2020-08-19-Gesprchsvermerk

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Clearingstelle Urheberrecht im Internet und Netzsperren durch Internetzugangsanbieter

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Bonn, 19. August 2020

Protokoll zur Telefonkonferenz „Clearingstelle DNS-Sperren“ vom 19. August 2020

Teilnehmer:

für die Internet Service Provider (ISP)

 

für die Rechteinhaber -

 

für das Bundeskartellamt

 

Das Gespräch kam auf Initiative der beteiligten Rechteinhaber und ISPs zustande. EM
erklärte zunächst, dass der Fall zwar B6, B7 und die Abteilung V betreffe, V
die Prüfung mit Blick auf das in seiner Zuständigkeit liegende Urheberrecht aber federführend
übernehme und die B6 und B7 an der Prüfung beteilige.

 

Einführung und Vorstellung des Vorhabens „Clearingstelle DNS-Sperren“

tellte zunächst das Vorhaben in seinen Grundzügen vor:
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Ziel des Projekts soll die Errichtung eines effizienten Verfahrens zur Umsetzung von DNS-
Sperren gegen „Strukturell Urheberrechtsverletzende Webseiten" (SUW) sein. Hierbei han-
dele es sich um Webseiten, deren Geschäftsmodell darauf ausgerichtet sei, urheberrechtlich
geschützte Inhalte wiederzugeben. Eine DNS-Sperre verhindere die Zuordnung einer Domain
zu einer IP-Adresse, so dass das Anzeigen urheberrechtsverletzender Inhalte verhindert
werde.

Anlass des Projektes sei die Tatsache, dass es zwischen den Rechteinhabern und den ISP
(nachfolgend: die Beteiligten) in letzter Zeit häufiger zu gerichtlichen Auseinandersetzungen
gekommen sei, die für beide Seiten kostspielig und langwierig waren. Ziel des Vorhabens sei.

es, eine drohende große Masse an gerichtlichen Verfahren zu vermeiden.

Zudem würden sich die Betreiber der SUW meist im Ausland befinden und mit hoher kriminel-
ler Energie vorgehen, weshalb das direkte Vorgehen gegen sie größtenteils erfolglos bleibe.

Verfahren der Clearingstelle

„Herzstück“ der Clearingstelle sei der Prüfausschuss. Geplant sei ein Gremium bestehend aus
einem oder einer neutralen Vorsitzenden und zwei Beisitzenden. Der/die Vorsitzende soll die
Befähigung zum Richteramt besitzen. Man könne sich für diese Position einen oder eine ehe-
malige Richterin oder Verwaltungsbeamtin vorstellen. Entscheidungen sollen einstimmig er-

gehen. Dies würde sicherstellen, dass nur die „klaren Fälle“ erfasst werden.

Die teilnehmenden Rechteinhaber könnten bei der Clearingstelle einen Antrag auf Errichtung
einer DNS-Sperre stellen. Dieser Antrag müsse bestimmte Informationen enthalten, wie einen
Nachweis über die Inhaberschaft der Rechte, Nachweise, die belegen, dass es sich bei der
betroffenen Webseite um eine SUW handele und einen Nachweis über die fruchtiose direkte
Inanspruchnahme des Webseitenbetreibers.

Die Clearingstelle prüfe den Antrag innerhalb einer bestimmten Frist und entscheide, ob die
materiellen Voraussetzungen einer DNS-Sperre vorliegen. Hierbei soll der Prüfungsmaßstab

identisch sein mit dem vom Zivilgericht angewendeten Prüfungsmaßstab.

Verneine die Clearingstelle das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für das Errichten
einer DNS-Sperre, stehe den Rechteinhabern weiterhin der Rechtsweg frei. Auf Nachfrage
des BKartA wurde erklärt, dass eine positive Entscheidung der Clearingstelle insofern keine
Rechtsbindungswirkung für die ISP entfalten soll, als dass auch ihnen eine gerichtliche Klä-
rung (etwa über eine negative Feststellungsklage) möglich bleiben soll.

Eine formelle Einbindung der Webseiten-Betreiber in das Verfahren sei derzeit nicht geplant,
dies sei auch praktisch nicht möglich. Auf Nachfrage des BKartA, ob nicht eine öffentliche
Bekanntmachung des Verfahrens vorstellbar sei, um die Gelegenheit der Stellungnahme zu

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eröffnen, erklärten die Rechteinhaber, dass sich diese Frage in der Praxis nie stelle, da die
Geschäftsmodelle der betroffenen Webseiten-Betreiber strafbar seien. Die Rechte der Web-
seiten-Betreiber würden zudem durch das Subsidiaritätserfordernis des BGH gewahrt.

Vor der Clearingstelle zu behandelnde Fälle

Die Rechteinhaber erklärten auf Nachfrage, dass lediglich „klare Fälle“ von der Clearingstelle
entschieden werden sollten. Hierbei handele es sich um Webseiten, deren Geschäftsmodell
grundsätzlich darauf ausgelegt ist, rechtswidrig zu handeln. Beispiele seien Streaming-Web-
seiten und Tauschbörsen. Derzeit gäbe es ca. 100-200 solcher klarer Fälle.

