20211227-urteil-vg-berlin

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Formulierungshilfe für Gesetzentwurf zu Sperrklauseln bei der EU-Wahl

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EINGE6ANGEN . Beglaubigte Abschrift 7 7. DEZ. 2021 VG 2 K 45.19                                             Schriftliche Entscheidung Mitgeteilt durch Zustellung an a) KI.-Bev. am b) Bekl. am \ 1 als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle VERWAL TUNGSGERICHT BERLIN URTEIL Im Namen des Volkes In der Verwa ltung sstre itsache · des Herrn Arne Semsrott, c/o· Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstraße 109, 10179 Berlin, Klägers, · Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Thomas Rechtsanwälte, Oranienburger Straße 23, 10178 Berlin, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, Beklagte, hat das V erwaltung sgericht Berlin, 2. Kammer, durch die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Xalter, den Richter am Verwa ltung sgericht Dr. Bews, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Rabenschlag, die ehrenamtliche Richterin Bogdanski und den ehrenamtlichen Richter Dittmann im Weg e schriftlicher Entscheidung am 2. Dezember 2021 für Recht erkannt: · Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesmin isteriums des -Innern, für Bau und Heimat vom 15. November 2018 in Gestalt des Wi- derspruchsbescheides vom 2 1. Februar 2019 verpflichtet, dem Kläger Zugang zu den für die Fraktionen der CDU/CSU und SPD gefertigten und am -2-
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-2- 30. August 2018 an die Fraktionsvorsitzenden übersandten Formulierungshil- fen für ein Zustimmungsgesetz zu dem Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates der Europ.ä ischen Union vom 13. Juli 2018 und für ein Gesetz zur Änderung des Europawahlgesetzes durch Übersendung einer Kopie zu ge~ währen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.                                                         · Tatbestand Der Kläger begehrt Informationszugang zu zwei ministerialen Formulierungshilf~n zum Europawahlrecht. Der Rat der Europäischen Union nahm am 13. Juli 2018 den Beschluss 2018/994 an. Er dient der Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Direktwahlakt). Der Beschluss 2018/994 enthält u.a. Vorgaben für Sperrklauseln bei der Europawahl. Er tritt in Kraft, nach- dem alle EU-Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen . Vorschriften zugestimmt und dem Generalsekretariat des Rates den Abschluss der hierfür erforderlichen Verfahren mitgeteilt haben. Diese Zustimmung steht noch von der Beklagten sowie Zypern und Spanien aus. Auf Bitten der damaligen Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD fertigte das Bundesministerium des Innern, für-Bau und Hei.mat (BMI) zwei Formulierungshilfen ; eine für ein Zustimmungsgesetz zu dem Beschluss 2018/994 und eine weitere für ein Gesetz zur Änderung des Europawahlgesetzes . Das BMI übersandte die Formulie- rungshilfen am 30. August 2018 an die Vorsitzenden der Fraktionen. Der Kläger beantragte mit E-Mail vom 26 . September 2018 die Übersendung der „Formulierungshilfe", die das BMI für den Gesetzentwurf bei der EU -Wahl für den Deutschen Bundestag verfasst habe . Mit Bescheid vom 15. November 2018 lehnte das BMI den Antrag, der sich auf die beiden Formulierungshilfen beziehe, ab mit der Begründung, das Bekanntwerden beeinträchtige die Beratungen von Behörden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies das BMI mit Wider- spruchsbescheid vom 21. Februar 2019, zugestellt am 25. Februar 2019, zurück . - 3-
