Zwangsarbeit bei BahlsenIm Viehtransport ins Deutsche Reich, untergebracht in bewachten Lagern

Die Aussagen der Firmenerbin Verena Bahlsen zur historischen Schuld ihres Unternehmens folgen einem Muster: Bahlsen erkannte nie an, dass es während des Zweiten Weltkriegs hunderten Menschen Unrecht zufügte. Dabei wurde die Firma im Jahr 2000 bereits von Zwangsarbeitern verklagt. Wir veröffentlichen das damalige Urteil des Landgerichts Hannover.

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Produizierte Frontnahrung für deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg: Bahlsen –

CC0

Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs angeblich „gut behandelt“ wurden: Die Firmenerbin Verena Bahlsen sorgte in den vergangenen Tagen für einen Eklat, weil sie in Interviews die Verbrechen ihres Unternehmens zur Zeit des Nationalsozialismus verharmloste. Inzwischen entschuldigte sie sich dafür, „Gefühle verletzt“ zu haben.

Und tatsächlich sind die Aussagen von Verena Bahlsen skandalös – allerdings sind sie nicht alleine der Ignoranz der 26-Jährigen geschuldet. Sie spiegeln vor allem wieder, was ihre Firma seit Jahrzehnten verkündet. So heißt es beispielsweise in der Firmenbroschüre, die 2014 zum 125-jährigen Jubiläum des Unternehmens erschien, Zwangsarbeiter bei Bahlsen hätten eine „gute Behandlung“ genossen. Die offizielle Firmenchronik weist bis heute noch nicht einmal darauf hin, dass ab 1940 rund 200 Personen gezwungen wurden, mit Bahlsen Verpflegung für die deutsche Wehrmacht herzustellen. Dabei wurde der Keks-, Brot- und Schokoladenproduzent zum Ende des Zweiten Weltkriegs von den Nazis nicht nur als kriegswichtig, sondern auch als Rüstungsbetrieb eingestuft.

Klagen abgewiesen – aber Bahlsen nicht freigesprochen

Dass alleine die Tatsache, zur Arbeit gezwungen zu werden, das Gegenteil einer „guten Behandlung“ ist, zeigt unter anderem eines von 60 ähnlichen Urteilen des Landgerichts Hannover aus dem Jahr 2000, das wir nach einer schriftlichen Anfrage ans Gericht veröffentlichen. Auch ältere Gerichtsentscheidungen können bei Gerichten schriftlich angefordert werden. Mit den Urteilen wies das Landgericht Entschädigungsklagen von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine und Polen ab.

Das Gericht sprach allerdings keineswegs Bahlsen von seiner historischen Schuld frei. Im Gegenteil – nicht einmal Bahlsen bestritt, den Klägerinnen Leid angetan zu haben. Vielmehr argumentierte das Landgericht, die Ansprüche der Zwangsarbeiterinnen seien verjährt.

Zwangsarbeit und Überwachung

Daran änderte auch der Leidensweg der Klägerinnen nichts. Wie aus einer der Urteilsbegründungen hervorgeht, wurde etwa eine Ukrainerin aus ihrem Heimatort per Bahn mit einem Viehtransport nach Hannover verschleppt, wo sie der Firma Bahlsen zugeteilt wurde. Dort musste sie 72 Stunden pro Woche arbeiten und wurde in einen bewachten Barackenlager untergebracht. Auch nach dem Krieg gab es kaum Besserung: In der Sowjetunion wurde die Ukrainerin für ihren Zwangseinsatz im Deutschen Reich als vermeintliche Kollaborateurin bestraft. Sie lebte in Armut. Von einer „guten Behandlung“ steht in dem Urteil nichts.

Die Firma Bahlsen bestritt hingegen vor Gericht, der Klägerin eine Entschädigung schuldig zu sein. Mögliche Ansprüche könnten nach Ablauf mehrerer Jahrzehnte nicht mehr geltend gemacht werden. Dieser Ansicht schloss sich das Landgericht Hannover an. Die Kosten des Rechtsstreits musste daraufhin die ehemalige Zwangsarbeiterin tragen.

Das Urteil im Volltext:

Landgericht Hannover, Aktenzeichen 9 O 3090/00 (133), verkündet am 01. Dezember 2000.

Die Klage wird abgewiesen. Die klagende Partei trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 13.090,91 DM.

Tatbestand:

Die klagende Partei macht als ehemalige Zwangsarbeitskraft gegen die [Firma Bahlsen] einen Anspruch aus entgangenem Verdienst geltend. Ferner fordert sie für die deliktische Verletzung im Zusammenhang mit einem Arbeitsvertrag von der Beklagten 6.000,00 DM. Die [Firma Bahlsen] ist mit Wirkung vom 31.10.1999 nach Spaltung in die im Rubrum aufgeführten Einzelfirmen erloschen und nicht mehr existent. Die Nachfolgegesellschaften sind an die Stelle der ehemaligen Firma getreten. Sie werden deshalb als Gesamtschuldner von der Klägerpartei in Anspruch genommen.

ln der Sache selbst trägt die Klägerseite vor:

