Sehr geehrte
mit E-Mail vom 11. Mai 2015 beantragten Sie auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Zugang zu der „Liste der Selektoren der NSA, die vom Untersuchungsausschuss angefordert wurde“.
Auf Ihren Antrag ergeht folgende Entscheidung:
1. Ihr Antrag wird abgelehnt.
2. Der Bescheid ergeht kostenfrei.
Gründe:
§ 1 Abs. 1 IFG eröffnet Jedermann gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nur, wenn und soweit kein in §§ 3 ff. IFG normierter Ausnahmegrund oder ein ungeschriebener Ausnahmetatbestand greift. Dem beantragten Informationszugang stehen mehrere Versagungsgründe entgegen, der Antrag ist daher abzulehnen:
1. § 3 Nr. 1 Buchstabe a IFG
Nach § 3 Nr. 1a IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann. Dieser Ausnahmetatbestand schützt die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das diplomatische Vertrauensverhältnis zu ausländischen Staaten sowie zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Schutzzweck der Norm nicht nur Informationen von anderen Völkerrechtssubjekten erfasst. Vielmehr können die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland auch durch das Bekanntwerden im Inland erhobener Informationen ungünstig beeinflusst werden. Dabei reicht jeder in Betracht zu ziehende Nachteil aus. Damit hat der Gesetzgeber der Sensibilität und hohen Schutzbedürftigkeit internationaler Beziehungen Rechnung getragen.
Ob ein Nachteil für die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einem auswärtigen Staat eintreten kann, hängt davon ab, welche außenpolitischen Ziele die Bundesrepublik im Verhältnis zu diesem Staat verfolgt (BVerwG‚ Urteil vom 29.10.2009, AZ: 7 C 22/08). Die Entscheidung, ob die Freigabe der begehrten Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann, erfordert eine prognostische Einschätzung, die grundlegende politische Fragen, insbesondere die (außen-) politische Strategie der Bundesregierung betrifft. Dabei steht der zuständigen Behörde bei der Beurteilung, ob nachteilige Auswirkungen möglich sind, eine Einschätzungsprärogative zu.
Nach diesem Maßstab kann Ihnen kein Zugang zu der Selektorenliste gewährt werden:
Außenpolitisches Ziel der Bundesregierung ist eine vertrauensvolle Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Die Bundesregierung möchte alle Maßnahmen unterlassen, die dieses Ziel beeinträchtigen könnten. Eine einseitige Offenlegung der Selektorenliste durch die Bundesregierung wäre geeignet, das Verhältnis zu den USA nachhaltig zu beschädigen. Die USA und deren Nachrichtendienste könnten sich veranlasst sehen, künftig mit Vertretern der Bundesregierung und den Nachrichtendiensten der Bundesrepublik Deutschland nur eingeschränkt Informationen zu teilen, da sie befürchten müssten, dass vertraulich mitgeteilte Informationen zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich würden. Dies würde sich in erheblicher Weise nachteilig auf die Wahrnehmung der deutschen außenpolitischen Interessen durch die Bundesregierung auswirken.
2. § 3 Nr. 4 IFG
Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt.
Dies ist hier der Fall. Die betreffende Selektorenliste ist als Verschlusssache gem. § 2 Abs. 1 Verschlusssachenanweisung (VSA) i.V.m. 5 4 Abs. 1 Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) und den Sicherheitsbestimmungen für die Fernmeldeaufklärung (SiBestFmA) mit dem Einstufungsgrad „Geheim-Schutzwort“ eingestuft. Neben den Geheimhaltungsstufen kann der Personenkreis, der die Akten sehen darf, auch durch die Vergabe eines sogenannten Schutzwortes eingeschränkt werden. Dies ist hier der Fall. Grundlage sind die Sicherheitsbestimmungen für die Fernmeldeaufklärung (SiBestFmA), die Bundeskanzleramt, Bundesministerium für Verteidigung und Bundesministerium des Inneren auf Grundlage des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes erlassen haben.