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-3- . Das BMI habe keine Verfügungsgewalt über die gewissermaßen in Amtshilfe für die Fraktionen erstellten Formulierungshilfen. Eine Herausgabe sei zudem ausgeschlos- sen, weil dies die Beratungen von Behörden beeinträchtige. Eine Entscheidung über Änderungen und den endgültigen Inhalt der Gesetzesentwürfe der Fraktionen, die Entscheidung über den Kreis der einbringenden Fraktionen und über das „ob" der Einbringung im Deutschen Bundestag durch die Fraktionen sei noch nicht erfolgt und Gegenstand fortdauernder Gespräche. Es bestehe die Gefahr, dass der vertrauliche Entscheidungsbildungsprozess durch eine Beeinflussung von außen beeinträchtigt werde. Zudem sei die Herausgabe abzulehnen, weil das Bekanntwerden der Infor- mation die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen beeinträchtige .. Die Beklagte müsse bei dem andauernden ·Prozess der Reform des Direktwahlakts in der Lage sein, Verhandlungen ohne unbefugten Einfluss von außen mit allen be- teiligten EU-Mitgliedstaaten durchzuführen. Hiergegen hat der Kläger am 25. März 2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, das BMI sei als Urheber der Information verfügungsberechtigt. Der Ausschluss- grund für Beratungen von Behörden erfasse Beratungen zwischen Exekutive und Legislative nicht. Jedenfalls habe die Beklagte nicht dargelegt, ob und warum der Informationszugang nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit haben könne. Zudem beträfen die Formulierungshilfen keine Beratungen , da sie das Ergebnis von Beratschlagungen im BMI seien, die zur Grundlage von Beratungen des Bundes- tagsausschusses gemacht würden. Der Ausschlussgrund wegen internationaler Ver- handlungen sei nicht einschlägig; der Beschluss sei veröffentlicht und im Übrigen liege keine Verhandlungssituation vor. Zudem seien die deutschen Interessen be- kannt. Der Kläger beantragt schriftlich, die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides des Bun- desministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 15. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2019 die für die Koali- tionsfraktionen gefertigten Formulierungshilfen für die Gesetzesentwürfe zur . Zustimmung zum Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 und zur Umsetzung des europäischen Wahlaktes im deutschen Europawahlrecht herauszugeben. Die Beklagte beantragt schriftlich, . die Klage abzuweisen. Sie trägt ergänzend vor, nach langjähriger Staatspraxis werde das Wahlrecht des Bundes einschließlich des Europawahlrechts als Sache des Deutschen Bundestages angesehen. Die Bundesregierung beschränke sich auf die Leistung von Formulie- - 4 ".'
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-4- rungshilfen auf Bitte der initiativberechtigten Fraktionen. Deren Verfügungsberechti- gung würde umgangen, wenn die Formulierungshilfen über das BMI zu erlangen wä - ren, während ein !FG-Anspruch gegen den Deutschen Bundestag bzw. die Fraktio- nen nicht geltend gemacht werden könne. Die Herausgabe beeinträchtige die Bera- tungen von Behörden, weil der Meinungsbildungsprozess in den Fraktionen über den Inhalt des Gesetzesentwurfs sowie etwaige Ergänzungs- oder Änderungswünsche zu ' den Formulierungshilfen noch nicht abgeschlossen sei. Zudem stünden politische Abstimmungen mit weiteren Fraktionen bevor, weil das Zustimmungsgesetz eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und Bundesrat erfordere. Weitere Ab- stimmungsprozesse gebe es zwischen den Ressorts der Bundesregierung und mit den im Bundesrat beteiligten Bundesländern. Die Möglichkeit vertraulicher Beratung Im Vorsta Ium einer lnitIatIve aus     er  It                      es ages ge ore zum Kernbereich der Parlamentsautonomie. Schließlich beeinträchtige das Bekanntwer- den der Information die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen, ':"eil noch nicht alle Mitgliedstaaten dem Beschluss 2018/994 zugestimmt hätten. Auf EU-Ebene erfolgten Abfragen zum Stand der ~ustimmungen. Im Europäischen Par- . lament werde erneut über eine Reform des Wahlrechts beraten. Zudem hätten Ver- handlungen bezüglich der Zustimmung der Beklagten zum Beschluss 2018/994 wäh- rend der 19. Wahlperiode mehrfach zwischen den Fraktionen des Deutschen Bun- destages und Mitgliedern des Europäischen .Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland sowie mit den Regierungen anderer Mitgliedstaaten stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- akte und den beigezogenen Ver~altungsvorgang verwiesen. Entscheidungsgründe Die Kammer kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit gemäߧ 101 Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt haben. Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid des BMI vom 15. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er hat Anspruch auf Zu- gang zu den Formulierungshilfen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 ':JwGO) . 1. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist§ 1 Abs . 1 Satz 1 des Informa- tionsfreiheitsgesetzes (IFG). Nach dieser Vorschrift hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amt- l   lichen Informationen . Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Der Kläger - 5-
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-5- ist als natürliche Person „jeder" und damit anspruchsberechtigt. Er begehrt Zugang zu amtlichen Informationen i.S.d. § 2 Nr. 1 Satz 1 IFG. Das BMI ist als Behörde des Bundes grundsätzlich anspruchsverpfl ichtet. · Behörde i.S.d . § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dabei meint der Begriff der Verwaltung i.S.d. Informations- freiheitsgesetzes jegliche vollziehende Gewalt, die weder der Gesetzgebung noch der Rechtsprechung zuzurechnen ist. Die gesetzesvorbereitende Tätigkeit als Teil des Regierungshandelns eines Bundesministeriums ist hiervon nicht ausgenommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. November 2011 - BVerwG 7 C 3/11 - und :- BVerwG 7 C 4/11 -, jeweils juris Rn. 10 ff. im Anschluss an die amtl iche Begründung BT- Drs. 15/4493, S. 7). Damit bleibt die Vorbereitung von Normen durch Stell en i.S.d . . § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG Verwaltungstätigkeit im materiellen Sinne (vgl. Urteil der Kammer vom 17. März 2016 - VG 2 K 1/15 -, juris Rn. 14 m.w.N .). Solche Verwal- tungsaufgaben in Gestalt einer gesetzesvorbereitenden Tätigkeit hat das BMI hier. wahrgenommen . Es hat Unterstützungsleistungen zur Vorbereitung einer Gesetzge- bungsinitiative der damaligen Regierungsfraktionen erbracht. Der Ei.nwand der Beklagten, die Abstimmung des Wortlauts einer Gesetzesinitiative sei keine bloß administrative Tätigkeit der Verwaltung und keine vorgelagerte Unter- stützungsleistung, steht im Widerspruch zu ihrem Vorbringen, bei den Formulie- rungshilfen handele es sich um vorbereitende Arbeiten auf Bitten der damaligen Re- gierungsfraktionen. Zudem verkennt die Beklagte bei ihrer Argumentation den ge- nannten Behördenbegriff. Auf die Wertigkeit des Handelns des BM I und dessen Ein- fluss auf eine mögliche Gesetzesvorlage kommt es nicht an. 2. Das BM I ist zur Verfügung über die Formu lierungshi lfen berechtigt. Nach der als Zuständigkeitsbestimmung ausgesta lteten Vorschrift des§ 7 Abs. 1 Satz 1 IFG ent- scheidet über den Antrag auf Information szugang die Behörde, di.e zur Verfügung über die begehrten Inform ationen berechtigt ist. Verfügungsberechtigt über eine In- formation ist grundsätzlich deren ·urheber (BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - BVerwG 7 C 4/11 -, juris Rn. 28; OVG Berlin-Brandenburg, Besch lu ss vom 21. Au- gust 2014 - OVG 12 N 73/13 -, juris Rn. 7) . Das BMI ist Urheber der Formulierungs- hilfen. Der hiergegen erhobene Einwand der Beklagten, das BMI h·abe die Formulierungshi l- fen a~f Bitten der damaligen Regierungsfraktionen erste llt und an diese zur weiteren Verwendung überlassen, verfängt nicht . Der Urheber der Information verliert seine -6-
