Sehr geehrter Herr Henning,
in Ihrem Antrag baten Sie um Übersendung aller eventuell vorhandenen Unterlagen, beispielsweise Gutachten, Stellungnahmen, Schriftwechsel, Berichte, Einschätzungen, Anmerkungen, Kommentare und Verträge betreffend die durch die Merck KGaA verursachten HCH-Belastungen in Südhessen.
Im Hinblick auf den umfangreichen Aktenbestand möchte ich Sie nochmals bitten, Ihre Anfrage zu konkretisieren. Momentan ist der Antragsgegenstand zu unbestimmt und großmaschig gestellt. Das zuständige Bodenschutzdezernat beantwortet gerne Ihre Fragen bzw. hilft Ihnen die Anfrage zu konkretisieren. Für einen Gesprächstermin z. B. über Skype nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.
Bezug nehmend auf meine E-Mail vom 24. Januar 2021 möchte ich Ihnen einen Überblick der bei meiner Behörde geführten beiden bodenschutzrechtlichen Verfahren der Firma Merck KGaA (nachfolgend Firma Merck) geben.
A. Merck Darmstadt (Aktenzeichen 2023)
Historie:
Im Rahmen der Umweltverwaltungsreform in Hessen ging die Zuständigkeit für die Firma von der Wissenschaftsstadt Darmstadt auf das Regierungspräsidium Darmstadt über.
2003 nahm eine Arbeitsgruppe (AG) aus Vertretern meiner Behörde, der Firma Merck und eines Ingenieur-Büros für die systematische Bearbeitung der Boden- und Grundwasserkontaminationen die Arbeit auf. Die in der AG getroffenen Vereinbarungen werden bis heute in Protokollen festgehalten. Die AG hat dazu beigetragen, dass die notwendigen Maßnahmen umgesetzt (und, in der Regel zeitintensive Verwaltungsstreitverfahren) vermieden werden konnten. Nach langjährigen Vorarbeiten wurde im Jahr 2010 ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen der Firma und dem Land Hessen, vertreten durch das Regierungspräsidium Darmstadt geschlossen. Dieser Vertrag regelt die erforderlichen bodenschutzrechtlichen Pflichten der Firma Merck. Die Firma kommt seitdem ihrer Verpflichtungen nach. Die AG tagt weiterhin 1-2 Mal pro Jahr.
Entstehung der schädlichen Bodenveränderungen (SBV):
Die Firma Merck bezog das Gelände in der Frankfurter Straße 250 im Jahr 1903. Die SBV sind insbesondere durch die Herstellung des Pflanzenschutzmittels "Lindan" unter den damaligen Produktionsbedingungen Anfang des letzten Jahrhunderts in Unkenntnis über Schadstoffeigenschaften und durch Kriegseinwirkungen entstanden. Hierbei haben sich die Schadstoffe über die ungesättigte Bodenzone in die gesättigte Bodenzone und Grundwasser - zunächst in den 1. Grundwasserleiter und später in den 2. Grundwasserleiter ausgebreitet. Im Anschluss haben sich die Schadstoffe über den Grundwasserpfad in den Grundwasserabstrom verlagert und haben damit das Werksgelände verlassen. Die derzeit bekannte Ausdehnung der Schadstofffahne im Grundwasser nach Südwesten beträgt über 1,5 km (etwa bis zur kommunalen Kläranlage der Stadt Darmstadt und darüber hinaus).
Sanierungsmaßnahmen:
1. Bodensanierung durch Bautätigkeiten auf dem Werksgelände:
Unter der Voraussetzung, dass im 1. Grundwasserleiter der Abstrom des mit Schadstoffen belasteten Grundwassers an der Grundstücksgrenze über eine Sicherungsgalerie (22 Förderbrunnen) verhindert wird, kann die Sanierung des Bodens an die betrieblichen Abläufe angepasst werden. Sanierungen des Bodens können bei einem laufenden Betrieb grundsätzlich nur dann durchgeführt werden, wenn es die betrieblichen Abläufe zulassen. Das bedeutet, dass ein Eingriff in den Boden häufig nur dann erfolgen kann, wenn ein Gebäude zurückgebaut wird. Eine Stilllegung von Produktionsanlagen, um Verunreinigungen im Boden zu sanieren, ist in der Regel nicht verhältnismäßig.
