Justizministerium hilft bei Demontage von Bündnis für Demokratie und Toleranz (Update)

Das Innenministerium will die Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten unter die Lupe nehmen. Dazu setzt es gemeinsam mit dem Justizministerium den unabhängigen Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz unter Druck. Er soll sich künftig für die Stärkung der inneren Sicherheit einsetzen. Das zeigen Dokumente, die wir veröffentlichen.

Zivilgesellschaft unter Druck. CC-BY-SA 2.0, der-bildermacher

Als das Innenministerium (BMI) und das Justizministerium (BMJV) im Februar entschieden, dem Berliner „Bündnis Neukölln“ die Auszahlung eines Preisgelds zu verweigern, zogen sie heftige Kritik auf sich. Nur wenige Beobachter konnten die Entscheidung der Ministerien nachvollziehen, aufgrund einer Einschätzung des Verfassungsschutzes ein Bündnis an den Pranger zu stellen, in dem sich rund 15 Organisationen – darunter auch die SPD Berlin-Neukölln und die katholische Kirche – gegen Rassismus engagieren.

Auch das Düsseldorfer Edelweißpiratenfestival sollte nach Beschluss des Bündnisbeirats ausgezeichnet werden. Obwohl das Festival unter anderem vom Land NRW und den Jusos getragen wird, schritten die beiden Verfassungsministerien ein. Einer der Kooperationspartner bekennt sich zur „Interventionistischen Linken“.

Unabhängiger Beirat wird abhängig

Aber nicht nur die engagierte Zivilgesellschaft brüskierte das Vorgehen der Ministerien. Vor allem war es ein Affront gegenüber den Personen, die ursprünglich die Vergabe des Preisgelds entschieden hatten: Die Beiratsmitglieder des „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ (BfDT), einer im Jahr 2000 gegründeten Initiative, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung angesiedelt ist. Eigentlich entscheidet der Beirat aus Abgeordneten aller Fraktionen des Bundestags, Mitglieder der Zivilgesellschaft, WissenschaftlerInnen und Staatssekretäre über die Vergabe der staatlichen Mittel. So steht es in der bisherigen Geschäftsordnung.

Interne Schriftwechsel und Protokolle, die wir auf Basis von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlichen, zeigen, dass das Innenministerium gemeinsam mit dem SPD-geführten Justizministerium den Beirat in Härtefällen entmachtet hat – und eine neue harte Linie gegen Demokratieprojekte fährt.

Der Ablauf

  • 27.11.2017

    Der BfDT-Beirat entscheidet, das Bündnis Neukölln auszuzeichnen.

  • 18.12.2017

    Das Innenministerium schreibt ans Justizministerium mit der Bitte, gemeinsam die Auszeichnung zu untersagen.

  • 25.01.2018

    Nach internen Diskussionen erklärt sich das Justizministerium einverstanden.

  • 28.02.2018

    Die Ministerien untersagen dem Beirat in einem Schreiben die Auszahlung von Geldern.

  • 19.03.2018

    Das Innenministerium präsentiert auf der nächsten Beiratssitzung den Entwurf für eine neue BfDT-Geschäftsordnung, die auch die Stärkung der inneren Sicherheit vorsieht.

  • 23.5.2018

    Am Tag des Grundgesetzes feiert das BfDT seinen 18. Geburtstag.

Rückblick November 2017: In einer kontroversen Sitzung entscheidet der Beirat des BfDT, das Bündnis Neukölln mit einem Preisgeld von über 3.000 Euro auszuzeichnen. Zuvor hatte der Beirat – bei einer einzigen Gegenstimme – beschlossen, das Verhalten seines Mitglieds Jens Maier von der AfD zu missbilligen. Der neu ins Gremium berufene rechtsextreme Richter hatte sich im Vorfeld der Sitzung abfällig über den Beirat geäußert.

