Sehr <Information-entfernt>
wir kommen zurück auf Ihre Anfrage vom 11. Februar 2020, in der Sie Verzögerungen im Verfahren des Krankenkassenwechsels bei bestimmten Fallkonstellationen bemängeln und die Verantwortung hierzu in den Grundsätzlichen Hinweisen des GKV-Spitzenverbandes „Krankenkassenwahlrecht“ vom 12. Juni 2019 sehen. Richtigerweise stellen Sie fest, dass durch einen Arbeitgeberwechsel die 18-monatige Bindungsfrist bei der Krankenkasse (unter bestimmten Voraussetzungen) erneut zu laufen beginnt und sich der Krankenkassenwechsel somit im Kündigungsverfahren verzögert. Diese Rechtslage resultiert jedoch nicht aus den Grundsätzlichen Hinweisen des GKV-Spitzenverbandes, wovon Sie bisher ausgegangen sind, sondern aus dem Zusammenwirken der gesetzlichen Vorschriften und der ausschlaggebenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Grundsätzlichen Hinweise als solche sind rechtlich nicht bindend, die darin wiedergegebenen Vorgaben des Gesetzes und des BSG dagegen schon. Diese rechtlichen Vorgaben stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:
Die 18-monatige Bindung an die gewählte Krankenkasse ist gesetzlich geregelt (§ 175 Absatz 4 Satz 1 SGB V). Dass diese Bindungsfrist immer dann zu laufen beginnt, wenn ein Mitglied die zuständige Krankenkasse wechselt, ist offenkundig. Darüber hinaus beginnt die Bindungsfrist aber auch dann erneut, wenn ein Mitglied zwar ein Wahlrecht hat, davon aber aktiv keinen Gebrauch macht und bei der bisherigen Krankenkasse bleibt. Man sagt dazu, dass ein Wahlrecht passiv ausgeübt wurde. Die Entscheidung darüber, dass auch ein passiv ausgeübtes Wahlrecht eine neue Bindungsfrist verursacht, hat das BSG bereits vor Jahren getroffenen (vgl. BSG-Urteil vom 8. Oktober 1998 – B 12 KR 11/98 R -).
In der jüngsten Zeit hat sich das BSG mit der Frage beschäftigt, ob die Mitglieder der GKV ein sofortiges Krankenkassenwahlrecht haben, wenn ein Arbeitgeberwechsel vorliegt. Diese Frage wurde bis dato auf Grundlage des Wortlautes des Gesetzes verneint. Das BSG hat mit dem Urteil vom 11. September 2018 - B 1 KR 10/18 R - abweichend hiervon entschieden, dass bei einem Wechsel des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (Arbeitgeberwechsel) nach Ablauf des gesetzlichen Mindestbindungszeitraums keine Kündigung mehr erforderlich ist und ein sofortiges Krankenkassenwahlrecht besteht.
Die Entscheidungen des BSG werden auf der Internetseite des Gerichts unter
www.bsg.bund.de öffentlich bekannt gegeben, zunächst nur mit ihrem Tenor im Rahmen eines sogenannten Terminberichts und anschließend innerhalb von 6 Monaten mit der vollständigen Urteilsbegründung. Die BSG-Entscheidungen sehen regelmäßig keine Übergangsfristen vor und sind dem Grunde nach sofort oder unten Umständen sogar für die Vergangenheit umzusetzen. Da allerdings aus einem knappen Terminbericht die möglichen Auswirkungen einer BSG-Entscheidung zu einem konkreten Sachverhalt auf die allgemeine Rechtslage noch nicht im Einzelnen klar und eindeutig hervorgehen, wird im Sozialrecht im Allgemeinen erst eine vollständige Urteilsbegründung abgewartet, bevor eine generelle Umsetzung der höchstrichterlichen Entscheidung geprüft werden kann.
So war es auch bei der Umsetzung der BSG-Entscheidung vom 11. September 2018. In der Fachkonferenz Beiträge des GKV -Spitzenverbandes am 20. März 2019 wurde über die Einzelheiten der Umsetzung der vorgenannten Rechtsprechung auf Grundlage der vollständigen Urteilsbegründung beraten. Die Niederschrift über diese Konferenz wurde den Krankenkassen mit einem Rundschreiben am 9. April 2019 bekannt gegeben. Die Niederschrift (zu TOP 5) ist zu Ihrer Information beigefügt. Ab diesem Zeitpunkt waren die Krankenkassen in der Lage, die Vorgaben der BSG-Entscheidung in der Praxis generell umzusetzen. Daher ist auch dieser Zeitpunkt für die Umstellung der Krankenkassen auf die geänderte Rechtslage maßgebend. Ab diesem Zeitpunkt wurde ein sofortiges Krankenkassenwahlrecht bei jedem Arbeitgeberwechsel eingeräumt, wenn der Mindestbindungszeitraum von 18 Monaten bei der bisherigen Krankenkasse erfüllt war. Hat ein Mitglied von seinem sofortigen Krankenkassenwahlrecht keinen Gebrauch gemacht und ist bei seiner Krankenkasse geblieben, wurde dadurch eine neue Bindungsfrist von 18 Monaten verursacht.
Die Inhalte der Niederschrift über die Fachkonferenz Beiträge am 20. März 2019 wurden später im Rahmen der regelmäßigen Überarbeitung der Grundsätzlichen Hinweise „Krankenkassenwahlrecht“ in dieses Dokument (mit dem Datum 12. Juni 2019) eingearbeitet. Dies war jedoch, wie dargestellt, nur eine Formsache.
Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 das Krankenkassenwahlrecht bereits reformiert. Künftig führt die passive Ausübung des Wahlrechts nicht mehr dazu, das eine neue Bindungsfrist entsteht.
Wir hoffen, mit unseren vorstehenden Ausführungen zum besseren Verständnis der aktuellen Rechtslage und für Transparenz gesorgt zu haben. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Sie für alle weiteren Fragen an die zuständige Krankenkasse verweisen.
Mit freundlichen Grüßen