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-6- Verfügungsberechtigung nicht ohne Weiteres, wenn er die Information an einen Empfänger weitergibt und dieser ein eigenes Verfügungsrecht erhält (vgl . BVerwG, a.a.O_.). Die Beklagte hält diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Stellungnahme des Bundesjustizministeriums gegenüber dem Petitionsausschuss für nicht einschlägig; die gegenüber dem Petitionsausschuss abgegebene Stellungnah- me sei eine auf eigener Entscheidungsbildung und im eigenen Namen abgegebene Äußerung der Bundesregierung gegenüber Dritten, während die hier zu beurteilen- den Formulierungshilfen eine Hilfeleistung zu einer Äußerung Dritter, nämlich der Fraktionen, seien. Das überzeugt nicht. Die inhaltliche Unterscheidung ändert nichts daran, dass das BMI Urheber der Information ist, selbst wenn diese als Hilfeleistung und nicht als eigene Äußerung qualifiziert wird. Die andauernde Verfügungsberechti- gung cies Bivii wirci nicht ciaciurch beschränkt, c:iass c:iie rraki:ionen c:iie rorrnui,e- rungshilfen erbeten haben, sie inhaltliche Vorgaben gemacht haben und sie über die übersandten Formulierungshilfen frei verfügen dürfen. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, das BMI habe gewissermaßen · Amtshilfe für die allein gesetzesinitiativberechtigten und verfügungsberechtigten Fraktionen geleistet. Hierfür bedarf es keiner Entscheidung, ob die Verfügungsbe- rechtigung ausr:iahmsweise fehlt, wenn der Urheber der Information der die lnforma- . tion anfordernden Stelle lediglich eine eher formelle Unterstützung leistet, indem er etwa seine personellen und sächlichen Mittel zur Materialsammlung zur Verfügung stellt (vgl. BVerwG, a.a.O) . Um eine solche Hilfeleistung ohne eigene Zuständigkeit des Urhebers geht es hier nicht. Das BMI hat durch die Erarbeitung der Formulie- rungshilfen eine eigene, ihm obliegende Aufgabe wahrgenommen . Die gesetzesvor- bereitende Unterstützung des Parlaments durch·die Bundesministerien ist übliche Praxis . Denn der Deutsche Bundestag verfügt - abgesehen von den Arbeitsgruppen 1               ' der Fraktionen und seinen Wissenschaftlichen Diensten - über keinen parlamentari - schen Gesetzgebungsdienst. Die hieraus den Bundesministerien erwachsende Auf- gabe ist staatsrechtlich anerkannt. Dies gilt nicht nur für die Vorbereitung einer Ge- setzesvorlage der Bundesregierung und die Vorbereitung zur Einbringung einer „ver- kappten Regierungsinitiative" aus der Mitte des Bundestages . Die Ministerialverwal- · tung erfüllt eine ihr obliegende Aufgabe auch dann, wenn Fraktionen - wie hier die damaligen Regierungsfraktionen - von sich aus Formulierungshilfen von Seiten des Bundesministeriums für eine mögliche Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundes- tages erbitten (vgl. Os$enbühl, HStR V, 2007, § 102 Rn. 12 ff., 25 f.; Brüning, Bon- ner Kommentar, 180. Akt. 2016, Art. 76 Rn. 127 f ., 147 ff.; Masing/Risse, in: von Mangoldt/Klein/Stark, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 76 Rn. 48) . Die Einordnung als Regie~ -7-
