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Sehr geehrter Herr Semsrott,
Mit E-Mail vom 6. April 2016 haben Sie mit Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) unter Nennung einer Website der Zeitung Tagesspiegel beantragt, Ihnen "die interne juristische Prüfung des AA zur Frage, ob sich der Moderator Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsident strafbar gemacht hat" zu übersenden. Darauf ergeht folgender Bescheid: Ihr Antrag wird abgelehnt Dieser Bescheid ergeht gebühren- und auslagenfrei. Begründung: Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jeder nach Maßgabe des Gesetzes gegenüber Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
Dem Auswärtigen Amt liegt ein neunzeiliger Textabsatz zu den in dem von Timen genannten Artikel im Tagesspiegel erwähnten Äußerungen des Herrn Böhmermann und Ausführungen zu § 103 StGB vor.
1. Ein Anspruch auf Informationszugang zu diesem Text besteht jedoch nach § 3 Nr. 1 g) 2. Alt. IFG nicht, weil das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf den Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren haben kann. Der Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 1 g) 2. Alt. IFG sichert auch die Fairness künftiger Verfahren ab. Der Maßstab für ein faires V erfahren ergibt sich hierbei aus Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention- EMRK).
Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung verbietet staatlichen Stellen Äußerungen, wonach eine bestimmte Person eine strafbare Handlung begangen habe, bevor ihre Schuld gerichtlich festgestellt wurde. Wie aus Medienberichten bekannt ist, führt die Staatsanwaltschaft Mainz ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn Böhmermann wegen des Verdachts einer Straftat nach§ 103 StGB. Der Zweck des § 3 Nr. 1 g) 2. Alt. IFG, nämlich die Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen auf den Anspruch einer Person auf ein faires V erfahren, hier auf die in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unsehuldsvermutung, kann nur erreicht werden, wenn rechtliche Einschätzungen staatlicher Stellen zu laufenden oder möglicherweise bevorstehenden strafrechtlichen Verfahren unabhängig von ihrem Ergebnis vom Recht auf Informationszugang ausgenommen bleiben.
Entsprechend besteht hier kein Anspruch auf Herausgabe des in Rede stehenden Textabsatzes. Dadurch wird keine Aussage über den Inhalt dieses Textabsatzes getroffen.
2. Ein Anspruch auf lnformationszugang zu dem Text besteht auch nach§ 3 Nr. la IFG nicht, weil das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben könnte auf die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Türkei. Der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 1 a IFG schützt die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland sowie das diplomatische Vertrauensverhältnis zu ausländischen Staaten sowie zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen. Das außenpolitische Ziel der Bundesregierung gegenüber der Türkei ist es, gute und vertrauensvolle Beziehungen zu unterhalten, da die Türkei ein für Deutschland politisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich gleichermaßen bedeutsamer Partner ist. Die türkische Seite erwartet, dass die Erörterung sensibler Anliegen nicht in der Öffentlichkeit, sondern innerhalb etablierter diplomatischer Kommunikationskanäle erfolgt. Eine Offenlegung des Textabsatzes könnte von türkischer Seite als Versuch verstanden werden, über die Öffentlichkeit Einfluss auf die türkische Position zu nehmen. Dies könnte die türkische Seite als Vertrauensbruch werten, was den vertrauensvollen Beziehungen abträglich wäre.
3. Ein Anspruch auf Informationszugang zum fraglichen Text besteht auch nach § 3 Nr. 4 IFG nicht, da er als Verschlusssache VS-Vertraulich (VS-V) im Sinne von § 3 Nr. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innem zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VS-Anweisung- VSA) eingestuft ist. Diese Einstufung ist auch materiell gerechtfertigt, weil die Kenntnisnahme des Textabsatzes durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich sein könnte. Bei Bekanntwerden der fraglichen Informationen ist ein Schaden für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu befürchten, da, wie Seite 4 von 4 oben geschildert, die türkische Seite die Offenlegung des Textabsatzes als Vertrauensbruch werten könnte.
4. Des Weiteren besteht ein Anspruch auf Informationszugang zu diesem Text auch nach§ 3 Nr. 1 g) 3. Alt. IFG nicht, da die Offenlegung des Textes nachteilige Auswirkungen auf das laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren haben kann. Dies gilt auch in diesem Fall unabhängig-von dem möglichen Ergebnis in dem Text selbst. Insbesondere vor dem Hintergrund der Debatte in der Öffentlichkeit und der politischen Tragweite, über die in den Medien in zunehmendem Maße spekuliert wurde, ist hier größte Zurückhaltung geboten.
Mit freundlichen Grüßen