Drucksache 19/26326

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „IFG: Stiftung Klima- und Umweltschutz

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Deutscher Bundestag                                                            Drucksache 19/26326 19. Wahlperiode                                                                             01.02.2021 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Kleine Anfrage der Abgeordneten Annalena Baerbock, Manuel Sarrazin, Claudia Müller, Jürgen Trittin, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Lisa Badum, Margarete Bause, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Harald Ebner, Kai Gehring, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, Ottmar von Holtz, Daniela Wagner, Gerhard Zickenheiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Position der Bundesregierung zur geplanten Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 und Stiftungsgründung „Klima- und Umweltschutz MV“ Die Erdgaspipeline Nord Stream 2 soll das russische Ust-Luga mit Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern verbinden. Über eine Strecke von rund 1 200 Kilo- metern durch die Ostsee sollen pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland transportiert werden können. Sie soll weitgehend parallel zu den beiden Leitungen der Erdgaspipeline Nord Stream 1 verlaufen, die seit 2011 bzw. 2012 in Betrieb ist. Für die Umsetzung von Nord Stream 2 wurde die Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug gegründet. Sie gehört zum staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom, als Finanzinvestoren fungie- ren Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall (www.nord-stream2.com/de/). Der Bau der Pipeline ist in allen betroffenen europäischen Mitgliedstaaten rechtskräftig genehmigt, obwohl aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragestel- ler milliardenschwere Investitionen in langfristige fossile Infrastrukturen wie Nord Stream 2 den deutschen und europäischen Dekarbonisierungsverpflich- tungen gemäß dem Pariser Abkommen widersprechen, da sie Gefahr laufen, fossile Abhängigkeit zu zementieren und einen fossilen „Lock-in“ erzeugen können (Bundestagsdrucksache 18/8041). Gleiches gilt für fossile Infrastruktur- projekte wie den südlichen Gaskorridor oder die geplanten LNG-Terminals in Deutschland. Nach Ansicht der Fragesteller wird Nord Stream 2 nicht zur Sicherung der Gas- versorgung benötigt – das bestehende Pipelinenetz reicht dafür völlig aus. Es konterkariert zudem die verschärften europäischen Klimaziele. Zudem stellen verschiedenste wissenschaftliche Institute den Bedarf der Pipeline und den pro- klamierten Erdgas-Mehrbedarf in Frage. Dieser geht vor allem auf die Vorher- sagen von Gazprom zurück und steht in klarem Widerspruch zu dem Pariser Klimaschutzabkommen und den Zielen der Energiewende in Deutschland (https://www.diw.de/de/diw_01.c.793703.de/publikationen/diw_aktuell/2020_0 050/neue_gaspipelines_und_fluessiggas-terminals_sind_in_europa_ueberfluess ig.html). Es ist unverständlich, dass die deutsche Bundesregierung weiter an diesem Projekt festhält, trotz der breiten Kritik zahlreicher europäischer Nach- barn und des EU-Parlaments. Die Gründung einer Stiftung zum Zwecke der
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Drucksache 19/26326                                  –2–                Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Fertigstellung von Nord Stream 2 unterstreicht, dass es sich keineswegs um ein rein unternehmerisches Projekt handelt, wie es die Bundesregierung seit Jahren behauptet. Dass mit russischen Geldern eine Stiftung unter dem Deckmantel des Klimaschutzes finanziert wird, die einzig und allein zur Fertigstellung der Pipeline dient, ist nach Ansicht der Fragesteller klimapolitisch und geostrate- gisch falsch. Nach dem Mordanschlag auf Alexej Nawalny mehrten sich Stimmen, Nord Stream 2 nicht fertig zu stellen, sowohl im Europäischen Parlament wie im Deutschen Bundestag. Die USA hat mit dem Protecting Europe’s Energy Security Act (PEESA) Ende 2019 