17.000-Seiten-Vertrag zur LKW-MautWir verklagen Verkehrsministerium (Update)

Die Betreiber der LKW-Maut in Deutschland haben der Bundesrepublik hunderte Millionen Euro zu viel abgerechnet. Das Verkehrsministerium will den Vertrag dazu – 17.000 Seiten – trotzdem nicht herausgeben. Deswegen verklagen wir das Ministerium.

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Update, Februar 2020: Inzwischen haben wir Teile des Vertrags per Klage befreit.

Sie sollte zu einer sicheren Einnahmequelle für den Staat werden, stattdessen wurde sie zu einem Desaster: Die Einführung der LKW-Maut war ursprünglich fürs Jahr 2003 geplant, das System konnte allerdings erst 2006 in Betrieb genommen werden.

Maßgeblich dafür verantwortlich war die Betreiberfirma der LKW-Maut, die Toll Collect GmbH, die vor allem aus den Firmen Telekom und Daimler bestand. Als es die LKW-Maut letztlich in Betrieb nehmen konnte, schuf sich das Unternehmen über viele Jahre selbst eine sichere Einnahmequelle. Wie Recherchen der Zeit vor vier Monaten zeigten, rechnete Toll Collect gegenüber dem Bund Hunderte Millionen Euro zu viel ab.

Niemand hat den Vertrag ganz gelesen

Ermöglicht wurde der Toll Collect dieses Vorgehen offenbar durch den Vertrag, den die Bundesrepublik 2002 mit der Firma abgeschlossen hatte. Das Dokument, 17.000 Seiten lang, hat bis heute vermutlich niemand in Gänze gelesen. Es wurde kurz vor Vertragsabschluss in der Schweiz (und nicht etwa in Deutschland) von Notaren beglaubigt und in Windeseile abgeschlossen. Bis heute ist es nicht einmal in Teilen veröffentlicht worden.

Das wollen wir ändern. Deswegen haben wir Klage gegen das Verkehrsministerium eingereicht. Wir wollen erreichen, dass der Mautvertrag veröffentlicht wird, damit die Rolle der Bundesregierung in der Maut aufgeklärt werden kann. Wer hat fahrlässig gehandelt? Hat das Verkehrsministerium den Missbrauch der LKW-Maut ermöglicht? Bräuchte es neue strafrechtliche Ermittlungen?

Zu aufwändig, alle Seiten einzuscannen

Das Ministerium von Andreas Scheuer argumentiert, dass der Vertrag geheimgehalten werden müsse, um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Toll Collect zu schützen. Das halten wir bei einem nunmehr 16 Jahre alten Dokument für sehr gewagt – zumal die Toll Collect GmbH zwischenzeitlich wieder verstaatlicht wurde. Außerdem hält das Ministerium der Klage entgegen, es wäre zu aufwändig, den gesamten Vertrag zu überprüfen und ggf. einzuscannen.

Bereits 2006 gab es eine Klage auf Herausgabe des Vertrags. Damals stand ein noch laufendes Schiedsverfahren zwischen Ministerium und Unternehmen der Veröffentlichung entgegen. Das Verfahren ist inzwischen abgeschlossen. Wir hoffen, dass das Verwaltungsgericht Berlin im kommenden Jahr über unsere Klage entscheidet.

Eigentlich wäre der Vertrag aber schon jetzt von hohem öffentlichen Interesse: Derzeit entscheidet der Bund nämlich, vermutlich die Toll Collect GmbH nach einer zwischenzeitlichen Verstaatlichung wieder zu an private Unternehmen zu verkaufen, womöglich sogar an die bisherigen Betreiber. Wie die Grüne Fraktion im Bundestag nachgerechnet hat, könnte dies die Steuerzahlerinnen wiederum Hunderte MIllionen Euro kosten. Die bisherigen Überlegungen dazu hält das Verkehrsministerium übrigens auch geheim.

