2017-mv-deutsch-aufgaben
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „[IFG] Abituraufgaben der Fächer Mathe, Deutsch und Physik 2012 - 2017“
Diese Anfrage wurde als Teil der Kampagne „Frag sie Abi!“ gestellt.
Mecklenburg-Vorpommern Zentralabitur 2017 Deutsch Prüfungsaufgaben
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Abitur 2017 Deutsch Seite 3 von 20 Hinweise für Schülerinnen und Schüler Aufgabenauswahl: Wählen Sie einen der vorliegenden vier Aufgabenblöcke aus und bearbeiten Sie diesen. Auf grundlegendem Anforderungsniveau bearbeiten Sie nur den Prüfungsteil A, auf erhöhtem Anforderungsniveau bearbeiten Sie die Prüfungsteile A und B. Bearbeitungszeit: Für die Bearbeitung auf grundiegendem Anforderungs- niveau beträgt die Arbeitszeit mit integrierter Einlese- und Auswahlzeit 255 Minuten. Für die Bearbeitung auf erhöhtem Anforderungsniveau beträgt die Arbeitszeit mit integrierter Einlese- und Aus- wahlzeit 315 Minuten. Hilfsmittel: Ihnen wird ein Nachschlagewerk zur Regelung der deut- schen Rechtschreibung zur Verfügung gestellt. Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprachenicht die deutsche Sprache ist, können als zusätzliches Hilfsmittel ein zweisprachiges Wörterbuch in gedruckter Form ver- wenden. Näheresregelt die Schule. Zusätzliche Hinweise: Die Bearbeitung erfolgt in einem geschlossenen Aufsatz. Geben Sie auf der Reinschrift den bearbeiteten Aufgabenblock an und nummerieren Sie die Seiten Ihrer Arbeit fortlaufend. Für die Bewertung gilt die Reinschrift. Entwürfe können nur dann ergänzend herangezogenwer- den, wenn sie zusammenhängendkonzipiert sind und die Reinschrift etwa drei Viertel des erkennbar angestrebten Gesamtumfangsbeträgt. Die den Aufgaben zugrunde liegenden Texte wurden nicht in jedem Fall der neuen Rechtschreibung angepasst.
Abitur 2017 Deutsch Seite 4 von 20 Block I A Wolfram Ette: Kritik der Tragödie (Textauszug) A Analysieren Sie den Textauszug und bewerten Sie seine Gestaltungs- und Wirkungsweise. B Setzen Sie sich mit der Kritik Wolfram Ettes am inflationären Gebrauch des Begriffes Tragödie im Alltag auseinander. Block Il A Theodor Fontane: Stine (Textauszug) B Arthur Schnitzler: Traumnovelle (Textauszug) A Interpretieren Sie den Textauszug. Gehen Sie dabei auch auf die tragische Anlage des Geschehens ein. B Setzen Sie die beiden Textauszüge zueinander in Beziehung.
Abitur 2017 Deutsch Seite 5 von 20 BlockIll A Wolfgang Borchert : Draußen vor der Tür 1. Szene (Szenenauszug) B Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür 2. Szene (Szenenauszug) A Interpretieren Sie den Szenenauszug aus „Draußen vor der Tür‘. Gehen Sie dabei auch auf die Anlage des tragischen Geschehens ein. B Setzen Sie die beiden Szenenauszüge zueinander in Beziehung. Block IV A Peter Huchel: Damals B Guntram Vesper: Die Gewohnheit zu zittern Interpretieren Sie Peter Huchels Gedicht „Damals“. B Vergleichen Sie die Gestaltung der Kindheitserinnerung in den Gedichten „Damals“ von Peter Huchel und „Die Gewohnheit zu zittern“ von Guntram Vesper. Berücksichtigen Sie sowohl inhaltliche als auch sprachliche Aspekte.
