220127_2018_08_27FH6.EuWG-nderungsgesetz

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Formulierungshilfe für Gesetzentwurf zu Sperrklauseln bei der EU-Wahl

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Stand 27.08.2018 Deutscher Bundestag                                             Drucksache 19/… 19. Wahlperiode Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes A. Problem Mit dem Inkrafttreten des Beschlusses des Rates vom 13. Juli 2018 zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Euro- päischen Parlaments vom 20. September 1976 ist Deutschland verpflichtet, eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe von nicht weniger als zwei Prozent festzulegen. Eine Mindestschelle für die Sitzvergabe gibt es im deutschen Europawahlrecht nicht mehr, seit das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2014 (BVerfGE 135, 259) die in § 2 Absatz 7 des Europawahlgesetzes geregelte Sperr- klausel mangels verbindlicher europarechtlicher Vorgaben für mit Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig erklärt hat. B. Lösung Der Entwurf sieht vor, dass bei der Verteilung der in der Bundesrepublik Deutschland zu vergebenden Sitze nur Wahlvorschläge berücksichtigt werden, die mindestens zwei Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Damit wird die Pflicht aus dem durch Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 neu gefassten Artikel 3 Absatz 2 des EU-Wahlakts erfüllt, wonach in Mitgliedstaaten, in denen im Wahlgebiet mehr als 35 Sitze zu vergeben sind, eine Mindestschwelle von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebene gültigen Stimmen festzulegen ist. C. Alternativen Keine.
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D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand Keine. E. Erfüllungsaufwand Erfüllungsauswand für die Wirtschaft oder Verwaltung entsteht nicht. F. Weitere Kosten Keine.
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Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes vom … Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Änderung des Europawahlgesetzes § 2 Absatz 7 des Europawahlgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1994 (BGBl. I S. 423, 555, 852), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2018 (BGBl. I S. 1116) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst: „(7) Bei der Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge werden nur Wahl- vorschläge berücksichtigt, die mindestens zwei Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.“ Artikel 2 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt frühestens am Tag nach der Verkündung, jedoch nicht vor dem Tag in Kraft, an dem der Beschluss (EU, Euratom) 2018/944 des Rates der Europäi- schen Union vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments nach seinem Artikel 2 in Kraft tritt. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt den Tag des Inkrafttretens im Bundesgesetzblatt bekannt. Berlin, den              2018 Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Fraktion Andrea Nahles und Fraktion
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Begründung A. Allgemeiner Teil I.   Ausgangslage und Zielsetzung Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen vom 9. November 2011 (BVer- fGE 129, 300) und vom 26. Februar 2014 (BVerfGE 135, 259) sowohl die seit dem Inkrafttreten des Europawahlgesetzes vom 16. Juni 1978 (BGBl. I S. 709) geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel, als auch die durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Europawahlgesetzes vom 7. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3749) in § 2 Absatz 7 des Eu- ropawahlgesetzes (EuWG) eingefügte Drei-Prozent-Sperrklausel für die Sitzvergabe bei der Europawahl für nichtig erklärt, weil sie den bei der Wahl der deutschen Abge- ordneten des Europäischen Parlaments aus Artikel 3 Absatz 1 GG folgenden Grund- satz der Gleichheit der Wahl und das Recht der politischen Parteien auf Chancen- gleichheit aus Artikel 21 Absatz 1 GG verletzten (BVerfGE 135, 259 [285 f.]). Damit waren bei der Europawahl am 25. Mai 2014 nach dem von § 2 Absatz 3 EuWG angeordneten Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers bei der Zahl von 96 in Deutschland zu vergebenden Sitzen im Europäischen Parlament auf einen Wahlvorschlag einzelne Sitze bereits bei einem Stimmenanteil von 