Sehr geehrter Herr Walter,
über die Stadt Mainz hat uns Ihre Anfrage zu Daten des Nahverkehrs in Mainz
erreicht. Obwohl Ihre Anfrage deutlich über die gesetzlich vorgegebenen
Auskunfts- und Einsichtspflichten hinausgeht antworten wir doch gerne, auch
um die Diskussion zum Thema "fahrscheinloser ÖPNV" etwas mit Fakten und
Argumenten anzureichern. Zu den einzelnen Fragen:
Wie hoch sind die Erlöse aus dem Fahrscheinverkauf in Euro pro Jahr?
2013: ca. 26,7 Mio. Euro
In welcher jährlichen Höhe fallen Erlöse aus dem Verkauf von
Sondertickets an und wie werden die Ermäßigungen kompensiert?
2013: ca. 11,9 Mio Euro (inkl. Studi-Ticket)
In den meisten Fällen handelt es sich nicht um Ermäßigungen, sondern um
Kalkulationen, die Besonderheiten mit wirtschaftlichen Auswirkungen
berücksichtigen. Für die Ausbildungsverkehre, darunter fallen auch die
StudiTickets und die Beförderung von Schwerbehinderten, erhält die MVG
Ausgleichszahlungen in Höhe von ca. 4,4 Mio Euro (2013). Bei der
sozialen Monatskarte gibt es keinen finanziellen Ausgleich. Beim
StudiTicket ist es ein Solidarmodell bei dem alle Studenten - egal ob
Nutzung oder nicht - zahlen müssen. Zudem ist es ein für die MVG ein
sehr günstiger
Vertriebsweg. Beim JobTicket beteiligt sich der Arbeitgeber in
unterschiedlicher Größenordnung (firmenspezifisch), zudem werden
zusätzliche Kunden angesprochen, die die MVG ohne dieses
Direktmarketinginstrument nicht erreichen würde.
Welche Kosten entstehen durch Ticketverkauf, Wartung und Instandhaltung
der Fahrscheinautomaten, der Fahrgastkontrollen, des Mahnwesens
einschließlich etwaiger Anwalts- und Gerichtskosten pro Jahr? Bitte
Einzelpositionen getrennt nach Personal- und Sachkosten angeben.
Die Angabe der Kosten von Einzelpositionen ist aus unserer Sicht nicht
aussagekräftig bzw. hilfreich. Beispielhaft deutlich wird das am
Fahrerverkauf, der auf der einen Seite sehr kundenfreundlich ist, dessen
Kosten sinnvoll aber nicht abgegrenzt werden können. Dementsprechend
gibt es keine Zahlen bei der MVG. Nach den Entwicklungen der letzten
Jahre kann bei der MVG von Vertriebskosten in einer Größenordnung von
5,5 - 6 % der Fahrgeldeinnahmen ausgegangen werden. Die immer mal wieder
bundesweit öffentlich genannten Vertriebsaufwendungen im ÖPNV von 10 -
15 % (!) der Fahrgeldeinnahmen lassen sich für uns nicht nachvollziehen
und haben nach unseren Erfahrungen in städtischen Verkehren, zumindest
im Rhein-Main-Gebiet, keine realistische Grundlage.
Ein besonderes Thema in Mainz ist die Fahrscheinkontrolle. Dank der
Kontrollen, einem hohen Anteil an studentischen Verkehren und vielleicht
auch auf Grund der Mentalität der Mainzer hat die MVG eine im
Bundesvergleich niedrige Qoute von Fahrgästen ohne gültigen
Fahrtausweis. Dank der Unterstützung durch den Verbund RMV und die
Zusammenarbeit mit einem Inkassounternehmen wird der Aufwand bis auf
einen (jährlich stark schwankenden) Anteil von ca. 200 TEUR durch die
Einnahmen aus dem "Erhöhten Beförderungsentgelt" gedeckt. Getrennt
ausgewiesen bzw. erfasst werden die Kosten nicht, sie sind aus Sicht der
MVG Teil der Vertriebskosten und führen auch zu Mehreinnahmen beim
Fahrscheinverkauf, die nicht quantifiziert werden können.