AfD und Justizministerium stimmen gemeinsam ab

Bei der Abstimmung über das Bündnis Neukölln ist der Beirat danach allerdings weniger geschlossen. Gemeinsam mit dem AfD-Abgeordneten Maier stimmen Marian Wendt von der CDU, das Innenministerium, das SPD-Justizministerium und die Vertreterin der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz gegen eine Auszeichnung des Bündnisses Neukölln. Die Mehrheit der Beiratsmitglieder spricht sich trotzdem für das Bündnis aus.

Das Innenministerium lässt diese Entscheidung nicht auf sich sitzen: Drei Wochen später wendet sich Staatssekretär Günter Krings mit der Bitte um Unterstützung an seinen Kollegen vom Justizministerium, Christian Lange. Die Entscheidung des Beirats widerspräche dem Haber-Diwell-Erlass, der eine Auszahlung von Geldern an extremistische Organisationen verhindern soll.

Arbeit der Preisträger „ohne Zweifel auszeichnungswürdig“

In einer internen Analyse zeigt das Justizministerium auf, warum es den Weg des Innenministeriums eigentlich nicht mitgehen sollte. Das von BMI gewählte Vorgehen „dürfte bei den Beiratsmitgliedern als eine Beschränkung ihrer Rolle verstanden werden“. Bei den beteiligten Organisationen wie der Berliner SPD könnte es „Verärgerung hervorrufen und ggf. auch als Herabwürdigung ihres Engagements für eine plurale demokratische und antirassistische Gesellschaft verstanden werden“. Die Arbeit der Preisträger sei „ohne Zweifel auszeichnungswürdig“.

Es sei zudem „zu befürchten, dass eine ausdrückliche Berufung auf den Haber-Diwell-Erlass bei den Beiratsmitgliedern für Befremden sorgt. Der Erlass regelt lediglich ein verwaltungsinternes Verfahren und ist für die Beiratsmitglieder nicht bindend.“ Trotzdem meldet Lange einen Monat später seine Zustimmung ans Innenministerium.

Konsequentes Vorgehen

Konsequentes Vorgehen
Schreiben von BMJV-Staatssekretär Christian Lange an seinen BMI-Kollegen Günter Krings

Beirat soll sich zur Stärkung der inneren Sicherheit verpflichten

Das „konsequente Vorgehen“ vom inzwischen CSU-geführten BMI und dem BMJV schließt auch eine Änderung der Rahmenbedingungen für den BfDT-Beirat ein. Bei der nächsten Beiratssitzung im März präsentieren sie einen Entwurf für eine neue Geschäftsordnung. Darin soll die Vertraulichkeit der Sitzungen festgeschrieben werden. Gibt es wieder kontroverse Interventionen der Ministerien, sollen sie nicht mehr nach außen dringen. Das Vorschlagsrecht für weitere Beiratsmitglieder wird auf die Ministerien allein übertragen.

Außerdem soll der Beirat auf Regierungslinie gebracht werden. So heißt es in dem Entwurf:

„Das BfDT handelt im Einklang mit der Haltung der Bundesregierung zur ganzheitlichen Bekämpfung von Extremismus, Rassismus und anderer Ideologien der Ungleichwertigkeit sowie im Einklang mit deren auf die Stärkung der Inneren Sicherheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts gerichteten Politik.“

Ein Bündnis für Demokratie und Toleranz, das sich auf die Stärkung der inneren Sicherheit verpflichten soll und ein unabhängiger Beirat, der die Haltung der Bundesregierung teilen muss. Das hätte sich bei der Gründung am Tag des Grundgesetzes im Jahr 2000 sicherlich keiner der Anwesenden vorstellen können. 18 Jahre später hat sich die Strategie der Bundesregierung grundlegend geändert: Die Versicherheitlichung der Demokratieförderung hat begonnen.

[Update, 15.07.2018]: Wir haben inzwischen weitere Dokumente vom Innenministerium erhalten.

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