"Vermisst"-Aktion auf Klischee-Bezirke beschränkt

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Bei der “Vermisst”-Aktion, die auf die Gefahr hinweisen will, dass junge Menschen in den islamischen Extremismus abdriften könnten, haben sich das Bundesinnenministerium (BMI) und/oder die beteiligten Werbeagenturen offensichtlich von Klischees leiten lassen. Diese Vermutung stützen zumindest Daten, die Stefan Wehrmeyer einer Frag-den-Staat-Anfrage vom BMI erhalten hat.

Für die Aktion waren neben einer Print- und einer Online-Kampagne auch großflächige Plakate geplant. Die Orte (PDF der BMI-Liste), an denen diese Plakate aufgestellt werden sollten, zeigen ein Muster.

Gut 140 der 200 Plakate waren für Berlin vorgesehen. Sie ballen sich in den von Migranten geprägten Stadtteilen Wedding, Kreuzberg und Neukölln, wie eine interaktive Karte zeigt.

Unterlegt ist die Karte jeweils mit dem Anteil von Deutschen, die einen Migrationshintergrund haben. Dargestellt ist dieser Anteil in der kleinsten statistischen Gliederung Berlins, den sogenannten Planungsräumen. Je dunkler ein Bezirk, desto höher ist der Anteil. Angezeigt werden nur Räume mit mehr als 250 Einwohnern, daher lassen sich manche Kieze nicht anklicken. Die Markierung “A” bedeutet dabei das Plakatmotiv “Ahmad”, “H” bedeutet “Hassan”, “T” steht für “Tim”, einen Konvertiten. Der rote Marker steht für eine kleine Anzahl ins Türkische übersetzte Motive (mit dem Bildmotiv “Ahmad”), der grüne Marker steht für eine kleine Zahl von arabischsprachigen Plakaten (mit dem Bildmotiv “Hassan”).

Wie die Karte zeigt, wären auch viele andere Gebiete in der Stadt als Ort für Plakate in Frage gekommen. Zumindest, wenn der Anteil von dort lebenden Migranten das entscheidende Kriterium ist. Doch war das offensichtlich nicht der Fall.

Sind das Bundesinnenministerium und die von ihm beauftragten Werbeagenturen vielleicht danach gegangen, wie viele Migranten und Ausländer zusammengerechnet in einem Viertel leben? Die zweite Karte zeigt diesen summierten Anteil. Je dunkler ein Feld, desto höher ist er.

Offensichtlich war auch das nicht das Kriterium. Denn dann wären deutlich mehr Standorte infrage gekommen, wie die dunkler eingefärbten Felder zeigen.

Die Kampagne hat sich also offenbar auf die Klischee-Orte Wedding, Kreuzberg und Neukölln fixiert. Moabit, Spandau oder Marzahn wurden vergessen. Das ist seltsam. Und es steht im Widerspruch vor allem zum Motiv “Tim”. Das immerhin zeigt einen deutschen Konvertiten. Es macht mit 60 Plakaten fast die Hälfte aller 140 Berliner Plakate aus, wurde aber ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen in den drei Stadtteilen aufgestellt. Unsere dritte Karte zeigt das deutlich, auf ihr sind die Standorte der Plakate verzeichnet, die das Motiv “Tim” zeigen:

Die Daten unterstützen die Ansicht der Kritiker der Kampagne. Als diese Ende August 2012 beginnen sollte, waren vier der fünf beteiligten Islamverbände nicht glücklich mit der Ausrichtung. Sie zogen sich am 31. August zurück, weil die Darstellung von Migranten ihrer Ansicht nach pauschalisierend ist. Sie nannten den Plan des BMI eine “Steckbriefkampagne”. Im Bundesinnenministerium hieß es, man könne die Kritik nicht nachvollziehen. Wegen Sicherheitsbedenken wurden die Plakate letztlich doch nicht geklebt.

Nebenbei: Ganz billig waren die Plakate nicht. Wie aus den Daten hervorgeht, wurden für insgesamt 203 großflächige Plakate 44.640 Euro berechnet, im Durchschnitt 220 Euro pro Plakat. Allein für Berlin sind das also mehr als 30.000 Euro. Die gesamt Kampagne soll knapp 328.000 Euro kosten. Hier ein PDF der Kostenaufstellung des Ministeriums. Die “finalen Kosten werden sich unter Umständen noch reduzieren”, schreibt das Ministerium in seiner Antwort, da ein Teil der Anzeigenkampagne hinterher auf Basis der Klicks abgerechnet würde.

Nachtrag: Die Datenquellen zur Berliner Einwohnerregisterstatistik hatte ich in der Ur-Version des Textes verlinkt, in der überarbeiteten Fassung nicht mehr. Hier die Einwohnerregisterstatistik, Stichtag 31.12.2011 und die Shapefiles der Planungsräume.

(Michael Hörz)

Dieser Beitrag erscheint als Crossposting auch im Data-Blog von ZEIT Online.

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