Abitur 2017 Deutsch Seite 6 von 20 Block I A Wolfram Ette: Kritik der Tragödie (Textauszug) A Analysieren Sie den Textauszug und bewerten Sie seine Gestaltungs- und Wirkungsweise. B Setzen Sie sich mit der Kritik Wolfram Ettes am inflationären Gebrauch des Begriffes Tragödie im Alltag auseinander. Text zum Prüfungsteil A Wolfram Ette (geb. 1966): Kritik der Tragödie (Textauszug) KRITIK DER TRAGÖDIE Über dramatische Entschleunigung Einleitung Titel, die mit dem Begriff der Kritik beginnen und auf ihn eine gewisse Genitivergänzung folgen lassen, machen sich vorweg einer gewissen Vagheit verdächtig. Denn sie lassen 3 meist im unklaren, ob sie den Genitiv im subjektiven oder im objektiven Sinne verstanden wissen wollen. [...] Die Zuschreibung »tragisch« oder »eine Tragödie« verbindet drei Urteile miteinander. Zum 6 ersten ist von einem Geschehen die Rede, das als negativ erfahren wird. Eine Tragödie ist immer ein Unglück. Vom Unglück im gewöhnlichen Verständnis unterscheidet sie sich zum zweiten aber dadurch, daß im Geschehen ein Zwang, eine »Schicksalsmacht« erfahren wird, 9 der eine gegen sie gerichtete Kraft des Menschen übersteigt. Drittens, damit zusammenhängend, spielt ein subjektives Verschulden, wie immer verhüllt, in den Ablauf der Ereignisse hinein. 12 Dieser Befund wird auf den ersten Blick überraschen. Wenn ein Familienvater auf der Autobahn verunglückt und seine Angehörigen mittellos zurückläßt, so ist das, wenn es die Boulevardpresse hernach als Tragödie ausschreit, sicherlich ein Unglück. Aber Schicksal 15 und eigenes Verschulden scheinen dem Ereignis denkbar fremd gegenüberzustehen. Es wäre geschmacklos, im Angesicht des Unglücks davon zu reden. Allein die nähere Besinnung lehrt, daß jene Vorstellungen doch der Unterschleif sind, der auch in einem 18 solchen Fall die Rede vom Tragischen begleitet und von der Zeitungsschlagzeile nicht bewußt, aber planvoll mitproduziert wird. Da ist zunächst das Motiv der Autofahrt. Jedes Jahr fallen Tausende von Menschen dem Autoverkehr zum Opfer. Er ist nicht die wichtigste, aber
Abitur 2017 Deutsch Seite 7 von 20 21 eine der am besten sichtbaren Schicksalsmächte der Gesellschaft des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts. Diese Schicksalsmacht ist von Menschen produziert, auch wenn ihre Auswirkungen von ihnen nicht beherrscht werden. In dem Moment, in dem man 24 ein Auto besteigt, begibt man sich willentlich und wissentlich in den Bereich dieser Macht. Der verunglückte Autofahrer aus unserem Beispiel ist schuldig, nicht weil er eine juristisch belangbare Tat begangen hat, sondern weil er in ein System einwilligte, das ihn potentiell 27 zum Opfer oder Täter machte. Es verurteilt ihn zur Schuld wie das Orakel Ödipus, dessen erste Schuld darin bestand, an das Orakel zu glauben und sich damit der Macht, gegen die er antrat, im vorhinein zu unterwerfen. Eintretend in einen objektiven Schuldzusammenhang, 30 ist er unschuldig schuldig. In der Schlagzeile vom tragischen Autounfall überlebt darüber hinaus noch ein zweites Motiv: mythisch, irrational und unausrottbar. Esist die vage Unterstellung, daß es das Glück 33 des Familienvaters selbst gewesen sein könnte, durch das er das Schicksal gegen sich heraufbeschworen habe. Die Massenpressespielt auf der Klaviatur des Unbewußten — dem verdankt sie ihre hohen Auflagen — und ins aufrichtige Erschrecken über das plötzliche 36 Unglück mischt sich die Häme, die dem anderensein Glück nicht gönnt und sachte andeutet, daß es der logische Ursprung seines Unglücks gewesen sein könnte. Das Schicksal erscheint in diesem Lichte als die Hegelsche Nemesis, die abschleift, was