An den Mainzer Hochschulen gibt es gegenwärtig mehr als 35.000
Studierende, alle mit dem Studiticket ausgestattet und somit praktisch
landesweit mobil im ÖPNV. Erhält die MVG durch diese lokale
Konzentration zusätzliche Mittel und wenn ja, in welcher Höhe?
Über das StudiTicket besteht ein Vertrag der MVG mit den ASten der
Mainzer Hochschulen, der Fahrpreis wurde auf Basis der Nutzung
kalkuliert und wird regelmäßig angepasst. Der Vertrag der MVG regelt die
Nutzung in Mainz/Wiesbaden
und im RMV-Gebiet, für den RNN und einige kleinere Zusatzleistungen
besteht ein separater Vertrag. Das Ticket gilt nicht landesweit in
Rheinland-Pfalz, sondern lediglich im RNN-Gebiet und auf einigen
angrenzenden Strecken bzw. Bereichen. Es
gibt eine detaillierte Zusammenstellung auf der AStA-Seite der Uni Mainz
im Internet. Die Studi-Ticket-Einnahmen belaufen sich auf ca. 7 Mio Euro
für MVG und ESWE-Verkehr. Die Studi-Tickets werden von den Bundesländern
als Ausbildungsverkehr gefördert,
die Förderung liegt in Rheinland-Pfalz bei ca. 1 Mio. Euro, in Hessen
ist sie auf Grund einer langjährigen Pauschalierung nicht von den
Zuschüssen für Schüler- und Azubi-Fahrten abzugrenzen.
Theoretisch kann jeder Bürger mit einer abgeschlossenen Ausbildung ein
Hochschulstudium aufnehmen und durch Zahlung des Semesterbeitrags den
ÖPNV landesweit ohne weitere Kosten nutzen. Welche Auswirkungen sehen
Sie für die Finanzierung des ÖPNV in Mainz, wenn für diese Option
öffentlichkeitswirksam geworben würde?
Rein in der Theorie (ohne Berücksichtigung der begrenzten
Zugangsmöglichkeiten an den Hochschulen): Das Studi-Ticket wird
solidarisch finanziert, der günstige Preis entsteht u.a. dadurch, dass
alle Studenten im Rahmen des Semesterbeitrages in Mainz ca. 170,- EUR
für den ÖPNV bezahlen (davon ca. 100,- EUR für Mainz/Wiesbaden), ein
Teil den ÖPNV aber kaum oder wenig nutzt. Insofern sind finanzielle
Auswirkungen abhängig von der tatsächlichen Nutzung. Es gibt zwei
extreme Möglichkeiten, ein Berufspendler Mainz-Bingen, der statt
einer regulären Jahreskarte (missbräuchlich)
auf ein Studi-Ticket umsteigt, führt bei gleicher Nutzung zu deutlichen
Einnahmeverlusten im ÖPNV in Mainz und beim RNN, ein Pendler
Ingelheim-Frankfurt zu Mehreinnahmen in Mainz/Wiesbaden ohne
entsprechende Nutzung und deutlichen Verlusten in den Verbünden RNN und
RMV. Diese Überlegungen sind aber tatsächlich theoretisch. Bei der
nächsten Fahrgasterhebung, und im Falle eines spürbaren Effektes,
gemessen an steigenden Studentenzahlen, könnte man eine Erhebung auch
kurzfristig punktuell durchführen, wird die Änderung der Nutzung der
StudiTickets erfasst und bewertet. Ggfs. müssten dann alle Studenten
höhere Studi-Ticket-Preise für die "Trittbrettfahrer" bezahlen, oder der
Preis für Mainz/Wiesbaden sinkt, weil mehr Leute den Semesterbeitrag
zahlen, ohne den ÖPNV in Mainz/Wiesbaden zu nutzen. Zudem wird bei einer
erfolgreichen öffentlichen Aktion auch das Land seine Förderung zu Recht
hinterfragen.
