Sehr geehrter Herr Müller,
wir bedanken uns für Ihre Anfragen, die uns über das Internetportal „fragdenstaat.de“ erreichten.
Sie erbaten Informationen zur Risikobewertung von Zusatzstoffen zur Trinkwasseraufbereitung. Hierzu können wir Ihnen folgende Informationen weiterleiten:
Gestatten Sie uns zunächst diese Vorbemerkung:
Für die Trinkwasser-Aufbereitungsstoffe Natriumorthophosphat und Natriumpolyphosphat kann von einer geringen Toxizität ausgegangen werden und wahrscheinlich deswegen liegen keine umfassenden toxikologischen Daten vor.
Soweit Dokumente zu Risikobewertung für die nachgefragten Stoffe vorliegen, sind sie nachfolgend zitiert. Da diese Dokumente nicht immer direkt die Frage der gesundheitlichen Verträglichkeit dieser Stoffe im Trinkwasser betreffen, werden im Folgenden die Überlegungen dargestellt, die zu der Schlussfolgerung führten, dass die nach der §-11-Liste zulässigen Zugaben und Obergrenzen im toxikologisch unbedenklichen Bereich liegen.
Zu 1) Chlor (Desinfektion)
--> Obere Grenze des Konzentrationsbereichs nach Abschluss der Aufbereitung 0,3 mg/l freies Cl2 (Teil I c, Aufbereitungsstoffe, die zur Desinfektion des Wassers eingesetzt werden, lfd. Nr. 2 der §-11-Liste, 18. Änderung – Stand: Oktober 2015).
Für Chlor (CAS-Nr. 7782-50-5, Chlorine) nennt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren Guidelines for Drinking-water Quality, Fourth Edition von 2011 einen Guideline Value (Leitwert) von 5 mg/l (Bewertung von 1993). Er basiert auf einem Tolerable Daily Intake (TDI, Tolerable tägliche Aufnahme) von 150 µg/kg Körpergewicht, der aus einem NOAEL (einer höchsten Dosis ohne Effekte) einer 2-Jahres-Trinkwasserstudie mit Nagern abgeleitet wurde. Dem Guideline Value liegt die Annahme von 60 kg Körpergewicht, 2 Liter Trinkwasserkonsum pro Tag und 100 % Allokation des TDI zugrunde.
Es sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass die Geschmacksschwelle für Chlor in Trinkwasser unter dem gesundheitlich begründeten Wert von 5 mg/l liegt; die meisten Personen sind im Stande, Chlor an Konzentrationen deutlich unter 5 mg/l, einigen ab 0,3 mg/l zu schmecken oder zu riechen.
Zu 2) Natriumsilikate in Mischung mit Ortho- und Polyphosphaten (Hemmung der Korrosion durch Schutzschichtbildung und Verminderung der Steinablagerungen)
--> Zulässige Zugabe 15 mg/l SiO2 (Teil I a, Aufbereitungsstoffe, die als Lösungen oder als Gase eingesetzt werden, lfd. Nr. 38 der §-11-Liste, 18. Änderung – Stand: Oktober 2015). Es ist davon auszugehen, dass bei der Anwendung als Korrosionsinhibitor nur ein Teil der zulässigen Zugabe in Lösung verbleibt und den Nutzer erreicht. Zitat aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik (DVGW W 215-2): „Mit Beginn der Dosierung wird der Inhibitor in die Deckschicht eingebaut. Dadurch kommt es zunächst zu einer Abnahme der Wirkstoffkonzentration entlang des Fließweges.“
Zu Natriumsilikat (CAS-Nr. 1344-09-8) konnte keine Bewertung anderer Institutionen gefunden werden. Es liegt ein SIDS Initial Assessment Report for SIAM 18 zu Soluble Silicates vor (einschließlich Natriumsilikat oder Silicic acid, sodium salt), in dem folgende hier relevanten toxikologischen Eckdaten berichtet werden:
· Subchronische (180 Tage) Trinkwasserstudie mit Sprague-Dawley-Ratten, NOAEL > 159 mg/kg Körpergewicht oder 1200 mg SiO2/l, höchste täglich eingesetzte Dosis (1973).
· Mehrgenerationenstudie, F0, F1, F2, F3 und F4, Exposition jeweils 12 Wochen (zwischen Entwöhnung und Geschlechtsreife), 600 und 1200 mg SiO2/l Trinkwasser, entsprechend 790 und 1580 ppm Natriumsilikat oder umgerechnet 79 und 159 mg/kg⋅d. Bei der niedrigsten eingesetzten Dosis zeigte sich die Überlebensrate bis zur Entwöhnung erniedrigt, die Geburtenzahlen und die Anzahl der Überleben nach der Entwöhnung waren signifikant vermindert. Nach dem SIDS-Bericht kann diese Studie aber als nur sehr begrenzt valide angesehen werden u. a. wegen zwischenzeitlichen Todesfälle (einschließlich Kontrollen), so dass kaum gültige Schlüsse aus dieser Studie gezogen werden können.