übersteht und 39 jedes Zuviel eines Einzelnen, so kärglich es auch ausfallen mag, ahndet. In eigentümlicher Verflochtenheit also gesellen sich Schuld und Schicksal zur Vorstellung des Unglücks, wenn vom Tragischen die Redeist. Und zwartun sie das so, daß die — nicht 42 zurechenbare — Schuld darin liegt, in systemische Zusammenhänge einzutreten, deren Macht die des Einzelnen übersteigt; Zusammenhänge, die ihn potentiell bedrohen und die Schuld produzieren. Das gilt unabhängig davon, ob in unserem Beispiel der Autofahrer 45 selbst den tödlichen Unfall verschuldet hat oder ob es ein anderer gewesen ist — wie denn auch der alltagssprachliche Begriff des Tragischen sich dieser Unterscheidung gegenüber gänzlich indifferent erweist. 48 Anders ausgedrückt, bedeutet das: Tragödien sind Prozesse kollektiver Selbstzerstörung. Der Hinweis auf den kollektiven Charakter dieser Prozesse will dabei mehreres besagen. Zum einen bezeichnet die Schicksalsmacht, mag sie nun religiös (zum Beispiel das 51 Orakelwesen im »König Ödipus«), konventionell (zum Beispiel die »honneur« in den Stücken Corneilles) oder materiell (der Autoverkehr in unserem Beispiel) kodifiziert sein, einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Sie existiert durch und, wenn man so will, für die 54 menschlichen Kollektive. Darin liegt zum anderen, daß das den Einzelnen treffende Verhängnis exemplarischer Natur ist. Weil sich in ihm ein gesellschaftliches Allgemeines bekundet, kann es jeden anderen treffen. Es ist die spezifisch tragische, durch Aristoteles 57 kanonisch gewordene Gefühlsmischung aus Mitleid und Furcht, die die kollektive Verbindlichkeit des Einzelfalls indiziet; die Affekte sind der Motor solcher Verallgemeinerung. 60 »Kritik der Tragödie« bedeutet mithin: Kritik solcher kollektiven Selbstzerstörungspro- zesse. Wie läßt sich nun in dieses Gefüge der doppelte Sinn des Genitivs eintragen, resultierend 63 in der Idee einer Selbstkritik des Tragischen? Als Kritik am Tragischen zielt die Formel darauf, die Macht eines Schicksals zu brechen oder zu relativieren, in das die Menschen durch ihr eigenes Handeln irgendwie schuldhaft verstrickt sind. Gleichzeitig gehört es zum 66 Wesen der tragischen Form, daß diese Kritik nicht abstrakt geführt wird, sondern allein aus der Darstellung des Tragischen selbst erhellt. Das heißt, es gibt keine Kritik am Tragischen ohnedie Kritik, die im Tragischen selbst laut wird.
Seite 8 von 20 Abitur 2017 Deutsch 69 Diese Kritik richtet sic h ge ge n de n ges ell sch aft lic hen Sc he in der Fre ihe it. His tor isc h haben Tragödien Konjunktu r in Zei ten ein er ras che n ges ell sch aft lic hen Em an zi pa ti on vo n überlieferten Wertvorst ell ung en; sie do ku me nt ie re n Um br üc he un d ep oc ha le Tra nsf or- 72 mationsprozesse. In dieser Sit uat ion eri nne rn sie kri tis ch an die alt en un d ne ue n Zw än ge , denen das Handeln sich unterworfenfindet. Jedoch üb en sie die se Kri tik nic ht um de s Sch ick sal s, so nd er n um der Fre ihe it wil len . Die 75 Kritik, die eine Ges ell sch aft an die ihr ve rb or ge ne n tra gis che n, d.h . sel bst zer stö rer isc hen Zwänge erinnert, will die se Zw än ge nic ht ver ewi gen , so nd er n in de m Be wu ßt se in bre che n, daß das nicht durch ihr e Ve rd rä ng un g, son der nal le in dur ch ihr e aus füh rli che un d ana lyt isc h 78 tragfähige Darstellung gel ing en kan n. Vo n der Tra göd ie gilt vol l un d gan z, wa s ma n vo n der Hegelschen Phi los oph ie ge sa gt hat , die vo n ihr mä ch ti ge Imp uls e em pf an ge n hat : Sie ist Einheit von Dar ste llu ng undK rit ik. Dar in ebe nis t sie Sel bst kri tik de s Tra gis che n. 81 So wäre denn die Kunstg att ung der Tra göd ie im Unt ers chi ed zur um ga ng ss pr ac hl ic he n Verwendung des Wortes zu def ini ere n: Da s dra mat isc he Ge nr e der Tra göd ie ist die au s der Einhei t vo n Dar ste llu ng undK ri ti k her vor geh end eSelb stk rit ik de s Tra gis che n. (e 2011) Wolfram Ette: Kritik der Tragödie. Über dramatische Entschleunigung http.://www.ettehard er. de/ Ett e.