In der Verwaltungsstreitsache
Semsrott, Arne ./. jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
- VG 2 K 17.17 -
begründen wir für den Kläger die mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017 ein-gelegte Klage wie folgt:
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übersendung einer Übersichtsliste mit allen Titeln der internen Weisungen des Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG.
Das einzige von dem Beklagten gegen den Anspruch vorgebrachte soge-nannte Argument besteht darin, dass der Kläger dem Beklagten keinen Identitätsnachweis zukommen lassen wollte. Darauf kann der Beklagte die Ablehnung des Antrags nicht stützen.
Denn erstens wird ein Identitätsnachweis vom Gesetz nicht verlangt. Er ist demgemäß auch nicht Voraussetzung des Informationszugangsrechts. Dass ein Identitätsnachweis nach dem IFG des Bundes gerade nicht gefordert werden kann, zeigt im Umkehrschluss übrigens auch ein Blick auf an-derslautende landesgesetzliche Vorschriften (§ 11 Abs. 2 Satz 1 des Landestransparenzgesetzes Rheinland-Pfalz), die eine solche Verpflichtung explizit vorsehen. Da der Bundesgesetzgeber eine solche Vorschrift nicht in das IFG des Bundes aufgenommen hat, zeigt, dass eine solche Verpflichtung nicht gewollt war – dies auch vor dem Hintergrund, dass die Stellung von Informationsfreiheitsanträgen möglich sein muss, ohne dass der An-tragsteller Furcht vor persönlichen Nachteilen durch die Antragstellung haben müsste. Anders gesagt: Die pseudonyme Antragstellung ist nicht nur zulässig, sie ist sogar gewollt.
Hinzu tritt weiter, dass der Beklagte datenschutzrechtlich überhaupt nicht berechtigt ist, vom Kläger einen Identitätsnachweis zu verlangen. Das Ver-langen nach einem Identitätsnachweis ist eine Datenerhebung (§ 3 Abs. 3 BDSG). Öffentliche Stellen dürfen personenbezogene Daten nur erheben, wenn die Kenntnis dieser Daten zur Erfüllung der Aufgaben der verant-wortlichen Stelle erforderlich ist (§ 13 Abs. 1 BDSG). Dabei legitimiert die Aufgabe, die der datenverarbeitenden Stelle übertragen ist, die Erhebung personenbezogener Daten nur unter der Voraussetzung und in dem Um-fang, in dem der verantwortlichen Stelle die Aufgabe durch eine Rechts-vorschrift übertragen ist und die Stelle sich mit der Art und Weise der Erhe-bung im gesetzmäßigen Rahmen hält (Bettina Sokol/Philip Scholz, in: Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 8. Auflage 2014, § 13, Rn. 19 m.w.N.). Erforderlich sind nur die Daten, ohne deren Kenntnis die öffentliche Stelle die gestellte Aufgabe im Sinne einer conditio sine qua non nicht, nicht vollständig, nicht rechtmäßig oder nicht in angemessener Zeit erfüllen könnte (Gola/Klug/Körffer, in: Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 12. Auf-lage 2015, § 13, Rn. 3).
Da das Informationsfreiheitsgesetz die Erhebung der Daten überhaupt nicht erfordert, ist die Datenerhebung unzulässig. Das Informationsfreiheitsgesetz begründet ein niederschwelliges, voraussetzungsloses Jedermannsrecht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb zur Erfüllung des Anspruchs aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ein Identitätsnachweis erforderlich sein sollte. Insbesondere hat der Beklagte mit dem Kläger telefoniert und korrespondiert und geht offenkundig auch davon aus, dass der Kläger ihm Gebühren schuldet (Widerspruchsbescheid, bereits vorliegend als Anlage K2). Die Post, die der Beklagte dem Kläger zugesandt hat, hat den Kläger erreicht. Die im Widerspruchsbescheid geforderte Gebühr hat er überwiesen. Insofern sind die Bedenken des Beklagten hinsichtlich der Identität des Klägers schwerlich nachvollziehbar.