Die klagende Partei sei in der Ukraine/Sowjetunion geboren und habe bei dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges dort gelebt. Sie lebe auch heute noch auf dem Gebiet der Ukraine, deren Staatsbürger sie ist. Vor Ausbruch des Krieges 1941 gegenüber der Sowjetunion sei die klagende Partei Arbeitnehmer in der [geschwärzt] gewesen. Nach Besetzung durch die Wehrmacht sei der Betrieb fortgeführt worden. Der Vater der ehemals bestehenden Firma [geschwärzt] der Wehrwirtschaftsführer Herr [geschwärzt] habe diesen Betrieb weitergeführt, indem neben Schokolade auch Dauerbrot für die Wehrmacht produziert worden sei. ln unregelmäßigen Abständen habe Herr [geschwärzt] die Arbeitnehmer seines Betriebes in Kiew nach Schluß der jeweiligen Schicht nicht aus dem Werk entlassen, sondern zunächst per LKW und dann per Bahn (Viehtransport) nach Hannover verfrachtet. Die klagende Partei habe eine strapazenreiche Fahrt in das Deutsche Reich erdulden müssen.

ln Hannover angekommen, sei die klagende Partei dem Betrieb der Firma [Bahlsen] zugeteilt worden. Dort habe sie von Montag bis Samstag jeweils 12 Stunden täglich arbeiten müssen. ln ihrer "Freizeit" sei die beklagende Partei in bewachten Lagern untergebracht worden. Die ursprünglichen Zusagen der Beklagten über Arbeitseinsatz, Bezahlung und Unterbringung seien einfach vergessen und die klagende Partei als Zwangsarbeiter behandelt worden.

Nach Ende des Krieges und der Befreiung im Jahre 1945 sei die klagende Partei in die damalige Sowjetunion zurückgebracht worden und dort wegen ihres Arbeitseinsatzes im Deutschen Reich mit Zwangsarbeit bestraft worden. Die Chance auf ein normales Leben sei vertan gewesen. Alle ehemaligen Zwangsarbeiter lebten heute in bitterster Armut. Die durchschnittliche monatliche Rente liege zwischen 40 und 70 Hm. Dies entspreche ca. 20-35 DM. Für die Mieten sei ein monatlicher Betrag in Höhe von 5 Hm aufzuwenden. Die Preise für Telekommunikation Porto und Fotokopien entsprächen den hiesigen Preisen. Im Betrieb der Firma [geschwärzt] sei die klagende Partei als Arbeitnehmer eingesetzt gewesen. Sie habe während ihrer Arbeit den Weisungen der Firma [geschwärzt] unterstanden. Die Firma [geschwärzt] habe bestimmt, wo, wann und wie lange die klagende Partei eingesetzt, untergebracht und verpflegt worden sei. Sogar sei bestimmt worden, wie sie eingekleidet werde. Die vorstehenden Arbeitsleistungen seien der Firma [geschwärzt] zugeflossen. Zwischen den Parteien seien unmittelbare Rechtsbeziehungen begründet worden, die als Arbeitsverhältnis anzusehen seien. Die klagende Partei sei von der deutschen Besatzungsmacht weder aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen verfolgt worden. Sie sei nicht Mitglied der militärischen Streitkräfte der ehemaligen Sowjetunion gewesen und sei als Zivilist nach Deutschland gebracht worden. Eine gerechte Entschädigung für die erbrachten Arbeitsleistungen sei bis zum heutigen Tage nicht gezahlt worden und die klagende Partei sei für die Firma [Bahlsen] erwähnten Zeitraum tätig geworden. Die klagende Partei bezieht sich wegen der Höhe des Entschädigungsanspruches auf ein Urteil des Landgerichts Bonn vom 05.11.1997 (1 O 134/62). Das Landgericht sei von einem wöchentlichen Arbeitslohn in Höhe von 60 Reichsmark d. h. einem durchschnittlichen Monatslohn für deutsche Arbeiter in Höhe von 240 Reichsmark pro Monat ausgegangen.

Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Monatsverdienstes von Reichsmark 240 stünde der klagenden Partei der geltend gemachte Anspruch zu. Die klagende Partei sei wie ein Sträfling in einem umzäunten Lager gehalten worden, habe sich nicht frei bewegen dürfen. Für diese deliktische Verletzung im Rahmen des Arbeitsvertrages sei eine Pauschale in Höhe von 6.000,00 DM zusätzlich angemessen.

Die Klägerseite hat zunächst ihre Klage beim Arbeitsgericht Hannover angestrengt. Das Verfahren ist dann vom Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 23.06.2000 an das Landgericht Hannover zuständigkeitshalber verwiesen worden.

Die klagende Partei beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei 13.090,91 DM nebst 4% Zinsen seit der Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt und die Nachfolgefirmen der Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie berufen sich auf Verjährung bezüglich sämtlicher Ansprüche und Grundlagen. Die Vorgänge lägen fast 55 Jahre zurück. Es sei deshalb auch von Verwirkung auszugehen.

Ferner habe das inzwischen erlassene Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 02.08.2000 zu einem Ausschluß der Ansprüche geführt, die nicht durch dieses Gesetz gedeckt würden. Der klagenden Partei stünden danach nur noch im Rahmen dieses Gesetzes Ansprüche zu, die aber im Antragsverfahren und nicht im Klageverfahren gegen eine einzelne Firma durchgesetzt werden dürften.

Die klagende Partei ist demgegenüber der Meinung, dass eine Verjährung der Ansprüche nicht eingetreten sei.