Bei jeglichen Eingriffen in die Bausubstanz, die mit Eingriffen in den Boden verbunden sind, z. B. beim Rückbau von Gebäuden, wird durch Merck eine historische Recherche durchgeführt. Bei einem konkreten Verdacht auf eine schädliche Bodenveränderung (SBV) wird das RPDA unmittelbar eingebunden. Bei Bedarf finden im Anschluss abgestimmte Sanierungsmaßnahmen im Baufeld statt.
2. Grundwassersanierung auf dem Werksgelände:
Auf dem Werksgelände wird das Grundwasser im 1. und 2. Grundwasserleiter über zahlreiche Förderbrunnen hydraulisch gefasst und nach einer Vorbehandlung u. a. für HCH in der Zentralen Abwasserbehandlungsanlage (ZABA) aufbereitet, bevor es in den Darmbach abgeleitet wird. Darüber hinaus wird das belastete Grundwasser auch über die Brauchwasserbrunnen gefördert, welches ebenfalls der ZABA zugeführt wird.
Die Einleitung des belasteten Grundwassers in die ZABA wird mittels eines wasserrechtlichen Genehmigungsbescheides, in dem Grenzwerte festgelegt sind, geregelt. Jährlich werden rund 0,9 Mio. Kubikmeter Grundwasser gefördert und aufbereitet.
3. Grundwassersanierung im Grundwasserabstrom:
Im 1. Grundwasserleiter wird der Abstrom des mit Schadstoffen belasteten Grundwassers an der Grundstücksgrenze über eine Sicherungsgalerie (22 Förderbrunnen) verhindert. Das geförderte Grundwasser wird nach einer Vorbehandlung u. a. für HCH über die ZABA dem Darmbach zugeführt.
a. Grundwasserabstrom im 1. Grundwasserleiter: Im 1. Grundwasserleiter wird der Grundwasserabstrom auf einer Länge von ca. 1,5 km regelmäßig mit einem Monitoring überwacht. Hier hatten die Schadstoffe das Werksgelände über den Grundwasserpfad verlassen. Es handelt sich insofern um den Abstrom im Bereich der Werksdeponie (Sickerwasser), zu einem Zeitpunkt als diese noch nicht gesichert war. Bezüglich dieser Abstromfahne sind weitere Maßnahmen in Planung.
b. Grundwasserabstrom im 2. Grundwasserleiter: Weiterhin werden derzeit Maßnahmen im weiteren Grundwasserabstrom umgesetzt. Die Schadstofffahne im 2. Grundwasserleiter reicht bis zur Gräfenhäuser Straße und darüber hinaus. In einem ersten Schritt wurden mehrere Sanierungsbrunnen im Bereich des Werksgeländes und im Bereich der Otto-Röhm-Straße / Wöhlerweg niedergebracht. Das geförderte belastete Grundwasser wird ebenfalls in die ZABA eingeleitet.
Für die Fahne des 2. Grundwasserleiters ist eine biologische Sanierung geplant. Erste Laborversuche verliefen vielversprechend. Zunächst müssen jedoch weitere Untersuchungen zur Eingrenzung der Schadstofffahne durchgeführt werden, um die Planung einer Sanierungsmaßnahme umsetzen zu können.
4. Grundwasserüberwachung
Das Grundwasser auf dem Werksgelände und im Abstrom wird einem fortlaufenden Monitoring unterzogen. Veränderungen werden in Jahresberichten beschrieben und bewertet und Maßnahmen vorgeschlagen.
Sanierungsdauer:
Die Sanierungsmaßnahmen werden regelmäßig angepasst und optimiert. Ein Ende der Sanierung/Sicherung ist derzeit noch offen.