Insbesondere besteht auch keinerlei Anhaltspunkt für die vom Beklagten vorgebrachte, wohl auf § 9 Abs. 3 IFG abzielende Behauptung, er müsse überprüfen, ob nicht eventuell die gleiche Person unter unterschiedlichen Pseudonymen die gleichen Informationen schon einmal angefordert hat. Denn der Beklagte macht nicht geltend, die hier in Rede stehenden Infor-mationen überhaupt schon einmal herausgegeben zu haben. Der Kläger jedenfalls hat die Informationen bislang noch überhaupt nicht erhalten und bis auf den hier gegenständlichen auch noch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
Dem Beklagten steht es frei, die Information von sich aus zu veröffentlichen und damit allgemein zugänglich zu machen. Dies würde das vom Beklagten ins Feld geführte Risiko mehrfacher Antragstellungen auf einfachstem und sicherstem Weg ausschließen und wäre daher im Rahmen einer Erforderlichkeitsprüfung nach § 13 BDSG sicherlich vorrangiges Mittel der Wahl gegenüber dem sehr invasiven Eingriff in das informationelle Selbst-bestimmungsrecht des Klägers.
Auch die vorgeschobene Behauptung, die Datenerhebung sei erforderlich, um eventuelle Kostenansprüche durchsetzen zu können (S. 4 des angegrif-fenen Ausgangsbescheids), greift nicht durch. Der Beklagte macht nicht geltend, dass er im Fall der Auskunftserteilung Kosten erhoben hätte. Hätte der Beklagte die Erhebung von Kosten beabsichtigt, hätte er den Kläger darauf hinweisen und ggf. einen Kostenvorschuss anstelle eines Identitäts-nachweises anheimstellen können. Dass er dies nicht getan hat, zeigt nur, dass es dem Beklagten hier ganz offenkundig nicht um die Sicherung seiner eigenen legitimen Interessen geht, sondern darum, Antragsteller nach dem IFG zu schikanieren um einen abschreckenden Effekt herbeizuführen.
Mit der Problematik pseudonymer Anträge hat sich im Übrigen unter ande-rem auch der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Nordrhein-Westfalen bereits beschäftigt und hierzu in seinem Tätigkeitsbericht 2013 bis 2014 (wenngleich freilich zum IFG NRW) ausge-führt:
„Über die Internetplattform ‚fragdenstaat.de‘ ist es möglich, anonyme oder pseudonyme Anträge auf Informationszugang zu stellen. Viele öf-fentliche Stellen lehnen die Bearbeitung solcher Anträge ab, solange keine postalische bzw. zustellungsfähige Adresse mitgeteilt wird. Dieses Vorgehen ist unzulässig: Da der freie Zugang zu Informationen als wesentlicher Bestandteil des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips ge-sehen wird und die Kontrollmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat gestärkt werden sollen, hat der Gesetzgeber be-wusst geringe Anforderungen an die Antragsteilung nach dem IFG NRW gestellt. Gesetzlich sind sowohl mündliche als auch elektronische Anträge vorgesehen. Der Gesetzgeber hat demnach gezielt und gewollt zwei Antragsarten zugelassen, bei denen eine sichere Identifizierung der oder des Antragstellenden zunächst ausgeschlossen ist. Grundsätzlich ist die Möglichkeit anonymer oder pseudonymer Anträge im Übrigen auch deshalb sinnvoll und wichtig, um eventuellen negativen Folgen für die Antragstellenden vorzubeugen.
Entscheidend ist jedoch Folgendes: Aus Gründen des Datenschutzes darf die verantwortliche Stelle die Postanschrift der Antragstellerinnen und -steiler nur dann ermitteln, wenn es zu ihrer Aufgabenerfüllung er-forderlich ist. Dass zum Beispiel die Erteilung eines förmlichen Ableh-nungsbescheides die Angabe einer Postanschrift erfordert, stellt kein durchgreifendes Argument dafür dar, bereits die Zulässigkeit eines An-trags von der Angabe einer zustellungsfähigen Adresse abhängig zu machen. Ob ein Informationsanspruch ganz oder teilweise abgelehnt werden muss, dürfte regelmäßig bei AntragsteIlung noch nicht festste-hen, so dass diese Erwägung kein Grund für eine Identifizierung sein kann. Ist dem Antrag stattzugeben, kann die gewünschte Information in der Regel erteilt werden, ohne dass es hierzu der Angabe einer Post-anschrift bedarf. In diesen Fällen ist die Feststellung der Identität der Antragstellenden für die Aufgabenerfüllung der öffentlichen Stelle nicht erforderlich und somit unzulässig.