und mit seiner Ausweitung Mitte 2020 eine Grundlage für US-Sanktionen geschaffen. Am 6. Juni 2018 hatte der Europäische Rat bereits extraterritoriale Sanktionen der USA im Zusammenhang mit der Kündigung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) als Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen die Ziele der Europäischen Union gerichtet („they violate international law and impede the attainment of the Union's objectives“ https://ec.europa.eu/transparency/ regdoc/ rep/3/2018/EN/C-2018-3572-F1-EN-MAIN-PART-1.PDF) kritisiert. Auch die Bundesregierung hat die verhängten Sanktionen der USA mehrfach als illegal kritisiert (https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/225/1922563.pdf). Allerdings hat die Bundesregierung bisher keinerlei Maßnahmen gegen die Sanktionen ergriffen, die sich gegen das „kommerzielle Projekt“ (http://dip21.b undestag.de/dip21/btd/19/019/1901987.pdf) richten, ergriffen. Wir fragen die Bundesregierung: 1. Inwiefern und in welchem Maße hatte die Bundesregierung Kenntnis über die Entscheidung der Gründung der Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ (bitte konkret aufschlüsseln) vor dem Hintergrund der Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 12 der Abgeordneten Annalena Baerbock in der Fragestunde des Bundestages am 13. Januar 2021 sowie auf die Schriftliche Frage (090/Dezember 2020) von Claudia Müller, mit Antwort der Bundesregierung vom 14. Dezember 2020? 2. Hat die Bundesregierung eine Haltung zu dem Zweck der Stiftung unter Gewichtung ihrer Zielsetzungen a) zusätzlicher Maßnahmen des Umwelt- und Klimaschutzes? b) der Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2? c) dem Schutz europäischer Unternehmen vor völkerrechtswidrigen Sank- tionen? 3. Gab es seitens der Bundesregierung oder nach Kenntnis der Bundesregie- rung seitens der Landesregierung ein beihilferechtliches Notifizierungsver- fahren bei der EU-Kommission zur Gründung der Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“, die nach Einschätzung der Fragesteller einzig dem Zweck der Sanktionsumgehung dient, wenn nein, warum nicht? 4. Steht nach Kenntnis der Bundesregierung das zu erwartende Handeln der Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ in Bezug auf den Bau von Nord Stream 2 im Einklang mit den europarechtlichen Wettbewerbs- und Beihilfe-Voraussetzungen (bitte begründen)? 5. Hat die Bundesregierung geprüft, ob sie Anhaltspunkte für einen Miss- brauch des Stiftungsrechts – wonach der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht Hauptzweck einer Stiftung sein darf, insbesondere wenn wie bei der
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode              –3–                           Drucksache 19/26326 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Stiftung geplant, lediglich ein Unternehmen vom Geschäftsbetrieb profi- tiert – sieht (bitte begründen)? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? 6. Hat die Bundesregierung die Satzungspassage, wonach der erste Ge- schäftsführer vom Stiftungsvorstand auf Vorschlag der Nord Stream 2 AG zu berufen ist unter a) beihilferechtlichen Aspekten, b) Aspekten der Gemeinnützigkeit, c) vor dem Hintergrund der geltenden US-Sanktionen, welche staatliche Institutionen von diesen ausnehmen sollen, beurteilt? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen? 7. Hat sich die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern im Vorfeld der Stiftungsgründung mit der Bitte um Unterstützung an die Bundesregierung gewandt, um die Sanktionen der USA anderweitig abzuwehren? a) Wenn ja, welche Bitten und Vorschläge wurden dabei welchen Vertre- terinnen und Vertretern der Bundesregierung bzw. der Bundesministeri- en angetragen und wie wurden diese diskutiert bzw. entschieden (bitte detailliert auflisten)? b) Wenn ja, welche Vorschläge hat die Bundesregierung der Landesregie- rung etwa zum Schutz der bedrohten Hafengesellschaft von Mukran gemacht? 8. Welche weiteren Firmen außer direkt an Nord Stream 2 Beteiligte sollen nach Kenntnis der Bundesregierung durch die neue Stiftung profitieren? 