Verar- beitung von Daten über die Ethnie, etwa, wenn sich Personen bei Vernehmungen selbst als Sinti, Roma, Jenische oder auch „Zigeuner'' bezichnt~ Solche Angaben würden aber nicht systematisch ·und suchfähig dokumentiert und gespeichert, sondern nur im Wortprotokoll erfasst und so Teil des Vorgangs .. Daraufhin führte unsere Behörde am 9. Juli und 6. August 2020 eine Prüfung bei der Polizei durch, um .d ieVerwendung der Begriffe „Jenische", „Roma';, „Sinti" und „Zigeuner" in Vorgängen aus dem Jahr 2017 stichprobenartig zu kontrollieren. · Die Polizei präsentierte uns in diesem Zusammenhang am 6. August 2020 das Ergebnis einer POLIKS-Recherche zu ~len abgeschlossenen Vorgä~en des Jahres 2017 mit der Ereignisbe- zeichnung „Trickdiebstahl in Wohnung" mit den Begriffen „Jenische", „Roma~, „Sinti" und „Zigeu- ner'' ~nhad einer Ergebnistabelle. Anschließend erläuterte die Polizei das Vorgehen bei ·d er Recherche mit Hilfe eines detaillierten Auswertungsvermerks. , Wir baten die Polizei um Übergabe der Ergebnistabelle und des Auswertungsvermerks. Dies wurde uns im Prüftermin mit dem Hinweis verweigert, man müsse noch klären, ob eine Über- gabe möglich sei. Mit Schreiben vom 21. September 2020 baten wir die Polizei erneut um Über- gabe der beiden Dokumente mit Fristsetzung bis zum 9. Oktober 2020. Die Dokumente wurden uns bis zurri heutigen Tag nicht übersandt. · ! . · Die Prüfung bei der Polizei ergab, dass von den im Jahr 2017 abgeschlossenen Vorgängen mit der Ereignisbezeichnung „Trickdiebstahl in Wohnung" 31 einen oder mehrere der Begriffe „Roma", „Sinti" und nZigeuner'' enthielten. Die Nen.nung war größtenteils au.f zitierte bzw. wiedergegebene Zeugen- oder Beschuldigten- aussage_n zurückzuführen. Doch auch Dokumente ohne unmittelbaren Bezüg zu Zeugen- oder Beschuldigtenaussagen, wie etwa die von den ermittelnden Mitarbeitenden der Polizei zusam- mengefasste11 Sachverhalte in den Strafanzeigen, Durchsuchungs•, Zwischen- oder Schlussbe- richte an die Staatsanwaltschaft, enthielten o. g. Begriffe, ohne erkennbare Erforderlichkeit. Zu beanstanden sind folgende Datenverarbeitungen: . POLIKS- Auszug/Zitat aus Dokum~nt Kategorie in POLIKS Nummer „Di_ eses spezielle Delikt wird nach Sachverhalt allgemein Erfahrung ... von polnisch-stämmi- gen Roma innerhalb des Familien- . verbandes begangen." ·- - „Bei der Anschrift handelt es sich um Allgemeiner Bericht einen sog. ,Landfahrerplatz' (Wohn- . --- -
-3- wagenstellplatz}, auf dem u. a. im- mer wieder Angehörige der Sinti und Roma zur Anmeldung kommen" „Es handelt sich um einen sog. Zet- Allgemeiner Bericht teltrick, ein nach aller Erfahrung im (Schlussbericht, Ermitt- ~ Deliktsbereich durch zumeist pol- lungsergebnis zusam- nisch-stämmige Roma gemein- mengefasst) schaftlich innerhalb des Familien- kreises gewerbs- und bandenmäßig begangenes Seriendelikt zum Nach- teil hochbetagter Geschädigter." „Bei der Besatzung (LKW) handelte Strafanzeige es sich nach Aussagen des POK L. augenscheinlich um Personen , die der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma angehören." „„. Ermittlungen richten sich gegen Schlussvermerk für die erwachsene, polnische Staatsan- Staatsanwaltschaft gehörige und Angehörige der Sinti • ' und Roma .... Die Taten wurden gemeinsam mit Angehörigen der Sinti und Roma be- gangen." „Nachdem Zeugin angibt, in der Allgemeiner Bericht . Lichtbildv.orzeigedatei eine lettische Staatsangehörige als Tatverdächtige zu erkennen, schrieb Beamtin/er: ;Eine Tatbeteiligung der Frau S., die . in den 2003 und 2011 wiederholt als Taschendiebin in Erscheinung trat, wird hier angezweifelt, da ,Zetl~ .tricktaten' erfahrungsgemäß durch Angehörige der Volksgruppen der Sinti und Roma begangen werden."' „Täterbeschreibung durch Zeugin, Allgemeiner Bericht 1) südosteuropäisch, (verm. Balkan- (Schluss/Zwischenbericht) länder, sah wie ,Zigeunerin' aus) 2) südosteuropäisch, (verm. Balkan- länder, sah wie eine ,Zigeunerin' aus)" „Darüber hinaus ist dieser spezielle Allgemeiner Bericht Modus operandi nach aller Kenntnis aus dem Deliktsbereich bislang aus- schließlich polnisch stämmigen 1 Roma zuzuordnen ... "
