Anlage2_SchreibenParlStsvom24.April2017.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Christian Pfeiffer Dunkelfeld-Studie Missbrauch

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AR Bundesministerium
der Verteidigung

-1880003-V98- Markus Grübel
Parlamentarischer Staatssekretär
Bundesministerium der Verteidigung. 11055 Berlin Mitglied des Deutschen Bundestages
Vorsitzenden HAUSANSCHRIFT Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin
Ay POSTANSCHRIFT 11055 Berlin
des Verteidigungsausschusses
des Deutschen Bundestages m = En De
. FAX =
>. v ee MdB ea BMVgBueroParlStsGruebel@BMVg.Bund.de
11011 Berlin

( nachrichtlich:

Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
Herrn Dr. Hans-Peter Bartels

Platz der Republik 1

11011 Berlin

Berlin, 4. April 2017

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Sie baten im Nachgang der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses am
29. März 2017 um ergänzende Informationen zur Analyse der Inneren Lage Bun-
j deswehr und zu Zahlen, die von der "Süddeutschen Zeitung" am 29. März 2017 in

diesem Zusammenhang veröffentlicht wurden.

Vorangestellt sei angemerkt, dass die im Zeitungsartikel genannten Zahlen keinem
zweiten Bericht des BMVg entstammen, wie der Artikel vermuten lassen könnte. Zah-
len und Statistiken, soweit hier vorhanden, sind abgeleitet aus Datenbestandserhe-
bungen im Meldesystem zur Inneren und Sozialen Lage der Bundeswehr durch das
Zentrum Innere Führung und das im BMvVg fachlich zuständige Referat. Sie dienten
der im BMVg ad hoc eingerichteten Projektgruppe als erster Schritt, sich der komple-
xen Aufarbeitung der Fragen zur Inneren Lage der Bundeswehr zu nähern. Im Be-

richt des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Inneren Lage der Bundeswehr
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vom 27. März 2017 wurde im Folgenden bewusst auf quantitative Angaben zu Mel-
dungen bzw. Verdachtsfällen verzichtet, da die Untersuchung der Projektgruppe sehr
schnell ergab, dass das bisherige Meldewesen zur Inneren und Sozialen Lage der
Bundeswehr (ISoLaBw) praktische Defizite aufweist und kein hinreichend kohären-

tes, statistisch verwertbares Zahlenmaterial bereitstellt.

Die Aussagefähigkeit dieser Zahlen ist sehr gering, die Fehlerwahrscheinlichkeit hin-
gegen hoch, da ausschließlich Verdachtsfälle berücksichtigt wurden, nicht aber die
zugehörigen Aufklärungsquoten oder Ermittlungsergebnisse, respektive eine diszipli-
nare und/oder strafrechtliche Würdigung. Zudem verfügen wir nach wie vor über kei-
nerlei begründete Einschätzung, wie viele Verdachtsfälle erst gar nicht gemeldet
worden sind (Dunkelfeld). Vor allem qualitativ enthält das zugrunde liegende Zah-
lenwerk erhebliche statistische Unzulänglichkeiten. Zum einen hat die Meldekatego-
rie "Sexuelle Belästigung oder Benachteiligung“ (gem. 88 1,7 AGG, 88 1,7 SoldGG)
eine hohe Bandbreite (statistische Varianz). Sie reicht z.B. von der Übermittlung an-
züglicher Fotos mittels Smartphone bis zur vollzogenen Vergewaltigung. Belastbare
Aussagen zur Schwere und Relevanz eines Verdachtsfalls können aber erst nach
Abschluss aller Ermittlungen durch die zuständige Staats- und Wehrdisziplinaran-

waltschaft getroffen werden.

Verdachtsfälle von Mobbing, verstanden als ein Eingriff in das verfassungsrechtlich
geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und als Angriff auf das Recht auf körper-
liche und seelische Unversehrtheit, lassen sich statistisch bisher nach den herge-
brachten Meldekategorien kaum zuverlässig erfassen. Hier ist der Rückgriff auf all-
gemeine Rechtsnormen erforderlich. Zudem existiert im Meldewesen der Bundes-

wehr bislang keine entsprechende Meldekategorie.

Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass die Fallzahlen, die der Analyse der Inne-
ren Lage der Bundeswehr zugrunde liegen und auf die sich der Artikel der "Süddeut-
schen Zeitung" bezieht, bislang keine belastbaren Schlussfolgerungen erlauben. Sie
bedürfen der vertiefenden Überprüfung und Einordnung hinsichtlich Validität, Reprä-
sentativität und Reliabilität. Die insoweit zur Analyse durch die ad hoc Projektgruppe

zur Inneren Lage der Bundeswehr herangezogenen zu relativierenden und einer wei-
teren Überprüfung zu unterziehenden Anfangsdaten lassen sich wie folgt zusammen-

fassen:
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Insgesamt hat die Abteilung Führung Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidi-
gung im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 15. Februar 2017 etwa 7.800 Gesamtmeldun-
gen zur ISoLaBw analysiert. Die Bandbreite der Fälle reicht von Lebensrettungs-
oder Hilfsaktionen über Förmliche Anerkennungen bis zum Verdacht auf Straftaten _
wie Vergewaltigung oder Mord. Diese 7.800 Gesamtmeldungen gliedern sich in
3.600 Erstmeldungen und 4.200 Wiederholungsmeldungen (Zwischen- oder Ab-

schlussmeldungen zu zuvor gemeldeten Sachverhalten).

Bei 3.100 Erstmeldungen wurde eine Relevanz zur Inneren Lage — von der eigen-
mächtigen Abwesenheit bis zur vollzogenen Vergewaltigung - festgestellt.

500 Meldungen ohne Relevanz in Bezug zur laufenden Untersuchung — von der
förmlichen Anerkennung über den natürlichen Tod bis zur Meldung von Kampfhand-

lungen in Einsatzgebieten der Bundeswehr — wurden nicht weiter betrachtet.

Etwa 230 der 3.100 Erstmeldungen sind als Verdachtsfälle auf sexuelle Belästigung
oder Benachteiligung (88 1,7 AGG, 88 1,7 SoldGG) bzw. Verdachtsfälle auf Strafta-
ten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (88 174-184g und 8142 Abs. 4 StGB) von

oder an Bundeswehrangehörigen einzuordnen.

Im Bewusstsein der nicht überprüfbaren Validität und Reliabilität dieser Statistik zielte
der Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 27. März 2017 als zentrale
Voraussetzung für ein ganzheitliches und aussagekräftiges Lagebild auf die nachfol-

genden notwendigen Schritte ab:

1. die grundlegende Überprüfung des Meldewesens (Meldewege und -
verfahren),

2. der Aufbau einer gemeinsamen und validen elektronischen Datenbank „Innere
Lage Bundeswehr“ sowie

3. das Herstellen einer belastbaren Analysefähigkeit im BMVg, in Verbindung mit
der Einrichtung eines neu zu schaffenden Referates als Schwerpunktreferat

Dieses neue Referat FüSK Ill 7 hat sein Arbeit mit einem Kernteam am

24. April 2017 aufgenommen.
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Zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Meldewesens bauen wir einerseits auf
bundeswehrinterne Kompetenz, andererseits greifen wir auf den externen wissen-
schaftlichen Sachverstand von Herrn Prof. Dr. Pfeiffer, dem ehemaligen Leiter des

Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Zurück.

Prof. Dr. Pfeiffer wird in den kommenden Monaten eine bundeswehrweite Studie er-
stellen, mit der wir das Dunkelfeld in den Bereichen „Sexuelle Übergriffe, Rohheits-
delikte und Mobbing in der Bundeswehr“ aufhellen wollen. Dazu stellt er ein Team
zusammen, bestehend aus drei Wissenschaftlern, einem juristischen und einem so-
zialwissenschaftlichen Doktoranden sowie weiteren wissenschaftlichen Mitarbeitern.
Prof. Dr. Pfeiffer und sein Team werden unterstützt durch die Universität Göttingen.
Eine Projektskizze der beabsichtigten empirischen Untersuchung finden Sie in der
Anlage. Der bisherige Zeitplan des Forschungsvorhabens sieht vor, dass die Unter-
suchung möglichst Anfang Juni 2017 beginnt. Der abschließende Forschungsbericht

soll spätestens nach 18 bis 24 Monaten vorgelegt werden.

Die Bundeswehr erhofft sich von dieser Studie auch Antworten auf die Frage, wie wir
künftig besser sicherstellen, dass sich betroffene Soldatinnen und Soldaten, zivile
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie außenstehende Kameradinnen und Kamera-
den (wie beispielsweise Reservistendienstleistende) unmittelbar an ihre Vorgesetz-
ten oder Vertrauenspersonen wenden, wenn sie gravierende Verstöße gegen die
Grundsätze der Inneren Führung bemerken - statt aus falsch verstandener Kame-

radschaft oder Angst vor Repressalien aus der Gruppe davon abzusehen.
Zudem wird die Studie dazu beitragen, unser Verständnis des bestehenden Anpas-
sungs- und Weiterentwicklungsbedarfs der Konzeption der Inneren Führung zu ver-

bessern und Anregungen für ihre gezielte Weiterentwicklung zu liefern.

Mit freundlichen Grüßen

Mas Ai

Markus Grübel
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