Ein Antrag vor der Clearingstelle soll grundsätzlich eine Domain betreffen inklusive bis zu 50
sog. Mirror-Domains, die die SUW spiegeln. Mirror-Domains seien nicht in der Fallzahl von
100-200 Fällen enthalten.

Einbindung der BNetzA

Sofern die Clearingstelle zu dem Ergebnis komme, dass es sich um eine sperrwürdige SUW
handele, gebe sie das Ergebnis bekannt. Dieses soll an die BNetzA weitergeleitet werden mit
dem Ziel einer weiteren Überprüfung. Unklar sei bisher, ob diese Überprüfung präventiv im
Sinne einer Überprüfung der materiell-rechtlichen Entscheidung der Clearingstelle vor Errich-
tung einzelner DNS-Sperren durch die ISPs erfolgen werde oder ob eine vertiefte Prüfung nur
reaktiv, etwa im Falle von Beschwerden, vorgenommen werde.

VE: öten. cass sie bereits mit der BnetzA in

Kontakt getreten seien. Man habe das Projekt bisher allgemein vorgestellt und sich über eine
mögliche Einbindung der BNetzA ausgetauscht. Ein kritischer Punkt sei der potenzielle zu-
‚sätzliche personelle Aufwand auf Seiten der BNetzA. Man plane grundsätzlich, zeitnah Folge-
gespräche zu führen, gemeinsam mit den Rechteinhabern und den ISP.

Grund für die Einbindung der BNetzA sei der Grundsatz der Netzneutralität, der auf europäi-
scher Ebene in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2015/212 (Internetzugangsverordnung) geregelt
ist. Das Errichten einer DNS-Sperre stelle grundsätzlich einen Eingriff in die Netzneutralität
dar. Ein Eingriff in die Netzneutralität könne jedoch gerechtfertigt.sein, wenn die materiellen
Voraussetzungen einer SUW vorliegen. Diese urheberrechtliche Prüfung müsse die BNetzA
inzident durchführen. Innerhalb der BNetzA sei das Referat für Netzneutralität dafür zuständig,
Verstöße gegen die Netzneutralität zu prüfen.

Auf Nachfrage des BKartA erklärten die ISP, dass die BNetzA derzeit nur reaktiv tätig werde.
Sie prüfe lediglich Vorgänge, wenn Beschwerden von Betreibern oder Verbrauchern eingehen.
Auf Nachfrage des BKartA nach. den Kapazitäten der BNetzA zur Prüfung der bis zu 200 Fällen
der Clearingstelle erklärten die ISPs, dass es die Wunschvorstellung der Beteiligten sei, dass

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die BNetzA eine präventive materielle Prüfung jeder Sperrempfehlung vornehme. Dies wäre
allerdings ein erheblicher Aufwand, so dass dies noch offen sei.

Auf die Frage nach der Rechtsnatur und der Rechtsgrundlage einer „Unbedenklichkeitserklä-
rung“ der BNetzA erklärten die Beteiligten, dass es auch vorstellbar sei, der BNetzA die Sper-
rentscheidungen nur mitzuteilen. Dies sei letztlich die Mitteilung eines Eingriffs in die Netz-
neutralität, wodurch die BNetzA angehalten wäre, ggf. Verfahren zur Prüfung einzuleiten, ob
tatsächlich ein Verstoß vorliegt oder ob die Eingriffe gerechtfertigt sind. Dies seien jedoch noch
keine finalen Überlegungen, da sich die BNetzA noch nicht geäußert habe.

Bisherige Ansprechpartnerin bei der BNetzA war En. Das bisherige Referat
für Netzneutralität und Geoblocking werde jedoch aufgetrennt und der oder die neue An-
sprechpartnerin sei noch nicht bekannt. Es werde jedoch zeitnah ein Folgegespräch ange-
strebt.

Kartellrechtliche Probleme

Die Rechteinhaber erklärten auf Nachfrage des BKartA zur kartellrechtlichen Bewertung, es
sei ihrer Meinung nach grundsätzlich fraglich, ob die geplante Kooperation überhaupt zu Wett-
bewerbsbeschränkungen führen würde. Es sei aus ihrer Sicht entscheidend, dass allenfalls
illegaler Wettbewerb und daher nicht schutzwürdiger Wettbewerb beschränkt werden könnte.

