Sehr
<< Anrede >>
ich bitte um die erneute Bescheidung meines Widerspruchs vom 2. Mai 2022 an mich als Verfahrensbeteiligte.
Sie haben Ihren Widerspruchsbescheid an die Open Knowledge Foundation e.V. (OKF) gerichtet und diese als Verfahrensbeteiligte des Widerspruchsverfahren angesehen. Dies begründen Sie damit, dass ich den Antrag zwar im eigenen Namen gestellt hätte, aber aus den Umständen, insbesondere der Angabe des Absenders auf dem Widerspruch sowie meinem Anstellungsverhältnis bei der OKF, zu schließen sei, dass Antrag und Widerspruch im Namen der OKF gestellt worden seien.
Dieser Auslegung möchte ich widersprechen. Wie Sie bereits feststellten, habe ich Antrag und Widerspruch in eigenen Namen und damit als natürliche Person, nicht im Namen und in Vertretung des Vereins gestellt bzw. erhoben. Daher bin ich auch Verfahrensbeteiligte i.S.v. § 13 VwVfG des Antrags- und Widerspruchsverfahren. Ich bin für die OKF schon nicht vertretungsbefugt und habe eine solche Vertretung auch nicht behauptet.
Ich bitte Sie daher um eine erneute Bescheidung des Widerspruchs an meine Person.
Vorsorglich möchte ich noch auf Folgendes hinweisen:
1. Anspruch nach dem UIG
Meines Erachtens handelt es sich bei dem Strategie-Papier um Umweltinformationen i.S.v. § 2 Abs. 3 UIG, sodass sich ein Anspruch aus § 18a Abs. 1 IFG Berlin i.V.m. § 3 Abs. 1 UIG ergibt.
Bei dem Strategie-Papier handelt es sich um Informationen über Tätigkeiten, die sich wahrscheinlich auf Umweltbestandteile auswirken.
Der Begriff der Tätigkeit meint jedes menschliche Handeln oder Unterlassen, unabhängig von Grund und Ursache und von Ziel und Zweck, das auf gewisse Dauer angelegt ist (Landmann/Rohmer UmweltR, 2021, UIG § 2 Rn. 43). Der Bezug fossiler Energieträger aus dem Ausland, ihre Verarbeitung, Verteilung und der Verbrauch sowie mögliche Maßnahmen zur Reaktion auf einen russischen Lieferstopp stellen solche menschliche Tätigkeiten dar.
Die Tätigkeit wirkt sich auch wahrscheinlich auf Umweltbestandteile oder Faktoren i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG aus. Erfasst werden unmittelbare wie auch mittelbare Auswirkungen. Ausreichend ist ein erkennbarer Wirkungszusammenhang zwischen der betreffenden Maßnahme oder Tätigkeit, auf die sich die Information bezieht, und der Umwelt. Es genügt dabei eine potenzielle Auswirkung (Karg in BeckOK Informations- und Mendienrecht, 36. Edition, 2021, § 2 UIG, Rn. 97).
Bezug, Verteilung, Verbrauch und insbesondere die Verbrennung fossiler Energien wirken sich auf den Zustand des Umweltbestandteils Luft i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG und darüber hinaus auch auf den Faktor Energie i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG aus. Maßnahmen zu ihrer Einsparung, Umverteilung und oder ihrem Ersatz haben mittelbar dieselbe Wirkung.
Das Strategie-Papier enthält demnach Informationen über Tätigkeiten i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. a UIG. Dabei ist es unschädlich, dass die Handlungsoptionen lediglich Szenarien darstellen. Denn die Vorschrift setzt weder eine endgültige Entscheidung oder sichere Durchführung einer bestimmten Maßnahme voraus, vielmehr sind potentielle Tätigkeiten mit potentiellen Auswirkungen ausreichend. Dass ein Russischer Lieferstopp und auch die dadurch ausgelösten möglichen Reaktionen der staatlichen und wirtschaftlichen Akteur*innen nicht feststehen, kann daran also nichts ändern. Andernfalls würden jegliche Gefahren- und Risiko-Analysen aus dem Anwendungsbereich des UIG entfallen.
2. Anspruch nach dem IFG
Alternativ ergäbe sich der Informationsanspruch jedenfalls, wie von Ihnen angenommen, aus § 3 Abs. 1 IFG Berlin.