% 20- %20 Kri tik %20 der %20 Tra g%C 3%B 6di e%2 0-% 20E inl eit ung . pdf. Eingesehen am 06.02.2017 [gekürzt]
Abitur 2017 Deutsch Seite 9 von 20 BlockIl A Theodor Fontane: Stine (Textauszug) B Arthur Schnitzler: Traumnovelle (Textauszug) A Interpretieren Sie den Textauszug. Gehen Sie dabei auch auf die tragische Anlage des Geschehensein. B Setzen Sie die beiden Textauszüge zueinander in Beziehung. Text zum Prüfungsteil A Theodor Fontane (1819-1898): Stine (Textauszug) Lesehinweis: Der junge Graf Waldemar von Haldern hat eine Liebesbeziehung mit der Näherin Stine. VIERZEHNTES KAPITEL L...] Stine empfing ihn schon an der Tür, glücklich, ihn zu sehen, aber doch mit einem Anfluge von Sorge, weil er sonst nie vor Dämmerstunde kam. „Was ist?“ sagte sie, „du siehst so verändert aus.“ „Möglich. Aberesist nichts. Ich bin vollkommen ruhig.“ „Ach sage nicht das. Wenn mansagt, man seiruhig, ist man’s nie.“ „Woherweißt du das?“ „Ich glaube, das lernt jeder, dafür sorgt das Leben. Und dann weiß ich es von Pauline. Wenndie zu mir sagt: ‚Stine, nun bin ich wieder ruhig‘, dann ist es immer noch schlimm genug. Aber nun sage, wasist?“ „Was ist? Eine Kleinigkeit. Eigentlich nichts. Ich stand immer einsam unter den Meinigen, und nun soll ich noch etwas einsamerdastehn. Es wirkt einen Augenblick, aber nicht lange 12 „Du verschweigst mir etwas. Sprich!“ „Gewiß, deshalb bin ich hier. Und so höre denn. Ich war bei meinem Onkel, um ihm zu 15 sagen ... ja, was, Stine? um ihm zu sagen, daß ich dich liebhätte ...“ Stine kam in ein Zittern. „... Und daß ich dich heiraten wolle ... Ja, heiraten, nicht um eine Gräfin Haldern ausdir zu 18 machen, sondern einfach eine Stine Haldern, eine mir liebe kleine Frau, und daß wir dann nach Amerika wollten. Und zu diesem Schritt erbät ich seine Zustimmung oder doch eine Fürsprache bei meinen Eltern.“ 21 „Und?“ „Und diese Fürsprache hat er mir verweigert.“ „Ach, was hast du getan?“ 24 „sollt ich nicht?“
Seite 10 von 20 Abitur 2017 Deutsch e Sti ne, zu gl ei ch hi nz us et ze nd : „U nd ich Är ms te bin ‚Was hast du getan?“ wiederholt 's ha be ge he n la ss en un d mi ch nie re ch t ge fr ag t ha be : wa s schuld daran. Bin schuld, weil ich ag e ka m, so ha b ich sie zu rü ck ge dr än gt un d nic ht au fk om me n 27 wird? Und wenn mir die Fr lassen und nur gedacht: freue dic h, so la ng e du di ch fr eu en ka nn st . Un d da s war ni ch t rec ht. Daß es nicht ewig dauern würde, da s wu ßt ich , ab er ich re ch ne te do ch au f ma nc he n Ta g. 30 Und nun ist alles fals ch ge we se n, un d un se r Glü cki st hin , vie l, vie l sc hn el le r als nöt ig, bl oß weil du wolltest, daß es dauern solle.