Die Ansprüche der klagenden Partei könnten nicht verjähren. Der Einsatz als Zwangsarbeiter im Betrieb der Beklagten stelle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und somit ein Kriegsverbrechen dar (Haager Landkriegsordnung, Reichsgesetzblatt 1910, Seite 132 dort Art. 52 f.). Das Deutsche Reich habe dieses Haager Abkommen ratifiziert. Die Firma [Bahlsen] habe sich durch den Einsatz der Arbeitskräfte eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht. Diese Kriegsverbrechen verjährten nach internationalem Recht nicht. Wenn der deutsche Gesetzgeber die Schlußfolgerung aus dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess nur im Strafrecht und nicht im Zivilrecht übernommen haben sollte, so sei dies nachzuholen. Dies wäre eine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes und des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Im übrigen werde auf eine Konvention der UN - Generalversammlung vom 26.11.1968 verwiesen, mit der die grundsätzliche Nichtverjährung aller Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit verabschiedet worden sei. Die Bundesrepublik, die sich um einen Sitz im Sicherungsrat bewerbe sei verpflichtet, dieses Recht umzusetzen.

Davon abgesehen sei auch eine Verjährung aus unerlaubter Handlung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht eingetreten. Dass die vorgenannten Ansprüche nicht verjährt sein können, folge aus dem Rechtsgedanken des § 202 BGB. Die Verjährung sei aus Rechtsgründen gehemmt gewesen. Es könne nicht sein, dass Ansprüche, die bisher wegen der Exklusivität des Völkerrechts vom BGH zurückgewiesen worden seien, nunmehr verjährt seien. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass individuelle Forderungen der Geschädigten doch bestehen könnten. Diese Forderung könnte nicht wegen Verjährung zurückgewiesen werden. Die Erhebung einer solchen Einrede würde gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Seit Kriegsende sei es der klagenden Partei rechtlich nicht möglich gewesen, die Ansprüche durchzusetzen. Ob es faktisch überhaupt möglich gewesen wäre, sei dahinzustellen. Eine gerichtliche Geltendmachung sei regelmäßig - durch höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden - ( BGHZ 18, 22, NJW 1973, 1549) wegen der völkerrechtlichen Regel der Exklusivität verhindert worden. Aufgrund Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar 1951 hätten die Gerichte Ansprüche von Angehörigen der besetzten Staaten im Osten gegen private Firmen aufgrund geleisteter Zwangsarbeit als unbegründet abgewiesen. Somit sei eine Hemmung der Verjährung eingetreten, die nach Auffassung einiger Richter erst mit dem 2 + 4-Vertrag zwischen den vier Hauptmächten und beiden deutschen Staaten beendet gewesen seien solle (OVG Münster NJW 1998 2302). Dieser Auffassung des OVG Münster sei aber nicht zu folgen, da erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1996, erstmals veröffentlicht in NJW 1996 2717, vom 09. Oktober 96 die rechtliche Möglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen durch Einzelpersonen bejaht habe.

Die nicht der deutschen Sprache mächtige klagende Partei sei wegen der ärmlich primitiven Verhältnisse, in der sie lebte, nicht in der Lage gewesen, von den Veränderungen der deutschen Verhältnisse überhaupt Kenntnis zu nehmen. Eine etwaige Unkenntnis der klagenden Partei sei bei aller vernünftigen zumutbaren Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen. Diese Rechtsunkenntnis habe bei jüdischen Organisationen der Verfolgten in den USA ebenso geherrscht, denn sonst wären noch lausende von Klagen sogleich nach dem 2 + 4-Vertrag 1990 eingereicht worden. Weiterhin sei für die ukrainischen NS-Zwangsarbeiter besonders zu berücksichtigen, dass alle im Großdeutschen Reich eingesetzten Zwangsarbeiter aus der Ukraine nach der Repatriierung wegen Kollaboration mit dem Feind und Sabotage des vaterländischen Krieges zu Haft in Lagern verurteilt worden sei. Sie gelten noch heute weitgehend als Vaterlandsverräter und erhielten auch heute kaum Unterstützung in ihrem eigenen Heimatland. Viele ehemalige Zwangsarbeiter wollten sogar, wenn sich ihnen die Möglichkeit bieten würde, die Tatsache des Einsatzes als Zwangsarbeiter im Großdeutschen Reich verschweigen. Oftmals hätten sie, um nicht der Sabotage bezichtigt zu werden, angegeben, nur in der Landwirtschaft gearbeitet zu haben und nicht in einem Rüstungsbetrieb. So sei es auch zu verstehen, dass viele Zwangsarbeiter erst im Jahre 1999 in der Lage gewesen seien, durch alte Unterlagen bzw. Zeugenaussagen zu beweisen, dass sie tatsächlich in einem deutschen Betrieb gearbeitet hätten und nicht in der Landwirtschaft oder sonst irgendwo während des Krieges in der Ukraine untergetaucht seien. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Bildung der neuen Republik Ukraine hätte die klagende Partei den Versuch unternehmen können, sich nach dem früheren Arbeitgeber zu erkundigen. Die klagende Partei sei daher erst im Jahre 1999 in Kenntnis von der Rechtsnachfolge der Beklagten gekommen und hätte auch dann erst die Frage ventilieren können, ob und wenn ja Zwangsarbeiter gegen den früheren Arbeitgeber Ansprüche geltend machen könnten. Auch die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 20.06.2000 in Sachen gegen die Firma [geschwärzt] weise gravierende Unterschiede auf. Es habe sich um einen dänischen Bürger gehandelt. Dieser habe sich informieren können. Die Möglichkeit habe sich für die klagende ukrainische Partei nicht ergeben.

