H-1-LT-u-gA-Kerner_L_geschwrzt.pdf
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „BG Abiturklausuren 2013-2019 SH“
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Themenkorridor 1 Die Poetisierung der Gesellschaft in der Lyrik der Romantik Aufgabenart: Literarischer Text – untersuchend gA Justinus Kerner (1786 – 1862) Wanderung (1826) Wohlauf und froh gewandert Ins unbekannte Land! Zerrissen, ach! zerrissen Ist manches teure Band. 5 10 Ihr heimatlichen Kreuze, Wo ich oft betend lag, Ihr Bäume, ach! ihr Hügel, O blickt mir segnend nach! Noch schläft die weite Erde, Kein Vogel weckt den Hain, Doch bin ich nicht verlassen, Doch bin ich nicht allein: Denn, ach! auf meinem Herzen Trag ich ihr teures Pfand, 15 Ich fühl's, und Erd' und Himmel Sind innig mir verwandt. (72 Wörter) Seite 1 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Text
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Textvorlage Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Carl Herrmann Otto & Co, Berlin 1914, S. 118-119. Erlaubte Hilfsmittel: Rechtschreiblexikon Auswahl- und Lesezeit: 20 Minuten Arbeitszeit: 4 Zeitstunden Aufgabenstellung 1. Untersuchen Sie das Gedicht. 2. Nehmen Sie vor dem Hintergrund des Gedichts begründet Stellung zu der Frage, inwiefern sich das Lebensgefühl der Romantiker auf die heutige Zeit übertragen lässt. Seite 2 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Aufgabenstellung
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Unterrichtliche Voraussetzungen Die Interpretation von literarischen Texten ist Gegenstand aller drei Schuljahre des Deutschunterrichts des Beruflichen Gymnasiums. Speziell am Beispiel der romantischen Lyrik im 1. Themenkorridor erproben die Schülerinnen und Schüler ausführlich an verschiedenen Gedichten dieser Epoche die Vorgehensweise und den Aufbau von Gedichtanalysen. Darüber hinaus haben sie sich mit charakteristischen Elementen der romantischen Poetik sowie mit deren Anwendbarkeit auf konkrete Gedichte auseinandergesetzt. Weiterhin haben sie mehrfach einen Standpunkt zu literarischen und sachlichen Fragestellungen bezogen sowie dessen schriftliche Begründung mit Argumenten entwickelt. Bezug zu den Bildungsstandards – erwartete Schülerleistung – Anforderungsbereiche Aufgabe 1: Untersuchen Sie das Gedicht. Die Schülerinnen und Schüler können Inhalt, Aufbau und sprachliche Gestaltung literarischer Texte analysieren, Sinnzusammenhänge zwischen einzelnen Einheiten dieser Texte herstellen und sie als Geflechte innerer Bezüge und Abhängigkeiten erfassen (Bildungsstandards 2.4.1). Das lyrische Ich wandert in ein unbekanntes Land, wobei es wehmütig an die zurückgelassenen Bindungen und die hinter sich gelassene Landschaft denkt. Obwohl der Tag noch nicht angebrochen ist, fühlt sich das lyrische Ich nicht allein, da es die Verbindung von Irdischem und Überirdischem empfindet. Formal gesehen besteht das Gedicht aus vier Strophen zu je vier Versen, das Metrum ist ein dreihebiger Jambus. Das Reimschema ist ein Kreuzreim, wobei sich der erste und dritte Vers jeder Strophe nicht reimen. Das Gedicht beinhaltet jeweils acht männliche und acht weibliche Kadenzen und mehrere Enjambements. Bereits die Überschrift „Wanderung“ enthält ein typisches Motiv der Romantik, welches in der ersten Strophe weiter ausgeführt wird. Das lyrische Ich ist in positiver Aufbruchsstimmung (V. 1-2) und hat vor, in ein unbekanntes Land zu wandern. Jedoch beklagt es apostrophisch auch die Seite 3 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 metaphorisch zerrissenen Bänder seines vorigen – vermutlich philisterhaften – Lebens (V. 3-4). Auch in Strophe zwei zeigt sich ein positives Bild des zurückgelassenen Lebens des lyrischen Ichs. Die personifizierten Kreuze, Bäume und Hügel, die dem lyrischen Ich „segnend“ nachblicken, bekommen so eine sakrale Bedeutung. Das Bedauern des lyrischen Ichs wird erneut durch Apostrophen verdeutlicht (V. 7-8). In Strophe drei werden erneut Personifikationen (V. 