2016-mv-deutsch-aufgaben
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „[IFG] Abituraufgaben der Fächer Mathe, Deutsch und Physik 2012 - 2017“
Diese Anfrage wurde als Teil der Kampagne „Frag sie Abi!“ gestellt.
Mecklenburg-Vorpommern Zentralabitur 2016 Deutsch Prüfungsaufgaben
Abitur 2016 Deutsch Seite 2 von 23
Abitur 2016 Deutsch Seite 3 von 23 Hinweise für Schülerinnen und Schüler Aufgabenauswahl: Wählen Sie einen der vorliegenden vier Aufgabenblöcke aus und bearbeiten Sie diesen. Für den BlockI gilt: Auf grundlegendem Anforderungsniveau bearbeiten Sie nur den Prüfungsteil A, auf erhöhtem Anforderungsniveau bearbeiten Sie nur den Prüfungsteil B. Für die BlöckeIl, Ill und IV gilt: Auf grundlegendem Anforderungsniveau bearbeiten Sie nur den Prüfungsteil A, auf erhöhtem Anforderungsniveau bearbeiten Sie die Prüfungsteile A und B. Bearbeitungszeit: Für die Bearbeitung auf grundiegendem Anforderungsniveau beträgt die Arbeitszeit mit integrierter Auswahl- und Einlesezeit 255 Minuten. Für die Bearbeitung auf erhöhtem Anforderungsniveau beträgt die Arbeitszeit mit integrierter Einlese- und Auswahlzeit 315 Minuten. Hilfsmittel: Ihnen wird ein Nachschlagewerk zur Regelung der deut- schen Rechtschreibung zur Verfügung gestellt. Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprache nicht die deutsche Spracheist, können als zusätzliches Hilfsmittel ein zweisprachiges Wörterbuch in gedruckter Form ver- wenden. Näheresregelt die Schule. Zusätzliche Hinweise: Die Bearbeitung erfolgt in einem geschlossenen Aufsatz. Geben Sie auf der Reinschrift den bearbeiteten Aufgabenblock an und nummerieren Sie die Seiten Ihrer Arbeitfortlaufend. Für die Bewertung gilt die Reinschrift. Entwürfe können nur dann ergänzend herangezogen wer- den, wenn sie zusammenhängendkonzipiert sind und die Reinschrift etwa drei Viertel des erkennbar angestrebten Gesamtumfangs beträgt. Die den Aufgaben zugrunde liegenden Texte wurden nicht in jedem Fall der neuen Rechtschreibung angepasst.
Abitur 2016 Deutsch Seite 4 von 23 Block I A Georg Simmel: Aus dem nachgelassenen Tagebuche (Textauszug) Analysieren Sie den Text und bewerten Sie seine Gestaltungs- und Wirkungs- weise. B Länderübergreifende Aufgabe auf erhöhtem Anforderungsniveau „Die Literatur — wozu brauchen wir sie überhaupt?“ Eine überregionale Tageszeitung greift diese Frage des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki auf und veröffentlicht Beiträge dazu. Verfassen Sie einen Kommentar, in dem Sie sich zu dieser Frage positionieren. Nutzen Sie dafür die folgenden Materialien und beziehen Sie eigene Erfahrungen undeigenes Wissen ein. Wählen Sie eine geeignete Überschrift. Zitate aus den Materialien werden dem Stil eines Kommentars entsprechend ohne Zeilenangabe nur unter Nennung des Autors und ggf. des Titels angeführt. Ihr Kommentar sollte etwa 800 Wörter umfassen. Block Il A Adalbert Stifter: Brigitta (Textauszug) B Eduard von Keyserling: Wellen (Textauszug) A Interpretieren Sie den Textauszug. Gehen Sie dabei auch auf das Tragische im Konflikt der Figurenein. B Vergleichen Sie die beiden Frauenfiguren Brigitta und Doralice unter ausgewählten Aspekten.
Abitur 2016 Deutsch Seite 5 von 23 BlockIll A Friedrich Schiller: Die Räuber. Schauspiel in fünf Akten Erster Akt, Erste Szene (Szenenauszug) B Friedrich Schiller: Die Räuber. Schauspiel in fünf Akten Erster Akt, Zweite Szene (Szenenauszug) A Interpretieren Sie den Szenenauszug aus Friedrich Schillers „Die Räuber“. Gehen Sie dabei auch auf die Anlage des tragischen Geschehensein. B Setzen Sie die beiden Szenenauszüge zueinander in Beziehung. Block IV A Georg Trakl: Verfall B Nora Bossong: Verfallsstudie A Interpretieren Sie Georg Trakls Gedicht. B Setzen Sie die beiden Gedichte unter ausgewählten Aspekten zueinanderin Beziehung.