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- 7- rungsaufgabe verdeutlicht zudem § 56 Abs. 3 Satz 1 der Gemeinsamen Geschäfts- ordnung der Bundesministerien. Diese Bestimmung verlangt für die Mitwirkung der Angehörigen der Bundesministerien bei der sachlichen oder rechtsförmlichen Vorbe- reitung einer Gesetzesvorlage des Deutschen Bundestages eine Genehmigung des zuständigen Bundesministers. Das Genehmigungserfordernis setzt eine grundsätzli- che Zuständigkeit der Bundesministerien voraus, auf Bitten von Fraktionen unter- stützende Dienste zu erbringen, um eine Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bun - destages vorzubereiten. Die Parlamentsautonomie sowie das Gesetzesinitiativrecht des Deutschen Bundes- tages und der Fraktionen (Art. 76 Abs. 1 GG, § 76 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) stehen der Verfügungsbe-rechtigung des BMI nicht entge- gen : Die Rechte des Deutschen Bundestages, der in dem spezifischen Bereich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten vom Informationszugang ausge- nommen ist (BT-Drs. 15/4493, S. 8), bleiben unberührt. Der Informationszugang ge- genüber dem BMI ist entgegen der Ansicht der Beklagten keine Umgehung, sondern Folge der gesetzlichen Regelung . Einer Behörde als Urheberin einer Information, die sich weiterhin in ihrem Aktenbestand befindet, ist eine Berufung auf die abweichende informationsfreiheitsrechtliche Rechtsposition anderer Personen und . Institutionen verwehrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30 . März 2017 - BVerwG 7 C 19/15 - , juris Rn. 22). Das BMI kann den eingeschränkten Anwendungsbereich gemäߧ 1 Abs . 1 Satz 2 IFG nicht zu seinen Gunsten anführen, da es Behörde des Bundes i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist. 3. Die geltend gemachten Ausschlussgründe stehen dem Informationszugang nicht entg_egen . Der Anspruch ist nicht gemäߧ 3 Nr. 3 Buchst. a IFG ausgeschlossen . Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen beeinträchtigt wird . Ge- · schützt werden soll die Position der Bundesrepublik mit dem Ziel, _dass diese ihre Interessen und Ziele möglichst effektiv vertreten kann. Der bezweckte Schutz der gesamten Verhandlungsposition rechtfertigt es, ein Zurückhalten von Informationen auf Dauer als geschützt anzusehen. Der Schutz bezieht sich über den eigentlichen Vorgang der Entscheidungsfindung hinaus gerade darauf, wie die Bundesrepublik in internationale Verhandlungen hineingeht, also auch auf das Vorbereiten der Ver- handlungsstrategie (vgl. Urteile der Kammer vom 7. Mai 2015 - VG 2 K 247/12 -, juris Rn. 24 f. und vom 20. Mai 2020 - VG 2 K 164/17 -, juris Rn. 33 f.; Schech, IFG, · 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 168). Die Beklagte hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG der Offenlegung der Formulierungshilfen entgegensteht. -8-
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- 8- Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend , das europäische Gesetzgebungsverfahren bezüglich des Beschlusses 2018/994 sei noch nicht abgeschlossen. Auf der Grund- lage ihres Vorbringens ist bereits die Voraussetzung „internationaler Verhandlungen" i.S. d. § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG nicht erfüllt. Das Gesetzgebungsverfahren im Europäi- schen Parlament und im Rat der EU über den Erlass des Beschlusses 2018/994 ist beendet. Die geltend gemachten Abfragen auf EU-Ebene zum Stand der Zustim- mungen belegen keine internationale Verhandlungssituation. Hier geht es um die Mitteilung der innerstaatlichen Ratifikation gegenüber dem Generalsekretariat des Rates gemäß Art. 2 Abs. 1. Satz 2 des Beschlusses 2018/994, die für dessen Inkraft- treten gemäß Art. 223 Abs . 