0,6 Prozent (184.709 Stimmen) zu verteilen (vgl. Informationen des Bundeswahlleiters, Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 25. Mai 2014, Heft 3 Endgültige Ergebnisse, S. 12, 200 ff.). Am 11. November 2015 hat das Europäische Parlament gemäß Artikel 223 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einen Vorschlag zur Reform des Wahlrechts der Europäischen Union beschlossen (2015/2035 (INL)), der nach Abänderung 2 für Mitgliedstaaten, in denen mehr als 26 Sitzen vergeben werden, eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe von nicht weniger als drei Prozent vorschlug. Dabei hat es nach in der Erwägung gehandelt, dass in den geltenden Re- geln für die Wahl zum Europäischen Parlament die Möglichkeit der Festlegung einer Schwelle von höchstens fünf Prozent der abgegebenen Stimmen vorgesehen ist und dass 15 Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, dass die tatsächliche Schwelle in kleineren Mitgliedstaaten und in Mitgliedstaaten, die ihr Wahlgebiet in Wahlkreise unterteilt haben, dennoch mehr als drei Prozent beträgt, auch wenn es keine rechtliche Schwelle gibt und dass die Einführung einer verbindli- chen Schwelle in den Verfassungen traditionell als rechtmäßige Methode anerkannt wird, die ordnungsgemäße Arbeitsweise von Parlamenten sicherzustellen. In Be- schlussempfehlung 6 hat das Europäische Parlament der Ansicht Ausdruck verlie- hen, dass eine verbindliche Schwelle zwischen drei und fünf Prozent in Mitgliedstaa-
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ten mit nur einem Wahlkreis oder Wahlkreisen, in denen eine Listenwahl stattfindet und es mehr als 26 Sitze gibt, für die Sicherung der ordnungsgemäßen Arbeitsweise des Europäischen Parlaments wichtig ist, da so eine Fragmentierung verhindert wird. Der Rat hat am 13. Juli 2018 - nach Zustimmung des Europäischen Parlaments am 4. Juli 2018 mit der Mehrheit seiner Mitglieder - einstimmig den Beschluss (EU, EU- RATOM) 2018/944 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EKKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments gefasst. Der Be- schluss vom 13. Juli 2018 tritt nach Artikel 2 Absatz 2 und gemäß Artikel 223 Ab- satz 1 Unterabsatz 2 Satz 2 AEUV nach Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Ein- klang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft tritt. Nach der in Nummer 2 des Beschlusses des Rates vom 13. Juli 2018 angeordneten Änderung des Artikels 3 des Direktwahlakts legen Mitgliedstaaten, in denen es mehr als 35 Sitze gibt, künftig eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe fest, die nicht we- niger als zwei Prozent und nicht mehr als fünf Prozent betragen darf. Damit steht das deutsche Europawahlrecht ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses mit geltendem Unionsrecht nicht in Einklang, da in der Bundesrepublik Deutschland in einem Wahlgebiet 96 Sitze vergeben werden, aber keine Mindestschwelle besteht. Mit dem Entwurf soll das deutsche Europawahlrecht ab Inkrafttreten des geänderten EU-Wahlakts den verbindlichen unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden. II.  Lösung des Entwurfs Der Entwurf ordnet in Artikel 1 an, dass nach der Neufassung des § 2 Absatz 7 EuWG künftig bei der Verteilung der in der Bundesrepublik Deutschland zu verge- benden Sitze nur Wahlvorschläge berücksichtigt werden, die mindestens zwei Pro- zent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Damit wird die Pflicht aus dem durch Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 neu gefassten Artikel 3 Absatz 2 des EU-Wahlakts erfüllt, wonach in Mitgliedstaaten, in denen im Wahlgebiet mehr als 35 Sitze zu vergeben sind, eine Mindestschwelle von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebene gültigen Stimmen festzulegen ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen vom 9. November 2011 (BVerfGE 129, 300) und vom 26. Februar 2014 (BVerfGE 135, 259) die damalige Fünf-Prozent- beziehungsweise Drei-Prozent-Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht für nichtig erklärt hatte. Denn beide Urteile beruhten auf der Feststellung des Gerichts, dass zum damaligen Zeitpunkt das Europawahlgesetz als deutsches Bundesrecht am Grundgesetz und den darin enthaltenen Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien zu messen war und zum Urteilszeitpunkt die verfassungsrechtliche Prüfung der Sperrklausel in
