Bundeskanzleramt: 1977-09-08 Besprechungsprotokoll Kleine Runde zur Schleyer-Entführung
Antrag nach dem IFG
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der GEO-Epoche Ausgabe Nr. 72 „Rote Armee Fraktion – Deutschland und der Terrorismus“ findet sich der Artikel „Der Deutsche Herbst: Die Schleyer-Entführung“ von Cay Rademacher. Im Artikel wird auf S. 111 das Besprechungsformat Kleine Lage erwähnt, in dem der Bundeskanzler am Abend des 8.9.1977 im Bundeskanzleramt zu Bonn darum bittet „'das Undenkbare zu denken', verlangt 'exotische Vorschläge' wie die Regierung gegen die RAF gewinnen könne.“ Laut dem Artikel verzeichnet das Besprechungsprotokoll neun Modelle, darunter ein Täuschungsmanöver, Repressalien gegen Angehörigen von gefangenen RAF-Terrorristen, Internierungslager sowie die Todesstrafe für Inhaftierte der RAF. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 IFG i.V.m. § 8 Abs. 3 EGovG beantrage ich mir das Protokoll der Kleinen Lage vom Abend des 08.09.1977 zu übermitteln. In Anlehnung an die Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 erkläre ich mich in den Fällen, in denen Ausnahmetatbestände nach §§ 3-6 IFG berührt sind, mit einer Unkenntlichmachung diesbezüglicher Informationen einverstanden.
Dies ist ein Antrag auf Aktenauskunft nach § 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG). Ausschlussgründe liegen meines Erachtens nicht vor.
Meines Erachtens handelt es sich um eine einfache Auskunft. Gebühren fallen somit nach § 10 IFG bzw. den anderen Vorschriften nicht an. Sollte die Aktenauskunft Ihres Erachtens gebührenpflichtig sein, möchte ich Sie bitten, mir dies vorab mitzuteilen und dabei die Höhe der Kosten anzugeben.
Ich verweise auf § 7 Abs. 5 IFG und bitte Sie, mir die erbetenen Informationen so schnell wie möglich, spätestens nach Ablauf eines Monats zugänglich zu machen. Sollten Sie für diesen Antrag nicht zuständig sein, bitte ich Sie, ihn an die zuständige Behörde weiterzuleiten und mich darüber zu unterrichten.
Ich bitte Sie um eine Antwort in elektronischer Form (E-Mail) gemäß § 8 EGovG. Eine Antwort an meine persönliche E-Mail-Adresse bei meinem Telekommunikationsanbieter FragDenStaat.de stellt keine öffentliche Bekanntgabe des Verwaltungsaktes nach § 41 VwVfG dar.
Ich behalte mir vor, nach Eingang Ihrer Auskünfte gegebenfalls um weitere ergänzende Auskünfte nachzusuchen.
Ich möchte Sie um eine Empfangsbestätigung bitten und danke Ihnen für Ihre Mühe!
Mit freundlichen Grüßen,
Ergebnis der Anfrage
Zusammenfassung per 2016-07-21:
Der Zugang zum das Protokoll der Kleinen Lage vom Abend des 08.09.1977 kann nicht gewährt werden, da jeweils mindestens ein Versagungsgrund im Sinne des Bundesarchivgesetzes (BarchG) vorliegt. Im Einzelnen:
Der Zugang zu dem von Ihnen angefragten Protokoll des sog. „großen politischen Beraterkreises“, der sog. „Kleinen Lage“ zur Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansamaschine „Landshut“ steht § 5 Abs. 6 Nr. 1, NR. 5 BArchG entgegen.
Das Protokoll ist gemäß § 4 SÜG und §§ 8,9 VSA der Verschlussanweisung (VSA) als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad „VS-Geheim“ eingestuft. Die materielle Geheimhaltungsbedürftigkeit besteht fort.
Diese Entscheidung des Bundeskanzleramts wurde bereits in einem vorangegangenen Verfahren gerichtlich bestätigt (vgl. BverwG, Beschluss vom 07.08.2013, -20 F 9.12-).