1 UA 2 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Art. 2 Abs. 2 des Beschlusses 2018/994 erforderlich ist. Für sich genommeh sind solche Abfragen und Mi tteilungen Keine Verhandlungen . t>ie erschöpfen sich in der Kommunikation des Ratifikationsstands, ohne dass hierbei Interessen vertreten und kontroverse Standpunkte ausgetauscht werden könnten . Es ist auch nicht dargelegt, dass .die Abfragen und Mitteilungen von internationalen Verhandlungen begleitet sind. Soweit die Beklagte Verhandlungen im Kontext der Ratifizierung des Beschlusses 2018/994 nennt, fehlt ein Bezug zum Inhalt der Formulierungshilfen. Die Beklagte nennt nur die Verhandlungspartner und den Gegenstand der Verhandlungen, indem · sie auf Verhandlungen bezüglich der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaf- ten zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages und Mitgliedern des Euro- päischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland sowie mit den Regierun- gen anderer Mitgliedstaaten verweist. Es ist bezüglich keiner der genannten Ver- handlungen dargelegt, dass die Formulierungshilfen eine Verhandlungsposition oder -strategie der Beklagten enthalten oder hierauf Rückschlüsse zuließen. Dies geht auch aus dem weiteren Vorbringen der Beklagten nicht hervor. Hiernach betreffen die Formulierungshilfen das gemäß Art. 23 Abs . 1 GG erforderliche Zustimmungsge- setz zu dem Beschluss 2018/994 und eine Änderung des Europawahlgesetzes. Hie- raus wird kein Bezug zwischen der Ratifikation des Beschlusses bzw. der Änderung des innerstaatlichen Rechts zur Position der Beklagten im Verhält~is zu Verhand- lungspartnern nachvollziehbar. Erst recht fehlt bei dem Vortrag der Beklagten zu Verhandlungen im Europäischen Parlament über eine weitere Reform des Europawahlrechts eine Darlegung eines Zusammenhangs mit dem Inhalt der Formulierungshilfen. Schon wegen des Zeitab- 7    laufs bedürfte es einer Erkl·ärung, warum die Formulierungshilfen, die in Bezug auf den Beschluss 2018/994 im Jahr 2018 erstellt wurden, für die Verhandlungsposition - 9-
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-9- bei den aktuellen Reformbemühungen von Belang sind. Dies ist im Übrigen fernlie- gend, weil die derzeitigen Reformen einen neuen Rechtsakt betreffen. Aus dem von der Beklagten angeführten Entwurf eines Berichts über die Reform des Wahlrechts der Europäischen Union (2020/2220 [INL]) ergibt sich, dass eine Reform angestrebt wird, die vom Inkrafttreten des Beschlusses 2018/994 unabhängig ist. In der Erwä- gung J heißt es, der Abschluss des Ratifizierungsverfahrens für den Beschluss 2018/994 stehe noch aus, was aber die notwendigen Änderungen der Wahlsysteme der Union nicht aufhalten könne. Zudem fehlt es an der Darlegung der notwendigen Vertraulichkeit i.S.d. § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers ist bekannt, dass die Einführung der Sperrklausel auf Initiative der Bundesregierung beschlossen wor- den ist. Dies ergibt sich auch aus dem als Anlage K 1 vorgelegten Zeitungsbericht. Danach hat ein Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bestätigt, dass eir,e Sperrklausel von zwei Prozent angestrebt werde. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Formulierungshilfen andere Informationen enthalten, die mit Rücksicht auf deutsche Interessen in Verhandlungen nicht bekannt werden dürften. Die Maßgaben für Änderungen des Europawahlrechts, denen die Bundesregierung aufgrund der Recht_s prechung des Bunde~verfassungsgerichts unterliegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 - 2 BvE 2/13 - , juris), sind ebenfalls offenkundig. Schließlich ist auch eine Beeinträchtigung der Schutzbelange des § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG nicht hinreichend dargelegt. Aus dem Vorbringen der Beklagten geht nicht her- vor, dass das Bekanntwerden_der Formulierungshilfen nachteilige Auswirkungen auf eine deutsche Verhandlungsposition entfalten kann. Mit ihrem Vortrag, eine Heraus"' gab_e könne die Position und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung schwächen und dem erfolgreichen Abschluss des Dossiers schaden, beschreibt sie nur eine abstrakte Gefahr. Es fehlt eine konkrete Darlegung, welche Inhalte der Formulie- rungshilfen ursächlich für welche Beeinträchtigungen sein sollen. 