Überwachung:
In den jährlich vorgelegten umfangreichen Jahresberichten sind die einzelnen Sanierungsmaßnahmen auf dem Werksgelände und im Grundwasserabstrom detailliert beschrieben und bewertet. Bei Einzelmaßnahmen wird der jeweilige Sanierungsabschlussbericht von der Behörde geprüft und bewertet.
Zusammenfassung Inhalt Akte 2023:
Ein Abstrom von mit Schadstoffen belastetem Grundwasser von dem Werksgelände in den Grundwasserstrom ist heute nicht mehr möglich, da das gesamte Werksgelände hydraulisch gesichert ist.
Die Schadstofffahne im 1. Grundwasserleiter wird regelmäßig überwacht. Bei Auffälligkeiten erfolgt die Umsetzung von Maßnahmen.
Die Schadstofffahne im 2. Grundwasserleiter im weiteren Abstrom wird aktuell eingegrenzt. Hierzu werden weitere Grundwassermessstellen niedergebracht.
Die Schadstoffsituation im Grundwasser hat sich insbesondere im Grundwasserabstrom durch die seit vielen Jahren laufenden Maßnahmen nachweislich zum Positiven geändert.
Bei Baumaßnahmen werden vorhandene schädliche Bodenveränderungen saniert und die belasteten Böden entfernt und ordnungsgemäß entsorgt.
Umfang der Akte 2023:
Die geführte Behördenakte ist nach fast zwanzigjähriger Bearbeitung mit ca. 2,50 laufenden Meter (lfdm.) sehr umfangreich. Neben der seit 2019 geführten elektronischen Akte liegen in Papierform 20 Ordner mit Schriftverkehr (1,60 lfdm.) und 13 Gutachtenboxen (0,90 lfdm.) vor.
Die Akte enthält neben Betriebsgeheimnisse und/oder Geschäftsgeheimnissen, Urheberrechten auch personenbezogene Daten welche vor einer Einsicht zu prüfen wären.
B. Merck Gernsheim (Aktenzeichen 5035)
Historie:
Durch die hydraulische Sicherung des Werksgeländes ist es heute ausgeschlossen, dass Schadstoffe das Werksgelände über den Pfad des Grundwassers verlassen können. Unter dieser Voraussetzung kann die Sanierung des Bodens an die betrieblichen Abläufe angepasst werden. Die behördliche Überwachung besteht aus Besprechungen, Ortsterminen und Zustimmungen nach dem Bodenschutzrecht für Sanierungsmaßnahmen im Boden und im Grundwasser.
Entstehung der Altlasten:
Im Zusammenhang mit der Herstellung des Pflanzenschutzmittels "Lindan" kam es ab den 1930er Jahren auf dem Betriebsgelände von Merck und auf angrenzenden Flächen der Gemarkung Gernsheim zu Verunreinigungen des Bodens mit Hexachlorcyclohexan (HCH).
Die damals angefallenen Rückstände der Lindan-Produktion - insbesondere das Isomer Gamma-HCH - wurden zum Teil in sog. Flözen im Boden flächig eingelagert. Es existierten ursprünglich zehn dieser Flöze.
Wichtig zu wissen ist, dass die Rückstände aus der Produktion - deren Gefährlichkeit zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt war - ein idealer Baustoff darstellten und daher auf dem Werksgelände auch als solcher eingesetzt wurde.
Die sich auf dem Werksgelände befindlichen Flöze wurden mit Bescheiden des Regierungspräsidiums aus den Jahren 1991 und 1992 als Altlast festgestellt. Nicht Bestandteil der Altlastenerklärung ist das Flöz 8, welches im Rahmen einer genehmigten Baumaßnahme am Rheinufer entstand.
Sanierungsmaßnahmen:
1. Bodensanierung durch Bautätigkeiten auf dem Werksgelände:
Sanierungen des Bodens können bei einem laufenden Betrieb grundsätzlich nur dann durchgeführt werden, wenn es die betrieblichen Abläufe zulassen. Das bedeutet, dass ein Eingriff in den Boden häufig nur dann erfolgen kann, wenn ein Gebäude zurückgebaut wird. Eine Stilllegung von Produktionsanlagen, um Verunreinigungen im Boden zu sanieren, ist in der Regel nicht verhältnismäßig. Bei einem Abbruch von Produktionsanlagen erfolgt eine Bodenuntersuchung und -bewertung. Bei Sanierungsbedarf werden die weiteren Schritte von der Behörde mit der Firma abgestimmt.
