Sehr geehrter Herr Roland,
das Ministerium der Finanzen NRW hat das Finanzamt Borken beauftragt, Ihre Eingabe vom 10.4.2022 zu beantworten, was ich hier hiermit tun will. Die zeitliche Verzögerung bitte ich zu entschuldigen. Da der zuständige Sachgebietsleiter davon ausging, dass Ihre Rückfrage einen wohlgemeinten Rat an den Gesetzgeber selbst darstellte, unterblieb eine Antwort.
Sachverhalt
Sie haben im Jahr 2018 zwei Photovoltaikanlagen errichtet und im Rahmen von USt-Voranmeldungen die Vorsteuer aus dem Bezug der Anlage aus dem Rechnungsbetrag in voller Höhe geltend gemacht und ihre Einspeisungsentgelte der Umsatzsteuer unterworfen.
Bei der Veranlagung für das Jahr 2018 zur Umsatzsteuer wurde durch den zuständigen Sachbearbeiter im Finanzamt zudem eine Sachentnahme (unentgeltliche Wertabgabe) der PV-Anlage anhand der eingereichten Abrechnungen des Energieversorgers mit 0,20 € pro kwh in Höhe von insgesamt 265 € angesetzt, weil diese Sachentnahme nicht in der Steuererklärung enthalten war. Gegen den Steuerbescheid wurde kein Einspruch eingelegt.
Auch im Rahmen der Steuererklärung 2019 war eine solche Sachentnahme nicht enthalten. Die entsprechende unentgeltliche Wertabgabe wurde in Höhe des Vorjahreswertes angesetzt, da keine Belege vorlagen. Einspruch wurde gegen den Steuerbescheid nicht eingelegt.
Im Rahmen der Veranlagungsarbeiten für das Jahr 2020 wurde erneut auf die fehlende Angabe der unentgeltliche Wertabgabe mit gesondertem Schriftsatz vom 21.2.2022 hingewiesen und die dazu erforderlichen Unterlagen angefordert. Nach telefonischer Rücksprache am 25.2.2022 wurden die angeforderten Unterlagen nachgereicht. Am 11.3.2022 erfolgte eine weitere telefonische Rücksprache mit Ihnen im Hinblick auf die als Betriebsausgabe geltend gemachten, aber nicht belegten Telefonkosten im Zusammenhang mit dem Betreiben der Photovoltaikanlage. Die geltende Rechtslage wurde dabei nochmals erläutert. Nachdem auch diese Unterlagen nachgereicht wurden erfolgte die Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung einer unentgeltlichen Wertabgabe, die wiederum mit 0,20 € pro kwh ermittelt wurde. Dabei wurden auch die anteiligen Telefonkosten berücksichtigt. Einspruch wurde gegen den Steuerbescheid nicht eingelegt.
Steuerliche Würdigung
Nach Abschnitt 2.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses begründet das Betreiben einer Anlage zur Energieerzeugung die Unternehmereigenschaft des Betreibers, sofern dieser nicht bereits anderweitig unternehmerisch tätig ist. Daher ist der Betreiber einer Photovoltaikanlage ist unter den Voraussetzungen des § 15 Umsatzsteuergesetz zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Für Photovoltaikanlagen, die im Anwendungsbereich des EEG in der ab dem 1.4.2012 geltenden Fassung betrieben werden, umfasst die Stromlieferung des Betreibers einer Photovoltaikanlage an den Netzbetreiber umsatzsteuerrechtlich den physisch eingespeisten und den kaufmännisch-bilanziell weitergegebenen Strom. Der dezentral verbrauchte Strom wird nach dem EEG nicht vergütet und ist nicht Gegenstand der Lieferung an den Netzbetreiber.
Wird der erzeugte Strom nur zum Teil unternehmerisch (z.B. zur entgeltlichen Einspeisung) und im Übrigen im Rahmen des dezentralen Verbrauchs nichtunternehmerisch verwendet, liegt eine sog. teilunternehmerische Verwendung vor, die grundsätzlich nur im Umfang der unternehmerischen Verwendung zum Vorsteuerabzug berechtigt (vgl. Abschnitt 15.2b Abs. 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass). Das bedeutet, dass der Unternehmer bei der Anschaffung der Photovoltaikanlage nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, sondern nur anteilig im Hinblick auf den eingespeisten Strom. Der Vorsteuerabzug aus der Eingangsrechnung wäre dementsprechend aufzuteilen.
Der Unternehmer hat aber ein Wahlrecht. Besteht die nichtunternehmerische Verwendung der Photovoltaikanlage in einer privaten Nutzung, hat der Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht und kann den vollen Vorsteuerabzug aus der Anschaffung der Photovoltaikanlage geltend machen, wenn daneben die unternehmerische Nutzung mindestens 10 % beträgt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Umsatzsteuergesetz). Zum Ausgleich für den vollen Vorsteuerabzug und de facto auch für die „private“ Anschaffung der Anlage unterliegt der dezentral (privat) verbrauchte Strom der Wertabgabenbesteuerung nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (sog. unentgeltliche Wertabgabe).
Der Unternehmer hat es daher selbst in der Hand, ob er seinen privat verbrauchten Strom der Umsatzsteuer zu unterwerfen hat. Da Sie sowohl auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 19 Umsatzsteuergesetz verzichtet haben und die Vorsteuer für die gesamte Anlage auch hinsichtlich des privat verbrauchten Stroms in Abzug gebracht haben, tritt nach der aktuellen Gesetzeslage die Versteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe in Kraft.
Die Höhe des dezentral verbrauchten Stroms wird durch Abzug der an den Netzbetreiber gelieferten Strommenge von der insgesamt erzeugten Strommenge ermittelt. Photovoltaikanlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 10 kW bis einschließlich 1.000 kW müssen nach dem EEG über eine entsprechende Messeinrichtung verfügen (z.B. Stromzähler), die die erzeugte Strommenge erfasst. Bei Photovoltaikanlagen, für die diese Verpflichtung nach dem EEG nicht gilt (z.B. Photovoltaikanlagen mit einer installierten Leistung bis 10 kW), kann die erzeugte Strommenge aus Vereinfachungsgründen unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Volllaststundenzahl von 1.000 kWh/kWp (jährlich erzeugte Kilowattstunden pro Kilowatt installierter Leistung) geschätzt werden. Sofern der Anlagenbetreiber die tatsächlich erzeugte Strommenge nachweist (z.B. durch einen Stromzähler), ist dieser Wert maßgebend.
Als Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz gilt der fiktive Einkaufspreis im Zeitpunkt des Umsatzes maßgebend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12.12.2012, XI R 3/10). Bezieht der Photovoltaikanlagenbetreiber von einem Energieversorgungsunternehmen zusätzlich Strom, liegt ein dem selbstproduzierten Strom gleichartiger Gegenstand vor, dessen Einkaufspreis als (fiktiver) Entnahmewert anzusetzen ist. Sofern der Betreiber seinen Strombedarf allein durch den dezentralen Verbrauch deckt, ist als fiktiver Einkaufspreis der Strompreis des Stromgrundversorgers anzusetzen. Bei der Ermittlung des fiktiven Einkaufspreises ist ein ggf. zu zahlender Grundpreis anteilig mit zu berücksichtigen. Die Beweis- und Feststellungslast für die Ermittlung und die Höhe des fiktiven Einkaufspreises obliegt dem Photovoltaikanlagenbetreiber.
Auf Bund-Länder-Ebene wurde zur Vereinfachung des Verfahrens zwischen den Fachressorts beschlossen, dass es zulässig ist, den ertragsteuerlichen Entnahmewert pauschal mit netto 0,20 €/kwh anzusetzen. Da der Einkaufspreis für Strom auch schon in den Vorjahren über 0,20 €/kwh lag und liegt, ist diese Methode für den Steuerpflichtigen günstiger. Die Finanzämter wenden diese Günstiger-Regelung auch für die Berechnung der Umsatzsteuer an.
Politische Motivation Ihrer Eingabe
Sollte Ihre Eingabe wie vom Finanzamt angenommen eher politisch motiviert sein und nicht ein behördliches fehlerhaftes Verhalten kritisiert werden, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass eine gesetzliche Änderung nicht über Eingaben im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes erreicht werden kann. Die Zuständigkeit für die Änderung eines Bundesgesetzes liegt zudem nicht beim Ministerium für Finanzen in NRW, sondern beim Deutschen Bundestag. Anregungen dieser Art könnten daher an das Bundesfinanzministerium gerichtet werden.
Mit freundlichen Grüßen