9. Inwieweit spielt der Klimaschutz im weiteren Bestehen der Stiftung nach Auffassung der Bundesregierung eine Rolle oder sind neben dem Schutz der Beteiligten an Nord Stream 2 alle weiteren Zwecke untergeordnet? 10. Worin besteht nach Einschätzung der Bundesregierung der Mehrwert der neuen „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ im Vergleich zur beste- henden „Stiftung Umwelt und Naturschutz MV“? 11. Welche Maßnahmen jenseits von Gesprächsversuchen hat die Bundes- regierung darüber hinaus geprüft, um die von ihr als illegal bewerteten Sanktionen abzuwehren und welche wurden bis heute umgesetzt? 12. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die geplante Stiftung die be- teiligten Unternehmen vor ausländischen und insbesondere US-Sanktionen schützen kann (bitte begründen)? 13. Vor dem Hintergrund des „Protecting Europeʼs Energy Security Clarifica- tion Act“ (PEESCA) der US-Regierung, der aussagt, dass auch juristische Personen und öffentliche Institutionen unter US-Sanktionen fallen, sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass auch die Stiftung unter US- Sanktionen fallen könnte (bitte begründen)? 14. Ist die Bundesregierung mit der neuen US-Regierung über die Rücknahme der US-Sanktionen im Gespräch und wenn ja, inwiefern? 15. Welche Sicherheitsgarantien gibt der ukrainisch-russische Gastransitver- trag nach Ansicht der Bundesregierung für einen Gastransit durch die Uk- raine nach einer möglichen Inbetriebnahme von Nord Stream 2? 16. Welche Reaktion gab es seitens der US-Regierung auf den Vorschlag von Bundesminister Scholz im September 2020, ein LNG-Terminal mit öffent-
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Drucksache 19/26326                                                       –4–                       Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. lichen Geldern zu finanzieren und damit das Sanktionspaket abzuwehren (siehe https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesla nd/Bund-haelt-an-Nord-Stream-2-und-LNG-Terminals-im-Norden-fest,nor dstream466.html)? Warum wurde dieser Vorschlag des Bundesfinanzministers nicht in der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/22563 auf- geführt, obwohl nach derartigen Vorstößen von den Fragestellernnen und Fragestellern explizit gefragt wurde? 17. Würde es nach Ansicht der Bundesregierung zu Versorgungsengpässen in Deutschland oder anderen Ländern der EU kommen, wenn die geplante Pipeline Nord Stream 2 nicht fertiggestellt wird, oder reichen die vorhan- denen Erdgas-Pipelines für eine gesicherte Erdgasversorgung auch zukünf- tig aus? 18. Durch welche konkreten Maßnahmen (bitte auflisten und jeweils begrün- den) möchte die Bundesregierung bis wann sicherstellen, dass die Nord Stream 2 AG die Vorgaben der dritten Gasrichtlinie der Europäischen Uni- on in Hinsicht auf die Entflechtung zwischen Gaslieferant und Pipeline- Betreiber (sog. „unbundling“) umsetzt? 19. Wann ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit einem Urteil hinsichtlich der Klage der Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG gegen die Bundes- netzagentur vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu rechnen? 20. Wie steht die Bundesregierung zu dem Beschluss der Europäischen Kom- mission, zukünftig keine Erdgasinfrastruktur mehr zu fördern (siehe https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_2394) und gibt es Pläne, dies auf die deutsche Infrastrukturplanung zu übertragen? 21. Inwieweit hat die Bundesregierung bei der Verhängung von Sanktionen wegen des Anschlages auf Alexej Nawalny versucht, innerhalb der Euro- päischen Union neben personenbezogenen Sanktionen auch die Fertigstel- lung der Pipeline Nord Stream 2 zum Gegenstand zu machen? Wie beurteilt die Bundesregierung die hiergegen deutlich gewordene Ab- lehnung solcher Sanktionen durch Österreich und welche Mitgliedstaaten haben sich dieser Haltung Österreichs angeschlossen? Berlin, den 19. Januar 2021 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333
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