Klage
des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstr. 109, 10179 Berlin,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Benedikt Lux, Winterfeldtstr. 1,
10781 Berlin,
g e g e n
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Deutsche Bahn Fernverkehr AG, Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt am Main,
- Beklagte -
wegen: Zugang zu Umweltinformationen
vorgeschlagener Streitwert: 5.000 EUR
Namens und in Vollmacht des Klägers wird Klage erhoben und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Zugang zu dem Gutachten über die „Termin- und Kostensituation des Projekts Stuttgart 21“ erstellt durch das Beratungsunternehmen KPMG und dem Ingenieursunternehmen Ernst Basler + Partner (Gutachten zu 1) und
dem Gutachten zur „Bewertung der Termin- und Kostensituation für das Projekt Stuttgart 21“ erstellt durch das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) und die Emch+Berger Holding GmbH Ingenieure und Partner (Gutachten zu 2) zu gewähren.
Begründung:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gem. § 3 Abs. 1 UIG einen Anspruch auf Zugang zu allen Umweltinformationen, die bei der Beklagten vorhanden sind ohne Darlegung eines rechtlichen Interesses. Die Beklagte hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Sie ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, die im Alleineigentum der Deutschen Bahn AG steht, die wiederum im Alleineigentum der Bundesrepublik Deutschland steht. Die von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG geforderte öffentliche Aufgabe wird nicht von der Deutschen Bahn AG wahrgenommen, sondern von ihren Tochtergesellschaften (Götze/Engel UIG , §2 Rn. 65). Der begehrte Informationszugangsanspruch gegen juristische Personen des Privatrechts wie der Beklagten gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG ist im Wege der Leistungsklage zu verfolgen. (VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 7.6.2011, 7 K 634/10.F)
Der Kläger beantragte mit E-Mail vom 10. Oktober 2018 Zugang zu den in Rede stehenden Gutachten bei der Beklagten.
Beweis: E-Mail vom 10. Oktober 2018
- Anlage 1 -
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 9. November 2018 unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse den Antrag ab.
Beweis: Brief per E-Mail vom 9. November 2018
- Anlage 2 -
Der Kläger ersuchte erneut um Überprüfung der Ablehnung.
Beweis: E-Mail und Brief vom 10. Und 12. November 2018
- Anlage 3 -
Eine erneute Überprüfung durch die Beklagte führte nicht zum Erfolg
Beweis: Brief per E-Mail vom 7. Dezember 2018
- Anlage 4 -
Mithin ist Klage geboten.
1. Bei den vorhandenen Informationen handelt es sich um Umweltinformationen gem. § 2 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. Nr. 3 a) und 2 und 1 UIG.
Umweltinformationen sind gem. § 2 Abs. 3 Nr. 5 auch Kosten-Nutzen-Analysen oder sonstige wirtschaftliche Analysen oder Annahmen, die zur Vorbereitung oder Durchführung von Maßnahmen oder Tätigkeiten (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 a) verwendet werden, die sich auf die Umweltbestandteile (§ 2 Abs. 3 Nr. 1) oder auf Faktoren (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) auswirken oder wahrscheinlich auswirken.
Grundlegender Bestandteil beider Gutachten sind Umweltinformationen. Dies bestätigt auch die Beklagte, wenn sie ausführt, der Anstieg der Kostenprognose ist „auf deutliche aufwendigere Verfahren beim Tunnelbau im Anhydrit, umfangreiche Genehmigungsverfahren (unter anderem in Folge des Artenschutzes) […] zurückzuführen.“ (S. 2 des Schreibens vom 7. Dezember 2018)
Zentraler Bestandteil des Gutachtens ist also die Untersuchung der Anhydrit-Vorkommen und die Untersuchung ihrer Folgen (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 25. Mai 2018).
- Anlage 5 -
Zudem stehen konkrete Fragen des Natur- und Artenschutzes in Rede, vgl. nur die umfangreiche Sammlung beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland LV Baden-Würrtemberg unter:
https://www.bund-bawue.de/themen/mensch…
Inhalt des Gutachtens dürften auch sonstige Umweltbestandteile Luft, Wasser, Landschaft, weitere natürliche Lebensräume und Faktoren wie Lärm und Energie und die sonstige Freisetzung von Stoffen, die sich auf Umweltbestandteile auswirken.
2. Die Beklagte erteilte wenige, keinesfalls ausreichende Informationen. Sie sah auch keinen Anlass, ihrer gesetzlichen Verpflichtung gemäß § 7 UIG nachzukommen; insbesondere wäre es naheliegend gewesen, eine Auskunftsperson oder Informationsstelle gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 UIG zu benennen. Stattdessen beruft sich die Beklagte – recht pauschal – auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, sowie dem Schutz des geistigen Eigentums der Unternehmen, die die Gutachten erstellt haben und einer Bekanntgabe nicht zugestimmt haben.