“ Waldemar wollte widersprechen; aberSt in eli tt es nic ht un d sa gt e, wä hr en d ihr e St im me 33 mit jedem Augenblick beschwör en de rund ei nd ri ng li ch er wu rd e: „D u wil lst na ch Am er ik a, wei l es hier nicht geht. Aber glaube mir, es ge ht au ch drü ben ni ch t. Ei ne Ze it la ng kö nn t es ge hn , vielleicht ein Jahr od er zw ei , ab er da nn wä r es au ch dr üb en vor bei . Gl au be nic ht, da ß ich den Unterschied nic ht sä he . Si eh , es wa r me in Sto lz, ei n so gu te s He rz wi e da s de in e li eb en 36 zu dürfen, und daß es mich wi ed erl ie bt e, da s wa r me in es Le be ns hö ch st es Gl üc k. Ab er ich käme mir albern und kindisch vor , we nn ich di e Gr äf in Ha ld er n sp ie le n wol lte . Ja, Wa ld em ar , 39 so ist es, und daß du so wa s ge wo ll t has t, da s ma ch t nu n ei n ra sc he s En de . Vo r Ja hr en , ich war noch ein Kind, ha b ich ma l ein Fe en st üc k ge se hn , in de m zw ei Me ns ch en gl üc kl ic h waren: aber ihr Glück, so hatt e di e Fe e ge sa gt , wü rd e für im me r hin sei n, we nn ei n 42 bestimmtes Wort gesp ro ch en od er ein be st im mt er Na me ge na nn t we rd e. Si eh st du , so wa r es auch mit uns. Jetzt ha st du da s Wo rt ge sp ro ch en , un d nun is t es vo rb ei , vor bei , wei l di e Mensch en da vo n wi ss en . Ve rg iß mi ch ; du wir st es. Un d we nn au ch nic ht, ich ma g ke in e 45 Kette für dich sei n, an de r du de in Le be n la ng he ru ms ch le pp st . Du mu ßtf re i sei n; ge ra de du.“ „Ach, meine liebe Stine, wie du mi ch ve rk en ns t. Du sp ri ch st vo n ei ne r ‚Ke tte ‘ un d da ß ich 48 frei sein müsse. Freiheit. Nu n ja, me in Le be n war fr ei , wa s ma nso fr ei se in ne nn t, sei t ich aus meiner Eltern Hause gin g, un d in ma nc he n St üc ke n au ch fr üh er sc ho n. Ab er wi e ver lie f es trotzdem? Wie war es vo n Ju ge nd an ? [.. .] Da s Sc hl im ms te wa r, da ß ich im Ha us e sel bst , 51 bei meinen eignen Eltern, ein Fr em de r wa r. Un d wa ru m? Ich ha be sp ät er da ra uf ge ac ht et und es in mehr als einer Familie ge se hn , wi e har t Elt ern ge ge nih re Ki nd er sin d, we nn di es e ganz bestimmten Wünschen und Erwartungen nicht entsprechen wollen.“ 54 Stine, die dieselbe Wahr ne hm un g auc hi n ihr er be sc he id en en Sp hä re ge ma ch t ha be n mochte, nickte zustimmend, un d Wa ld em ar , de r sic h di es er Zu st im mu ng fre ute , fu hr de sh al b fort: „[...] und so hab ich de nn du rc h vie le Ja hr e hin gel ebt , oh ne re ch t zu wi ss en , wa s He rz 57 und Liebe sei. Nun weiß ich es. Und je tz t, wo ich es we iß un d me in Gl üc k fe st ha lt en wil l, sol l ich es wieder au s de r Ha nd la ss en . Un d all es blo ß, wei l du vo n An sp rü ch en sp ri ch st un d t vielleich au ch da ra n gl au bs t, di e mi r im Bl ut e st ec ke n so ll en un d di e — we il im Bl ut e — ga r 60 nicht aufzugebensei en . Ac h, mei nel ie be Sti ne, wa s ge b ich de nn au f? Nic hts , ga r nic hts . Ich sehne mich da na ch , ei ne n Ba um zu pf la nz en od er ein Vo lk Hü hn er au fs te ig en od er au ch bloß einen Bienenstock ausschwärmen zu sehen.“ 63 Er schwieg und sa h vo r si ch hin . St in e ab er na hm se in e Ha nd un d sa gt e: „W ie du di ch selbst verkennst. Der Ta ge lö hn er so hn au s eu re m Do rf e, de r ma g so le be n un d da be i glücklich sein; nicht du . Da du rc h, da ß ma n an sp ru ch sl ossei n wil l, ist ma n’ s no ch nic ht, un d 66 es ist ein ande r Di ng , si ch ein ar me s un d ei nf ac he s Le be n au sm al en ode res wir kli ch fü hr en . Und für alles, wa s da nn feh lt, sol l da s He rz au fk om me n. Da s ka nn es nic ht, un d mi t einemmalfühlst du, wi e kle in un d ar m ich bin . Ac h, da ß ich in di es em Au ge nb li ck so sp re ch e, 69 das ist vie lle ich t au ch sc ho n ei ne Sc hw ac hh ei t un d ein kl ei ne s Ge fü hl ; ab er ich kä mp fe nic ht dagegen an, wei l ich gl au be , da ß au s all em, wa s du vo rh as t, nu r Un he il ko mm t, nu r Entt äu sc hu ng un d El en d. De r alt e Gr af ist da ge ge n un d de in e El te rn si nd da ge ge n - du 72 sagst es se lb st —, un d ich ha be no ch nic hts zu m Gl üc k au ss ch la ge n se he n, wo ra uf vo n