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§ 2 Absatz 7 EuWG nicht durch verbindliche europarechtliche Vorgaben einge- schränkt war (BVerfGE 129, 300 [317], 135, 259 [282]). Mit dem Inkrafttreten des Beschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 ändert sich die Rechtslage durch die in Nummer 2 angeordnete neue Fassung des Artikels 3 des EU-Wahlakts in erheblicher Weise. Sobald der neue EU- Wahlakt in Kraft tritt, ist Deutschland als Mitgliedstaat, in dessen Wahlgebiet mehr als 35 Sitze zu vergeben sind, europarechtlich verpflichtet, eine Sperrklausel von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen einzuführen. An- ders als bei den in den vom Bundesverfassungsgericht 2011 und 2014 entschiede- nen Sachverhalten ist die verfassungsrechtliche Prüfung in diesem Falle dann also durch eine verbindliche europarechtliche Vorgabe im EU-Wahlakt eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfas- sungsgerichts kommt dem Unionsrecht gegenüber entgegenstehendem mitglied- staatlichen Recht jeder Rangstufe, auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht (BVerfGE 129, 78 [100]; 140, 317 [335]) grundsätzlich ein Anwendungsvorrang zu. Dafür, dass die verbindliche europarechtliche Anordnung einer Mindestsperrklausel durch den europäischen Gesetzgeber für jene Mitgliedstaaten, in denen mehr als 35 Sitze zu vergeben sind und in denen daher aufgrund der hohen Zahl zu vergebender Sitze nicht wie in anderen Mitgliedstaaten eine faktische Hürde für die Sitzvergabe an Wahlvorschläge mit geringem Rückhalt in der Wählerschaft besteht, einen identi- tätsgefährdenden Eingriff in Strukturprinzipien des Grundgesetzes im Sinne des Arti- kels 79 Absatz 3 GG darstellen würde, bieten die Urteile des Bundesverfassungsge- richts von 2011 und 2014 (BVerfGE 129, 300; 135, 259) keinen Anhaltspunkt. Weitere Umsetzungserfordernisse ergeben sich aus dem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 im Falle seines Inkrafttretens angesichts der bereits bestehenden Rechtslage für die Bundesrepublik Deutschland nicht. III. Gesetzgebungskompetenz Die Gesetzgebungskompetenz für die Änderung des Europawahlgesetzes ergibt sich aus der Natur der Sache. IV. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand Keine. V. Erfüllungsaufwand
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Für Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft sowie die Verwaltung entsteht kein Erfül- lungsaufwand. Es werden keine Informationspflichten eingeführt, vereinfacht oder abgeschafft. VI. Weitere Kosten Keine. B. Besonderer Teil Zu Artikel 1 Artikel 1 ordnet an, dass nach der Neufassung des § 2 Absatz 7 bei der Verteilung der in der Bundesrepublik Deutschland zu vergebenden Sitze nach § 2 Absatz 3 nur solche Wahlvorschläge zu berücksichtigen sind, die mindestens zwei Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Die durch die durch den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 angeordnete Neufassung des Artikels 3 Absatz 2 des EU-Wahlakts erfordert und ermöglicht in der Bundesrepublik Deutschland eine Zwei-Prozent-Sperrklausel (auf die Ausführungen zur Zulässigkeit unter A. II. der Begründung wird verwiesen). Eine Sperrklausel von mehr als zwei Prozent kann nicht angeordnet werden, auch wenn nach Artikel 3 Absatz 1 des EU-Wahlaktes die Mitgliedstaaten eine Mindest- schwelle festlegen können, die nicht mehr als fünf Prozent betragen darf. Denn in- soweit, als eine Schwelle vom Unionsrecht nicht geboten, sondern nur zugelassen ist, fehlt es im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 129, 300 [317], 135, 259 [282]) wie unter der bisherigen Rechtslage nach Artikel 3 des Direktwahlaktes an einer für die Mitgliedstaaten verbindlichen europarechtlichen Vorgabe, so dass Prüfungsmaßstab einer deutschen Regelung insofern wie bisher allein das Grundgesetz wäre. Dass eine europarechtlich nicht verpflichtende, Sperr- klauseln nur bis zu einer Obergrenze gestattende Regelung keine europarechtliche Pflicht zur Festlegung einer Sperrklausel darstellt, die den Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Verfassungsrecht herstellt, hat das Bundesverfas- sungsgericht mehrfach festgestellt (BVerfGE 129, 300 [324 ff.]; 135, 259 [291 ff.]). Zu Artikel 2 (Inkrafttreten) Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
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