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Sehr geehrteAntragsteller/in
in Ihrer E-Mail vom 16. Januar 2010 ersuchen Sie um Auskunft darüber, ob es geplant ist, im Deutschen Bundestag ein elektronisches Abstimmungssystem einzuführen.
Ihre E-Mail ist mir zur Beantwortung vorgelegt worden. Dabei sind die verschiedenen Abstimmungs- und Wahlverfahren zu berücksichtigen:
So genannte "einfache Abstimmungen", die den ganz überwiegenden Teil aller Abstimmungen ausmachen, erfolgen im Deutschen Bundestag nach den Regeln der Geschäftsordnung durch Handzeichen. Das Abstimmungsergebnis wird unmittelbar durch die amtierende Präsidentin oder den amtierenden Präsidenten festgestellt. Dieses Verfahren ist nicht zeitaufwendig und macht das Abstimmungsverhalten der Fraktionen und Abgeordneten nachvollziehbar und transparent, sowohl für Sitzungsteilnehmer als auch für Besucher oder Fernsehzuschauer. Für diese einfachen Abstimmungen wäre die Einführung eines elektronischen Abstimmungssystems nicht sinnvoll, da damit keine Zeitersparnis erzielt werden kann.
Namentliche Abstimmungen werden hingegen durchgeführt, wenn dies vor der Abstimmung von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages verlangt wird. Die Abgeordneten werfen dazu Stimmkarten, die ihren Namen und ihre Fraktion ausweisen, in dafür bereitgestellte Urnen ein. Die Stimmkarten liegen in drei Farben vor, blau für "Ja", rot für "Nein" und weiß für "Enthalte mich". Eine namentliche Abstimmung dauert üblicherweise nicht mehr als vier bis fünf Minuten. Die Auszählung der Stimmen, während der die Debatte z.B. zum nächsten Tagesordnungspunkt in der Regel weiterläuft, kann ebenfalls üblicherweise innerhalb von 5 Minuten abgeschlossen werden. Folglich kann das Ergebnis der Abstimmung kurzfristig im Plenum bekanntgegeben werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass durch eine elektronische Abstimmungsanlage hier eine erhebliche Zeitersparnis erzielt werden kann.
Bei wenigen Personenwahlen, die entweder in geheimer Wahl erfolgen oder bei denen der Kandidat bzw. die Kandidatin nur mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder gewählt ist (absolute Mehrheit), sind das Wahlverfahren sowie die Auszählung der Stimmen etwas aufwendiger, da hier besondere zuvor gedruckte Stimmkarten und Wahlausweise verwendet werden. Diese tragen die Namen der Abgeordneten (Wahlausweis) bzw. der Kandidaten (Stimmkarte). Die Stimmkarten und Wahlausweise müssen per Hand ausgezählt werden, was etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt als z.B. die Auszählung bei namentlichen Abstimmungen. Diese Personenwahlen finden jedoch im Bundestag üblicherweise nur selten statt. Insbesondere sind bestimmte Ämter (Bundestagspräsident und Vizepräsidenten) und sechs bundestagsinterne Gremien durch dieses Verfahren zu Beginn der Wahlperiode zu besetzen (der ganz überwiegende Teil der Personenwahlen erfolgt im Übrigen durch Handzeichen). Im Laufe der Wahlperiode kommen diese besonderen Personenwahlen jedoch nur noch selten vor, und zwar nur dann, wenn jemand aus einem solchen Amt oder ein Gremienmitglied aus dem Gremien ausgeschieden ist und daher einer Neuwahl erfolgen muss.
In der aktuellen Wahlperiode werden solche Wahlen allerdings - abweichend von der beschriebenen üblichen Abfolge - häufiger durchgeführt, weil bisher noch kein Kandidat der AfD-Fraktion zur Vizepräsidentin bzw. zum Vizepräsidenten gewählt worden ist und auch die AfD-Kandidaten für drei bundestagsinterne Gremien erfolglos geblieben sind.
Diese Wahlen müssen allerdings teilweise geheim durchgeführt werden (z.B. Vizepräsident). Bei den gängigen elektronischen Abstimmungsanlagen kann aber gewöhnlich nicht sichergestellt werden, dass Dritte (Besucher auf der Tribüne, Fernsehkameras, andere Abgeordnete) die Wahlentscheidung eines Abgeordneten nicht beobachten können. Folglich könnte eine solche Anlage im Bundestag bei geheimen Wahlen nicht eingesetzt werden. Damit verbleiben die wenigen offenen Wahlen, bei denen eine geringe Zeitersparnis durch eine elektronische Abstimmungsanlage erzielt werden könnte. Diese geringe Zeitersparnis steht jedoch in keinem Verhältnis zu dem erheblichen Aufwand, der erforderlich wäre, um eine solche Anlage nachträglich in den Plenarsaal einzubauen.
Im Übrigen wurde in den 1990iger Jahren anlässlich des Umzuges des Bundestages von Bonn nach Berlin über die Einführung eines elektronischen Abstimmungssystems diskutiert. Die Abgeordneten haben sich jedoch für die Beibehaltung des gegenwärtigen etablierten Systems entschieden, das sich seit langem bewährt und in der Vergangenheit nicht zu größeren Problemen geführt hat. Ausschlaggebend dafür war dafür auch, dass elektronische Abstimmungsanlagen keine Gewähr für ein technisch absolut fehlerfreies und zuverlässiges Ergebnis bieten. Dies belegen auch Erfahrungen mit Abstimmungssystemen in anderen Parlamenten.
Mit freundlichen Grüßen