Ihnen sei daher wichtig, dass das Gremium, das über diese Illegalität entscheiden würde, un-

abhängig ist und zudem die BNetzA im Nachhinein als Kontrollinstanz involviert wird.
Effizienzgewinne durch das Clearingverfahren

Im zweiten Schritt seien auch die enormen Effizienzen zu berücksichtigen. Auf Nachfrage des
BKartA erläuterten die Beteiligten, dass die Effizienzgewinne sowohl einen zeitlichen Faktor
als auch einen Kostenfaktor beinhalten würden. Die gerichtliche Durchsetzung der DNS-Sper-
ren nehme mehr Zeit in Anspruch aufgrund der Verfahrenslänge und die Selbstregulierung sei
günstiger als die zusammengerechnet anfallenden Gerichtskosten. Bei einem typischen Streit-
wert von mind. 100.000 Euro würden Gerichtsgebühren in Höhe von 3.000 Euro (pro ISP) an-
fallen. Ein Antrag bei der Clearingstelle solle nur 1.500 Euro kosten, zu denen allerdings noch
die jährlichen Systemkosten hinzukämen.

Wichtig sei zudem, dass die Selbstregulierung es ermögliche, alle beteiligten ISP mit einem
Antrag gleichzeitig in. Anspruch zu nehmen, wohingegen vor Gericht jeder ISP einzeln verklagt
werden müsse. Ein Beispiel hierfür sei der Rechtsstreit um die Sperrung der Webseite kinox.to,
den man gegen gg e folgreich geführt habe, der jedoch gegen EN noch immer
anhängig sei. Auch würde es zu einer Überlastung der Gerichte durch die schiere Menge der
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Verfahren kommen und seien diese nicht in gleicher Weise spezialisiert wie der geplante
Prüfausschuss.

Auf Nachfrage des BKartA, weshalb die gerichtliche Klärung der Rechtslage betreffend eine
SUW im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gegen einen ISP nicht dazu führt, dass an-
dere ISP in der Umsetzung nachziehen, erklärten die ISP, sie bräuchten eine gegen sie ge-
richtete hoheitliche Entscheidung, die sie zur Sperrung verpflichtet. Sie könnten SUW —- auch
wenn es erste solche Fälle gebe — grundsätzlich nicht ‚freiwillig sperren‘, würden eine Ent-
scheidung der Clearingstelle jedoch als für alle verbindlich akzeptieren.

Auf weitere Nachfrage erklärten die Beteiligten, dass im Falle der abweichenden rechtlichen
Bewertung eines oder mehrerer ISP der ordentliche Rechtsweg offen bleibe, auch bei positiver
Entscheidung der Clearingstelle (siehe oben). .

Zur Problematik stagnierender Rechtsfortbildung

Das BKartA gab zu bedenken, dass. die Rechtsfortbildung stagnieren könnte aufgrund der Er-
richtung der Clearingstelle, da diese verhindern könnte, dass Fälle vor Gericht landen. ‘Die
Beteiligten erklärten, es sei nicht. völlig ausgeschlossen; dass Fälle letztlich doch vor Gericht
landen. Dies sei zum einen möglich, wenn.ein Antrag auf eine Sperre durch die Clearingstelle
abgelehnt würde und zum anderen, wenn ein ISP mit der Entscheidung nicht einverstanden
sei und diese nicht umsetzt. Auch negative Feststellungsklagen seien denkbar. Zudem seien
laufende Verfahren aus dem geplanten Code of Conduct ausgenommen...

Zur Effektivität von DNS-Sperren

Auf Nachfrage des BKartA erklärten die ISP, dass die Effektivität von DNS-Sperren nicht durch
eine etwaige Verschlüsselung („DNS over HTTPS') eingeschränkt würde, da eine solche Ver-
schlüsselung in absehbarer Zeit nicht für den deutschen Markt geplant sei. Eine etwaige Ver-
schlüsselung habe im Bereich von DNS-Sperren derzeit keine Relevanz.

Auch grds. vorhandene Umgehungsmöglichkeiten der DNS-Sperren würden die Effektivität
der Sperren nicht erheblich einschränken. Dies zeigten Studien aus Dänemark und Portugal,
wo eine Selbstregulierung über DNS-Sperren stattfinde. Hier könne man einen Rückgang der
Nutzung gesperrter Webseiten von 70% in drei Monaten verzeichnen. Dies beweise die Effek-
tivität der DNS-Sperren. Die Rechteinhaber boten an, dem BKartA entsprechende Studien zu-
kommen zu lassen.

Weiteres Vorgehen und Erwartungen der Beteiligten
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Die beteiligten Unternehmen erklärten, dass sie mit Blick darauf, dass sie teilweise unterei-
nander im Wettbewerb stehen und das Vorhaben öffentlichkeitssensibel sei, sicherstellen woll-
ten, dass es aus Sicht des BKartA grundsätzlich tragfähig sei. Bisher seien nur Gespräche
geführt worden und man sei auch noch nicht am Ende der Gespräche. Es sei von Anfang an
klar gewesen, dass eine Abstimmung mit dem BKartA erfolgen sollte.

Die Beteiligten haben insoweit derzeit keine konkrete Erwartung an das BKartA. Sie wünschen
eine „positive Abstimmung“ mit dem BKartA, wobei dies mit einem Vorsitzendenschreiben oder
ggf. auch durch eine mündliche Einschätzung des BKartA erfolgen könne.

Das BKartA erklärte, nach erfolgter Rücksprache mit der BNetzA auf die Beteiligten zurückzu-

kommen.
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