KLAGE
des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstra-ße 109, 10179 Berlin
- Kläger -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Beiler Karl Platzbecker & Partner,
Palmaille 96, 22767 Hamburg
gegen
den Landkreis Schaumburg, vertreten durch den Landrat, Bahnhofstr. 25,31675 Bücke-burg
- Beklagte -
wegen Zugang zu Informationen gemäß Verbraucherinformationsgesetz (VIG).
Vorläufiger Gegenstandswert: 5.000,00 €
Namens und in Vollmacht des Klägers erheben wir Klage mit dem folgenden Antrag:
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 12.08.2022 insoweit das Verbraucherinformationsrecht des Klägers auf eine bloße Akteneinsicht vor Ort im Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen in Bückeburg beschränkt gewährt worden ist, verpflichtet, dem Kläger Informationszugang zu dem Kontrollbericht vom 11.11.2021 hinsichtlich der lebensmittelrechtlichen Kontrolle in dem Betrieb Shell, Bundesstr. 2, 31711 Luhden durch Herausgabe von Ablichtungen bzw. Ausdrucken zu verschaffen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Eine entsprechende Prozessvollmacht reichen wir als Anlage zur Akte.
Begründung:
Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) geltend. Namentlich geht es ihm um Informationszu-gang durch Herausgabe des Kontrollberichts vom 11.11.2021 bezüglich einer lebensmittel-rechtlichen Kontrolle in dem Shell Tankstelle in Luhden.
A. Sachverhalt
Der Kläger ist als freier Journalist und Projektleiter der von der Open Knowledge Foundati-on Deutschland e.V. betriebenen Plattform FragDenStaat (
fragdenstaat.de) tätig. Im Rah-men dieser Aktivitäten setzt sich der Kläger für Transparenz bei öffentlichen Stellen ein.
Er ist selbst Nutzer der Plattform FragDenStaat und stellt darüber auch Verbraucherinfor-mationsanfragen. FragDenStaat hat vor einigen Jahren zusammen mit FoodWatch das Pro-jekt „Topf Secret“ initiiert, das Bürger die einfache und nutzerfreundliche Anfrage der Er-gebnisse von Hygienekontrollen in Lebensmittelbetrieben wie Restaurants, Bäckereien oder Supermärkten über das Portal FragDenStaat ermöglicht. Nutzer:innen steht es frei, die er-haltenen Lebensmittelkontrollberichte dann auf „Topf Secret“/ FragDenStaat zu veröffentli-chen. Eine solche Veröffentlichung fördert jedoch Transparenz und machte es für weitere Nutzer:innen unnötig, die inhaltsgleiche Anfrage noch einmal zu stellen.
Über die Plattform wendete sich der Kläger mit E-Mail vom 11.07.2022 an den Landkreis Schaumburg – Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen und bat um
„Herausgabe folgender Informationen:
1. Wann haben die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen im folgenden Betrieb stattgefunden: Shell Bundesstraße 2 31711 Luhden
2. Kam es hierbei zu Beanstandungen? Falls ja, beantrage ich hiermit die Herausga-be des entsprechenden Kontrollberichts an mich.“
(E-Mail des Klägers vom 11.07.2022, Anlage K1)
Mit Bescheid vom 12.08.2022 wurde dem Antrag zu 1. hinsichtlich der Daten der lebensmit-telrechtlichen Betriebskontrollen stattgegeben und mitgeteilt, dass die letzten beiden Kon-trollen in der Shell Tankstelle in Luhden am 11.12.2019 und am 11.11.2021 stattfanden. Ferner teilte der Beklagte mit, dass die Kontrolle am 11.12.2019 ohne Beanstandung erfolg-te. Beanstandungen habe es jedoch bei der Kontrolle vom 11.11.2021 gegeben. Die Her-ausgabe des betreffenden Kontrollberichts lehnte der Beklagte jedoch ab. Er beruft sich auf § 6 Abs. 1 VIG und führt zur Begründung aus, dass die Kontrollberichte sonst veröffentlicht werden könnten. Da dies dem Grundsatz des Aktengeheimnisses und der Vertraulichkeit, sowie den überwiegenden Datenschutzinteressen des Unternehmens widerspräche, ver-wies der Beklagte den Kläger auf eine Akteneinsicht im Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen in Bückeburg. Der Beklagte sieht eine angebliche – allerdings nicht beste-hende – Gefahr einer rechtsmissbräuchlichen Verwendung der Auskunft für einen wichtigen Grund an, um von der ausdrücklichen Beantragung des Kontrollberichtes durch den Kläger abzuweichen.
(Bescheid des Beklagten vom 12.08.2022, Anlage K2)
Die Korrespondenz zwischen den Parteien ist unter
https://fragdenstaat.de/anfrage/kontr... im Internet abrufbar.
Da der Anspruch auf Informationszugang durch den Beklagten im Hinblick auf die vom Klä-ger ausdrücklich beantragte Durchführungsart („Herausgabe“) bislang nicht erfüllt worden ist, war nunmehr die Einleitung des Klagverfahrens geboten.