Die Klage gegen das Verkehrsministerium wird voraussichtlich mehrere Instanzen durchlaufen und uns mindestens 5.000 Euro kosten. Wir brauchen also Unterstützung! Richte jetzt einen Dauerauftrag für FragDenStaat ein, über 2, 5 oder 10 Euro. Dankeschön!

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PARTSCH & PARTNER RECHTSANWÄLTE PARTSCH & PARTNER RECHTSANWÄLTE KURFÜRSTENDAMM 50 • 10707 BERLIN CHRISTOPH J. PARTSCH Verwaltungsgericht Berlin Kirchstr. 7 10557 Berlin LL.M. (DUKE), DR. JUR. RECHTSANWALT AXEL MÜTZE RECHTSANWALT FACHANWALT FÜR URHEBER- UND MEDIENRECHT per Facsimile vorab: 030 9014-8790 24. September 2018 CP / ps AZ: 220/18D1/171-18 Klage In Sachen des Herrn Arne Semsrott c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. Singerstraße 109 10179 Berlin Klägers Prozessbevollmächtigte: Partsch & Partner Rechtsanwälte, Kurfürstendamm 50, 10707 Berlin, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Invalidenstraße 44, 10115 Berlin, Beklagte, wegen: Anspruch auf Informationszugang nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG, Art. 10 EMRK KURFÜRSTENDAMM 50 • 10707 BERLIN TEL. +49 (0)30/887195-60 • FAX +49 (0)30/887195-62 • CP@PARTSCH-LAW.COM • WWW.PARTSCH-LAW.COM BERLINER VOLKSBANK EG, DE02 1009 0000 2640 7570 03, BIC: BEVODEBB UST-ID: DE 30 68 26 382 • AG CHARLOTTENBURG, PR 1085 B
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-2- zeigen wir an, dass wir den Kläger vertreten. Auf uns laufende Vollmacht wird in Kopie beige- fügt, Anlage K 0. Namens und in Vollmacht des Klägers beantragen wir: den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2018 (Az.: Z 13/2618.6/2-391) in der Form des Widerspruchbescheids vom 23. August 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflich- ten, dem Kläger Einsicht in den LKW-Maut-Betreibervertrag 2002 mit der Toll Collect GmbH durch Erstellung einer Kopie zu gewähren, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Juli 2018 (Az.: Z 13/2618.6/2-391) in der Form des Widerspruchbescheids vom 23. August 2018 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einsicht in den LKW-Maut-Betreibervertrag 2002 mit der Toll Col- lect nach Einholung der Zustimmung der Toll Collect Gmbhl unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zur Begründung führen wir wie folgt aus: I. Sachverhalt Der Kläger ist freier Journalist und arbeitet als Projektleiter des Portals FragDenStaat.de für den gemeinnützigen Verein Open Knowledge Foundation Deutschland. Er setzt sich für offenes Wis- sen, offene Daten, Transparenz und Beteiligung im öffentlichen Interesse als „watchdog" ein und betreibt einen entsprechenden Blog. Am 9. Mai 2018 beantragte er bei der Beklagten Zugang zum LKW-Maut-Betreibervertrag 2002 mit Toll Collect. Beweis: Antrag vom 9. Mai 2018, Anlage K1 Mit Bescheid vom 24. Juli 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte dazu aus ein Zu- gang zu dem Vertrag sei ausgeschlossen, da es sich um vertrauliche Informationen nach § 3 Nr. 7 IFG handele, an denen ein Interesse an vertraulicher Behandlung bestehe. Zudem han- dele es sich um Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse gem. § 6 S. 2 IFG für deren Zugang keine Einwilligung vorliege. Des Weiteren führte die Beklagte an, dass Teilinformationen aufgrund ei- ner möglichen Preisgabe der geheimhaltungsbedürftigen Informationen nach § 7 Abs. 2 S. 1 nicht herausgegeben werden könnten. Der Bescheid wird als Anlage K2 beigefügt. Der Kläger legte gegen den Bescheid fristgemäß am 1. August 2018 Widerspruch ein. Er beruft sich auf Rechtsprechung des EuGHs zur Vertraulichkeitsbehandlung von Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnissen beruft. Der Widerspruch wird als Anlage K3 beigefügt.