Würde die Selektorenliste unbefugten Dritten bekannt, so könnte dies nachteilige Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) haben und in der Folge die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihre Interessen gefährden. Bei der Gewinnung von Erkenntnissen sind die Nachrichtendienste auf Nachrichtenzugänge angewiesen, die in besonderer Weise schutzwürdig sind. Sie stellen das wichtigste Instrument eines Nachrichtendienstes zur Informationsgewinnung dar und haben folglich eine überragende Bedeutung für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags. Dies betrifft auch die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist dabei die Geschäftsgrundlage für jede Kooperation. Eine öffentliche Bekanntgabe entgegen der zugesicherten Vertraulichkeit würde nicht nur die Nachrichtendienste des Bundes in grober Weise diskreditieren sondern auch zu einem Rückgang von Informationen aus diesen Bereichen und damit zu einer Verschlechterung der Abbildung der Sicherheitslage durch die Nachrichtendienste des Bundes führen. Die betreffende Selektorenliste ist daher als Verschlusssache mit dem Einstufungsgrad „Geheim-Schutzwort“ eingestuft. Die Voraussetzungen des § 3 VSA-Bund für die Einstufung liegen weiterhin vor.
3. § 3 Nr. 8 IFG
Dem Informationszugang zu der sogenannten Selektorenliste steht der Versagungsgrund des § 3 Nr. 8 IFG entgegen. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht gegenüber den Nachrichtendiensten sowie den Behörden und sonstigen Stellen des Bundes, soweit sie Aufgaben im Sinne des § 10 Nr. 3 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wahrnehmen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat insoweit in seinem Urteil vom 6. November 2014, Az. OVG 12 B 14.13 ausgeführt, die Aufnahme der Bereichsausnahme des § 3 Nr. 8 IFG in den Katalog der Versagungsgründe mache deutlich, dass für den Schutz von besonderen öffentlichen Belangen materielle Kriterien ausschlaggebend seien. Maßgeblich sei danach nicht, bei welcher Behörde der Antrag auf Informationszugang gestellt werde, sondern allein, ob er sich auf eine Information bezieht, deren Urheber die in § 3 Nr. 8 IFG bezeichneten Behörden sind.
Nur mit dieser Auslegung wird der ansonsten bestehende Widerspruch vermieden, dass ein unmittelbarer Informationszugang bei den Nachrichtendiensten gemäß § 3 Nr. 8 IFG gesperrt wäre, das Bundeskanzleramt als Aufsichts- bzw. Koordinierungsbehörde aber grundsätzlich Zugang zu denselben Informationen gewähren müsste.
Diese Auslegung wird durch Sinn und Zweck des § 3 Nr. 8 IFG, insbesondere auch im Lichte der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/4493, S. 12), bestätigt. Danach dient § 3 Nr. 8 IFG dem umfassenden Schutz der Informationen über die Tätigkeiten der Nachrichtendienste. Dieser vom Gesetzgeber beabsichtigte, umfassende Schutz würde ausgehebelt, wenn das Bundeskanzleramt verpflichtet wäre, Informationen herauszugeben, die im Rahmen der Koordinierung der Nachrichtendienste des Bundes angefallen sind und die inhaltlich wesentlich den Informationen entsprechen, die unmittelbar bei den Nachrichtendiensten selbst vorhanden sind.
Nach diesem Maßstab unterfällt die Selektorenliste dem Ausschlussgrund des § 3 Nr. 8 IFG: Bei dieser Liste handelt es sich um Informationen des BND, die unmittelbar bei den Nachrichtendiensten selbst vorhanden sind und die im Bundeskanzleramt im Rahmen der Koordinierungstätigkeit oder im Rahmen der Fachaufsicht angefallen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 10 Abs. 1 IFG in Verbindung mit der Informationsgebührenverordnung (IFGGebV).
Mit freundlichen Grüßen