Auf der Grundlage der 180-Tage Trinkwasserstudie lässt sich mit einem angenommenen NOAEL von > 1200 mg SiO2/l auf eine tolerable tägliche Konzentration von > 2,4 mg/l ermitteln (Extrapolation auf das Schutzgut mit Faktor 5 für die Zeit 180 Tage – Lebenszeit, 10 für die Speziesübertragung Ratte – Mensch und 10 für die Übertragung auf empfindliche Menschen).
Die Reinheitsanforderungen an den Aufbereitungsstoff Natriumsilikat sind in der Liste der zugelassenen Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren gemäß § 11 der Trinkwasserverordnung geregelt. Für die Parameter Fluorid, Antimon, Arsen, Cadmium, Chrom, Cyanid, Blei, Quecksilber, Nickel und Selen ist sichergestellt, dass auch bei der höchsten erlaubten Zugabe von Natriumsilikat nur 10% der in der Trinkwasserverordnung festgelegten Grenzwerte für diese Stoffe in das Trinkwasser gelangen können. Die Produktqualität von Natriumsilikat ist in der DIN EN 1209 festgelegt. Die Anwendung von Natriumsilikat ist in der Technischen Regel DVGW W 215-2 festgelegt. Hier sind auch die technisch notwendigen Dosierkonzentrationen beschrieben. Die dauerhafte Dosierung (Erhaltungsdosis) liegt in dem Bereich von 1 mg/l SiO2 bis 3 mg/l SiO2.
Zu 3) Natriumortho- und Polyphosphat (Hemmung der Korrosion durch Schutzschichtbildung und Verminderung der Steinablagerungen)
--> zulässige Zugabe Natriumorthophosphat und Natriumorthophosphat jeweils 2,2 mg/l P (Teil I a, Aufbereitungsstoffe, die als Lösungen oder als Gase eingesetzt werden, lfd. Nr. 26 und 37der §-11-Liste, 18. Änderung – Stand: Oktober 2015).
Natriumpolyphosphat (CAS-Nr. 68915-31-1):
Die US-amerikanische Umweltbehörde (EPA) nennt in einem Bericht zum Assessment of the Potential Impacts of Hydraulic Fracturing for Oil and Gas on Drinking Water Resources zu ”Polyphosphoric acids, sodium salts“ eine Referenzdosis (RfD) für chronische Expositionen von 49 mg/kg⋅d (Assessment of the Potential Impacts of Hydraulic Fracturing for Oil and Gas on Drinking Water Resources, Appendices A – J, External Review Draft | EPA/600/R-15/047b | June 2015). Nähere Informationen zur Begründung konnten nicht gefunden werden. Mit den üblichen Parametern (60 kg Körpergewicht, 2 Liter täglichen Trinkwasserkonsums, 10 % Allokation) errechnet sich daraus eine tolerable Trinkwasser-Konzentration von (abgerundet) 150 mg/l.
Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) stuft nach einer älteren Bewertung (1975) das unter dieser CAS-Nr. genannte „Sodium hexametaphosphate“ (ebenso wie Sodium tetrametaphosphate, CAS-Nr. 68915-31-1-2) als „Generally Recognized As Safe“ (allgemein als sicher anerkannt) ein, unter den seinerzeitigen Verwendungen, die auch zukünftig vernünftigerweise zu erwarten seine und ohne einen Höchstwert zu nennen.
Zu Natriumorthophosphat (CAS-Nr. 7558-80-7) waren keine humantoxikologischen Bewertungen zu finden. Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) stuft das unter dieser CAS-Nr. genannte „Sodium phosphate monobasic“, im gleichen Rahmen wie oben zu Natriumpolyphosphat genannt, als „Generally Recognized As Safe“ ein, ebenfalls ohne einen Höchstwert zu nennen.
Zusammenfassung:
Bei Einhaltung der oben genannten nachhaltigen Konzentration nach Abschluss der Aufbereitung von 0,3 µg/l Cl2 bestehen unter den angeführten Rahmenbedingungen keine gesundheitlichen Bedenken. Bei Einhaltung der Obergrenze für Chlor besteht ein mehr als 15facher „Sicherheitsabstand“ zu einer toxikologisch noch tolerablen Konzentration, wobei Geschmackseffekte deutlich früher und bei empfindlichen Individuen bei geringen Überschreitungen auftreten können.
Unter der Annahme, dass 10 % der zulässigen Höchstdosierung von Natriumsilikat in Lösung im Trinkwasser verbleibt (1,5 mg SiO2/l) liegt die Konzentration im Trinkwasser 37,5 % unterhalb einer sehr unsicheren und sehr vorsorglich (niedrig) begründeten tolerablen Trinkwasserkonzentration.
Die zulässige Zugabe für Natriumorthophosphat und Natriumorthophosphat von jeweils 2,2 mg P/l liegt auch für die Summe (4,4 mg P/l) mehr als 30fach unter einer tolerablen Trinkwasser-Konzentration. Diese zulässige Zugabe ist also auch für die hier besprochenen Verbindungen und unter der Voraussetzung, das beide Verbindungen gleichermaßen toxisch wirken, gesundheitlich nicht bedenklich.
Mit freundlichen Grüßen