Abitur 2016 Deutsch Seite 6 von 23 Block I A Georg Simmel: Aus dem nachgelassenen Tagebuche (Textauszug) Analysieren Sie den Textauszug und bewerten Sie seine Gestaltungs- und Wirkungsweise. Text zum Prüfungsteil A Georg Simmel (1858-1918): Aus dem nachgelassenen Tagebuche (Textauszug) Das Wesendes Tragischenist vielleicht damit zu bestimmen: daß ein Schicksal gegen den Lebenswillen, die Natur, den Sinn und Wert einer Existenz zerstörerisch gerichtet ist — und daß zugleich empfunden wird, dieses Schicksal gehe aus der Tiefe und Notwendigkeit eben dieser Existenz hervor. Die Tragik von Frauenlosen ist in der Regel dies, daß das Abhängig- keitsverhältnis, das sie zerstört, dennoch in dem Fundamentihres Wesens angelegtist. Der fallende Dachstein tötet einen jungen, hoffnungsvollen, lebenswilligen Menschen; dasist an sich eigentlich nur traurig, nicht tragisch. Dazu wird es von dem Gefühl aus, daß der Tod eben doch die Notwendigkeit und Bestimmung auch dieses Menschen war, deren Vollzug aber gegen andere Notwendigkeiten und Bestimmungen seiner gerichtet ist. Das Maß der Spannung: daß das, was ein Leben zerstört, aus einem Innersten dieses Lebens selbst not- wendig war, ist das Maß des Tragischen. In den Shakespearischen Tragödien ist dies ganz 12 deutlich. In der antiken Tragödietritt an die Stelle der personalen Notwendigkeit, die die Ba- sis des zerstörenden Geschehensist, die Schicksalsnotwendigkeit — entsprechend der Sin- nesweise des Altertums, die überhaupt nicht eine individuelle Bestimmtheit als metaphysi- 15 sche Basis des Lebensder Person kannte. — Das Verhältnis des Komischen zum Tragischen ist damit bezeichnet, daß das gegen die Lebensintentionen Gerichtete im Komischen nicht den letzten Lebensgrund und sein notwendiges Verhängnis realisiert, sondern gegen diesen 18 ganz zufällig ist, mit ihm gar nichts zu tun hat, so daß es schließlich auch überwunden wird und sich als bloßes Spiel zeigt. Im Tragischenist das äußerlich Zufällige ein innerlich Not- wendiges, im Komischen das äußerlich Notwendige ein innerlich Zufälliges. Im Tragischen 21 lebt eine tiefe Harmonie zwischen dem Positiven im Menschen und dem, was dies Positive zerstört, im Komischen widerspricht sich beides, und darin liegt der Lachreiz, das Ridiküle". Darum ist die betrogene Frau tragisch, weil sich darin das Schicksal ihrer Schwäche voll- 24 zieht, der betrogene Mann komisch, weil es sich für ihn, den Starken, nicht paßt, betrogen zu werden. In der Komödie vollzieht sich ein ganz individuelles Schicksal an typischen Charakteren, in 27 der Tragödie ein allgemeinmenschliches Schicksal an individuellen Charakteren. Das Wesender Tragödie ist dies: daß dastiefste Wollen des Menschen verneint wird, und daß diese Verneinung im tiefsten Grunde gewollt wird. Daß der tragische Held so oft durch 30 Selbstmord endet, ist zwar eine sehr äußerliche Realisierung dieser Konstellation, aber im- merhin ein Symbol dessen, was die Tragödie überhaupt ausmacht. — Der Schuldbegriff, mit dem man das Wesen der Tragödie zu deckenpflegt, ist nur ein dumpfer, abschwächender ! Ridiküle: hier für I ächerlichkeit
Abitur 2016 Deutsch Seite 7 von 23 33 Ausdruck für diesen Sachverhalt; er erklärt und rechtfertigt ihn nicht; in die rätselhafte tragi- sche Einheit dessen, was der Mensch will und was ernicht will, setzt er ein Gelenk ein, das aber keine Verbindung ist, sondern eher der beweisende Ausdruck dafür, daß eben keine 36 besteht [...]. Die Schuld erscheint als die Brücke, auf der sich das Wollen und die Tatsache, daß dieses Wollen seine eigne Basis zerstört, begegnen, wo das Wollen sich selbst als Ge- genwollen trifft. Mit der Schuld wird die Paradoxie des Tragischen dem Menschen ins Ge- 39 wissen geschoben, aber eben damit ihre Paradoxität anerkannt. Der Dichter — zunächst der dramatische — hat die große Liebe, die selbst dem, der unrecht hat, noch recht gibt. Mindestens das Recht der Existenz. In der Wirklichkeit existiert das Bö- 42 se nicht aufgrund eines Rechts dazu, sondern nur, weil es eben da ist. Im Kunstwerk aber hat es eine Existenz nur, weil es zu ihr berechtigt ist. ...] (e 1923) Georg Simmel: Postume Veröffentlichungen. Ungedrucktes. Schulpädagogik. Herausgegeben von Torge Karlsru- hen und Otthein Rammstedt. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2004