Außerdem habe es ein Informationsblatt der Bundestagsdruckerei "13. Bundesdrucksache 134787 vom 03. Juni 66" gegeben, welche laute: "Soweit während des zweiten Weltkrieges ausländische Zwangsarbeiter verpflichtet und eingesetzt worden seien, könnten diese keine direkten Ansprüche gegen den kriegsführenden Staat oder einem Vernehmen geltend machen. Solche Anforderungen können nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen nicht von einzelnen Personen, auch nicht gegen einzelne Personen oder privatliche juristische Personen, sondern nur von Staat zu Staat in Reparationsverhandlungen geltend gemacht werden. Zur Regelung solcher Ansprüche bedürfe es völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen besonderen Staaten. Deutsche Privatunternehmer können deshalb von ausländischen Zwangsarbeitern nicht in Anspruch genommen werden. Auch deutsche Gesetze sähen solche Ansprüche nicht vor." Sowohl der Außenminister als auch das Justizministerium der Ukraine und Herr Rechtsanwalt [geschwärzt] hätten diese Auskunft von der deutschen Botschaft seit 1999 permanent erhalten. Eine derartige Belehrung habe der damalige Präsident der Ukraine  [geschwärzt] auch von dem deutschen Botschafter erhalten.

Soweit die Beklagtenseite behauptet, die klagende Partei sei entlohnt worden und damit sei der Arbeitsvertrag erfüllt worden, möge die Beklagte beweisen, dass sie der Beklagtenpartei den vollen Arbeitslohn gezahlt habe.

Das Gesetz über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sei nicht geeignet, die Zulässigkeit der Klage in Frage zu stellen. Seine Rechtsnatur sei außerordentlich problematisch und verfassungsrechtlich absolut umstritten. Die Ausschlußklausel und die ausschließliche Zuständigkeit dürfte den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entsprechen, zumal nur KZ-Häftlinge, Gewerbe- und Kommunalarbeiter berücksichtigt worden seien. Alle anderen Zwangsarbeiter sollten keinen Anspruch haben. ln Wirklichkeit wurde mit dem Gesetz eine Freistellung der deutschen Industrie von Ansprüchen der in den USA und Israel lebenden NS-Opfer bezweckt und keineswegs eine gleichartige Befriedigung aller in der Weit, besonders im Osten lebenden NS-Opfer angestrebt. Diese Ungleichheit vor dem Gesetz werde vom Bundesverfassungsgericht wohl kaum Bestätigung finden. Solch ein "Ablaßhandel" sei auch schon früher als unchristlich verurteilt worden. Außerordentlich umstritten sei die Frage, ob die Bundesrepublik durch ein Bundesgesetz die höchstpersönlichen Ansprüche eines ausländischen Staatsbürgers ausschließen könnte. Das Stiftungsgesetz verstoße auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn es die Zahlung von nur 5.000,00 DM pro Ostarbeiter vorsehe. Wenn man bedenkt, dass die Einnahmen der Industrie im Milliardenbereich gelegen hätten. Wegen der Einzelheiten des Verbringens beider Parteien wird auf die vorgetragenen Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2.8.2000 (BGBI. 2000/1263) steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

Zwar bestimmt§ 16 Abs. 1 des Gesetzes (im Folgenden Stiftungsgesetz genannt), dass Leistungen aus Mitteln deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von§ 11 nur nach dem Stiftungsgesetz beantragt werden können. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind nach§ 16 des Gesetzes ausgeschlossen.
Hiernach wäre eine Geltendmachung im Rahmen eines Zivilprozesses, wie hier vorliegend, nicht zulässig. Das Gesetz wiederum verhält sich nicht zu dem hier zu entscheidenden Fall, in dem bereits im Jahre 1999 eine Klage eingereicht worden ist.

§ 16 Abs. 1 StiftG ist vom Wortlaut her nicht eindeutig und folglich auszulegen. Diese Regelung scheint kein Prozesshindernis zu statuieren und schließt demzufolge die Zulässigkeit einer Klage vor den Zivilgerichten nicht aus. Das StiftG enthält offensichtlich keine eigene Prozessordnung. Der Zivilrechtsweg wird auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen, was man wegen der in Art. 19 Abs. 4 GG niedergelegten Rechtsweggarantie wohl verlangen dürfte. Wenn§ 16 Abs. 1 Satz 1 regelt, dass Ansprüche nur nach dem StiftG geltend gemacht werden können, begründet diese Bestimmung forthin weder einen eigenen Rechtsweg noch spezielle prozessrechtliche Voraussetzungen. Die Regelung wirkt sich vielmehr allein materiell-rechtlich aus. Sie bewirkt eine Änderung der Passivlegitimation sowie eine Schuldumschaffung mit Haftungsbegrenzung der Höhe nach. Auch begründet sie weitere Anspruchsvoraussetzungen wie einen speziellen Antrag, der innerhalb einer Ausschlussfrist zu stellen ist. Dies sind Fragen der Begründetheit, welche die Zulässigkeit der Klage nicht berühren. Auch§ 16 Abs. 1 Satz 2 StiftG, wonach weitergehende Ansprüche ausgeschlossen sind, untersagt es nicht, diese Ansprüche im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Die Klage ist in einem solchen Fall nicht unzulässig, sondern allenfalls unbegründet.
Selbst wenn man aber von einem Prozesshindernis ausgehen würde, könnte dieses noch nicht gelten. Nach Ansicht der Kammer ist die Regelung des§ 17 des Stiftungsgesetzes bei der Beurteilung der Zulässigkeilsfrage von Belang. Nach§ 17 Abs. 2 setzt die erstmalige Bereitstellung der Stiftungsmittel das lnkrafttreten des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens betreffend die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sowie die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen voraus. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen stellt der Bundestag fest.

