2022-06-24anschreibenalniehausanstsbarth-anlage1

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Schreiben von Gerrit Niehaus an das bayerische Umweltministerium zur Sicherheit von Kernkraftwerken

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Final abgestimmtes Protokoll, 7.3.2022 Protokoll der Telefonschaltkonferenz zur Frage der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke Teilnehmende:  BMWK: Bundesminister Habeck, Staatssekretär Graichen, Abteilungsleiter III Oschmann  BMUV: Staatssekretär Tidow, Abteilungsleiter S Niehaus  Kernkraftwerksbetreiber: Vorstandsvorsitzende Birnbaum (E.On), Mastiaux (EnBW), Krebber (RWE) Ausgangslage: Aktuell sind in Deutschland noch die Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 in Betrieb mit insgesamt 4300 MW Leistung (brutto). Zudem wurden am 31.12.2021 die Atomkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C abgeschaltet, mit insgesamt 4200 MW Leistung (brutto). Im Hinblick auf eine mögliche Kompensation der Importe von Erdgas aus Russland infolge des Überfalls der Ukraine durch Russland stellt sich die Frage, ob diese Atomkraftwerke ganz oder teilweise weiter genutzt werden sollen bzw. können. Die Betreiber stellten einleitend jeweils die aus ihrer Sicht wesentlichen Positionen und Prioritäten für die einzelnen Energieträger dar: Zur Situation bei Gas: Die Betreiber bitten die Bundesregierung im Sinne einer angemessenen Vorbereitung auf eine nicht auszuschließende Verschärfung der Energieversorgung vor allem darum     die Vorbereitung auf eine Gasmangellage unmittelbar einzuleiten     angesichts erheblicher Preis-Mengenrisiken der Marktteilnehmer erforderliche Finanzhilfen zur Vermeidung von weiterer Anspannung („Domino-Effekt“) vorzubereiten In der Frage von LNG-Terminals sollten tendenziell eher drei Standorte und dabei auch ein Standort im Osten Deutschlands geprüft werden. Zur Situation bei Kohle: Mit Blick auf die zunehmend angespannte Versorgungslage wird vorgeschlagen alternative Lieferanten in koordinierter Weise anzusprechen, wobei Qualitätsaspekte der Kohle Berücksichtigung finden müssen. Ergebnisse zur Situation bei der Kernkraft: Diskutiert wurden drei mögliche Varianten: a. Die am 31.12.2021 abgeschalteten Atomkraftwerke werden wieder in Betrieb genommen. b. Eine kurze, etwa 3-monatige Verlängerung der Laufzeiten der drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke bis Ende März 2023 (Streckbetrieb mit den aktuell in der Nutzung befindlichen Kernbrennstäben). c. Eine Verlängerung der Laufzeiten der drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke um 3- 5 Jahre. Voraussetzung hierfür wäre (wie auch für a.) die Herstellung und Beschaffung neuer Kernbrennstäbe sowie die Sicherstellung der für Weiterbetrieb und Aufsicht notwendigen Fachpersonalressourcen.
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Final abgestimmtes Protokoll, 7.3.2022 Die drei Varianten wurden wie folgt bewertet: 1. Variante a) ist unrealistisch. Denn die Betriebsgenehmigungen der drei AKWs sind zum 31.12.2021 erloschen, die Genehmigungen müssten insofern neu beantragt und erteilt werden. Abgesehen davon, dass dies im Atomgesetz nicht vorgesehen ist und der Gesetzgeber mit einer Wiederherstellung der erloschenen Betriebsgenehmigung sich selbst an die Stelle einer Genehmigungsbehörde stellen müsste (d.h. die hierfür erforderlichen Schritte (UVP, Genehmigungsprüfung und -erteilung) würden nicht durch eine Behörde, sondern durch den Bundestag erfolgen), müssen neue Genehmigungen für Atomkraftwerke dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Dies bedeutet, dass nachgewiesen werden müsste, dass die Auswirkungen von Kernschmelzunfällen auf das Anlagengelände begrenzt werden können. Dieser Standard ist durch Nachrüstungen nicht zu erreichen. 2. Variante b) ist grundsätzlich möglich, sie bringt jedoch ohne Option c) keinen Mehrwert. Denn der Streckbetrieb führt nicht zu einer Mehrerzeugung von Strom aus den Kernkraftwerken, es würde lediglich die Stromerzeugung vom Sommer 2022 in den Winter 2022/2023 verlagert. Ein möglicher Minderverbrauch von Erdgas im Winter würde fast vollständig durch einen Mehrverbrauch im Sommer ausgeglichen, der Netto-Effekt wäre nahezu Null. In einer Gas-Mangellagen-Situation ergibt sich insofern kein nennenswerter Nutzen. 