Abitur 2016 Deutsch Seite 8 von 23 B Länderübergreifende Aufgabe auf erhöhtem Anforderungsniveau „Die Literatur — wozu brauchen wir sie überhaupt?“ Eine überregionale Tageszeitung greift diese Frage desLiteraturkritikers Marcel Reich-Ranicki auf und veröffentlicht Beiträge dazu. Verfassen Sie einen Kommentar, in dem Sie sich zu dieser Frage positionieren. Nutzen Sie dafür die folgenden Materialien und beziehen Sie eigene Erfahrungen und eigenes Wissen ein. Wählen Sie eine geeignete Überschrift. Zitate aus den Materialien werden dem Stil eines Kommentars entsprechend ohne Zeilenangabe nur unter Nennung des Autors und ggf. des Titels angeführt. Ihr Kommentar sollte etwa 800 Wörter umfassen. Material 1: Fragen Sie Reich-Ranicki (2007, Auszug) Marcel Reich-Ranicki (1920-2013), deutschsprachiger Literaturkritiker, beantwortete jahrelang in einer Kolumne Fragen von Lesern zum ThemaLiteratur. L..] Marcel Reich-Ranicki: Die Literatur — wozu brauchen wir sie überhaupt? Uralt ist diese Frage, beinahe so alt wie die Literatur selbst. Aber es kann nicht schaden, sie von Zeit zu Zeit zu stellen. Es ist nicht gerade eine Entdeckung, dass die Literatur schon ziemlich lange einen schwierigen Verteidigungskrieg führen muss. Und es sind nicht nur allerlei teuflische, doch keineswegs überflüssige technische Erfindungen, die ihre Existenz fortwährend bedrohen. Man wird sagen: Was uns die vielen Fernsehprogramme offerieren, das mag die Literatur verdrängen, aber ersetzen kann essie nicht. Dann allerdings müssen wir genau wissen, was wir von ihr erwarten, welche Funktion sie ausüben soll. Wozu also Literatur? An Äußerungen hierüber fehlt es nicht, wir kennen klassische Antworten von großer Schlichtheit, etwa: um Freude und Vergnügen zu bereiten, um das Publikum zu amüsieren. [...] 12 Um was für einen, wenn ich so sagen darf, Mehrwert kann es sich hier handeln? Um Belehrung, um Aufklärung, um Erbauung? Gewiss wurde die Literatur im Laufe der Jahrhunderte häufig zur Magd der Philosophie, der Religion, der Politik oder der 15 Geschichtsschreibung degradiert - das hat meist eine unglückselige Verbindung ergeben, aber gelegentlich dennoch zu Meisterwerken geführt. Heute ist niemand darauf angewiesen, die Literatur zur Vermittlung von Ideen, Programmen 18 oder Informationen zu missbrauchen. [...] Wozu sollte man, da es direkte Wege gibt, die praktisch und ohne Umstände zum Ziel führen, den Umweg über die Kunst suchen, gar über die moderne Kunst, die in sehr vielen 21 Fällen nur einer intellektuellen Minderheit zugänglich ist-was nicht ihre Bedeutung schmälert, wohl aber ihre Nützlichkeit und Verwendbarkeit als Ideenträger oder Informationsmittel. In dieser Hinsicht ist die Literatur nicht mehr konkurrenzfähig. Zur