Erkennbar wird gehofft, dass der Beschluss des Bundestages für die Feststellung, dass die Voraussetzungen vorliegen, in näherer Zukunft gefasst werden kann. Wie zu verfahren ist, wenn sich das Feststellungsverfahren über längere Zeit hinzieht oder gänzlich scheitert, wird nicht bestimmt.

Das Stiftungsgesetz weist damit die eigentümliche dogmatische Konstruktion auf, wonach zwar ein Gesetz in Kraft getreten ist, es aber des besonderen Aktes eines Verfassungsorgans bedarf, um die eigentliche Funktion des Gesetzes, den Geschädigten Mittel zukommen zu lassen, eintreten zu lassen.

In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass das Gesetz hinsichtlich des Zeitplanes weitere Unklarheiten aufweist: So beträgt die bereits laufende Antragsfrist 8 Monate, obzwar das durch den Antrag in Gang zu setzende Verfahren derzeit noch gar keinen Sinn hätte.

Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass das Stiftungsgesetz solange die Zulässigkeit einer regulären Zivilrechtsklage nicht ausschließen kann und will, als es nicht vollumfänglich wirken kann. In der Sache hat die Klage keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die hier geltend gemachten Ansprüche solche sind, die nach dem Stiftungsgesetz als "weitergehende Ansprüche" ausgeschlossen sind. Etwaige Ansprüche wären verjährt, unabhängig davon, welche Anspruchsgrundlage hier einschlägig ist.

Die Beklagten berufen sich auf Verjährung. Es steht deshalb der Durchsetzung eines Anspruchs eine dauernde Einrede entgegen. Der BGH hat im Jahre 1973 (NJW 1973, 1551, 1552) die Frage der Verjährung von Zwangsarbeiteransprüchen ausdrücklich offengelassen. Die Verjährungsfristen für die hier in Betracht kommenden Ansprüche liegen bei zwei bzw. drei Jahren.

Mit dem OLG Stuttgart (Urteil vom 20.6.2000, NJW 2000, 2680) geht die Kammer davon aus, dass die Verjährungsfrist spätestens mit dem lnkrafttreten des 2 plus 4 Vertrages am 15.3.1991 zu laufen begann. Sofern die Verjährung etwaiger Ansprüche aus völkerrechtlichen Gründen zunächst gehemmt waren, entfiel die Hemmungswirkung spätestens mit dem Abschluss des 2 plus 4 Vertrages. Insoweit nimmt die Kammer ausdrücklich Bezug auf das Urteil des OVG Münster vom 19.11.1997 (NJW 1998, 2302 ff.).
Die Ukraine gehörte zu dieser Zeit noch zur Sowjetunion, die wiederum zu den vier Siegermächten zählte, ist also unmittelbar vertragsschließende Partei. Im weiteren geschichtlichen Verlauf nach Abschluss des 2 plus 4 Vertrages wurden staatliche Reparationsforderungen nicht gestellt. Die Beteiligten verstanden ihre Übereinkunft als abschließend und schufen eine entsprechende wechselseitige Vertrauensgrundlage. Faktisch ist der 2 plus 4 Vertrag einem früher üblichen Friedensvertrag gleichzustellen. Damit sollte die Reparationsfrage endgültig erledigt sein, die z.B im Londoner Schuldabkommen vorbehalten geblieben war.

Die Kammer folgt auch insoweit der Meinung des OLG Stuttgart, dass es für den Beginn einer Verjährungsfrist ausreicht, wenn der Geschädigte eine Kenntnis von Schädiger und schädigenden Tatsachen hat, die es ihm erlaubt, eine hinreichen ausreichende, wenn auch nicht risikolose und damit zumutbare Feststellungsklage zu erheben (BGH NJW 1994, 3092). Die Klägerpartei beruft sich insoweit zu Unrecht auf falsche Auskünfte des deutschen Botschafters. Immerhin hätte es gelohnt, die eigene Regierung um Rat zu fragen.
Auf die unsichere Rechtslage kann sich die Klägerpartei nicht berufen. Wie das LG Stuttgart zu Recht ausgeführt hat, war die Situation, wonach sich ein wiedervereinigtes Deutschland unter Zutun der vier Siegermächte bildete, weltweit im Gespräch. Es lag auf der Hand, dass die bisher durch deutsche Gerichte praktizierte Blockade im Hinblick auf das Londoner Schuldabkommen und das Völkerrecht sich nunmehr auflösen könnte. Damit bestand gleichzeitig erstmalig die Chance, lndividualansprüche gegen einzelne deutsche Firmen durchzusetzen.

Die Kammer folgt auch insoweit dem o. g. Urteil, dass nicht erst nach der Entscheidung des BverfG vom 13.5.1996 (NJW 1996,2717) eine Unklarheit bezüglich der Klagemöglichkeit beseitigt worden ist.

Da die Klägerpartei nicht durch ein Verhalten der Beklagten bzw. ihres Vorgänger von der Klageerhebung abgehalten worden ist, verstößt die Verjährungseinrede nicht gegen Treu und Glauben. Die Beklagtenseite muss sich nicht eine fehlerhafte Rechtsauskunft der Bundesregierung zurechnen lassen, da sie nicht Gehilfe der Beklagten nach § 278 BGB war.