Da sich die meisten Parkhäuser im Mainzer Zentrum oder an
Hauptverkehrsadern befinden, hätten wir gerne von Ihnen erläutert,
aufgrund welcher Zielsetzung Sie zu der Übereinkunft mit den
Parkhausbetreibern gelangt sind, dass der Parkschein gleichzeitig
Fahrschein sein soll und somit gefördert wird, dass der Bürger zunächst
mit dem Pkw in die Stadtmitte fährt, um von dort auf die Dienste des
ÖPNV umzusteigen. Möchten Sie auch in Zukunft an dieser Praxis
festhalten?
Auch wenn die Beantwortung der Frage nach unserem Ermessen über den
Informationsanspruch hinausgeht (wie auch schon Frage 5.) antworten wir
doch gerne: Die MVG möchte an dem Angebot im Sinne einer integrierten
Mobilität festhalten, der Vertrag zwischen PMG und MVG wurde gerade für
5 Jahre verlängert. Die Nutzung des ÖPNV durch die Parker wird der MVG
von der PMG vergütet. Ausgangspunkt des speziellen Angebotes in Mainz
war vor Jahren das damals etwas abseits gelegene Parkhaus am
Hauptbahnhof, dessen Nutzung, auch zur Entlastung der Innenstadt vom
Parksuchverkehr, verbessert werden sollte. Gleichzeitig soll aber auch
eine verkehrliche Entlastung in der Innenstadt durch Vermeiden von
Umparken aus Bequemlichkeit erreicht werden.
Der Preis für das Jobticket beträgt für Mitarbeiter der Stadt Mainz oder
andere große öffentliche und private Arbeitgeber zurzeit 30,- EUR
monatlich, für das Sozialticket für Empfänger von Transferleistungen
veranschlagen Sie hingegen das Doppelte. Bitte erläutern Sie uns welche
politischen und
betriebswirtschaftlichen Überlegungen Ihrer diesbezüglichen Kalkulation
zu Grunde liegen?
Den Preis von 30,- EUR im Monat kennen wir für die Stadt Mainz nicht,
die Stadt ist aber mit einem sehr alten Vertrag ohne Nutzung des RNN
oder RMV auch kein geeignetes Beispiel mehr. Jedes Job-Ticket wird
firmenspezifisch vor dem Hintergrund der derzeitigen und erwarteten
Nutzung betriebswirtschaftlich kalkuliert. Der Eigenanteil der Nutzer
ergibt sich dann zusätzlich noch aus dem Beitrag, den der Arbeitgeber
leistet. Er schwankt zwischen Null, bei Übernahme aller Kosten durch den
Arbeitgeber, und Beträgen bis über 50,- EUR für die Nutzung im RNN oder
RMV. Die
"politischen Überlegungen" der MVG beschränken sich auf rein
unternehmenspolitische bzw. strategische Aspekte im Sinne des Erfolgs
für den ÖPNV und die MVG unter Berücksichtigung der besonderen
Verantwortung als öffentliches Unternehmen der Stadt Mainz. Die
Zuständigkeit für die Sozialpolitik
liegt bei Bund, Ländern und Gemeinden und ist nicht Aufgabe eines
Verkehrsunternehmens. Gestattet sei aber der Hinweis, dass die MVG
einmal eine Kalkulation in Anlehnung an das StudiTicket oder ein
Jobticket für ein Sozialticket grob durchgerechnet hat. Danach wäre die
kostenlose Nutzung des ÖPNV für den gesamten Personenkreis in
Mainz/Wiesbaden möglich, wenn der pauschal kalkulierte Anteil für den
ÖPNV aller Betroffenen (im Sinne einer solidarischen Finanzierung aller
Betroffenen) dafür bereitgestellt wird. Dafür fehlen aber gesetzliche
Grundlagen.
