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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „BG Abiturklausuren 2013-2019 SH

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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Themenkorridor 3 Vergangenheit und Gegenwart im Kontext von Literatur und Medien - Günter Grass „Im Krebsgang“ Aufgabenart: Literarischer Text - untersuchend (gA) Informationen zum Auszug des Romans: Hans-Ulrich Treichels Erzählung handelt von dem Schicksal einer Familie, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus den Ostgebieten nach Nordrhein-Westfalen flieht und dort eine neue Existenz aufbaut. Das erste Kind Arnold ist bei der Flucht noch ein Säugling, das zweite Kind, wiederum ein Junge, wird später im Westen geboren. Vorgelegt ist der Beginn der Erzählung. Text Hans Ulrich Treichel (geb. 1952) Der Verlorene (1998) Mein Bruder hockte Seite 1 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Text
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Berufliches Gymnasium Seite 2 von 9 Zentralabitur Deutsch gA 2018 Literarischer Text untersuchend (gA) Text
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 vergifteten Atmosphäre aufgewachsen 90 war. (983 Wörter) Seite 3 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Text
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Textvorlage Treichel, Hans-Ulrich: Der Verlorene. Frankfurt am Main 1998, S. 7-11 und S. 13-17 Die Rechtschreibung folgt der Textvorlage. Erlaubte Hilfsmittel: Rechtschreiblexikon, Günter Grass: Im Krebsgang Auswahl- und Lesezeit: 20 Minuten Arbeitszeit: 4 Zeitstunden Aufgabenstellung 1. Untersuchen Sie die Auszüge aus dem Roman Der Verlorene von Hans- Ulrich Treichel. 2. Vergleichen Sie anhand der Mutterfiguren „Tulla“ aus Grass Novelle Im Krebsgang und der Mutter aus Treichels Roman, wie sich Flucht und Vertreibung auf das jeweilige Mutter-Kind-Verhältnis ausgewirkt haben. Seite 4 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Aufgabenstellung
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Unterrichtliche Voraussetzungen Seit der 11. Jahrgangsstufe werden der Aufbau einer Textanalyse und geeignete Vorgehensweisen zur untersuchenden Textarbeit an literarischen Texten geübt. Das vergleichende Interpretieren literarischer Texte ist in der 12. und 13. Jahrgangsstufe Unterrichtsgegenstand. Weiter setzen sich die Schülerinnen und Schüler ausführlich mit der Novelle Im Krebsgang von G. Grass auseinander, so dass sie zu einer lektüregestützten Auseinandersetzung mit Themen und Konflikten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in der Lage sind. Bezug zu den Bildungsstandards - erwartete Schülerleistung - Anforderungsbereiche Aufgabe 1: Untersuchen Sie die Auszüge aus dem Roman Der Verlorene von Hans-Ulrich Treichel. Die Schülerinnen und Schüler können den inhaltlichen Zusammenhang voraussetzungsreicher Texte sichern und diese Texte terminologisch präzise und sachgerecht zusammenfassen (Bildungsstandards, 2.4.2). Sie entwickeln eine regelkonforme Textanalyse, die eine Zusammenfassung des Textes beinhaltet. Die Erzählung beginnt mit der Beschreibung einer Photographie, die den verlorenen Sohn Arnold auf einer Wolldecke zeigt. Dieses Photo ist von besonderer Bedeutung, da die Mutter regelmäßig zu weinen beginnt, wenn sie es betrachtet. Es ist die einzige Erinnerung der Eltern an ihren ersten Sohn und ist verbunden mit dem Gefühl, auch eine Heimat verloren zu haben. Der Ich-Erzähler ist der jüngere Bruder. Er vergleicht die Qualität der Aufnahmen, die es von ihm gibt, mit dem Bild des glücklichen, aber abwesenden Arnold. Er spürt, dass sein Bruder eine bedeutende Rolle spielt. Beim Betrachten des Fotoalbums ruht der Blick der Mutter lange auf dem einzigen Bild des Erstgeborenen, die Bilder vom jüngeren Sohn werden zügig