2013-11-20-o-6-eugh-urteil.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Erlasse des BMBF zum BAföG

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POSTANSCHRIFT Bundesministerium für Bildung und Forschung, 53170 Bonn HAUSANSCHRIFT An die Obersten Landesbehörden für Ausbildungs- förderung POSTANSCHRIFT TEL FAX BEARBEITET VON Nachrichtlich: Landesämter für Ausbildungsförderung E-MAIL HOMEPAGE DATUM GZ Heinemannstraße 2, 53175 Bonn 53170 Bonn +49 (0)228 99 57-3292 +49 (0)228 99 57-83292 Anja Weinhold Anja.Weinhold@bmbf.bund.de www.bmbf.de Bonn, den 20.11.2013 414 – 42531 - § 6 (Bitte stets angeben) BETREFF ANLAGE Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) hier: Erklärung zur europarechtskonformen Anwendung des § 6 BAföG auf Grund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 24. Oktober 2013 in der Rechts- sache C-220/12 1 (Urteil des EuGH) Im Lichte des oben genannten Urteils des EuGH ist eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 6 BAföG geboten. 1. Zur Prüfung eines Förderungsanspruchs nach § 6 BAföG Die bei Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die ihren ständigen Wohnsitz in einem aus- ländischen Staat haben, für eine Förderung nach § 6 BAföG vorausgesetzten „besonderen Um- stände des Einzelfalles“, die zu einer Unzumutbarkeit der Durchführung der Ausbildung im Inland führen, sind auch dann zu bejahen, wenn eine Verweigerung der Förderung einer Aus- bildung in einem ausländischen EU-Staat die Ausübung unionsrechtlicher Freizügigkeitsrech- te ungerechtfertigt beschränken würde (im Folgenden: sog. freizügigkeitsrechtliche Fall- gruppe1). Diese neue sog. freizügigkeitsrechtliche Fallgruppe ist vorrangig zu den sonstigen in Tz. 6.0.12 BAföGVwV angeführten Fallgruppen zu prüfen. Anknüpfungspunkt der besonderen (freizügigkeitsrechtlichen) Umstände des Einzelfalles, die zu einer Unzumutbarkeit der Durchführung der Ausbildung im Inland führen, ist zunächst die Durchführung einer Ausbildung in einem sonstigen Mitgliedstaat der EU oder der Schweiz. Vgl. zur richterrechtlichen Anerkennung dieser Fallgestaltung als „besondere Umstände des Einzel- falls“ i.S.d. § 6 Satz 1 BAföG auch bereits BVerwG, Urteil v. 10.01.2013, Az. 5 C 19.11. 1 TELEFONZENTRALE FAX-ZENTRALE E-MAIL-ZENTRALE +49 (0)228 99 57-0 oder +49 (0)30 18 57-0 +49 (0)228 99 57-83601 oder +49 (0)30 18 57-83601 bmbf@bmbf.bund.de
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SEITE 1 Die sog. freizügigkeitsrechtliche Fallgruppe ist im Falle einer Ausbildung in einem sonstigen Mitgliedstaat der EU oder der Schweiz allerdings im Lichte der Rechtsprechung des EuGH nur dann zu bejahen, wenn seitens der auszubildenden Person nachgewiesen wird, dass eine aus- reichende Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft besteht. Eine solche für die Beja- hung von Ausbildungsförderungsansprüchen freizügigkeitsrechtlich ausreichende Verbun- denheit zur Gesellschaft des Mitgliedstaates, von dem Ausbildungsförderung begehrt wird, kann nach dem EuGH auch ohne aktuellen ständigen Wohnsitz im Inland dann bestehen, wenn „der Studierende die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt und dort einen erheblichen Teil seiner Schulzeit verbracht hat, oder aufgrund anderer Faktoren wie etwa seiner Familie, seiner Beschäftigung, seiner Sprachkenntnisse oder des Vorliegens sonstiger sozia- ler oder wirtschaftlicher Bindungen“2. Die Prüfung des ausreichenden Grads der Verbundenheit eines deutschen Staatsangehörigen erfordert vor diesem Hintergrund stets eine Einzelfallprü- fung im Lichte der o.g. Vorgaben des EuGH. Für diese Einzelfallprüfung gelten die nachfol- genden Maßgaben:  Ein ausreichender Grad der Verbundenheit ist bei einem deutschen Staatsangehörigen jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Zugangsberechtigung für die zu fördernde Ausbildung oder ein beruflicher Abschluss im Inland erworben wurde oder - mindestens 4 Jahre der Schulzeit im Inland verbracht wurden oder - in den letzten 10 Jahren für eine ununterbrochene Dauer von mindestens 2 Jahren ein ständiger Wohnsitz im Inland vorgelegen hat oder - durch ihn oder wenigstens durch einen unterhaltsverpflichteten Elternteil bzw. Ehegatten oder Lebenspartner der auszubildenden Person für die Dauer von mindestens 3 der letzten 6 Jahre im Inland eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Die deutsche Staatsangehörigkeit allein genügt nicht für die Bejahung eines ausrei- chenden Grads der Verbundenheit. -   Ist keines der oben aufgeführten Kriterien erfüllt, kann bei einem deutschen Staatsan- gehörigen ein ausreichender Grad der Verbundenheit im Rahmen der notwendigen Einzelfallprüfung auch durch eine insoweit aussagekräftige Kombination von mindes- tens zwei der nachfolgend genannten „weichen“ Kriterien nachgewiesen werden: - - - 2 „Familie“: etwa Personen aus der „Kernfamilie“ von Eltern und Geschwistern oder Ehegatte bzw. Lebenspartner, die mehrere Jahre ihren ständigen Wohn- sitz im Inland hatten oder dort erwerbstätig waren; „Sprachkenntnisse“: etwa durch den Nachweis eines Sprachzertifikats der deut- schen Sprache auf dem Niveau der fünften Stufe (C1) auf der sechsstufigen Kompetenzskala des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Spra- chen, wobei auf diesen Nachweis verzichtet werden kann, wenn in geeigneter Art und Weise glaubhaft gemacht wird, dass Deutsch als Muttersprache flie- ßend beherrscht wird; „soziale Bindung“: etwa eine teilweise verbrachte Schul- bzw. Ausbildungszeit im Inland oder das zumindest teilweise Aufwachsen in einem Haushalt im In- land während der Schul- bzw. Ausbildungszeit, oder unmittelbar ans Inland Vgl. EuGH, Urteil v. 24.10.2013, Rs. C-220/12, Rn. 38.