3. Kein Bestandteil behördlicher Entscheidungsprozesse
Dem Anspruch stehen auch nicht die Ausschlussgründe aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 UIG bzw. § 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 IFG Berlin entgegen. Danach ist ein Auskunftsanspruch ausgeschlossen, wenn durch die Veröffentlichung der Information nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit behördlicher Beratungen zu befürchten wäre.
Geschützt wird der Willensbildungsprozess innerhalb einer Behörde. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher. Ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 – 7 C 19/15 – Rn. 10; zum IFG Berlin: VG Berlin, Urteil vom 20.10.2016 - VG 2 K 568.15). Dementsprechend wird etwa die Aufbereitung der Sach- und Rechtslage nicht geschützt, weil es sich dabei nicht um Informationen handelt, die den eigentlichen Vorgang der Entscheidungsfindung betreffen. Ebenso sind Dokumente, die lediglich verschiedene Handlungsoptionen als Grundlage eines anschließenden Beratungsprozesses aufzeigen, nicht erfasst (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2017 - OVG 12 B 12.16 – Rn. 54). Eine Beeinträchtigung ist grundsätzlich zu befürchten, wenn die Informationen Rückschlüsse auf den Entscheidungsfindungsprozess zulassen.
Nach diesen Maßstäben stellt der Gegenstand meines Informationsbegehrens lediglich eine (nicht geschützte) Grundlage für potentielle Meinungsbildungs- oder Entscheidungsprozesse im Senat dar, ohne selbst dem Willensbildungsprozess zuzurechnen zu sein oder gesicherte Rückschlüsse auf diesen zuzulassen.
Sie sprechen selbst an mehreren Stellen von „Diskussionsgrundlage“ und „Besprechungsunterlage“ zur Vorbereitung Erörterungen. Dabei ist nach Ihren eigenen Ausführung keine näher bezeichnete Entscheidungsfindung erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass überhaupt eine konkrete Entscheidung des Senats beabsichtigt, geplant, vorbereitet oder in sonstigen Weise beraten werden sollte oder in Zukunft wird. Ohne einen solchen Entscheidungsfindungsprozess, der in einer Willensbildung endet, fehlt es aber schon an dem Schutzgut der Vorschrift.
Dafür spricht auch, dass das Strategiepapier lediglich verschiedene Szenarien und damit Vorschläge und Handlungsoptionen skizziert, während die eigentliche Entscheidung – sofern denn überhaupt je eine getroffen wurde oder wird – unabhängig erfolgt. So hatte auch das OVG Berlin-Brandenburg zu § 10 IFG Berlin entschieden: „Soweit allerdings nur Handlungsoptionen innerhalb oder zwischen Behörden aufgezeigt werden, handelt es sich um Grundlagen der Entscheidungsfindung, die nicht vom Schutzzweck dieses Ausschlussgrundes umfasst sind. Geschützt ist nur der eigentliche Vorgang der Entscheidungsfindung, also das Überlegen, Beratschlagen und Besprechen, welche Option ergriffen werden soll.“ OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2017 - OVG 12 B 12.16 – Rn. 54
Bei den Szenarien handelt es sich aber gerade nur um die Darstellung verschiedener Entwicklungs- und Handlungsoptionen, ohne dass eine entsprechende Willensbildung erkennbar wäre.
In einer vergleichbaren Konstellation hat auch das Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass Kabinettsvorlagen nicht dem Schutz behördlicher Beratungen unterfallen. Das BVerwG stellte klar: „Allein der Umstand, dass ein Dokument sich unmittelbar auf das Vorfeld einer Kabinettsentscheidung bezieht, belegt für sich genommen nicht, dass im Falle der nachträglichen Publizität die Funktionsfähigkeit der Regierung gefährdet ist. Vielmehr ist die Kabinettsvorlage im Hinblick auf die spätere Entscheidung im Kabinett eine bloße Entscheidungsgrundlage, die grundsätzlich keinen Rückschluss auf den Beratungsvorgang im Kabinett selbst erlaubt.“ (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 – 7 C 19/15 – Rn. 20).
Wenn aber schon die Vorlagen für Kabinettsbeschlüsse keine Rückschlüsse auf den Ablauf und Inhalt der Beratungen der Bundesregierung erlauben, dann muss selbiges für ein bloßes Strategie-Papier gelten.