Gibt es aufgrund von Vereinbarungen mit benachbarten Verkehrsverbünden
Ausgleichszahlungen in die eine oder andere Richtung? Falls dies
zutrifft, in welcher Höhe?
Alle Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf laufen vertragsgemäß durch die
Einnahmeaufteilungsverfahren beim RMV, und in geringerem Umfang beim
RNN. Eine andere Regelung ist in einem großen Verkehrsverbund auch nicht
möglich. Dabei werden die tatsächlichen Einnahmen aus dem
Fahrkartenverkauf nach der Nutzung der jeweiligen Fahrkarten auf den
unterschiedlichen Verkehrsmitteln (z.B. Fahrkarte Mainz - Frankfurt: Bus
in Mainz, S-Bahn nach Frankfurt, U-Bahn in Frankfurt) verteilt, in der
Höhe abgeglichen und mit einer Jahresabrechnung ausgeglichen.
Welche Schwierigkeiten sehen Sie bei Einführung eines fahrscheinlosen
ÖPNV im Tarifgebiet Mainz-Wiesbaden aufgrund von laufenden Verträgen mit
überregionalen ÖPNV-Partnerunternehmen? Zu welchem Zeitpunkt wären diese
Verträge kündbar bzw. neu zu verhandeln?
Der fahrscheinlose ÖPNV ist seit Jahren auch das Ziel im RMV durch die
Einführung des E-Tickets. Gemeint ist aber sicherlich ein
fahrscheinloser ÖPNV im Sinne einer kostenlosen Nutzung (der einzelnen
Fahrt). Das ist eine faszinierende theoretische Überlegung, in der
Praxis einer komplexen und im
Kundeninteresse eng vernetzten Verbundlandschaft wie im
Rhein-Main-Gebiet aber isoliert kaum umsetzbar. Eine Realisierung in
Mainz/Wiesbaden alleine ist praktisch nicht vorstellbar, zumal das
Verkehrsgebiet auch Teile der Landkreise Groß-Gerau (Mainspitze),
Main-Taunus (Hochheim) und
Mainz-Bingen (Zornheim, Wackernheim) umfasst und damit von den Grenzen
der Gebietskörperschaften abweicht. Notwendig wäre der Austritt aus den
beiden Verbünden RMV und RNN. Dem stehen landesrechtliche Vorgaben
entgegen, die allerdings eventuell durch die Existenz des
Verkehrsverbundes Mainz-Wiesbaden umgangen werden könnten. Es entstünden
aber wieder erhebliche Zugangshemmnisse für den ÖPNV. Das betrifft z.B.
den Schienenverkehr, der in der Verantwortung des RMV und in
Rheinland-Pfalz des Schienenpersonenzweckverbandes Rheinland-Pfalz Süd
liegt und nicht mehr
integriert wäre. Die S-Bahn zwischen Mainz und Wiesbaden oder die Züge
im Stadtgebiet, z.B. von Laubenheim in die Stadt Mainz, könnten nicht
mehr bzw. nicht ohne Fahrkarte genutzt werden. An der Stadtgrenze
entsteht zudem ein Systembruch, der die Stadt-Umland-Linien in Frage
stellt.
Der konsequente Verzicht auf die Vertriebsinfrastruktur um Kosten zu
sparen, führt dazu, das jeder Fahrgast an der Grenze des
Verkehrsgebietes eine Fahrkarte für die Fortsetzung der Fahrt kaufen
müsste. Das betrifft in Mainz/Wiesbaden ca. 20 Mio. Fahrgäste im Jahr
und wäre ein gravierender Rückschritt.
Ein weiteres Problem: Die Zuschüsse für die Schülerbeförderung und den
kostenlosen Transport der Schwerbehinderten werden auf der Basis von
Einnahmen berechnet und sind entsprechend dynamisch. Bei einem Wegfall
der Einnahmen fällt die Berechnungsgrundlage (und auch der heutige
Rechtsanspruch) weg.
Mit freundlichen Grüßen