B. Rechtliche Würdigung
Die Klage ist zulässig und begründet.
I. Zulässigkeit
Die Verpflichtungsklage ist insbesondere die statthafte Klageart. Die Statthaftigkeit richtet sich gem. § 88 VwGO nach dem Klägerbegehren. Der Kläger begehrt im Sinne von § 88 VwGO die Aufhebung des Bescheids und die Verpflichtung zum Erlass eines rechtmäßigen Bescheids auf Informationszugang zum Kontrollbericht vom 11.11.2021 bezüglich einer lebensmittelrechtlichen Kontrolle in dem Shell Tankstelle in Luhden und zwar durch Her-ausgabe. Darunter ist die Übergabe von Ablichtungen bzw. Ausdrucken in physischer oder digitaler Form zu verstehen. Die Verpflichtungsklage ist statthaft, da die zuständige Behör-de über das „Ob“ des Informationszugangs in der beantragten Durchführungsart durch Verwaltungsakt entscheidet.
Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, da er einen Anspruch aus § 2 VIG auf Informationszugang geltend macht.
Der Landkreis Schaumburg ist als Gebietskörperschaft richtiger Beklagter, vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
Der Durchführung eines Vorverfahrens vor Klageerhebung im Sinne von § 68 VwGO be-durfte es in Niedersachsen gem. § 80 Abs. 1, 4 NJG nicht.
II. Begründetheit
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid rechtswidrig ist und der Kläger durch die Ablehnung des Informationszugangs in der beantragten Form in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht mithin der geltend gemachte Anspruch auf Zurverfügungstellung von Ablichtungen bzw. Ausdrucken des Kontrollberichts vom 11.11.2021 bezüglich einer lebensmittelrechtlichen Kontrolle in dem Shell Tankstelle in Luhden zu.
1. Rechtsgrundlage
Rechtsgrundlage für den entsprechenden Anspruch des Klägers ist § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Nach dieser Vorschrift hat jeder Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Ab-weichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes (a), der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverord-nungen (b), unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze (c) sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a bis c genannten Abweichungen getroffen worden sind, (Informationen), die bei einer Stelle im Sinne des § 2 Abs. 2 VIG unabhängig von der Art ihrer Speicherung vorhanden sind.
Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um einen „prinzipiell voraussetzungslosen“ Anspruch auf Gewährung der bei einer Behörde vorhan-denen Informationen (BVerwG, Beschluss vom 15.06.2015 - 7 B 22.14 - juris Rn. 9 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.08.2019 - 7 C 29.17 - NJW 2020, 1155). Entsprechend dem gesetzgeberischen Leitbild des „mündigen Verbrauchers“ sollen diesem die bei der Behör-de vorhandenen Informationen grundsätzlich ungefiltert zugänglich gemacht werden.
2. Anspruchsvoraussetzungen erfüllt
Die Anspruchsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger ist als natürliche Person anspruchsberechtigt.
Der Beklagte ist eine nach niedersächsischem Landesrecht zuständige Stelle, die für die Durchführung der Lebensmittelkontrollen im Landkreis verantwortlich ist und nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen der lebensmittel- und hygienerechtlichen Vorschriften erfasst. Diese Informationen sind bei dem Beklagten auch vorhanden. Der Kläger hat sei-nen Antrag auch bei dieser nach Landesrecht zuständigen Stelle im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 VIG gestellt.
Bei dem begehrten Kontrollbericht handelt es sich um, bei dem Beklagten vorhandene In-formationen über Abweichungen, die § 2 Abs. 1 VIG unterfallen. Dies entspricht der ständi-gen Rechtsprechung des OVG Lüneburg.
„Bei den begehrten Kontrollberichten handelt es sich um Daten über festgestellte nicht zulässige Abweichungen von den vorgenannten Rechtsvorschriften. (OVG Lü-neburg, Beschluss vom 16.01.2020 – 2 ME 707/19 m.w.N.; aber auch OVG Lüneburg Beschl. v. 20.8.2021 – 2 ME 126/21;
Die Erfüllung der Rechtsgrundlage für den begehrten Anspruch aus § 2 Abs. 1 VIG stellt auch der Beklagte nicht in Abrede.
3. Beklagter durfte die Herausgabe des Kontrollberichts nicht verweigern
Rechtsirrig meint er jedoch, die vom Kläger explizit beantragte Art der Gewährung des In-formationszugangs („Herausgabe“) verweigern und den Kläger auf eine Akteneinsicht vor Ort verweisen zu dürfen.