a) Urheberrechtsschutz
Gemäß § 2 Abs. 1 UrhG gehören zu den geschützten Werken insbesondere Sprachwerke, wie Schriftwerke, aber auch Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen. Als Werke im Sinne dieses Gesetzes sind aber nach Absatz 2 der Vorschrift nur persönliche geistige Schöpfungen anzusehen. Die Einstufung als eine solche Schöpfung ist eine nach objektiven Maßstäben zu treffende Rechtsfrage (vgl. Bullinger in: Wandtke/Bullinger, UrhR - Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 5). Das in Rede stehende Werk muss aufgrund seiner strukturierten Gedankenführung und sprachlichen Gestaltung die erforderliche Mindesthöhe an persönlicher geistiger Schöpfung i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG aufweisen (sog. „kleine Münze"). Das Persönliche des Schaffensprozesses verlangt dabei Individualität, setzt hingegen keine völlige Neuheit voraus; ein bloßes Anderssein genügt hingegen nicht. Das Geschaffene muss sich von der Masse des Alltäglichen und von lediglich handwerklichen und routinemäßigen Leistungen abheben (vgl. Bullinger, a. a. 0. § 2 Rn. 22; Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG — Kommentar, 5. Aufl. 2015, § 2 Rn. 18). Diese Anforderungen erfüllt der hier in Rede stehende Bericht nicht. Dabei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob dieser als wissenschaftliches Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG als Darstellung wissenschaftlicher Art i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG oder als Kombination beider einzustufen ist. Denn die für solche Werke erforderliche Schöpfungshöhe i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG, die sich in einer individuellen Form oder Strukturierung der Auswahl und Anordnung bekannter Gestaltungsmittel oder vorgegebenen Materials zeigt (vgl. hierzu Schulze, a. a. 0., § 2 Rn. 51 m. w. N.), liegt nach hiesiger Auffassung nicht vor. Vielmehr liegt es nahe, dass routinemäßige Berechnungs- und Bewertungssysteme zur Untersuchung der umweltmäßigen Beschaffenheit genutzt worden sind, um eine Kosten-Nutzen-Analyse zu erstellen. Dabei wird nicht verkannt, dass ein erheblicher Aufwand zur Erhebung und Untersuchung der vorhandenen Daten betrieben worden ist. Gleichwohl liegen keine Erkenntnisse vor, die sich von standardisierten mathematischen und technischen Vorgängen in einer Weise abheben, das geschützte Werke im Sinne des UrhG vorliegen.
b) Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können. (BVerfGE Beschluss vom 14. März 2006, Az. 1 BvR 2087/03)
Diese hat die Beklagte nicht schlüssig, sondern lediglich pauschal geltend gemacht. Im Kern sind die begehrten Umweltinformationen solche, die sich auf die Beschaffenheit der Umwelt beziehen und nicht auf die Beschaffenheit der Unternehmen.
c) Kein fiskalisches Interesse
Es ist auch nicht ersichtlich, dass konkrete Ausschreibungsvorbereitungen oder schützenswerte Preis- und Marktverhältnisse von privaten Dritten wie Bauunternehmen betroffen wären. Die Beklagte betreibt als DB Fernverkehr AG ein faktisches Monopol. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, das auch nur ansatzweise ähnlich gelagerte Projekte anstehen, die die Wettbewerbs- und Haushaltssituation verschlechtern.
Überdies ist die Beklagte gemäß §§ 264, § 325 HGB ohnehin zur Veröffentlichung einer Reihe von Informationen verpflichtet, deren Geheimhaltung sie hier geltend macht.
d) Aussonderungspflicht
Gem. § 9 Abs. 1 UIG ist die Bekanntgabe nur zu versagen, soweit die geschützten Rechte der Beklagten und der Dritten betroffen sind. Damit trifft die Beklagte eine „Aussonderungspflicht“. Sie hat die Informationen entsprechend zu trennen und jedenfalls auszugsweise zugänglich zu machen. ( Götze/Engel UIG , §8 Rn. 10 und § 9 Rn. 7)
e) Möglichkeit der Einsichtnahme
Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch die Möglichkeit der Einsichtnahme – in gegebenenfalls nur bestimmte Teile der Gutachten - der Gefahr einer Bekanntgabe an Dritte begegnet wird .
4. Abwägung öffentlicher Interessen
Auch „soweit“ die Beklagte den Schutz öffentlicher und sonstiger Belange geltend macht, überwiegt das öffentliche Interesse an einer Bekanntgabe. „Das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Informationen überwiegt im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 UIG nur dann, wenn mit dem Antrag auf Zugang zu Informationen ein Interesse verfolgt wird, das über das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit hinausgeht, Zugang zu Informationen über die Umwelt zu erhalten.“ (BVerwG 7 C 2.09)
Das Projekt Stuttgart 21 ist aufgrund von vielen geschützten Rechtsposition Gegenstand öffentlicher Debatten: Konkret geht es auch um Leib und Leben, Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, Gesundheit der Anwohnerinnen und -anwohner, Natur- und Umweltverträglichkeit, Öffentliche Haushaltswirtschaft.
Der konkrete, teilweise sehr lebendige öffentliche Streit und Protest um dieses „Zitat größte Bauprojekt“ geht weiter über einen allgemeines Bauvorhaben hinaus. Die konkrete Betroffenheit von Anwohnerinnen und Anwohnern, von Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern, aber auch die massiven Auswirkungen auf die Umwelt gehen deutlich über ein nur allgemeines Interesse der Öffentlichkeit hinaus.
In Rede steht, die Entscheidungen in einem aus vielerlei Gründen sensiblen Gebiet wie das rund um das Bauprojekt Stuttgart 21 nachollziehen zu können, die umweltbezogenen Tatsachen und Untersuchungen dazu konkret kontrollieren zu können; sowie eine Einschätzung über die Folgen dieses Bauvorhabens treffen zu können. Insbesondere nach Jahren intensiver öffentlicher Diskussionen um Stuttgart 21 ist es jetzt geboten, für Transparenz zu sorgen.
Auch deswegen ist der Zugang zu den in Rede stehenden Informationen geboten.