4. Die Beklagte kann die Versagung des begehrten Informationszugangs nicht auf § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG stützen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf ' Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beein- trächtigt werden. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher. Ausgenommen sind das Beratungs- ergebnis und _ d er Beratungsgegenstand. Der Begriff der Beratung erfasst die Vor- gänge interner behordlicher Meinungsäußerung und Willensbildung, die sich inhalt- lich auf die Entscheidungsfindung beziehen . Der Schutz gilt danach vor allem dem - 10 -
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- 10 - Beratungsprozess als solchem, also der Besprechung, Beratschlagung und Abwä- gung, mithin dem eigentlichen Vorgang des Überlegens. Zum demge·genüber nicht geschützten Beratungsgegenstand können insbesondere Sachinformationen oder gutachterliche Stellungnahmen im Vorfeld gehören, also die Tatsachengrundlagen • und die Grundlagen der Willensbildung (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 - BVerwG 10 C 25/19 - , juris Rn . 32 f.). Die bloße Übermittlung von Unterlagen zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit der Abgeordneten stellt keine Willens- bildung und damit „Beratung" i.S.d. Ausschlussgrunds dar (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - BVerwG 7 C 19/15 -, juris Rn. 22) . Ausgehend hiervon sind die Formulierungshilfen auf der Grundlage des Beklagten- v:rtr2g:::: ~icht de!:! Sch!..!tz des Es ~ !\Ir_ -3 Bu chst h I F~ 11711orrlni:rn . Die Beklagte hat nicht dargelegt; dass die Formulierungshilfen einen Beratungsprozess abbilden oder hierauf Rückschlüsse zulassen. Sofern bis zur Erstellung der Formulierungshilfen Beratungen u.a. im BMI und mit den Fraktionen stattfanden, sind die Formulierungs~ hilfen nur das Ergebnis von Beratungen. Es ist nicht vorgetragen, dass die Formulie- rungshilfen Informationen über den Verlauf vorausgehender Beratungen enthalten oder ihn erkennen lassen. Für alle weiteren Beratungen, die nach Angaben der Be- klagten nach Erstellung der Formulierungshilfen im Verhältnis mit Fraktionen oder anderen Stellen auf EU-, Bundes- oder Landesebene stattfanden und andauern, sind die Formulierungshilfen allenfalls Grundlage von Beratungen. Zur Wiedergabe eines Beratungsverlaufs hat die Beklagte nichts vorgetragen. Es liegt auch im Hinblick auf die zeitliche Abfolge fern, dass die Formulierungshilfen Informationen über den Ver- lauf der Willensbildung enthalten. Denn die von der Beklagten angeführten Beratun- gen konnten erst nach Übersendung der Formulierungshilfen an die Regierungsfrak- tionen beginnen . Für die Einordnung kommt es auch nicht auf die zwischen den Be- teiligten diskutierte Frage an, ob das Handbuch der Rechtsförmlichkeit Anwendung findet. Selbst wenn dies nicht ·der Fall ist, bilden die Formulierungshilfen allenfalls die Grundlage der Willensbildung in oder zwischen den Fraktionen und weiteren Stellen . Der Verweis auf den Kernbereich; der Parlamentsautonomie kann die man- gelnde Darlegung zum Beratungsverlauf nicht ersetzen. Hiernach kann offenbleiben, ob der Ausschlussgrund ohnehin nur die Beratung in- nerhalb von und zwischen Behörden erfasst oder - über den Wortlaut hinaus - auch auf die Beratungen zwischen der Exekutive und Legislative zu erstrecken ist (vgl. OVG Münster, Urteil vom 15. Januar 2014 - 8 A 467/11 -, juris Rn. 86 m.w.N.) . - 11 -
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