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-3- Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23. August 2018 zurück. Darin wiederholte sie ihre Auffassung aus dem Ablehnungsbescheid vom 24. Juli 20 18 und betonte die vom Kläger angebrachte Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar und habe selbst bei unterstellter Anwendbarkeit keine Offenlegungspflicht der beantragten Informationen zur Folge. Der Bescheid wird als Anlage K4 beigefügt. Eingangs erklären wir, dass auf die Vorlage von personenbezogenen Daten hiermit verzichtet wird. II. Rechtliche Würdigung Die Klage ist zulässig und begründet. 1. Zulässigkeit Das Verwaltungsgericht ist nach §§ 45, 52 Nr. 5 VwGO zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in Berlin hat. Die Verpflichtungsklage ist nach § 42 Abs. 1 2. Var. VwGO statthaft, da die Begehr des Klägers sich nach § 88 VwGO auf die Aufhebung des Widerspruchbescheids und auf die Verpflichtung zum Erlass eines rechtmäßigen Bescheids richtet. Der Kläger ist auch klagebefugt, da er geltend machen kann, in seinem Recht aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG verletzt zu sein. 2. Begründetheit Die Klage ist begründet, da der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 rechtswidrig ist und der Klägerin seinen Rechten verletzt ist, §§115, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. a) Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG Gemäß § 1 Abs.1 S. 1 IFG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Bundes. Bundesbehörden sind da- bei Behörden der unmittelbaren und mittelbaren Bundesverwaltung [Berger/Part- sch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 1 Rn. 36). Das Bundeministerium für Verkehr und digi- tale Infrastruktur ist eine Behörde der unmittelbaren Bundesve^valtung und somit eine aus- kunftsverpflichtete Stelle i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Der Kläger ist als Jeder auch anspruchsberechtigti.S.d.§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Der streitgegenständliche LKW-Maut-Betreibervertrag 2002 mit Toll Collect ist eine amtliche In- formation i.S.d. § 2 Nr. 1 IFG. Amtliche Informationen sind alle amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Irrelevant ist, wer Urheber des Ver- träges ist, da im Rahmen des Anspruchs aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG nicht zwischen Urhebern unter- schieden wird, solange die betreffenden Informationen dem Bund dauerhaft zugehen (Ber- ger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 1 Rn. 73). Dies ist vorliegend der Fall, da der Vertrag dauerhaft beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vorliegt.
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-4- Hinsichtlich der Art des Informationszugangs besteht grundsätzlich ein Ermessen der Behörde (Berger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 1 Rn. 87). Sie kann Auskunft erteilen, Ak- teneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Die Behörde ist jedoch in ihrem Ermessen reduziert, wenn der Kläger einen bestimmten, zulässigen Informa- tionszugang gefordert hat. Hier hat der Kläger in seinem Antrag vom 9. Mai 2018 die Übersen- dung einer Kopie gefordert. Diese Option ist in § 7 Abs. 4 IFG auch vorgesehen. Dann kann die Behörde nur bei Vorliegen wichtiger Gründe von dem Antrag des Klägers abweichen. Solche Gründe sind nicht dargetan und nicht ersichtlich. Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich. Dem Auskunftsanspruch des Klägers steht nicht der Ausschlussgrund des § 6 S. 2 IFG entgegen, wie von der Beklagten vorgetragen. Nach § 6 S. 2 IFG darf der Zugang zu Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnissen (BuG) nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat. Die Beklagte behauptet, dass BuG der Unternehmen Toll Collect GbR und Toll Collect GmbH im Vertrag enthalten seien. Eine Zustimmung der Unternehmen zum Zugang dieser angebli- chen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist in einem vorgeschalteten Verfahren nach § 8 Abs. 1 nicht erfolgt. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (BuG) werden durch Art. 12 GG und Art. 14 GG sowie Art. 8 EMRK geschützt. Grundrechtsträger sind nur die angeführten Unternehmen, nicht aber die Beklagte. Ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis liegt vor, wenn Tatsachen in Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stehen, nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem erkennbaren Willen des Inhabers sowie dessen berechtigten wirtschaftlichen Interessen geheim gehalten werden sollen (BT-Drs, 15/4493; Berger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 6 Rn. 13). Das Vorhandensein von Informationen mit Unternehmensbezug im gegenständlichen LKW- Maut-Betreibervertrag kann nicht ausgeschlossen werden. Auch eine fehlende Offenkundig- keit dieser Informationen ist zu bejahen, da sie nicht allgemein bekannt oder für beliebige Ex- terne leicht zugänglich sind (vgl. Schach, IFG, 2. Auflage 201 6, § 6 Rn. 82). Fraglich ist aber bereits, ob die möglichen Inhaber der BuG überhaupt einen Geheimhaltungs- willen haben, da es die Beklagte bisher verabsäumt hat, diese anzufragen. Hierauf kommt es aber möglicherweise gar nicht an, wenn ein BuG zu verneinen wäre, gleich wie sich die beteiligten Unternehmen einlassen. Dies wäre der Fall, wenn ein berechtigtes Ge- heimhaltungsinteresse in jedem Fall zu verneinen ist. Dies ist der Fall: Die Qualifizierung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis setzt ein berechtigtes Geheimhaltungs- Interesse des Geheimnisträgers voraus (Schach, a.a.O., § 6 Rn. 91). Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn das Bekanntwerden einer Tatsache geeignet ist, die Wettbewerbsposition eines Konkurrenten zu fördern oder die Stellung des eigenen Betriebs im Wettbewerb zu schmälern oder wenn es geeignet ist, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (Schna- bei, JB InfoR 2014,261 ff; Schoch, a.a.O. § 6 Rn.91). Das kann ausgeschlossen werden.
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-5- Der LKW-Maut-Betreibervertrag 2002 mit Toll Collect hat am 21. August 2018 geendet. Anschlie- ßend wurde Toll Collect zum 1. September 2018 vom Bund durch Ausübung der „Call Option" übernommen. Die Übernahme durch den Bund soll jedoch nur eine Interimslösung darstellen, bis sich ein neuer Betreiber gefunden worden ist. Seit Oktober 2016 läuft ein europaweites Vergabeverfahren, um einen neuen Betreiber für Toll Collect zu finden, der die bisherigen Be- treiber Daimler, Telekom und Cofiroute ablösen soll. Nach einer jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Beurteilung der Vorlage von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kann eine nach § 6 S. 2 erforderliche Zustimmung der Betroffenen zur Offenlegung der Information unbeachtet bleiben. Nach dem Urteilstenor des Bundesgerichtshofs ist „Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39 (ist) dahin auszulegen, dass die den Behörden, die von den Mifgliedstaaten zur Erfüllung der in der Richilinie vorgesehenen Aufgaben be- nannt wurden, vorliegenden Informationen, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, aufgrund des Zeitablaufs grundsätzlich als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen sind, es sei denn, d/'e Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft weist ausnahmsweise nach, dass df'e Informationen trotz ihres Alters immer noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen wf'rt- schaftlichen Stellung oder der von betroffenen Dritten sind." BGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-15/16, zitiert nach juris, Leitsatz 3. Dass sich Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39 auf „Berufsgeheimnisse" bezieht, stellt kein Hinder- nis zur analogen Anwendung des Urteils auf die vorliegende Fallkonstellation dar. Im EU-Sekun- därrecht besteht keine einheitliche Terminologie für Berufs- und Geschäftsgeheimnisse, wes- halb Vorschriften, die von „Berufsgeheimnissen" sprechen, in der Sache Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnisse Dritter schützen (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 6 Rn. 15). Nach sechzehn Jahren kann daher nicht mehr davon ausgegangen werden, dass BuG überhaupt bestehen bzw. ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse an diesen noch besteht. Selbst wenn eine pauschale Verneinung der Aktualität von BuG nach einem Ablauf von fünf Jahren - hier sind es sechzehn - nicht angenommen werden kann, so führt eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls des Einzelfalls dazu. Der LKW-Maut-Betreibervertrag wurde 2002 geschlossen. Es ist davon auszugehen, dass in einem Zeitraum von 16 Jahren, so viel Weiterent- Wicklung und Umstrukturierung stattgefunden hat, sodass eine weiterhin bestehende Aktualität abwegig erscheint. Laut Informationen der Bundesregierung wurden die im Laufe des Vergabeverfahrens ausge- wählten Bieter im Juli 2018 aufgefordert bis zum 27. September 2018 ihre endgültigen Angebote abzugeben. Die Zuschlagerteilung soll noch in diesem Jahr erfolgen. (httDS;//www,bundesreaierung.de/Content/DE/Artikel/2018/08/2018-08-30-toll-coll- ect.html;is©ssionid=04E562022A12284BA26C2B469C9EC2EF.s6t1?nn=694676#doc2392292bo- ctYT©xt5: aufgerufen am 21. September 2018) Eine Wettbewerbsbenachteiligung in Folge der Offenlegung von Informationen aus dem be- stehenden LKW-Maut-Betreibervertrag ist ausgeschlossen. Sollte Telekom oder Cofiroute sich erneut um die Übernahme von Toll Collect bewerben, Daimler hat dies bereits ausgeschlossen
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-6- (https;//www.hqnd©|sblatt.com/politik/deutschland/lkw-mautsYstem-daimler-steigt-bei-toll- collect-aus/20182878.html; aufgerufen am 24. September 2018), würde ihnen keine Benachtei- ligung gegenüber anderen Bewerbern drohen, wenn der LKW-Maut-Vertrag nach dem 27. September 2018 öffentlich wird, da zu diesem Zeitpunkt bereits alle Bewerber ihr Angebot ab- gegeben haben müssen. Es ist aber insbesondere nicht erkennbar, inwieweit ein Bekanntwer- den des LKW-Maut Betreibervertrages wettbewerbsrelevante Auswirkungen haben sollte. Der Ausschlussgrund des § 6 S. 2 scheitert mithin am berechtigten Geheimhaltungsinteresse. Eine Zustimmung der betroffenen Unternehmen ist entbehrlich, da unter keinen Umständen sie ein BuG geltend machen können. Die Beklagte führt als weiteren Versagungsgrund einer Zugänglichmachung des LKW-Maut-Be- treibervertrages § 3 Nr. 7 an, nach dem der Informationszugang bei vertraulich erhobener oder übermittelter Information ausgeschlossen ist, soweit das Interesse Dritter an der vertraulichen Behandlung zum Zeitpunkt der Antragstellung weiterhin besteht (Berger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 3 Rn. 1 43). Die Beklagte führt in ihrer Antragsablehnung vom 24. Juli 2018 selbst auf, dass § 3 Nr. 7 nach seiner Entstehungsgeschichte „vor allem dem Schutz der Anony- mität von Hinweisgebern und Informanten, die mit Z.B. Kartellbehörden und Nachrichtendiens- ten kooperieren (vgl. BT-Drs 15/4493, S. 11)" dient. Nach Auffassung der Beklagten schließt je- doch der Wortlaut der Norm nicht aus, dass auch andere erhebliche Interessen geschützt wer- den sollen. Zu diesen Interessen zählt die Beklagte den Schutz der Vertragspartner des Bundes vor „unzumutbaren, nicht erstattungsfähigen Aufwendungen für die detaillierte Darlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in einem komplexen Vertragswerk", sowie den Schutz vor Ziehung von Rückschlüssen durch Außenstehende auf die Rentabilität des Mautsystems und damit auf die Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen. Der Schutz der durch die Beklagte aufgeführten Interessen entspricht eindeutig nicht dem Schutzzweck des § 3 Nr. 7. Schutzzweck der Bestimmung ist der Schutz von Informanten gegen- über der Preisgabe ihrer Identität und Schutz der Behörden hinsichtlich ihrer Aufgabenwahr- nehmung (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 310). Eine Anwendung des § 3 Nr. 7 auf die laut der Beklagten schutzwürdigen Interessen der Vertragspartner des Bundes ist somit nicht vertret- bar. Darüber hinaus steht dem Informationsanspruch des Klägers kein unverhältnismäßiger Ven^al- tungsaufwand i.S.d. § 7 Abs. 2 S. 1 entgegen. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 steht der teilweise Informati- onszugang unter dem Vorbehalt des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes. (Ber- ger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 7 Rn. 13). Bestünden Geheimhaltungsgründe im LKW-Maut-Betreibervertrag, würde deren Bestehen al- lein es nicht rechtfertigen, eine Einsicht aufgrund eines für unangemessen empfundenen Ver- waltungsaufwandes komplett abzulehnen. „Diesen Anforderungen genügt die Sperrerklärung des Beigeladenen schon deshalb nicht, weil er ausgehend von unzutreffenden Erwägungen über ef'ne aus seiner Sicht zu bewahrende Integrität und Authentizität der Archivunterlagen und einen für unange- messen gehaltenen Verwaltungsaufwand auf eine nähere Differenzierung und Präzisie- rung nach der Art des Akteninhalts und der verschiedenen Geheimhaltungsgründe ver- ziehtet und sfattdessen den gesamten Akteninhalt als geheimhaltungsbedürftig ange- sehen hat anstatt konkret in Bezug auf die Unterlagen und ihre Inhalte zu prüfen, ob
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-7- nicht eine teilweise Schwärzung oder Zurückhaltung bestimmter Teile ausreicht, um den Geheimhaltungsinteressen in Abwägung mit den auf die Aktenvorlage gerichteten In- teressen hinreichend Rechnung zu tragen." BVei^vG Beschluss vom 19.4.2010 - 20 F 13/09, zitiert nach juris, Rn. 31 Ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand lässt sich also nicht schon daraus rechtferti- gen, dass die Feststellung, inwieweit welche Teile der Informationen unter einen Geheimhal- tungsgrund fallen, mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist. Die Argumen- tation der Beklagten, eine Prüfung der Dokumente auf das Vorliegen von Versagungsgründen nach §§ 3 bis 6 IFC würde aufgrund des Umfangs des Betreibervertrages nebst Anlagen iRv 17.000 Seiten einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand darstellen, ist deshalb nicht haltbar. Die Beklagte führt weiterhin auf, ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand nach § 7 Abs. 2 S. 1 bestünde, selbst nach einer Identifizierung der geheimhaltungsbedürftigen Bestand- teile, in der physischen Trennung der Unterlagen. Die Anlagen des Betreibervertrages bestehen laut Angaben der Beklagten aus 80 notariellen Urkunden mit einem durchschnittlichen Umfang von 200 Seiten. Um die Urkundsintegrität nicht zu verletzen müsste von jeder einzelnen Urkunde eine Ablichtung erstellt werden, in welcher dann wiederum personenbezogene Daten und an- dere geheimhaltungsbedürftigen Passagen geschwärzt werden müssten. Das Versagen eines teilweisen Informationszugangsanspruches aufgrund eines unverhältnis- mäßig hohen Verwaltungsaufwands i.S.d. § 7 Abs. 2 S. 1 ist als ultima ratio anzusehen, weshalb es einer engen Auslegung bedarf (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 7 Rn. 99, 105). Die Darle- gungslast für die Annahme eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes trifft die infor- mationspflichtige Stelle (Schach, IFG, 2. Auflage 2016, § 7 Rn. 108). Die Grenze der Unverhält- nismäßigkeit ist erst dann überschritten, wenn die Behörde aufgrund des Antrages nicht mehr in der Lage ist, ihre Kernaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen (Berger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Auflage 2013, § 7 Rn. 13). Das Anfertigen einer hohen Anzahl an Ablichtungen und die Vornahme von Schwärzungen erscheint nicht geeignet, die Beklagte derart in ihrer Funktion zu lahmen, dass sie ihre Kernaufgaben nicht mehr wahrnehmen kann. Die Überschreitung der Un- verhältnismäßigkeit wurde von der Beklagten nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Widerspruchsbescheid vom 23. August 2018 ist folglich rechtswidrig. Dem Kläger hätte der Informationszugang nicht verweigert werden dürfen. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger schnellstmöglich Einsicht in das streitgegenständliche Betreibervertrag zu gewähren. b) Anspruch nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Sollte wider Erwarten ein Anspruch nach § 1 IFG nicht vorliegen, so besteht ein Anspruch nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Wie das BVerwG mit Urteil vom 20. Februar 2013 festgestellt hat, stellt Art. 5 Abs. 1 GG nicht nur eine Abwehrnorm oder eine Instituts- und Teilhabegarantie dar, son- dem kann auch einen Leistungsanspruch geben. Diese zum Presseauskunftsrecht ergangene Entscheidung kann auch auf den informationsfreiheitlichen Anspruch angewendet werden. Zunächst wurde Art. 5 Abs. 1 Satz 1 IFG durch Inkrafttreten des IFG, wenn nicht bereits zuvor schon, aktiviert. Somit ist die Informationsfreiheit grundrechtlich geschützt.
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-8- Des Weiteren ist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Lichte des Art. 10 EMRK zu sehen. Allerdings gehört zur Bindung an Recht und Gesetz (Art 20 Abs 3 GG) auch die Berück- sichtigung der Gewährleistungen der MRK und der Entscheidungen des EGMR im Rah- men methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung (vgl. BVerfG, 04.05.2011, 2 BvR 2333/08, BVerfGE 128, 326 <366 ff>). Werden behördliche oderfachgerichtliche Defizite bei der Beachtung dieser Vorgaben geltend gemacht, kann dies jedenfalls zu der Mög- lichkeit eines Verstoßes gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip führen (vgl. BVerfG, 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 <323 f, 329 f>). (Rn.109) (BVerfG, Urteil vom 12. Juni 2018-2 BvR 1738/12-juris) Eine entsprechende Auslegung von § 1 IFG, Art. 5 l 1 GG im Lichte des Art. 10 EMRK führt zu einem Anspruch auf Einsicht. c) Anspruch aus Art. 10 Abs. 1 EMRK Dem Kläger steht weiter ein Anspruch aus Art. 10 Abs. 1 EMRK zu. Die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 GG den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. BVerfG Beschluss vom 24.3.1987 - 1 BvR 147/86, 1 BvR 478/86, BVerfGE 74, 257 (370); BVerfG Beschluss vom 14.10.2004-2 BvR 1481/04, BVerfG E 111,307 (317). Anfangs hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jeden Auskunftsan- Spruch auf der Grundlage von Art. 10 EMRK abgelehnt. In mehreren jüngeren Entscheidungen hat der EGMR der Presse jedoch ein Recht auf Auskunft und sogar auf Zugang zu Informationen aus Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK mit der Begründung zugesprochen, dass die Presse die Rolle ei- nes „public watchdog" habe und die Bevölkerung ein Recht auf Empfang von Informationen habe. In der Entscheidung „Tarsasag a Szabadsagjogokert" aus dem Jahre 2009 legte der EGMR die in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK verankerte Meinungsfreiheit weit aus und nahem erstmals einen Anspruch auf Zugang zu staatlichen Informationen von öffentlichem Interesse an. EGMR Urteil vom 14.4.2009 - Nr. 37374/05 - „Tarsasag a Szabadsagjogokert/Ungarn"; ausführlich dazu Partsch, AfP 2013, 214f m.w.N.; Wirtz/Brink, NVwZ 2015, 1166 (1171). So entschied der EGMR in diesem Urteil, dass der für die Demokratie schlechthin konstituieren- den Presse ein Recht auf Informationszugang aus Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK zustehe, da sie nur so ihrer Rolle als „public watchdog" gerecht werde. Dabei betont der EGMR die'grundsätzliche Rolle der Presse in der Demokratie, durch die die Öffentlichkeit über Fragen von allgemeinem Interesse informiert werde. Die Presse erfülle somit die Aufgabe, auf deren Erfüllung die Offent- lichkeit nach der Formulierung des Gerichts aus der Informationsfreiheit ein echtes, in der Kon- vention gewährleistetes. Recht habe.
