Bundessozialministerium: Mehrkosten durch Wahlfreiheit der Wohnform gemäß Artikel 19 lit. a UN-Behindertenrechtskonvention
Antrag nach dem IFG
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach Artikel 19 lit. a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gewährleisten die Vertragsstaaten der UN-BRK, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Im Zuge der Beratungen zum Bundesteilhabegesetz machte der Bundesrat zum Kostenvergleich in § 104 Absatz 2 SGB-E folgenden Regelungsvorschlag: „Dabei ist im Sinne einer inklusiven Leistungsgestaltung zu berücksichtigen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben sollen, gleichberechtigt mit Anderen ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“ Der Bundesrat verwies darauf, dass durch den Wegfall der Begrifflichkeit der stationären Einrichtung für die Leistungen der Eingliederungshilfe auch der Vorrang der ambulanten Leistung vor der teil- und der stationären Leistung entfallen sei. Künftig sei deshalb die Wahlfreiheit in Bezug auf die gewünschte Wohnform im Rahmen berechtigter Wünsche gesetzlich sicherzustellen. (vgl. 2016-10-12 Bundestagsdrucksache 18/9954 - Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz ‒ BTHG) ‒ Drucksache 18/9522: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 22-23; Link: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/099/1809954.pdf). Die Bundesregierung erwiderte in ihrer Gegenäußerung (vgl. 2016-10-12 Bundestagsdrucksache 18/9954, S. 66), dass die besondere Regelung zur freien Wahl des Aufenthaltsortes mit erheblichen Mehrkosten verbunden wäre. Frage: Wie hoch sind die erheblichen Mehrkosten zur gesetzlichen Regelung der freien Wahl des Aufenthaltsortes gemäß Artikel 19 lit. a UN-BRK? Danke im Voraus.
Allgemeines:
Dies ist ein Antrag auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG). Ausschlussgründe liegen meines Erachtens nicht vor.
Sollte der Informationszugang Ihres Erachtens gebührenpflichtig sein, möchte ich Sie bitten, mir dies vorab mitzuteilen und detailliert die zu erwartenden Kosten aufzuschlüsseln. Meines Erachtens handelt es sich um eine einfache Auskunft. Gebühren fallen somit nach § 10 IFG bzw. den anderen Vorschriften nicht an.
Ich verweise auf § 7 Abs. 5 IFG und bitte Sie, mir die erbetenen Informationen so schnell wie möglich, spätestens nach Ablauf eines Monats zugänglich zu machen. Sollten Sie für diesen Antrag nicht zuständig sein, bitte ich Sie, ihn an die zuständige Behörde weiterzuleiten und mich darüber zu unterrichten. Ich bitte Sie um eine Antwort in elektronischer Form (E-Mail) gemäß § 8 EGovG.
Ich möchte Sie um eine Empfangsbestätigung bitten und danke Ihnen für Ihre Mühe!
Mit freundlichen Grüßen,
Ergebnis der Anfrage
Zusammenfassung per 2017-06-26:
Ausgangsfrage per 2016-11-30:
nach Artikel 19 lit. a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gewährleisten die Vertragsstaaten der UN-BRK, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Im Zuge der Beratungen zum Bundesteilhabegesetz machte der Bundesrat zum Kostenvergleich in § 104 Absatz 2 SGB-E folgenden Regelungsvorschlag: „Dabei ist im Sinne einer inklusiven Leistungsgestaltung zu berücksichtigen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben sollen, gleichberechtigt mit Anderen ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“ Der Bundesrat verwies darauf, dass durch den Wegfall der Begrifflichkeit der stationären Einrichtung für die Leistungen der Eingliederungshilfe auch der Vorrang der ambulanten Leistung vor der teil- und der stationären Leistung entfallen sei. Künftig sei deshalb die Wahlfreiheit in Bezug auf die gewünschte Wohnform im Rahmen berechtigter Wünsche gesetzlich sicherzustellen. (vgl. 2016-10-12 Bundestagsdrucksache 18/9954 - Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz ‒ BTHG) ‒ Drucksache 18/9522: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 22-23; Link: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/…). Die Bundesregierung erwiderte in ihrer Gegenäußerung (vgl. 2016-10-12 Bundestagsdrucksache 18/9954, S. 66), dass die besondere Regelung zur freien Wahl des Aufenthaltsortes mit erheblichen Mehrkosten verbunden wäre. Frage: Wie hoch sind die erheblichen Mehrkosten zur gesetzlichen Regelung der freien Wahl des Aufenthaltsortes gemäß Artikel 19 lit. a UN-BRK?