Der Verjährungseinrede kann auch nicht entgegengehalten werden, es läge gegenüber der Klägerpartei als Zwangsarbeitern ein Kriegsverbrechen vor, da gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen worden sei. Die Kammer meint jedoch, dass für den Bereich der Zwangsarbeit im Interesse des Rechtsfriedens eine Verjährungsfrist für zivilrechtliche Ansprüche von drei Jahren annehmbar erscheint.

Soweit sich das OlG Stuttgart zu einem eventuell vorhandenen Schmerzensgeldanspruch aus positiver Vertragsverletzung verhält, schließt sich die Kammer ebenfalls den Ausführungen an.

Die Kammer hat ferner zu prüfen, ob der Anspruch auf Gegenleistung für geleistete Zwangsarbeit verjährt ist. Die Kammer hält es für zutreffend, wenn das OLG Stuttgart ausführt, dass ein solcher Anspruch wegen § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB bereits nach zwei Jahren verjährt ist und nicht eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zugrundezulegen ist (Ziffer 111 des Urteils). Auch bei Annahme eines Vergütungsanspruchs aufgrund positiver Vertragsverletzung eines Beschäftigungsverhältnisses kommt das OLG Stuttgart zu einer Verjährungsfrist nach § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB und damit zutreffend zu dem Ergebnis, dass die Verjährung eines solchen Anspruches angenommen werden müsste.

Die Kammer verkennt nicht, dass den Geschädigten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche hohe Anforderungen aufgebürdet werden. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass die Verjährung, nachdem die letzte Tat des nationalsozialistischen Unrechts 54 Jahre zurückliegt, wegen der inzwischen vergangenen Zeit von über einem halben Jahrhundert, zunächst einmal auf der Hand liegt. Letztendlich konnte das Ziel des 2 plus 4 Vertrages, eine abschließende Regelung über die Folgen des 2. Weltkrieges und damit auch eine Rechtssicherheit für die Beteiligten herbeizuführen, nicht außer Acht gelassen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkelt ergeht aufgrund § 70 ZPO.