2. Hydraulische Sicherung des Werkgeländes:
Wie oben ausgeführt wird das belastete Grundwasser über mehrere Sanierungsbrunnen, die das Werksgelände vollständig abdecken, abgeschöpft. Schadstoffe können dadurch das Werksgelände nicht mehr verlassen.
Die Überwachung des im Grundwasser eingetretenen Schadens erfolgt über zahlreiche Grundwassermessstellen (Grundwassermonitoring). Jährlich werden 3,1 Mio. Kubikmeter Grundwasser gefördert und aufbereitet. Das zuvor - in einer eigens dafür errichteten Vorbehandlungsanlage mit Aktivkohlefiltern - aufbereitete Grundwasser wird anschließend der werkseigenen Kläranlage zugeleitet und anschließend in den Rhein abgeschlagen.
Einzuhaltende Grenzwerte wurden mittels einer wasserrechtlichen Genehmigung festgelegt. Rheinnahe Brunnen zur Grundwasserstandsregulierung (sog. "HESA-Brunnen") sorgen dafür, dass bei hohen Rheinwasserständen ein möglicher Grundwassereinstau der Flöze vermieden wird, oder zumindest minimiert wird.
3. Flöze auf dem Werksgelände:
Die Flöze liegen überwiegend unterhalb von Gebäuden. In der Vergangenheit wurden bereits zahlreiche Flöze saniert oder teilsaniert. Aktuell finden die Sanierungen / Teilsanierungen der Flöze 1 und 6 auf dem Werksgelände statt. Auch andere Flöze wurden und werden, wenn es die betrieblichen Möglichkeiten zulassen (Rückbau von Gebäuden) saniert.
Der Flöz 8, welcher sich unmittelbar am Rheinufer und damit außerhalb des Werksgeländes befindet, wurde in den letzten Jahren aufwendig und über einen Zeitraum von annähernd 10 Jahren zurückgebaut und die Schadstoffe wurden ordnungsgemäß entsorgt.
Sanierungsdauer:
Ein Ende der Sanierung/Sicherung ist derzeit noch offen.
Überwachung:
In den jährlich vorgelegten umfangreichen Jahresberichten sind die einzelnen Sanierungsmaßnahmen auf dem Werksgelände detailliert beschrieben und bewertet. Ggfls. Werden weitere Maßnahmen zur Optimierung der Sanierung vorgeschlagen. Bei Einzelmaßnahmen wird der jeweilige Sanierungsabschlussbericht von der Behörde geprüft und bewertet.
Zusammenfassung Inhalt Akte 5035:
Durch die hydraulische Sicherung des Werksgeländes ist es heute ausgeschlossen, dass Schadstoffe das Werksgelände über den Pfad des Grundwassers verlassen können. Das belastete Grundwasser wird gefördert, aufbereitet und fachgerecht abgeleitet. Andere Schutzgüter sind nicht betroffen. Bei Baumaßnahmen werden schädliche Bodenveränderungen saniert und die belasteten Böden entfernt und ordnungsgemäß entsorgt.
Umfang der Akte 5035:
Die geführte Behördenakte ist nach über dreißigjähriger Bearbeitung mit ca. 1,70 laufenden Meter (lfdm.) sehr umfangreich. Neben der seit 2019 geführten elektronischen Akte liegen in Papierform 12 Ordner mit Schriftverkehr (0,95 lfdm.) und 11 Gutachtenboxen (0,75 lfdm.) vor.
Die Akte enthält neben Betriebsgeheimnisse und/oder Geschäftsgeheimnissen, Urheberrechten auch personenbezogene Daten welche vor einer Einsicht zu prüfen wären.
Mit freundlichen Grüßen