Zitate aus dem Beschluss 20 F 9.12 des Bundesverwaltungsgericht 07.08.2013 (Link: http://www.bverwg.de/entscheidungen/ent…):
Randnummer 12: Einer Offenlegung steht entgegen, dass die Beratungsrunden (Großer Krisenstab und Kleine Lage), die im Herbst 1977 vom Bundeskanzler zur Bewältigung der außergewöhnlichen Krisensituation aus Anlass der Entführung von Hanns Martin Schleyer einberufen worden waren, auch heute noch dem Schutz der Vertraulichkeit unterliegen. Die Vertraulichkeit der Beratungen erschöpft sich nicht darin, in der damaligen Situation zu verhindern, dass mögliche Reaktionen des Staates für Terroristen kalkulierbar würden. In einer für die innere Sicherheit geradezu existentiellen Ausnahmesituation ist mit dem Großen Krisenstab und der Kleinen Lage eine auch parteiübergreifende Beratung und Koordination praktiziert worden, die unverbrüchliche Vertraulichkeit voraussetzt. Denn in solchen Situationen ist es von besonderer Bedeutung, dass sich die Mitglieder bei ihren Erwägungen frei fühlen. Zu Recht weist das Bundeskanzleramt darauf hin, dass fortdauernde Vertraulichkeit von entscheidender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Beratung ist. Die Eigenart des Schutzes gegen lebensbedrohende terroristische Erpressungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die gebotenen Maßnahmen der Vielfalt singulärer Lagen angepasst sein müssen. Die zuständigen staatlichen Organe müssen in der Lage sein, auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles angemessen zu reagieren (BVerfG, Urteil vom 16. Oktober 1977 - 1 BvQ 5/77 - BVerfGE 46, 160 <164>). Alle Handlungsoptionen des Staates müssen ausgelotet werden. Es liegt auf der Hand, dass dabei auch rechtliche Grauzonen beleuchtet werden müssen. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Mitglieder der Beratungsrunden unter einem extrem hohen politischen, aber auch menschlich-emotionalen Druck standen. Auch aus diesem Grund bedarf es der Gewissheit, dass Äußerungen und Erwägungen zur Bandbreite möglicher Reaktionen nicht nur während der Ereignisse einer öffentlichen Diskussion entzogen sind. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine Zurückhaltung geübt würde, die dem Sinn und Zweck effektiver Beratung im Krisenstab widerspräche. Dabei muss grundsätzlich von der Möglichkeit ausgegangen werden, dass geschützte Beratungen wegen des Wissens um eine nach Abschluss der Arbeit erfolgende Offenlegung der einzelnen Beiträge und Meinungsbekundungen im Beratungsprozess beeinträchtigt werden können (Beschluss vom 18. Juli 2011 – BverwG 7 B 14.11 - Buchholz 400 IFG Nr. 5 Rn. 5 zu § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG). Das Wissen um eine spätere Publizität kann sich zudem negativ auf die Bereitschaft zur Mitarbeit in künftigen Ausnahmesituationen auswirken. Das gilt jedenfalls für die Personen, deren Einbindung nicht aus Zuständigkeit und Amtsaufgabe folgt, sondern der Herstellung einer parteiübergreifenden Koordination und Abstimmung dient, was in einer staatspolitischen Krisensituation von herausragender Bedeutung ist. Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz gegen lebensbedrohende terroristische Erpressungen des Staates, die von einem parteiübergreifenden Gesamtkonsens getragen sind, können jedenfalls zu einer gewissen Befriedung und Akzeptanz beitragen. Dass eine solche staatspolitische Krisensituation äußerst selten ist, ändert nichts daran, dass sie eintreten kann, es also nicht lediglich um die bloße Möglichkeit eines Nachteils geht (vgl. dazu Beschluss vom 19. April 2010 – BverwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58). Insofern ist unerheblich, dass seit den Ereignissen im Herbst 1977 mehr als 35 Jahre vergangen sind. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit hat sich durch den zeitlichen Ablauf nicht vermindert (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE 5/06 - BVerfGE 124, 161 <194>).
Randnummer 18: [...] Die Vertraulichkeit der Beratungen umfasst nicht nur die Beratung selbst, also den Austausch bei der Zusammenkunft, sondern auch Gespräche, die Mitglieder des Krisenstabs zur Umsetzung der Beratungen und Abklärung des weiteren Vorgehens geführt haben. Denn solche Gespräche geben zugleich Auskunft über den Stand der Beratungen. Soll ein Krisenstab effektiv arbeiten, müssen sich die Beteiligten darauf verlassen können, dass ihnen Äußerungen, die sie gleichsam im Auftrag des Krisenstabs getätigt haben und die der besonderen Ausnahmesituation geschuldet sind, nicht zu einem späteren Zeitpunkt entgegen gehalten werden. Dabei kommt es hier nicht auch darauf an, ob sich das Gespräch nach Inhalt oder Form für eine aus dem Zusammenhang gerissene Entstellung und Verfremdung eignet.
Anfrage erfolgreich
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Datum13. August 2015
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15. September 2015
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