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\ 5 I , , ,'· Rahmen des Arbeitsvertrages sei eine Pauschale in Höhe von 6.000,00 DM zusätzlich angemessen. DieKlägerseite hat zunächst ihre Klage beim Arbeitsgericht Hannover angestrengt. Das Verfahren ist dann vom Landesarbeitsgericht durch Beschl.uss vom 23.06.2000 an das Landgericht Hannover zuständigkeitshalber verwiesen worden. Die klagende Partei beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei 13.090,91 DM nebst 4% Zinsen seit der Klagzustellung zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt und die Nachfmlgefirmen der Beklagten beantragen, ' ' ' ' die Klage abzuweisen. Sie berufen sich auf Verjährung bezüglich sämtliqher Ansprüche und Grundlagen. Die Vorgänge lägen fast 55 Jahre zurück. Es sei deshalb auch von Verwirkung aus- zugehen. Ferner habe das inzwischen erlal)sene Gesetz zur Errichtung einer Stiftung .. Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 02.08.2000 zu einem Ausschluß der Ansprüche geführt, die nicht durch dieses Gesetz gedeckt würden. Der klagenden Partei stünden danach nur noch im Rahmen dieses Gesetzes ArJsprüche zu, die aber im Antragsverfahren und nicht im Klageverfahren gegen eine einzelne Firma durchgesetzt werden dürften. Die klagende Partei ist demgegenüber der Meinung, dass eine Verjährung der Ansprüche nicht eingetreten sei. Die Ansprüche der klagenden Partei könnten nicht verjähren. Der Einsatz als Zwangsarbeiter im Betrieb der Beklagten stelle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und somit ein Kriegsverbrechen dar (Haager Landkriegsordnung, Reichsgesetzblatt 1910, Seite 132 dort Art. 52 f.). Das Deutsche Reich habe dieses Haager Abkommen ratifiziert. Die Firm~abe sich durch den Einsatz der
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6 Arbeitskräfte eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht. Diese Kriegsverbrechen verjährten nach internationalem Recht nicht. Wenn der deutsche Gesetzgeber die Schlußfolgerung aus dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess nur im Strafrecht und nicht im Zivilrecht übernommen haben sollte, so sei dies nachzuholen. Dies wäre eine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes und des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Im übrigen werde auf eine Konvention der UN - Generalversammlung vom 26.11.1968 verwiesen, mit der die grundsätzliche Nichtverjährung aller Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit verabschiedet worden sei. Die Bundesrepublik, die sich um einen Sitz im Sicherungsrat bewerbe sei verpflichtet, dieses Recht umzusetzen. Davon abgesehen sei auch eine Verjährung aus unerlaubter Handlung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht eingetreten. Dass die vorgenannten Ansprüche nicht verjährt sein können, folge aus dem Rechtsgedanken des § 202 BGB. Die Verjährung sei aus Rechtsgründen gehemmt gewesen. Es könne nicht sein, dass Ansprüche, die bisher wegen der Exklusivität des Völkerrechts vom BGH zurück- gewiesen worden seien, nunmehr verjährt seien. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass individuelle Forderungen der Geschädigten doch bestehen könnten. Diese Forderung könnte nicht wegen Verjährung zurückgewiesen werden. Die Erhebung einer solchen Einrede würde gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Seit Kriegsende sei es der klagenden Partei rechtlich nicht möglich gewesen, die Ansprüche durchzusetzen. Ob es faktisch überhaupt möglich gewesen wäre, sei dahinzustellen. Eine gerichtliche Geltendmachung sei regelmäßig - durch höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden - ( BGHZ 18, 22, NJW 1973, 1549) wegen der völkerrechtlichen Regel der Exklusivität verhindert worden. Aufgrund Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar 1951 hätten die Gerichte Ansprüche von Angehörigen der besetzten Staaten im Osten gegen private Firmen aufgrund geleisteter Zwangsarbeit als unbegründet ab- gewiesen. Somit sei eine Hemmung der Verjährung eingetreten, die nach Auffas- sung einiger Richter erst mit dem 2 + 4-Vertrag zwischen den vier Hauptmächten und beiden deutschen Staaten beendet gewesen seien solle (OVG Münster NJW 1998 2302). Dieser Auffassung des OVG Münster sei aber nicht zu folgen, da erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1996, erstmals
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7 veröffentlicht in NJW 1996 2717, vom 09. Oktober 96 die rechtliche Möglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen durch Einzelpersonen bejaht habe. Die nicht der deutschen Sprache mächtige klagende Partei sei wegen der ärmlich primitiven Verhältnisse, in der sie lebte, nicht in der Lage gewesen, von den Verän- derungen der deutschen Verhältnisse überhaupt Kenntnis zu nehmen. Eine etwaige Unkenntnis der klagenden Partei sei bei aller vernünftigen zurnutbaren Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen. Diese Rechtsunkenntnis habe bei jüdischen Organisationen der Verfolgten in den USA ebenso geherrscht, denn sonst wären noch lausende von Klagen sogleich nach dem 2 + 4-Vertrag 1990 eingereicht worden. Weiterhin sei für die ukrainischen NS-Zwangsarbeiter besonders zu berücksichtigen, dass alle im Großdeutschen Reich eingesetzten Zwangsarbeiter aus der Ukraine nach der Repatriierung wegen Kollaboration mit dem Feind und Sabotage des vaterländischen Krieges zu Haft in Lagern verurteilt worden sei. Sie gelten noch heute weitgehend als Vaterlandsverräter und erhielten auch heute kaum Unterstützung in ihrem eigenen Heimatland. Viele ehemalige Zwangsarbeiter wollten sogar, wenn sich ihnen die Möglichkeit bieten würde, die Tatsache des Einsatzes als Zwangsarbeiter im Großdeutschen Reich verschweigen. Oftmals hätten sie, um nicht der Sabotage bezichtigt zu werden, angegeben, nur in der Landwirtschaft gearbeitet zu haben und nicht in einem Rüstungsbetrieb. So sei es auch zu verstehen, dass viele Zwangsarbeiter erst im Jahre 1999 in der Lage gewesen seien, durch alte Unter- lagen bzw. Zeugenaussagen zu beweisen, dass sie tatsächlich in einem deutschen Betrieb gearbeitet hätten und nicht in der Landwirtschaft oder sonst irgendwo während des Krieges in der Ukraine untergetaucht seien. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Bildung der neuen Republik Ukraine hätte die klagende Partei den Versuch unternehmen können, sich nach dem früheren Arbeitgeber zu erkun- digen. Die klagende Partei sei daher erst im Jahre 1999 in Kenntnis von der Rechts- nachfolge der Beklagten gekommen und hätte auch dann erst die Frage ventilieren können, ob und wenn ja Zwangsarbeiter gegen den früheren Arbeitgeber Ansprüche geltend machen könnten. Auch die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 20.06.2000 in Sachen gegen die Firma ~eise gravierende Unterschiede auf. Es habe sich um einen dänischen Bürger gehandelt. Dieser habe sich informieren können. Die Möglichkeit habe sich für die klagende ukrainische Partei nicht ergeben. '.'I ') r ,