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-9- Dies sei jedoch nur der Fall, sofern ein öffentliches Interesse an den Informationen bestehe und die Information „ready and available" sei. Die Ansicht, dass Art. 10 EMRK nicht nur ein Abwehr- recht enthalte, sondern auch ein aktives Informationszugangsrecht, ist seitdem ständige Recht- sprechung des EGMR. In einer weiteren Entscheidung von 2016 hat der EGMR Art. 10 EMRK so ausgelegt, dass dieser auch ein Recht auf Zugang zu Informationen einschließt. Somit ist ein presserechtlicher Einsichts- anspruch mittlen>veile auch vom EGMR bestätigt. EGMR Urteil vom 8.11.2016-Appl. No. 18030/11 - „Magyar Helsinki Bizottsag gegen Un- garn", Rz. 156. Art. 10 EMRK gewährt nach der neuen Rechtsprechung des EGMR somit ein Recht auf Auskunft. Der Kläger ist aus Art. 10 EMRK aktivlegitimiert. Der EGMR unterscheidet seit seinem Urteil vom April 2010 bei der Anwendung von Art. 10 EMRK nicht mehr zwischen Privatpersonen und Jour- nalisten. Entscheidend sei vielmehr, ob eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse betrof- fen sei und dass nicht unter einem Pseudonym veröffentlicht werde. EGMR Urteil vom 22.4.2010-40984/07 „Rosarote Panther v. Tschechien" Der Kläger ist freier Journalist und setzt sich im öffentlichen Interesse als „watchdog" ein. Er betreibt auch einen blog im öffentlichen Interesse. Daher ist selbst die engere Auffassung erfüllt. Die vom EGMR entwickelten Tatbestandsmerkmale für einen Anspruch nach Art. 10 EMRK lie- gen vor. Der Kläger begehrt Informationen von „öffentlichem Interesse", da es sich um Informationen zu dem in den letzten Jahren von großem öffentlichem Interesse begleiteten Thema LKW-Maut handelt. Die Informationen liegen der Beklagten auch vor, da es sich um einen mit ihr abgeschlossenen Vertrag handelt. Die Verweigerung des Zugangs zu diesen Informationen behindert die Klägerin in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 Abs. 1 EMRK. Auch der "public interest test" wird erfüllt. Rein vorsorglich weisen wir darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entschei- dung vom 30. Juni 2015 ausgeführt hat, dass es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar- stellt, wenn ein Gericht sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der Rechtsprechung und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Art. 10 EMRK ausei- nandersetzt, obwohl eine Verletzung desselben gerügt wurde. BVerfG Beschluss vom 30. 6. 2015-2 BvR 433/15, juris, Rn. 9, 10.
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-10- d) Allgemeines Wir rügen bereits jetzt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 HS 2 wie auch Art. 5 Ab Art. 20 Abs. 3 GG, 19 Abs. 4 GG, 103 GG und Art. 10 EMRK. Einfache Abschrift anbei. Partsch Rechtsanwalt
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