Sehr geehrtAntragsteller/in
vielen Dank für Ihre Anfrage zum bei der 9. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts geführten Missbrauchsverfahren „Fahrkartenvertrieb“ gegen die Deutsche Bahn AG vom 10.3.2016.
Sie beziehen sich auf Informationen aus einem Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.3.2016, in dem von einem „Zwischenbescheid“ die Rede ist, den das Bundeskartellamt im o.g. Verfahren verschickt haben soll. Anders als in diesem Artikel zu lesen ist, gibt es einen solchen „Zwischenbescheid“ jedoch nicht. Dementsprechend kann ich Ihnen einen solchen auch leider nicht zur Verfügung stellen.
Gleichwohl möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Sie über den aktuellen Verfahrensstand zu informieren.
Das Bundeskartellamt hat Anfang 2014 ein Missbrauchsverfahren nach § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“), Art. 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein Verfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrrschenden Stellung beim Vertrieb von Fahrkarten im Schienenpersonennah- bzw. –fernverkehr gegen die Deutsche Bahn AG eingeleitet. In einem ersten Verfahrensschritt wurden neben der Deutsche Bahn AG die größten Wettbewerber der Deutsche Bahn AG im Schienenpersonenah- und Schienenpersonenfernverkehr sowie der Tarifverband bundeseigener und nicht-bundeseigener Bahnen in Deutschland e.V. („TBNE“) um umfassende Auskünfte gebeten. Die Auskünfte betrafen insbesondere Informationen zur allgemeinen Organisation des Fahrkartenvertriebs und hierbei möglicherweise bestehender Probleme. Sowohl die Deutsche Bahn AG als auch die Wettbewerber und
der TBNE haben umfangreich Auskunft erteilt, die schließlich ausgewertet wurden. Sodann wurde die Deutsche Bahn AG im Frühjahr 2015 um weitere, ergänzende Auskünfte ersucht.
In seiner vorläufigen kartellrechtlichen Beurteilung ist das Bundeskartellamt zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen, dass einzelne untersuchte Verhaltensweisen der Deutsche Bahn AG beim Fahrkartenvertrieb Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken geben:
Diese vorläufigen kartellrechtlichen Bedenken betreffen erstens die sogenannte „Zwangskopplung“ von Tarif- und Vertriebskooperation, bei der sich Wettbewerber der Deutsche Bahn AG bisweilen zwingend auf eine umfassende Zusammenarbeit mit der Deutsche Bahn AG beim Fahrkartenvertrieb einlassen müssen. Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamts ist eine derart umfassende, verpflichtende Zusammenarbeit der Wettbewerber mit der Deutsche Bahn AG beim Fahrkartenvertrieb jedoch nicht erforderlich, um die vom Gesetzgeber explizit gewünschte Kooperation bei der Anwendung des Nahverkehrstarifs (vgl. hierzu § 12 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 7 Allgemeines Eisenbahngesetz, „AEG“) umzusetzen.
Zweitens bestehen beim Bundeskartellamt vorläufige kartellrechtliche Bedenken im Hinblick auf die von der Deutsche Bahn AG angewandte Provisionspraxis. So geben unterschiedliche Provisionssätze zwischen verschiedenen Netzen zwar keinen Anlass zu grundsätzlichen kartellrechtlichen Bedenken. In bestimmten Konstellationen – beispielsweise wenn eine Leistung konzernexternen Unternehmen zu höheren Konditionen in Rechnung gestellt wird als diese von der Deutschen Bahn AG für die gleiche Leistung erhalten - können sich jedoch Bedenken ergeben.
Drittens hat das Bundeskartellamt vorläufige kartellrechtliche Bedenken bei der Gewährung von Zugang zu Vertriebskanälen für Wettbewerber durch die Deutsche Bahn AG. Bislang ist Wettbewerbern der Deutsche Bahn AG der Vertrieb von Fernverkehrstickets nur in engen Grenzen erlaubt, obwohl Wettbewerber der Deutsche Bahn AG im Schienenpersonennahverkehr verpflichtet sind, Fernverkehrstickets der Deutsche Bahn AG in ihren Nahverkehrszügen anzuerkennen. Darüber hinaus bedurften Mietern von Bahnhofsgeschäften für den der Verkauf von Fahrscheinen für Wettbewerber der Deutsche Bahn AG bislang der ausdrücklichen Zustimmung der Deutsche Bahn AG.
In mehreren Gesprächen zwischen dem Bundeskartellamt und der Deutsche Bahn AG hat das Bundeskartellamt diese vorläufigen kartellrechtlichen Bedenken gegenüber der Deutsche Bahn AG zum Ausdruck gebracht. Demgegenüber ist die Deutsche Bahn AG grundsätzlich der Auffassung, nicht gegen kartellrechtliche Regeln verstoßen zu haben. Gleichzeitig hat das Bundeskartellamt zur Kenntnis genommen, dass die Deutsche Bahn AG in einzelnen Punkten bereit war, ihr Verhalten zugunsten des Wettbewerbs zu verändern, z.B. bei neu abgeschlossenen Tarif- und Vertriebskooperationen bereit war, den erforderlichen Kooperationsumfang zu reduzieren oder bei Neuvermietungen von Bahnhofsgeschäften das Zustimmungserfordernis für den Vertrieb von Fahrscheinen für Dritte zu lockern. Aufgrund dieser bereits während des laufenden Verfahrens zu beobachtenden Bereitschaft der Deutsche Bahn AG zur Wettbewerbsöffnung hat das Bundeskartellamt Vorschlä
ge der Deutsche Bahn AG für Verpflichtungszusagen zur Ausräumung der vorläufigen kartellrechtlichen Bedenken zur Kenntnis genommen.
Diese von der Deutsche Bahn AG vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen sind nach Auffassung des Bundeskartellamts möglicherweise geeignet, die vorläufigen kartellrechtlichen Bedenken auszuräumen. Das Bundeskartellamt hat die Verpflichtungszusagen-Vorschläge der Deutsche Bahn AG im Januar 2016 an ca. 70 Marktteilnehmer und Branchenkenner mit der Möglichkeit zur Stellungnahme geschickt. Dieser „Markttest“ beinhaltete ein Anschreiben des Bundeskartellamts an die Marktteilnehmer, das vermutlich sinnwidrig als „Zwischenbescheid“ bezeichnet wurde.
Zwischenzeitlich ist der Markttest abgeschlossen und die Beschlussabteilung hat die eingegangenen Stellungnahmen ausgewertet. Die Rückmeldungen aus dem Markt wurden erneut mit der Deutsche Bahn AG besprochen. Der Verhandlungsprozess mit der Deutsche Bahn AG ist noch nicht abgeschlossen.
Das Bundeskartellamt prüft derzeit, ob ein entsprechender Beschluss nach § 32b GWB erlassen werden kann, der die Zusagen der Deutsche Bahn AG für verbindlich erklärt. Damit einher ginge dann ggf. die Einstellung des Missbrauchsverfahrens.
Bei Verfahrensabschluss wird das Bundeskartellamt die Öffentlichkeit informieren. Sobald ein um Geschäftsgeheimnisse bereinigter Beschluss vorliegt, können Sie diesen über die Internetseite des Bundeskartellamts abrufen.
Mit freundlichen Grüßen