Sehr geehrter Herr Knaack,
mit E-Mail vom 18. März 2022 haben Sie sich über die Plattform "FragDenStaat" an den Deutschen Bundestag gewandt und sich erkundigt, ob Aussagen, nach denen eine Fraktion für oder gegen eine bestimmte Vorlage stimmen werde, nicht gegen das Prinzip des freien Mandats verstoßen würden. Ihre Anfrage ist mir zur Beantwortung zugeleitet worden.
Unabhängig von der Frage, ob insoweit ein Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsrecht besteht, kann ich Ihnen zu Ihrer Frage Folgendes mitteilen:
Nach Art. 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes gilt der Grundsatz des freien Mandats. Danach sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Der Grundsatz des freien Mandats verbietet rechtliche, psychische oder physische Maßnahmen, mit denen Abgeordnete zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen werden sollen. Solche Zwangsmaßnahmen der Fraktionen (Fraktionszwang) wären verfassungsrechtlich unzulässig.
Zulässig ist aber die sog. Fraktionsdisziplin bzw. Fraktionsloyalität. Darunter versteht man die freiwillige Entscheidung der Abgeordneten, sich dem Mehrheitswillen der Fraktion unterzuordnen. Auch wenn die Abgeordneten in ihren Entscheidungen stets frei sind, besteht eine durchaus berechtigte Erwartung der Fraktionen und auch der Wähler an die Abgeordneten, dass sie die politischen Zielsetzungen der politischen Parteien, für die sie bei den Wahlen angetreten sind, im Bundestag effektiv durchsetzen. Die effektive Durchsetzung der politischen Zielsetzungen wiederum setzt ein möglichst geschlossenes Auftreten der Fraktionen im Parlament voraus. Üblicherweise stimmen die Mitglieder einer Fraktion daher in einem internen Prozess ihre Positionen zu einzelnen Entscheidungen ab. In der Regel richten sich die Abgeordneten dann bei der Abstimmung im Plenum nach der Mehrheitsentscheidung ihrer Fraktion. In der Praxis kommt es aber auch vor, dass die Fraktionen bei moralisch besonders schwierigen Entscheidungen, wie z.B. bei den Regelungen zur Sterbehilfe, auf die vorherige Abstimmung einer einheitlichen Fraktionsposition verzichten und damit keine bestimmte Entscheidung der Abgeordneten erwarten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen. Sollten Sie über diese Auskunft hinaus einen rechtsmittelfähigen Bescheid nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wünschen, bitte ich um entsprechende Nachricht bis zum 8. April 2022.
Mit freundlichen Grüßen
„berechtigte Erwartung der Fraktionen und auch der Wähler an die Abgeordneten,“
sowie
„auf die vorherige Abstimmung einer einheitlichen Fraktionsposition verzichten“.
Ihr „der“ Wähler klingt absolut, der jedoch nicht vorausgesetzt werden kann/dürfte.
Ebenso klingt Ihr „verzichten“, als ob die Fraktion ein etwas, also ein Recht, hätte.