2016-12-07 BMAS Antwort (gekürzt):
Die Gegenäußerung der Bundesregierung enhält den von Ihnen angesprochenen allgemeinen Mehrkostenhinweis. Diesem allgemeinen Hinweis liegen jedoch keine eigenen Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zugrunde. In der Sache geht es dabei nicht in erster Linie um die reinen Wohnkosten. Durch die künftige rechtliche Trennung von Fachleistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernden Leistungen (z.B. Grundsicherung) wird sichergestellt, dass Wohnkosten in Einrichtungen nicht anders behandelt werden als Wohnkosten in einer eigenen Wohnung. Statt dessen geht es bei der Kostenfrage um die Erbringung von Leistungen der Assistenz, die außerhalb von Einrichtungen höher sein können als in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe. Die Frage der Abwägung zwischen den Kosten für die Wahl der Wohnform und den Wünschen der leistungsberechtigten Menschen war ein häufig diskutierter Punkt [...]. Im parlamentarischen Verfahren wurde im Bundestag am 1. Dezember 2016 eine Änderung von § 104 SGB IX (Artikel 1 des Bundesteilhabegesetzentwurfs) beschlossen, nach der dem Wohnen außerhalb besonderer Wohnformen der Vorzug zu geben ist, wenn nach der Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung für die leistungsberechtigte Person das Wohnen in und außerhalb von besonderen Wohnformen gleichermaßen in Betracht kommt. Gleichzeitig erfolgt bei Assistenzleistungen, die im engen Zusammenhang mit dem Wohnen stehen und damit die Privatsphäre betreffen, keine gemeinsame Inanspruchnahme zusammen mit anderen Personen, wenn die Leistungsberechtigten dies so wünschen. Die mit diesem konkreten Regelungsvorschlag einhergehenden Mehrkosten wurden berechnet. Danach betragen die Mehrausgaben der im Bundestag beschlossenen Änderung in § 104 SGB IX für die Träger der Eingliederungshilfe jährlich 3,6 Millionen Euro. Diese Informationen finden Sie auch in der Bundestags-Drucksache 18/10523 (Beschlussempfehlung und Bericht, Seite 59) […].
2016-12-09 Anschlussfrage Antragsteller (gekürzt):
Der Bundesrat schlug in § 104 Absatz 1 SGB IX-E vor einen Satz anzuhängen, wonach inklusive Leistungen außerhalb von besonderen Wohnformen nach Artikel 19 UN-BRK Vorrang haben. Der Bundesrat begründete dies wie folgt: "Die Ergänzung entspricht dem Vorrang ambulanter Leistungen außerhalb von Einrichtungen nach § 9 Absatz 2 und § 13 Absatz 1 SGB XII auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention und regelt diesen Vorrang auch für Teil 2 des SGB IX-E. Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Schaffung inklusiver Angebote außerhalb von und alternativ zu Sondereinrichtungen, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderungen versorgt werden. Leistungen der Eingliederungshilfe, die ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung und inklusiv ausgerichteten Wohnangeboten für Menschen mit und ohne Behinderungen im Quartier, in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes einschließlich der Inklusionsbetriebe sowie gemeinsame Freizeit-, Ehrenamts- und Bildungsaktivitäten von Menschen mit und ohne Behinderungen ermöglichen, haben entsprechend der Wünsche der leistungsberechtigten Personen Vorrang vor der Leistungserbringung in stationären und teilstationären Einrichtungen." (vgl. 2016-10-12 Bundestagsdrucksache 18/9954 - Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz ‒ BTHG) ‒ Drucksache 18/9522: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 22; [...]). Die Bundesregierung erwähnte auf S. 66 der gerade genannten Gegenäußerung der Bundesregierung: "Das mit dem Vorschlag verfolgte Anliegen des Bundesrates, eine Verpflichtung zum Leben in besonderen Wohnformen zu vermeiden, wird geteilt. Die Bundesregierung prüft, wie dieses Ziel erreicht werden kann." Was ist das Prüfergebnis der Bundesregierung und wie sieht es aus d.h. welche Gesetzesformulierung schlägt die Bundesregierung vor?"