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8 .-''\ ' l Außerdem habe es ein Informationsblatt der Bundestagsdruckerei "13. Bundes- drucksache 134787 vom 03. Juni 66" gegeben, welche laute: "Soweit während des zweiten Weltkrieges ausländische Zwangsarbeiter verpflichtet und eingesetzt worden seien, könnten diese keine direkten Ansprüche gegen den kriegsführenden Staat oder einem Vernehmen geltend machen. Solche Anforderungen können nach allge- mein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen nicht von einzelnen Personen, auch nicht gegen einzelne Personen oder privatliehe juristische Personen, sondern nur von Staat zu Staat in Reparationsverhandlungen geltend gemacht werden. Zur Regelung solcher Ansprüche bedürfe es völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen besonderen Staaten. Deutsche Privatunternehmer können deshalb von ausländischen Zwangsarbeitern nicht in Anspruch genommen werden. Auch deutsche Gesetze sähen solche Ansprüche nicht vor." Sowohl der Außenminister als auch das Justizministerium der Ukraine und Herr Rechtsanwalt. . .ätten diese Auskunft von der deutschen Botschaft seit 1999 permanent erhalten. Eine derartige Belehrung habe der damalige Präsident der Ukraine von dem deutschen Botschafter erhalten. Soweit die Beklagtenseite behauptet, die klagende Partei sei entlohnt worden und damit sei der Arbeitsvertrag erfüllt worden, möge die Beklagte beweisen, dass sie der Beklagtenpartei den vollen Arbeitslohn gezahlt habe. Das Gesetz über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sei nicht geeignet, die Zulässigkeil der Klage in Frage zu stellen. Seine Rechtsnatur sei außerordentlich problematisch und verfassungsrechtlich absolut umstritten. Die Ausschlußklausel und die ausschließliche Zuständigkeit dürfte den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entsprechen, zumal nur KZ-Häftlinge, Gewerbe- und Kommunalarbeiter berücksichtigt worden seien. Alle anderen Zwangsarbeiter sollten keinen Anspruch haben. ln Wirklichkeit wurde mit dem Gesetz eine Freistellung der deutschen Industrie von Ansprüchen der in den USA und Israel lebenden NS-Opfer bezweckt und keineswegs eine gleichartige Befriedigung aller in der Weit, besonders im Osten lebenden NS-Opfer angestrebt. Diese Ungleichheit vor dem Gesetz werde vom Bundesverfassungsgericht wohl kaum Bestätigung finden. Solch ein "Ablaßhandel" sei auch schon früher als .\ \
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9 i . l unchristlich verurteilt worden. Außerordentlich umstritten sei die Frage, ob die Bundesrepublik durch ein Bundesgesetz die höchstpersönlichen AnsprOehe eines ausländischen StaatsbOrgers ausschließen könnte. Das Stiftungsgesetz verstoße auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn es die Zahlung von nur 5.000,00 DM pro Ostarbeiter vorsehe. Wenn man bedenkt, dass die Einnahmen der Industrie im Milliardenbereich gelegen hätten. Wegen der Einzelheiten des Verbringens beider Parteien wird auf die vorgetragenen Schriftsätze verwiesen. Entscheidungsgründe: Die Klage ist zulässig. '., Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2.8.2000 (BGBI. 2000/1263) steht der Zulässigkeil der Klage nicht entgegen. Zwar bestimmt§ 16 Abs. 1 des Gesetzes (im Folgenden Stiftungsgesetz genannt), dass Leistungen aus Mitteln deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozia- listisches Unrecht im Sinne von§ 11 nur nach dem Stiftungsgesetz beantragt werden können. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit national- sozialistischem Unrecht sind nach§ 16 des Gesetzes ausgeschlossen. Hiernach wäre eine Geltendmachung im Rahmen eines Zivilprozesses, wie hier vorliegend, nicht zulässig. Das Gesetz wiederum verhält sich nicht zu dem hier zu entscheidenden Fall, in dem bereits im Jahre 1999 eine Klage eingereicht worden ist. § 16 Abs. 1 StiftG ist vom Wortlaut her nicht eindeutig und folglich auszulegen. Diese Regelung scheint kein Prozesshindernis zu statuieren und schließt demzufolge die Zulässigkeil einer Klage vor den Zivilgerichten nicht aus. Das StiftG enthält offensichtlich keine eigene Prozessordnung. Der Zivilrechtsweg wird auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen, was man wegen der in Art. 19 Abs. 4 GG niederge- legten Rechtsweggarantie wohl verlangen dürfte. Wenn§ 16 Abs. 1 Satz 1 regelt, dass Ansprüche nur nach dem StiftG geltend gemacht werden können, begründet . 1 1•.
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10 diese Bestimmung forthin weder einen eigenen Rechtsweg noch spezielle prozessrechtliche Voraussetzungen. Die Regelung wirkt sich vielmehr allein materiell-rechtlich aus. Sie bewirkt eine Änderung der Passivlegitimation sowie eine Schuldumschaffung mit Haftungsbegrenzung der Höhe nach. Auch begründet sie weitere Anspruchsvoraussetzungen wie einen speziellen Antrag, der innerhalb einer Ausschlussfrist zu stellen ist. Dies sind Fragen der Begründetheit, welche die Zulässigkeil der Klage nicht berühren. Auch§ 16 Abs. 1 Satz 2 StiftG, wonach weitergehende Ansprüche ausgeschlossen sind, untersagt es nicht, diese Ansprüche im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Die Klage ist in einem solchen Fall nicht unzulässig, sondern allenfalls unbegründet. Selbst wenn man aber von einem Prozesshindernis ausgehen würde, könnte dieses noch nicht gelten. Nach Ansicht der Kammer ist die Regelung des§ 17 des Stiftungsgesetzes bei der Beurteilung der Zulässigkeilsfrage von Belang. Nach§ 17 Abs. 2 setzt die erstmalige Bereitstellung der Stiftungsmittel das lnkrafttreten des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens betreffend die Stiftung .,Erinnerung, Verantwortung und Zukunft .. sowie die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen voraus. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen stellt der Bundestag fest. Erkennbar wird gehofft, dass der Beschluss des Bundestages für die Feststellung, dass die Voraussetzungen vorliegen, in näherer Zukunft gefasst werden kann. Wie zu verfahren ist, wenn sich das Feststellungsverfahren über längere Zeit hinzieht oder gänzlich scheitert, wird nicht bestimmt. Das Stiftungsgesetz weist damit die eigentümliche dogmatische Konstruktion auf, wonach zwar ein Gesetz in Kraft getreten ist, es aber des besonderen Aktes eines Verfassungsorgans bedarf, um die eigentliche Funktion des Gesetzes, den Geschädigten Mittel zukommen zu Jassen, eintreten zu Jassen. in diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass das Gesetz hinsicht- lich des Zeitplanes weitere Unklarheiten aufweist: So beträgt die bereits laufende
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