3. Variante c) ist eine Risikoabwägung, bei der folgende Elemente berücksichtigt werden müssen:    Die Beschaffung von neuen Brennelementen dauert in der Regel 18-24 Monate. Ggf. ist eine Beschleunigung auf ca. 15 Monate möglich. Das bedeutet, dass die Kraftwerke frühestens ab Herbst 2023 zusätzlichen Strom produzieren würden, wenn die Brennelemente jetzt bestellt würden. Eine Entlastung für das Stromsystem träte frühestens im Winter 2023/2024 ein.    Die drei Konvoi-Anlagen, die aktuell noch laufen, sind bis 31.12.2022 bzgl. Sicherheit und Sicherung in einem vollständig genehmigten und überwachten Zustand. Eine Laufzeitverlängerung über den 31.12.2022 hinaus wirft allerdings erneute Fragen der Sicherheit und der Sicherheitsüberprüfung auf. So gab es mit Blick auf das Betriebsende zu Ende 2022 eine gesetzliche Ausnahme von der umfangreichen Sicherheitsüberprüfung, die nach internationalen Sicherheitsstandards alle 10 Jahre erforderlich ist. Diese hätten für die drei Atomkraftwerke im normalen Rhythmus zum 31.12.2019 vorgelegt werden müssen, da die letzte umfangreiche Sicherheitsüberprüfung 2009 stattfand. Die Bundesregierung stellt fest, dass im Zuge einer grundlegenden Sicherheitsanalyse und Überprüfung der Störfallszenarien anhand des aktuellen Regelwerks von 2012 unerkannte Defizite nicht auszuschließen wären, sodass unter Zugrundlegung der Sicherheitsphilosophie von Bund und Ländern für den Betrieb von Atomkraftwerken für einen Weiterbetrieb Investitionsprogramme in die Sicherheitstechnik in wesentlichem Umfang notwendig werden dürften. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass angesichts des militärischen Überfalls von Russland auf die Ukraine und auch neue, bisher nicht betrachtete Risiko-Szenarien zu betrachten wären.    Dies konfligiert jedoch mit einem schnellen, befristeten Weiterbetrieb der Anlagen. Ein Weiterbetrieb wäre daher nur sinnvoll, wenn i. entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder
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Final abgestimmtes Protokoll, 7.3.2022 ii. auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen, die im Zuge der Sicherheitsüberprüfung gegebenenfalls angeordnet würden, verzichtet würde.    Die Atomkraftwerksbetreiber verweisen darauf, dass sie sich in einem solchen technisch machbaren Szenario einem Weiterbetrieb zur Unterstützung der Versorgungssicherheit nicht verschließen würden. Zur Konfliktvermeidung müsste dann idealerweise die Bundesregierung in eine quasi „Eigner“-Rolle kommen, mit voller Kontrolle über Verfahrensumfang und -tiefe auf der sicherheitstechnischen und genehmigungsrechtlichen Seite, Investitionen, Kosten, Erträge und am Ende auch der Zeitraum der Laufzeit betreffend. Das heißt, dass in einem solchen Szenario die Kraftwerke von den Unternehmen quasi im staatlichen Auftrag betrieben würden.    Energiewirtschaftlich liegt der Nutzen eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke in diesem Szenario bis zum Ende der dann verlängerten Laufzeiten darin, dass etwa 30 - 35 TWh oder 5% des deutschen Strombedarfs pro Jahr durch die Kraftwerke beigesteuert werden kann. In einer Situation der Gasmangellage würden sie jedoch nur wenig Gas ersetzen, da in einer solchen Situation Gas-Kondensationskraftwerke ohnehin am Ende der der Merit Order wären und Strom aus Gas-KWK-Anlagen aufgrund der Wärmelieferverpflichtung der KWK-Anlagen durch den Strom aus Atomkraftwerken nicht ersetzt werden könnte. Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke würde insofern vor allem Strom aus Kohlekraftwerken ersetzen. Die Betreiber betonten abschließend, dass die Risikoabschätzung eine Frage der Politik sei, und sie lediglich im Auftrag der gewählten Entscheidungsträger handeln würden.
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