9-10) verwendet, um zu verdeutlichen, dass der Tag noch nicht angebrochen ist, wodurch die Zeit für eine Wanderung aus Sicht eines Romantikers noch zu früh erscheint. Dennoch teilt das lyrische Ich anaphorisch mit, dass es sich nicht allein fühle (V. 11-12), wofür die Begründung in der letzten Strophe folgt. Das metaphorische Pfand, welches auf dem Herzen des lyrischen Ichs liegt, führt dazu, dass sich das lyrische Ich angenommen fühlt (V. 13-14). Die folgenden Verse legen nahe, dass es sich bei diesem Pfand um den Glauben des lyrischen Ichs handelt, da in den letzten beiden Versen (V. 15-16) die Verbindung von Irdischem, Überirdischem und dem lyrischen Ich mittels Personifikation verdeutlicht wird. Die Schülerinnen und Schüler beziehen ihr Wissen über die Epoche der Romantik in die Interpretation mit ein. Typische romantische Motive in diesem Gedicht sind die Sehnsucht, damit verbunden das Zurücklassen des Philisterlebens und der Aufbruch ins Unbekannte, auch zu verstehen als Grenzüberschreitung. Weiterhin wird die Gotteserfahrung in der Natur thematisiert, die dem lyrischen Ich ein Gefühl der Transzendenz und Harmonie gibt, da die eigentlich getrennten Sphären, Erde und Himmel, verbunden werden. Anforderungsbereiche I und II Seite 4 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Aufgabe 2: Nehmen Sie vor dem Hintergrund des Gedichts begründet Stellung zu der Frage, inwiefern sich das Lebensgefühl der Romantiker auf die heutige Zeit übertragen lässt. Die Schülerinnen und Schüler können diachrone und synchrone Zusammenhänge zwischen literarischen Texten ermitteln und Bezüge zu weiteren Kontexten herstellen (Bildungsstandards 2.4.1). Mögliche Aspekte: - Auch heute gibt es noch Menschen, die einen Neuanfang im Leben - wagen, indem sie in ein unbekanntes Land/eine unbekannte Stadt ziehen. Allerdings ist in der heutigen Zeit ein sorgenfreies Leben kaum möglich, ohne einem geregelten Alltag nachzugehen, da der Materialismus die Gesellschaft stärker prägt. Sein bisheriges Leben räumlich zurückzulassen ist dagegen heute - - einfacher, da moderne Kommunikationsmittel dabei helfen, Bindungen aufrecht zu erhalten, die das lyrische Ich durch seinen Aufbruch verliert. Göttliche Erfahrungen werden heute kaum mit der Natur assoziiert, sondern es geht eher um die Erfahrung von Urtümlichkeit und Abenteuer, was auch erklärt, warum heutzutage viele Menschen gerne reisen und so zumindest temporär ihr Alltagsleben hinter sich lassen. Dennoch gibt es auch heute noch viele Menschen, denen der Glaube Halt gibt, so dass sie sich – wie das lyrische Ich – nicht verlassen und allein fühlen. Heutzutage gibt es weniger Menschen, die sich noch die Zeit nehmen, sich der Natur, Fantasie und ihrer Sehnsucht hinzugeben. Andererseits herrscht eine große Begeisterung für Fantastisches (wie z. B. an den Erfolgen von Büchern/Filmen wie „Harry Potter“, „Herr der Ringe“ oder „Der Hobbit“ zu sehen ist), was verdeutlicht, dass auch heute noch der Wunsch nach Entgrenzung – und sei es nur in der Fantasie/in Träumen – bei den Menschen vorhanden ist. Anforderungsbereiche II und III Seite 5 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Bewertungskriterien für die Noten „gut“ und „ausreichend“ Die Note „gut“ verlangt - bei Schwerpunktsetzungen - die differenzierte und kompetente Erfüllung des Erwartungshorizontes, ohne jedoch auf Vollständigkeit im Detail zu drängen. Die sprachlich-stilistische Gestaltung der Arbeit muss flüssig, korrekt sowie verständlich und der Aufbau klar gegliedert sein. Für die Note „ausreichend“ genügt es, wenn unter Anwendung grundlegender Verfahren, Begriffe und Darstellungstechniken, die Fragestellungen und Sachverhalte im Ansatz treffend bearbeitet werden. Die Gedankengänge sollten nachvollziehbar entwickelt und verständlich formuliert sein. Der Aufbau muss erkennbar geordnet, der Stil verständlich und die sprachliche Gestaltung nachvollziehbar sein. Seite 6 von 6 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont