Wahlrechtliche Anomalien
Bei aktuellen Parlaments- und Kommunalwahlen sind mit folgende Anomalien in Hinblick auf das Zulassungsverfahren "etablierter" Wahlvorschlagsträger und die Zuweisung von Mandaten an Bewerber aufgefallen, zu denen mich Gesetzesbegründungen interessieren.
1 -- Potentielle Nachrücker verlieren eine Anwartschaft auf ein Mandat, wenn sie der aufstellenden Partei (oder Wählergruppe) nicht mehr angehören oder eine Mitgliedschaft bei einer anderen Partei (oder Wählergruppe) erwerben. Bei den direkt am Wahltag ermittelten Erstbesetzungen von Wahlkreis- oder Listenmamdaten tritt dieser Verfall jedoch nicht ein. So trat etwa in der Stadt Leverkusen ein Ratskandidat noch am Wahlabend aus seinem Listenträger (Freie Wähler Leverkusen e.V.) aus, durfte das Mandat aus einer starren Liste aber nach Feststellung des Wahlausschusses vor einigen Tagen behalten. Ein ebenfalls als Listenführer benannter Bewerber der FDP Kreisverband Kiel wurde 1998 vom Verwaltungsgericht das Mandat aberkannt, da der Parteiaustritt vor dem Beginn der Wahlperiode erfolgt sei.
Speziell bei Bewerbern auf starren Listen, denen der Wähler keine Zustimmung geben kann, wird die Uneinheitlichkeit der Behandlung von Mandatsmitnahmen kritisch gesehen.
2 -- Wahlvorschläge werden im Wahlzulassungsverfahren je nach tatsächlicher oder fingierter Relevanz der aufstellenden Partei, Wählergruppe oder Listenvereinigung sehr unterschiedlich geprüft. So werden bei so genannten "etablierten" Parteien weder Nachweise einer demokratischen Struktur (Vorlage einer gesetzeskonformen Satzung) noch einer demokratischen Bestellung des Vorstandes und der zur Unterzeichnung jeweiliger Wahlvorschläge berechtigten Personen abgefragt. Bei den Landtagswahlen Sachsen und Thüringen 2014 wird dieses Privileg auch solchen Gruppierungen gewährt, die wie BIW, CSU oder SSW im fraglichen Bundesland weder existieren noch jemals Wählerstimmen aus irgendwelchen Wahlen hätten vorweisen können. Die fingierte Relevanz beinhaltet zudem eine Befreiung von der Beibringung unzähliger Unterstützungsunterschriften. Eine vergleichbare Sonderbehandlung für eine bei der Bundestagswahl 2013 knapp an der 5%-Hürde gescheiterte AfD gibt es nicht.
Hier interessieren die Motive der jeweiligen Gesetzgeber, Sonderbehandlungen für Parteien und politische Vereinigungen vorzusehen, die bei Untersuchung von formalen Kriterien wie einem streng nach Parteiengesetz geführten Namen, Mitgliederzahlen, dem bei Wahlen und Medienorganen im Wahlgebiet belegten Zuspruch oder dem sonstigen Hervortreten in der Öffentlichkeit bereits an der Zuerkennung der wahlnotwendigen Parteieigenschaft gescheitert wären.
3 -- In mehreren Bundesländern können Unterstützungsunterschriften frei und unabhängig von Zeit und Ort gesammelt werden, während andere Bundesländer das Aufsuchen genau vorgeschriebener Eintragungsstellen in kurzen Fristen verlangen.
Welche Begründungen gab es für solche Barrieren?
4 -- Bei der Europawahl 2014 waren Deutsche in der Regel ab 18 Jahren wahlberechtigt und wählbar, Auslandsdeutsche hingegen konnten bereits ab 16 Jahren wählen (in Österreich) oder durften als Heranwachsende überhaupt nicht kandidieren (das höchste Mindestalter lag bei 25 Jahren). Welche Begründung gibt es für unterschiedliche Zugänge zu einem europaweit mit einheitlichen Rechten und einheitlicher Entschädigung ausgestatteten Abgeordnetenmandat?
5 -- Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages berichtete vor der Europawahl von Überlegungen zur Beseitigung der Berliner Sachausstattung mit kostenfreier Büro- und Fuhrparknutzung. Welche Begründung hat der Gesetzgeber parat, neben der im Europäischen Abgeordnetenstatut vorgesehenen Bezüge und Kostenpauschalen zusätzlich noch Vergünstigungen aus dem Haushalt einer Dritt-Einrichtung, deren Sitz weder Sitz noch Arbeitsort Europäischer Unionsorgane ist, zu gewähren.
5a -- In welchem Umfang und für welchen Personenkreis erfolgen Bundeszuwendungen?
5b -- Wieviele Europaabgeordnete sind im nationalen Versorgungssystem verblieben? Bitte nach Jahren seit der Wahl 2009 getrennt.
6 -- Durch das Bundesverfassungsgericht verbotene Parteien und deren Ersatzorganisationen können nach dem Sinn und Zweck eines Verbotes weder Träger von Wahlvorschlägen noch Empfänger von Zuwendungen im Rahmen staatlicher Parteien- und Politikfinanzierung sein. Wie wurden die bisherigen Verbotsurteile in Sachen SRP Sozialistische Reichspartei und KPD Kommunistische Partei Deutschlands auf das so genannte Beitrittsgebiet erstreckt? Auf welcher Grundlage beruht die Wiederbetätigung der gegenwärtig bei. Bundeswahlleiter gelisteten KPD Kommunistische Partei Deutschlands bzw. der aus der Kommunistischen Partei Deutschlands (von 1919) bzw. unter der Besatzung operierenden KPD und mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur SED verschmolzenen und nachfolgend unter Namenswechseln rechtssubjektidentisch Nachfolgepartei DIE LINKE?
Mit welchem Bundesgesetz oder Höchstgerichtsurteil wurden die Parteiverbote für den Bereich der alten Bundesländer (ohne West-Berlin) aufgehoben?
Anfrage eingeschlafen
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Datum27. Juli 2014
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29. August 2014
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