-4- II. Die Beanstandung beruht auf§ 13 Abs. 2 BlnDSG. Es kam zu einem Verstoß gegen die Vor- gaben des § 33 Abs. 1 BlnDSG zur Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten (1) sowie gegen die Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit uns gemäß § 13 Abs. 4 Nr: 2, § 54 BlnDSG (2) in Ihrem Verantwortungsbereich. 1. Die Nennung der ethnischen Zugehörigkeit im Zusammenhang mit tatverdächtigen Per- sonen verstößt.in den oben in der Tabelle aufgelisteten Fällen gegen§ 33 Abs. 1 · BlnDSG. Danach dürfen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden besondere Kategorien personenbezogener Daten nur verarbeiten, wenn dies zu dereri Aufgabener- füllung oder zur Wahrung lebenswichtiger Interessen einer natürlichen Person erforder- lich ist, oder sich die Verarbeitung auf Daten bezieht, die von der betroffenen Person of- fensichtlich öffentlich gemacht wurden. Die ethnische Zugehörigkeit gehört laut§ 31 Nr. 14 lit. a) BlnDSG zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten. Für die Erfüllung der Aufgabe „Strafverfolg'ung" dürfen Strafverfolgungsbehörden gemäß § 483 Abs. 1 StPO personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nut- zen, soweit dies für die Zwecke des Strafverfahrens erforderlich ist. Für die A~fgabe „Gefahrenabwehr" können Polizei- und Ordnungsbehörden gemäß § 42 Abs. 1 ASOG rechtmäßig erhobene personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern, verän- dern und nutzen, soweit das zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erfod~lich ist. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zur vorgenannten Aufga- · benerfüllung ist danach zu differenzieren, welcher Begriff verwendet wird , auf wen die Verwendung des· Begriffs zurückzuführen ist (Polizei oder Dritte, insbesondere Zeug*in- nen und Beschuldigte) und an wen sich der jeweilige Text (Polizei, Staatsanwaltschaft) richtet: Die Worte „Zigeuner/in" und „Landfahrer/in" sind grundsätzlich unzulässig und aus allen Vorgängen zu entfernen. Lediglich als deutlich gekennzeichnete Zitate können sie aus- nahmsweise in Vorgängen stehen, sofern sie ermittlungsrelevant sind (s. u.). Für die Begriffe Sinti und Roma gilt: • Ihre Verwendung in Schlussberichten an die Staatsanwaltschaft ist unzulässig, da die Staatsanwaltschaft die Taten, nicht jedoch die verdächtigten Personen bewertet. • Ihre Verwendung. in Sachverhalten in Strafanzeigen, . . Vermerken, Zwischenberichten ist ausnahmsweise zulässig, o wenn das Merkmal konkret ermittlungs- oder fahndungsfördernde Anhalts- punkte liefert, z. B. Aufenthaltsort, Erscheinungstyp, Bandenstruktur. Die Zu- ordnung sollte immer nur anhand verbindlicher Kriterien bzw. Anleitungen
-5- und nur von entsprechend geschulten Beamtinnen und Beamten vorgenom- men werden. Ein sog. „Racial Profiling" muss unbedingt vermieden werden. o bei Verdacht einer aus fremdenfeindlichen oder rassistischen Motiven began- genen Straftat (§ 130 StGB), für deren exakte Beurteilung die Kenntnis der ethnischen Zugehörigkeit der Opfer und/oder Tatverdächtigen relevant ist. • Ihre Verwendung als Selbstzuschreibungen der Betroffenen oder als wörtliche Wie- dergabe von Aussagen Dritter, etwa in Vernehmungsprotokollen oder Gutachten ist zulässig. Die Kenntnis der ethnischen Zugehörigkeit verdächtiger oder geschädigter Personen ist also regelmäßig für die polizeiliche Arbeit nicht erforderlich und allenfalls.in Ausnahme- fällen zulässig. Hinsichtlich all dieser Ausnahm~tbeäd trägt die Polizei die Beweis- last. Beweise hinsichtlich der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung in den o. g. Fällen konnte das LKA nicht erbringen. 2. Nach § 13 Abs. 4 Nr. 2 BlnDSG ist die Polizei gesetzlich verpflichtet, uns alle Informatio- nen, die für die Erfüllung unserer Aufgaben erforderlich sind, bereitzustellen. Gemäß § 54 BlnDSG besteht zudem die Pflicht, mit uns bei der Erfüllung unserer Aufgaben zu- sammenzuarbeiten. Zu unseren Aufgaben gehören gemäߧ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 8 BlnDSG u. a., die Anwendung der Vorschriften über den Datenschutz zu überwachen und durchzusetzen sowie Untersuchungen über die Anwendung der Vorschriften über den Datenschutz durchzuführen. Vorliegend möchten wir gemäß unserem gesetzlichen Auftrag untersuchen, ob die poli- zeiintern durchgeführte POLIKS-Recherche zu allen abgeschlossenen Vorgängen des Jahres 2017 mit der Ereignisbezeichnung „Trickdiebstahl in Wohnung" .mit den Begriffen „Jenische", „Roma", „Sinti" und „Zigeuner" vollständig und nachvollziehbar erfolgt ist. Hierfür benötigen wir die in diesem Zusammenhang erstellte Ergebnisliste sowie den da„ zugehörigen Auswertungsvermerk. Wir bitten um Stellungnahme zu den beans'tandeten Punkten bis zum 13. November 2020. Zudem bitten wir um selbstständige Prüfung der sonstigen polizeilichen Datenbestände auf rechtswidrige Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Ethnie der Sinti und Roma sowie ggfs. um entsprechende Bereinigung dieser Datenbestände. Bitte informieren Sie uns zeitnah über das Ergebnis dieser Überprüfung. Mit freundlichen Grüßen M. Smoltczyk