4. Kein weitergehender Schutz für Beratungen des Senats
Sofern sich der Auskunftsanspruch allein aus dem IFG Berlin ergeben würde, stünde auch nicht der Versagungsgrund aus § 10 Abs. 3 Nr. 1 IFG Berlin entgegen. Denn dieser schafft zwar für die Beratungen des Senats und deren Vorbereitung einen gesonderten Ausschlusstatbestand. Die betroffenen Informationen sind (im Gegensatz zu sonstigen behördlichen Beratungen) auch über den Abschluss der Beratungen hinaus geschützt (Schirmer in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 2021, § 10 IFG Berlin, Rn. 10). Der Tatbestand erweitert damit den Schutz des Willensbildungsprozesses innerhalb des Senats in zeitlicher Hinsicht, der nicht mit Abschluss des Entscheidungsprozesses endet.
Entgegen Ihrer Auffassung führt der Tatbestand indes nicht zu einer inhaltlichen Ausweitung des Schutzes gegenüber § 10 Abs. 1 und Abs. 4 IFG Berlin auf die Grundlagen einer Beratung. Eine solche Auslegung ist schon mit dem Zweck des Gesetzes aus § 1 IFG Berlin nicht vereinbar. Als Ausnahmetatbestand ist § 10 Abs. 3 IFG Berlin „gesetzeszweckorientiert eng auszulegen“ (Partsch, LKV 2001, 98, 99).
Schon der Wortlaut zeigt an, dass der Anspruch nur entfallen soll, „soweit“ sich Unterlagen auf Beratungen des Senats beziehen. Erforderlich ist demnach nicht nur ein Zusammenhang zu Senatsberatungen, sondern ein inhaltlicher Bezug, der Rückschlüsse auf den Entscheidungsfindungsprozess zuließe.
Dabei legt auch die Systematik es nahe, den Ausschlussgrund nur auf den Entscheidungsfindungsprozess und die unmittelbar zur Vorbereitung der Entscheidung dienenden Unterlagen anzuwenden. Denn in der vorangehenden Vorschrift des § 10 Abs. 2 IFG Berlin ist bestimmt, dass Akten zur Durchführung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen einsehbar sein sollen, sobald der Beginn der vorbereitenden Untersuchungen beschlossen worden ist. Diese dienen allerdings gleichfalls der Vorbereitung von Senatsentscheidungen, sodass bei einer derart weiten Auslegung von § 10 Abs. 3 IFG Berlin für eine Einsichtnahme vor der Entscheidung des Senats kein Raum bliebe und sich § 10 Abs. 2 und Abs. 3 IFG Berlin damit widersprächen (Partsch, LKV 2001, 98, 99).
In systematischer Hinsicht spricht weiter gegen die Erfassung der Beratungsgrundlagen, dass ein derart weitreichender Schutz der behördlichen Beratungsgrundlagen weder im IFG noch UIG des Bundes enthalten ist. Dabei stellen die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung regelmäßig auf den systematischen Vergleich der landes- mit den bundesrechtlichen Vorschriften ab (vgl. z.B. VG Berlin, Urteil vom 20.10.2016 - VG 2 K 568.15)
Der Zweck der Norm besteht – wie auch die parallelen Vorschriften in IFG und UIG – den „Eigenheiten von Beratungen auf der Regierungsebene Rechnung getragen“, indem eine besondere Vertraulichkeit gewährt wird (Schirmer in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 2021, § 10 IFG Berlin, Rn. 10). Sie selbst gehen im Ablehnungsbescheid davon aus, dass die Norm „dem Schutz der ungestörten Entscheidungsfindung innerhalb des Senats“ dient. Eine besondere Vertraulichkeit ist aber zur Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung gerade nur bezüglich der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse erforderlich. Schutzzweck ist also auch hier eindeutig nur der Prozess der Entscheidungsfindung, nicht aber seine Grundlagen. Erfasst werden demnach nur solche Dokumente und Informationen, die Informationen über diesen Prozess enthalten oder Rückschlüsse auf diesen zulassen. Dies erkennen Sie im Grunde selbst, wenn sie schreiben, dass die Norm die Funktionsfähigkeit des Senats wahren soll, „soweit“ es ihren Entscheidungsprozess betrifft.
Da das angefragte Dokument lediglich Grundlage eines solchen Prozesses ist (s.o.) und keinerlei Rückschlüsse auf die Meinungsbildung innerhalb des Senats zulässt, unterfällt es nicht dem Ausschlusstatbestand aus § 10 Abs. 3 Nr. 1 IFG Berlin.
Mit freundlichen Grüßen,
Lea Pfau
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