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SEITE 2 - anknüpfende soziale Bindungen, wie längerfristig angelegte Mitgliedschaften in Organisationen oder Vertragsschlüsse von substantiellem Gewicht, die künftige Aufenthalte im Inland erforderlich machen können, oder der Erwerb der Zugangsberechtigung für die zu fördernde Ausbildung an einer sog. Deut- schen Auslandsschule (DAS); „wirtschaftliche Bindung“: etwa eine eigene mehrjährige Tätigkeit oder die ei- nes unterhaltsverpflichteten Elternteils bzw. Ehegatten oder Lebenspartners im Inland oder eine solche Tätigkeit im Ausland für die in Tz. 6.05. genannten im Inland ansässigen Dienstherren bzw. Arbeitgeber. Je ausgeprägter eines der „weichen“ Kriterien erfüllt ist, desto schwächer kann wiede- rum ein anderes ausgeprägt sein, um dennoch in der Kombination eine ausreichende Verbundenheit zu belegen. Dabei muss jedes der in diese Betrachtung mit einzubezie- henden „weichen“ Kriterien jedoch zumindest eine hinreichende Relevanz aufweisen. Wenn ein nach diesen Maßgaben ausreichender Grad der Verbundenheit durch die auszubil- dende Person nachgewiesen werden kann, sind die „besonderen Umstände des Einzelfalles“ im Sinne von § 6 BAföG unter der neuen sog. freizügigkeitsrechtlichen Fallgruppe zu bejahen. Das den Auslandsförderungsämtern nach § 6 BAföG eigentlich zukommende Förderungser- messen ist zu Gunsten der auszubildenden Person auf Null reduziert. Damit eine Gleichbehandlung mit der Förderung von Deutschen mit Inlandswohnsitz ge- währleistet ist, sind in einer weiteren Prüfung des konkreten Förderungsanspruchs nach § 6 BAföG die Regelungen des § 5 Abs. 2 ff. BAföG – ohne das Erfordernis des „ständigen Wohnsitzes im Inland“ in § 5 Abs. 2 S. 1 BAföG – i.V.m. § 13 Abs. 4 BAföG anzuwenden. Die Beschränkung des Förderungsanspruchs nach § 6 BAföG auf Ausbildungen im Aufenthalts- staat oder in einem Nachbarstaat ist daher nicht anwendbar. Aus der weiteren Prüfung der sog. freizügigkeitsrechtlichen Fallgruppe nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 ff. BAföG folgt ebenso, dass § 6 Satz 2 und Satz 3 BAföG sowie die Tz. 6.0.1 und Tz. 6.02., Tz. 6.0.7a bis Tz. 6.0.22 BA- föGVwV keine Anwendung finden. Liegen darüber hinaus alle sonstigen Voraussetzungen vor, die für die Leistung von Ausbil- dungsförderung erfüllt sein müssen, sind Leistungen nach dem BAföG zu gewähren. Soweit nach dem Ergebnis der Einzelfallprüfung die neue sog. freizügigkeitsrechtliche Fall- gruppe nicht einschlägig ist, bleibt eine Prüfung der sonstigen in Tz. 6.0.12 BAföGVwV ange- führten Fallgruppen nach Maßgabe des § 6 BAföG unberührt. 2. Auswirkungen auf Verfahren und Bescheide Hinsichtlich der anhängigen bzw. ausgesetzten Verfahren ist eine Prüfung entsprechend der neuen Vollzugsvorgaben vorzunehmen und bei Bejahung des Anspruchs nach § 6 BAföG i.V.m. § 5 Abs. 2 ff. BAföG Ausbildungsförderung im Ausland zu gewähren, soweit alle weite- ren Voraussetzungen einer Förderung vorliegen. Diese neue Vollzugsvorgabe entfaltet wegen § 44 SGB X Rückwirkung für die Vergangenheit. Dies gilt naturgemäß für alle nicht bestandskräftigen Bescheide. Bestandskräftige Bescheide werden jedoch ebenfalls erfasst. Hier regelt § 44 SGB X, dass letztere mit Wirkung für die Ver-
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SEITE 3 gangenheit für einen Zeitraum von vier Jahren aufgegriffen werden müssen, wenn das zu- ständige Amt im Einzelfall Kenntnis von einer unrichtigen Ablehnung erhält. Dies beinhaltet zwar keine Verpflichtung der Ämter zum „Aktensturz“. Jedoch können Personen, die in Aus- übung ihres unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts in der Vergangenheit nicht nach § 6 BA- föG gefördert werden konnten und einen ablehnenden Bescheid erhalten haben, die Überprü- fung des Bescheids unter der Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH verlangen. Um Beachtung im Vollzug wird gebeten. Im Auftrag A. Weinhold
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