überblättert, zudem erscheint der Abgebildete hier stets seltsam fragmentarisch. Dies sieht er als Metapher für seine Position in der Familie. Der kleine Bruder des „Verlorenen“ erfährt erst langsam den wirklichen Sachverhalt. Zunächst erzählt ihm die Mutter, der ältere Bruder sei auf der Flucht verhungert. Später erfährt er, dass Arnold lebt und einer fremden Seite 5 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Frau in die Arme gelegt worden sei, als die Russen die Eltern aus dem Konvoi herausgeholt haben. In der Textanalyse stellen die Schülerinnen und Schüler die für die Deutung relevanten formalen Besonderheiten des Textes dar. Sie analysieren die sprachlichen Besonderheiten und stellen Verbindungen zu möglichen Intentionen des Textes her. Die Erzählung wird aus der Sicht des zweitgeborenen Kindes erzählt. Aus dieser Perspektive werden die Erlebnisse des Kindes, dessen Gedanken und Gefühle geschildert. Mithilfe des inneren Monologes versucht der Ich- Erzähler das Handeln seiner ihn umgebenden Menschen nachzuvollziehen und sucht nach den Bedingungen der eigenen Existenz. Aus einer gewissen Distanz zum Geschehen und sich selbst wird die Geschichte um den verlorenen Bruder erzählt. Der Stil ist dabei eher sachlich. Der Ich-Erzähler übernimmt die Rolle des Beobachters und Wahrheitssuchenden, der über das Schicksal der Familie erfahren und aufklären möchte. Er erscheint unparteiisch, da er nicht versucht, die Leserschaft auf seine Seite zu ziehen. Als besonderes sprachliches Stilmittel lässt sich Ironie erkennen. Dies wird deutlich, wenn der Ich-Erzähler z. B. von der eigenen Präsenz im Fotoalbum der Familie im Gegensatz zu der Präsenz des verlorenen Bruders berichtet. Diese Ironie entsteht durch die Diskrepanz zwischen kindlicher Perspektive bezüglich der Erlebnisse und der erwachsenen Sicht darauf. Die Mutter konzentriert ihren Bericht auf die Konfrontation mit einer Gruppe bewaffneter, russischer Soldaten und verwendet dabei sprachliche Verallgemeinerungen wie z. B. „die Russen“, die eine differenzierte Beurteilung des Geschehens bzw. der am Geschehen Beteiligten ausschließt. Wiederholungen auf der Wortebene wie z. B. „das Schreckliche“, wobei das Wort als Umschreibung für unterschiedliche Taten der Russen verwendet wird, wie z. B. die befürchtete Ermordung und Vergewaltigung der Eltern des Ich-Erzählers, können als Zeichen der Sprachlosigkeit, Unbeschreiblichkeit dessen, was ihnen widerfahren ist, interpretiert werden. Anforderungsbereiche I und II Seite 6 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Aufgabe 2: Vergleichen Sie anhand der Mutterfiguren „Tulla“ aus Grass Novelle Im Krebsgang und der Mutter aus Treichels Roman, wie sich Flucht und Vertreibung auf das jeweilige Mutter-Kind-Verhältnis ausgewirkt haben. Die Schülerinnen und Schüler können eigenständig ein Textverständnis formulieren, in das sie persönliche Leseerfahrungen und alternative Lesarten des Textes einbeziehen und auf der Basis eigener Analyseergebnisse begründen (Bildungsstandards, 2.4.1). Für die Schülerinnen und Schüler kann es ein mögliches Vorgehen sein, zunächst einmal die Parallelen und Unterschiede der beiden Figuren zu ermitteln, um dann in einem abschließenden Fazit ihre Analyseergebnisse abzusichern und kritisch die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung auf den Menschen zu bewerten. Parallelen: Tulla Pokriefke und Paul Die Mutter und zweitgeborener Sohn • Flucht vor den Russen auf der „Wilhelm Gustloff“ (Flüchtlingsschiff) und Entbindung des Sohnes Paul im Jahr 1945 • Flucht vor den Russen in einem Flüchtlingstreck mit Mann und Baby im Jahr 1945 • lebt als „Ewiggestrige“ in ihren Erinnerungen an die Schicksalsnacht auf dem sinkenden Flüchtlingsschiff • erinnert sich sehr detailliert an die Flucht im Flüchtlingstreck, die Vergewaltigung durch einen Russen und die