2017-06-23 Anschlussfrage Antragsteller (gekürzt):
Das Ergebnis der Prüfung hat bereits Eingang in die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Regelung des § 104 SGB IX-neu gefunden. Die Etablierung des Vorrangs von Leistungen außerhalb von besonderen Wohnformen - wie vom Bundesrat vorgeschlagen - entspricht nicht dem Verständnis der UN-BRK, wonach Menschen mit Behinderungen selber wählen und entscheiden, wo, wie und mit wem sie leben. Um dem Verständnis der UN-BRK Rechnung zu tragen, wurde daher eine Formulierung gewählt, welche die Wohnform als elementaren Lebensraum an verschiedenen Stellen des § 104 SGB IX-neu besonders hervorhebt:
- Mit der Ergänzung des § 104 Abs. 1 SGB IX-neu wird unterstrichen, dass bei der Summe aller bei der Würdigung des Einzelfalls zu berücksichtigenden Umstände auch die Wohnform eine Rolle spielt.
- Weiterhin greift § 104 Abs. 3 SGB IX-neu explizit die Wohnform auf. Dort ist zum einen geregelt, dass auch die gewünschte Wohnform im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung angemessen zu berücksichtigen ist. Zudem wird dem Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen eine besondere Bedeutung beigemessen. Im Lichte der UN-BRK sollen inklusive Angebote geschaffen werden, in denen Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung und inklusiv ausgerichteten Wohnangeboten für Menschen mit und ohne Behinderungen im Quartier führen können. Daher ist dem Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen der Vorzug zu geben, wenn im Rahmen der Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung das Wohnen in und außerhalb von besonderen Wohnformen gleich bewertet wird und der Leistungsberechtigte dies wünscht. Flankierend enthält § 104 Abs. 3 SGB IX-neu in Satz 4 eine Regelung, wonach den Wünschen der leistungsberechtigten Person auch bei der gemeinsamen Inanspruchnahme eine besondere Bedeutung zugemessen wird, soweit diese in einem engen Zusammenhang mit dem Wohnen steht und es um die Privatsphäre der leistungsberechtigen Person geht. Dies betrifft Assistenzleistungen im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung.
Abschließender Hinweis auf § 104 SGB IX - Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles ab 01.01.2020 in der Fassung des Bundesteilhabegesetzes (vgl. S. 32 von BMAS BTHG-Bekanntmachung gemäß 2016-12-29 Bundesgesetzblatt: Link: https://www.bmas.de/SharedDocs/Download…)
(1) Die Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmen sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln; dabei ist auch die Wohnform zu würdigen. Sie werden so lange geleistet, wie die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplanes (§ 121) erreichbar sind.
(2) Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen,
soweit sie angemessen sind. Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen,
1. wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt und
2. wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann.
(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 2 ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform angemessen zu berücksichtigen. Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird. Soweit die leistungsberechtigte Person dies wünscht, sind in diesem Fall die im Zusammenhang mit dem Wohnen stehenden Assistenzleistungen nach § 113 Absatz 2 Nummer 2 im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung nicht gemeinsam zu erbringen nach § 116 Absatz 2 Nummer 1. Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.
(4) Auf Wunsch der Leistungsberechtigten sollen die Leistungen der Eingliederungshilfe von einem Leistungsanbieter erbracht werden, der die Betreuung durch Geistliche ihres Bekenntnisses ermöglicht.
(5) Leistungen der Eingliederungshilfe für Leistungsberechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland können auch im Ausland erbracht werden, wenn dies im Interesse der Aufgabe der Eingliederungshilfe geboten ist, die Dauer der Leistungen durch den Auslandsaufenthalt nicht wesentlich verlängert wird und keine unvertretbaren Mehraufwendungen entstehen.
Anfrage erfolgreich
-
Datum30. November 2016
-
3. Januar 2017
-
0 Follower:innen
Ein Zeichen für Informationsfreiheit setzen
FragDenStaat ist ein gemeinnütziges Projekt und durch Spenden finanziert. Nur mit Ihrer Unterstützung können wir die Plattform zur Verfügung stellen und für unsere Nutzer:innen weiterentwickeln. Setzen Sie sich mit uns für Informationsfreiheit ein!