Abitur 2016 Deutsch Seite 9 von 23 24 Hoffnung, es ließe sich mit ihr die Welt verändern, gehört in unserer Zeit eine tüchtige Portion Blauäugigkeit — oder Heuchelei. Zu fragen wäre somit, welcher „Mehrwert“ sich denn noch anstrebenlässt, wenn Belehrung 27 und Aufklärung, Agitation und Information kaum in Betracht kommen, ja in literarischen Kunstwerken zu anachronistischen Elementen geworden sind. Die Literatur versucht zu entdecken und zu formulieren, was wir gespürt oder geahnt haben, aber eben bloß gespürt 30 odervielleicht bloß geahnt. Nur dann beweist sie ihre Daseinsberechtigung, wenn sie imstandeist, den Lesern bewusst zu machen, wasihnen bisher nicht bewusst war und was sich — das ist das Entscheidende - 33 mit anderen Mitteln nicht bewusst machen lässt. Daher schlägt die Stunde der Literaturstets, wenn es um Phänomene geht, die sich der wissenschaftlichen Erkundung wenigstens teilweise entziehen und die von vielen Menschenals unberechenbar und unbegreiflich, ja als 36 geheimnisvoll empfunden werden. Ein solches Phänomenist die Liebe. Material 2: Bill Watterson, Calvin & Hobbes (1997) Bill Watterson (*1958), US-amerikanischer Comiczeichner DIET | [STie ICH HABE DAS | = SCHÖN, DASS ES BLICH GELESEN, \ WIE FINDEST DU ES? & ( DIR GEFALLEN } ES LASST MICH VIELE DINGE ANDERS HAT. a fe Ba no, HAST. { Val ua SEHEN UND HAT MICH SEHR ZUM a ng : 2 n NACHDENKEN ANGEREGT. ES KOMPLIZIERT MEIN LEBEN, BRING ie MIR KEINS MEHR MIT. iM Me R N S: UV Faheu h <E eb arten t Miete Ba
Abitur 2016 Deutsch Seite 10 von 23 Material 3: Jorge Volpi, Die Emotionsmaschine (veröffentlicht in deutscher Übersetzung 2012) Jorge Volpi (*1968), mexikanischer Schriftsteller [...]. Fiktionen haben neben vielen anderen Funktionen - zum Beispiel als Gedächtnisspeich er, Über mitt ler von Idee n und Maßs täbe n, Zuku nfts brev iere — auc h die Funktion einer Emotionsmaschine. In einen Film, eine Fernsehserie, eine Seifenoper, ein Theaterstück oder eine Geschichte einzutauchen ist eine Achterbahn der Emotionen: Wir springen von einer Figur zur anderen, und mit jeder einzelnenleiden, lieben, genießen wir, erheben wir uns, erstarren oder brechen wir zusammen — manchmal auch gegen unseren Willen. Es gibt Gemüter, die einen solchen Wahnsinn nicht aushalten. [...] Material 4: Mario Vargas Llosa, Ein Lob auf das Lesen und die Fiktion (Nobelpreisrede Stockholm, 7. Dezember 2010) Mario Vargas Llosa (*1936), peruanischer Schriftsteller [..] Von der Höhle zum Wolkenkratzer, vom Knüppel zu Massenvernichtungswaffen, vom tautologischen Leben in der Sippe zur Ära der Globalisierung hat die Literatur die mensch lic hen Erf ahr ung en verv ielf acht , ind em sie verh inde rt, das s wir Men sch en der Lethargie, Ver sch los sen hei t und Res ign ati on anhe imfa llen . Nich ts hat so seh r die Unr ast gesät, Phantasie und Seh nsü cht e gefö rder t wie die ses Leb en aus Lüg en, das wir dan k der Literatu r uns ere m eig ene n hin zuf üge n, um selb st gro ße Abe nte uer und Lei den sch aft en zu erleben, wie sie das wirk lich e Leb en uns nie mal s ver gön nen wird . Die Lüg en der Lite ratu r werden wahr durch uns, die von ihr ver änd ert en, von ihre n Seh nsü cht en ang est eck ten Leser, und durch die Sch uld der Fikt ion leb en wir in bes tän dig em Zwi st mit der mittel mäß ige n Wirk lich keit . Die Lite ratu r ist ein Zau ber wer k, das uns vor gau kel t zu hab en, was wir nicht haben, zu sein, was wir nicht sind, eine unmögliche Existenz zu führen, in der 12 wir uns wie hei dni sch e Göt ter irdi sch und unst erbl ich zug lei ch fühl en, und das s dam it die Unangepasstheit und Rebe llio n in uns ere n Köp fen keim en läs st, wie sie alle n gro ßen Tat en zugrunde liegen, die zu eine r Ver rin ger ung der Gew alt in den men sch lic hen Bez ieh ung en 15 beigetragen haben. Zu ihre r Ver rin ger ung , nich t ihre r Abs cha ffu ng. Den n uns ere Ges chi cht e wird zum Glü ck imm er unv oll end et sein . Und des hal b müs sen wir weit er trä ume n, les en und schreibe n, die wir ksa mst e For m, die wir gef und en hab en, uns ere vor übe rge hen de Exi ste nz 18 zu erleichtern, das Nag en der Zei t zu bes ieg en und das Unm ögl ich e mög lic h zu mac hen .