Der Beklagte beruft sich diesbezüglich auf § 6 Abs. 1 S. 1 VIG. Nach dieser Norm kann die informationspflichtige Stelle den Informationszugang durch Auskunftserteilung, Gewährung von Akteneinsicht oder in sonstiger Weise eröffnen. Wird aber – wie hier – eine bestimmte Art des Informationszugangs begehrt, so darf der Informationszugang gem. § 6 Abs. 1 S. 2 VIG nur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden
Der Beklagte hat die vom Kläger gewählte Art der Informationserteilung – und zwar die Herausgabe des Kontrollberichts in digitaler oder physischer Form – vorrangig zu berück-sichtigen. Eine Abweichung von dieser explizit beantragten Art der Zugangsgewährung wä-re nur aus wichtigem Grund möglich. Das Ermessen der Behörde zwischen den verschie-denen Informationszugangsarten wird insofern eingeschränkt. Die Vorschrift verdeutlicht, dass das Abweichen von der beantragten Zugangsart als Ablehnung zu qualifizieren ist, weil es sich bei der Festsetzung der Zugangsart nicht um eine Nebenbestimmung iSd § 36 Absatz 2 VwVfG, sondern um eine Inhaltsbestimmung des Verwaltungsakts handelt. (BeckOK InfoMedienR/Rossi, 36. Ed. 1.5.2022, VIG § 6 Rn. 5)
Den herangezogene „wichtigen Grund“ sieht der Beklagte hier in der Möglichkeit, dass der Kontrollbericht bei einer Herausgabe veröffentlicht werden könnte und dies begründe die Gefahr einer rechtsmissbräuchlichen Verwendung der Auskunft. Eine Herausgabe würde dem Grundsatz des Aktengeheimnisses und der Vertraulichkeit, sowie den überwiegenden Datenschutzinteressen des Unternehmens widersprechen.
Die vorgebrachten Einwände stellen keinen wichtigen Grund i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 2 VIG dar. Dies hat zur Folge, dass der Beklagte den Kläger nicht lediglich auf die Akteneinsicht ver-weisen durfte. Vielmehr ist der begehrte Kontrollbericht herauszugeben.
Wir verweisen auf die wiederholten Entscheidungen des OVG Lüneburg, nach denen eine Veröffentlichung der, durch Nutzer über „Topf Secret“ angefragten Kontrollberichte zulässig ist:
„IÜ hat der Senat bereits entschieden, dass eine möglicherweise zu erwartende Ver-öffentlichung der Informationen im Internet die Informationsherausgabe nicht als un-verhältnismäßig bzw. missbräuchlich qualifiziert. Das VIG dient ausweislich der Ge-setzesbegründung der Transparenz staatlichen Handelns und dem ungehinderten Zugang zu Informationen, und zwar im Interesse der Ermöglichung eigenverantwortli-cher Entscheidungen der Verbraucher am Markt; dies sieht der Gesetzgeber als we-sentliches Element eines demokratischen Rechtsstaates an (BT-Drs. 17/7374, 2). Mit diesem Gesetzeszweck steht es in Einklang, wenn ein Verbraucher die erhaltenen In-formationen mit anderen teilt und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Eine Regelung dazu, wie der Verbraucher die erlangten Informationen verwendet, trifft das VIG folge-richtig nicht. Dass sich die Vorschriften des VIG auf eine rein bilaterale Informations-vermittlung zwischen dem privaten Verbraucher und der Überwachungsbehörde be-schränken wollen, liegt vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks fern und wider-spricht iÜ auch den Wertungen der deutschen und europäischen Grundrechte, die mit Art. 5 Abs. 1 1 S. 1 GG und Art. 11 Abs. 1 GRC auf eine freie gesellschaftliche Debat-te abzielen. Von einem „Missbrauch“ der Instrumente des VIG „zur Eigenwerbung iSe ‚Kampagne‘“ durch die Betreiber der Plattform „Topf Secret“ kann daher keine Rede sein; es handelt sich vielmehr um eine legitime Teilnahme an der grundrechtlich ge-schützten gesellschaftlichen Diskussion“ (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.8.2021 – 2 ME 126/21; siehe auch OVG Lüneburg, Beschluss v. 16.1.2020 – Az. 2 ME 707/19 Rn. 14 mwN)
Der Beklagte kann auch keine überwiegenden Datenschutzinteressen des betroffenen Un-ternehmens im Hinblick auf eine mögliche Veröffentlichung geltend machen. So ist eben-falls mehrfach gerichtlich entschieden worden, dass ein Lebensmittelbetrieb eine Veröffent-lichung eines nach dem VIG angefragten Kontrollberichtes dulden muss (u.a. Landgericht Köln, Urteil vom 22.9.2021, Az. 28 O 249/20; Landgericht Schweinfurt, Urteil vom 22.7.2021, Az. 12 O 790/20)
Da eine Veröffentlichung weder dem VIG widerspricht, noch zivilrechtlich durch das jeweili-ge Unternehmen untersagt werden kann, besteht gerade kein „wichtiger Grund“, der dem Beklagten erlaubt, von der beantragten Durchführungsart des Informationszugangs – durch Herausgabe von digitalen oder physischen Ablichtungen bzw. Ausdrucken des Kontrollbe-richts – abzuweichen.
C. ERGEBNIS
Der Klage ist stattzugeben.