Weggabe ihres Sohnes aus Angst, dass dieser von den Russen getötet werden könnte • sieht in ihrem Sohn Paul einen Versager, da er es nicht geschafft hat, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben und vernachlässigt ihn, • sieht in ihrem zweitgeborenen Sohn nur ein Abbild ihres verlorenen Sohnes, • bemerkt nicht, dass sie dabei die Bedürfnisse des zweiten Sohnes vernachlässigt • ist fixiert auf ihren auf der Flucht verlorengegangenen • ist fixiert auf den Enkel, der ihre Erinnerungen an die Flucht verkündet Seite 7 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Sohn • Geschehnisse sind unaussprechlich (vgl. S. 136) • Sprachlosigkeit und Verschweigen bzw. Nichtaussprechen von Fakten Zwischenfazit: Beide Figuren können die schicksalshaften Erlebnisse der Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht loslassen und leben in der Vergangenheit. Sie stecken dabei beide ihre Energie in Projekte, die diese Vergangenheit betreffen. Tulla sieht in ihrem Enkel den Verkünder ihrer Lebensgeschichte. Die Mutter aus Treichels Roman gibt die Hoffnung nicht auf, ihren auf der Flucht verlorengegangenen Sohn wiederzufinden. Unterschiede: Tulla Pokriefke Die Mutter • starke und selbstbewusste Frau („zähes Miststück“, S. 19) • depressiv, labil • verklärt die Vergangenheit • zeichnet Geschehnisse ihrer Wirklichkeit entsprechend nach • erzählt offen ihre Geschichte • verschweigt ihre Geschichte bis auf wenige Momente der Aufklärung • selbstgerecht, wenig selbstreflektiert • empfindet Scham und Schuld, selbstreflektiert • auf den Enkel konzentriert, Konny ist ihre große Hoffnung • setzt ihre Hoffnung in die Suche nach ihrem erstgeborenen Sohn Zwischenfazit: Beide Protagonistinnen können ihre Kriegs- und Fluchterlebnisse nicht vergessen, was sich jedoch unterschiedlich äußert: Zum einen in Tullas Antrieb, dass ihre Lebensgeschichte der Nachwelt zugänglich gemacht wird, zum anderen, dass Treichels „Mutter“ das Phantom des Sohnes begleitet und ihr Leben beherrscht. Seite 8 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium Zentralabitur Deutsch gA 2018 Fazit: In beiden Werken werden deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs dargestellt, d.h. ihnen wird eine Opferrolle zugebilligt. Es herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit über das, was den Opfern widerfahren ist. Diese Sprachlosigkeit kann durch Scham- und Schuldgefühle bedingt sein, aber auch Ausdruck für eine Art Unfassbarkeit dessen, was passiert ist, sein. Die Geschehnisse bleiben ein Leben lang existent und wirken sich dabei auf nachfolgende Generationen aus. Anforderungsbereiche II und III Bewertungskriterien für die Noten „gut“ und „ausreichend“ Die Note „gut“ verlangt - bei Schwerpunktsetzung - die differenzierte und kompetente Erfüllung des Erwartungshorizontes, ohne dass dieser vollständig erfüllt zu sein braucht. In der untersuchenden Auseinandersetzung wird die methodische Kompetenz überzeugend nachgewiesen. Die Bearbeitung der zweiten Aufgabe gewährt den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu einer eigenen Schwerpunktsetzung, der bei der Beurteilung Rechnung zu tragen ist. Die sprachlich-stilistische Gestaltung der Arbeit muss flüssig, korrekt sowie verständlich und der Aufbau klar gegliedert sein. Für die Note „ausreichend“ genügt es, wenn die Schülerinnen und Schüler den Inhalt des Textes von Treichel grundlegend richtig erfassen und wiedergeben und eine untersuchende Auseinandersetzung mit dem Thema in den Grundzügen geleistet wird. Die Gedankengänge sollen nachvollziehbar entwickelt und verständlich formuliert sein. Der Aufbau muss erkennbar geordnet, der Stil verständlich und die sprachliche Gestaltung weitgehend fehlerfrei sein. Seite 9 von 9 Literarischer Text untersuchend (gA) Erwartungshorizont
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