Etwas anderes gilt, wenn die Gewährung eines Informationszugangs einen Gebührentatbestand nach der Verwaltungsgebührenordnung zum IFG NRW auslöst. Ein Gebührenbescheid wird erst wirksam, wenn er der Person, für die er bestimmt ist, bekanntgegeben wird. Damit der Gebührenbescheid im Zweifel auch vollstreckt werden kann muss nachweisbar sein, dass der Bescheid ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde, er folglich seine Adressatin oder seinen Adressaten erreicht hat. Auch eine eventuelle Vollstreckung der Gebührenforderung ist nur bei Kenntnis des Namens und der Anschrift der informationssuchenden Person möglich. In diesem Fall ist es für die Aufgabenerfüllung der öffentlichen Stelle daher erforderlich, den Namen und die Adresse der oder des Informationssuchenden zu erfahren.
Demgegenüber kann die Ablehnung eines Antrags der informations-suchenden Person zunächst per E-Mail mitgeteilt werden. Soweit letztere in diesem Zusammenhang auf Nachfrage die Mitteilung einer pos-talischen Anschrift zur Erteilung eines förmlichen Ablehnungsbescheids verweigert, kann ihr ein solcher eben nicht zugestellt werden und ihr stehen damit keine weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung, worauf sie von der verantwortlichen Stelle hingewiesen werden sollte.
Auf materieller Ebene kann die Identifizierbarkeit des Informationssu-chenden in Ausnahmefällen erforderlich sein. Gemäß § 9 Abs. 1 Buch-staben a) und e) IFG NRW können grundsätzlich zu schützende perso-nenbezogene Daten offenbart werden, wenn die betroffene Person entweder in die Offenlegung eingewilligt hat oder die Antragstellerin oder der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der begehrten Infor-mation geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen. Eine Ein-willigung kann nur dann wirksam erteilt werden, wenn der betroffenen Person alle maßgeblichen Aspekte der Offenlegung bekannt sind; dazu gehört grundsätzlich auch, welche Person die Offenlegung begehrt, es sei denn, die betroffene Person erklärt sich allgemein mit der Offenle-gung der sie konkret betreffenden personenbezogenen Daten einver-standen. Im Rahmen des § 9 Abs. 1 Buchstabe e) IFG NRW hat die öf-fentliche Stelle unter anderem zu prüfen, ob die antragstellende Person ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information geltend machen kann. Auch hier ist die Identität der oder des Informa-tionssuchenden maßgeblich. Soweit es hingegen auf die Verweige-rungsgründe des § 9 IFG NRW nicht ankommt, kann die fehlende Identifizierbarkeit oder die fehlende Postanschrift nicht zur Ablehnung des Antrags führen.“
(22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen für Jahre 2013 und 2014, dort Seite 100 f.).
Dies entspricht auch der Rechtsauffassung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Tätigkeitsbericht zur Informati-onsfreiheit für die Jahre 2012 und 2013, dort S. 67). Wenngleich die dortigen Ausführungen etwas knapper gehalten sind, kommt sie doch zum gleichen Ergebnis.
Falsch ist übrigens auch die von dem Beklagten aufgestellte Behauptung, nur natürliche Personen seien nach dem IFG antragsberechtigt. Im Gegen-teil müsste gerade der Beklagte wissen, dass der Kreis der Anspruchsbe-rechtigten durchaus weiter ist, musste sich doch die Bundesagentur für Arbeit vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof darüber belehren lassen, dass sogar juristische Personen des öffentlichen Rechts einen Anspruch auf Informationszugang haben können (BayVGH NVwZ 2016, 1107, 1108 f.).
Zwei beglaubigte Abschriften anbei.