Erfolgreiche UntätigkeitsklageNRW-Innenministerium veröffentlicht Gutachten zum Hambacher Forst

Der Druck der Verwaltungsgerichte wirkt: Das Innenministerium hat nach einer Untätigkeitsklage von Daniel Hofinger zwei Gutachten zum Hambacher Forst veröffentlicht. Eine Anwaltskanzlei hatte sie geschrieben, bevor sie dazu beauftragt wurde.

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Der Hambacher Forst im Oktober 2018 –

Vier Monate Schweigen – und dann ging es ganz schnell: Das Bau- und Innenministerium Nordrhein-Westfalen hat nach einer Untätigkeitsklage des Umweltaktivisten Daniel Hofinger Gutachten der Anwaltskanzlei Baumeister zum Hambacher Forst veröffentlicht. Zuvor hatten selbst Abgeordnete des NRW-Landtags keine Einsicht in die Dokumente erhalten.

Damit kommt etwas Licht ins Dunkel des größten Polizeieinsatzes in der Geschichte Nordrhein-Westfalens: An der gescheiterten Räumung des Hambacher Forsts arbeiteten vor einem Jahr rund 30.000 Polizist*innen daran, Baumhäuser, Plattformen, Hängematten und Aktivist*innen aus dem seit Jahren besetzten Waldstück zu entfernen.

„Rechtliche Auffassung des Ministeriums nicht überzeugend“

Der Räumungseinsatz wirft bis heute viele Fragen auf. Am 2. Juli 2018 stellte RWE Anträge auf eine Räumung bei der Gemeinde Merzenich. Diese lehnte jedoch ab – eine Rechtsgrundlage sei nicht gegeben. Den Wald nicht zu räumen, schien für die Verantwortlichen keine Option gewesen zu sein, schließlich wurden trotz negativem Bescheid Schritte zur „Verfahrensbeschleunigung im Hinblick auf den Beginn der Rodungssaison“ unternommen. Also musste eine neue Rechtsgrundlage her, und zwar schnell.

Hierfür gaben das Innenministerium und das Bau- und Heimatministerin für 57.524,52 Euro zwei Rechtsgutachten bei der Kanzlei „Baumeister Rechtsanwälte“ aus Münster in Auftrag, die wir jetzt parallel zum NRW-Ministerium veröffentlichen. Die Kanzlei hatte das Gutachten geschrieben, bevor es den Auftrag dazu erhalten hatte. Das erste Gutachten wurde vom NRW-Innenministerium am 10. August 2018 beauftragt, ist aber auf den 09. August datiert.

Das Gutachten legt jetzt dar, dass der gesamte Polizeieinsatz nicht nur politisch, sondern auch juristisch auf dünnem Eis stand. So gehen die Juristen davon aus, dass die Polizei für die Situation im Hambacher Forst nicht zuständig war. Auch in Bezug auf das bauaufsichtliche Einschreiten nennt das Gutachten „die rechtliche Auffassung des Ministeriums nicht überzeugend“. Damit wird sich NRW-Innenminister Herbert Reul neue Fragen zur Räumung des Hambacher Forst gefallen lassen müssen – wenn auch mit einigen Monaten Verspätung.

→ zur Anfrage & Klage

→ zu den Gutachten

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Räumung des Hambacher Forstes (1254/18) Grenzen der originären polizeilichen Zuständigkeit zur Verhütung von Straftaten Bekanntlich hat die Polizei gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW im Rahmen der Aufgabe der Gefahrenabwehr Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen und die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW be- gründet im Rahmen ihres Anwendungsbereichs eine originäre Zuständigkeit der Polizei, ver- drängt dabei allerdings nicht die parallele Zuständigkeit der Ordnungsbehörden (vgl. aus- drücklich Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl., § 1, Rn. 15). Im Rahmen dieses Vermerks soll der Frage nachgegangen werden, ob aus der polizeilichen Aufgabenzuweisung in § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW eine originäre Zuständigkeit der Polizei- behörden des Landes NRW für Eingriffs- oder Zwangsmaßnahmen im Vorfeld oder bei der Räumung im Hambacher Forst hergeleitet werden kann. Darüber hinaus soll untersucht wer- den, ob die Vorschrift des § 34 Abs. 2 PolG NRW vorliegend für eine originäre polizeiliche Zuständigkeit streitet. Im Ergebnis sprechen überwiegende Gründe dafür, anzunehmen, dass eine originäre Zustän- digkeit der Polizei unter dem Aspekt der Straftatenverhütung im Kontext des Protestcamps im Hambacher Forst bereits dem Grunde nach nicht begründet ist. Hiergegen spricht insbesonde- re der Umstand, dass § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW nicht auf die hier maßgebliche Situation ab- zielt (hierzu I.). Auch eine systematische Betrachtung zur derivativen Zuständigkeit der Poli- zei im Rahmen der Vollzugshilfe spricht vorliegend gegen die Annahme einer Zuständig- keitseröffnung aufgrund von § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW (hierzu II.). Soweit auf die Norm des § 34 Abs. 2 PolG NRW rekurriert wird, scheint ein Vorgehen über diese Norm bereits tatbe- standlich nicht überzeugend. Vor dem Hintergrund der inhomogenen Besetzerstruktur und weil nicht jede Person die Schwelle zum Straftatenbeitrag überschreiten dürfte, muss auf der
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2 Grundlage der ausdrücklichen Judikatur zudem bezweifelt werden, dass die Polizei ein Auf- enthaltsverbot nach § 34 Abs. 2 PolG NRW rechtmäßig verfügen könnte (hierzu insgesamt III). Überdies scheinen vorliegend andere Ermächtigungsgrundlagen des besonderen Gefah- renabwehrrechts einschlägig und sogar effektiver, um die Besetzung und die Besetzungsinfra- struktur im Hambacher Forst (sonder-)ordnungsbehördlich zu beenden, wobei zuvörderst die Durchsetzung des Bauordnungsrechts zu nennen ist (hierzu insgesamt IV.). Im Rahmen dieses Vermerks wird dabei davon ausgegangen, dass eine originäre Zuständig- keit der Polizei auch aus anderen rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommen dürfte. Ins- besondere wird eine originäre polizeiliche Zuständigkeit nicht dadurch begründet, dass andere (zuständige) Behörden von einem Einschreiten absehen. Insoweit gilt, dass die gesetzliche Zuständigkeitsregelung durch ein faktisches Nichteinschreiten weder modifiziert noch über- wunden werden kann. Im Gegenteil: Die gesetzlichen Regelungen zur Verteilung der Zustän- digkeiten haben (auch) zur Folge, dass die unzuständige Behörde die von der zuständigen Behörde getroffene Entscheidung zu respektieren hat. Nimmt die zuständige Behörde bei- spielsweise an, dass die formellen oder materiellen Voraussetzungen für ein Einschreiten nicht vorliegen oder übt sie ihr Ermessen im Sinne eines Nichteinschreitens aus, so ist diese Entscheidung zu respektieren. Keinesfalls ist es zulässig, dass eine unzuständige Behörde eingreift und ein evtl. für nicht befriedigend gehaltenes Ergebnis korrigiert. Dass die Frage der Zumutbarkeit einer Ermittlung der zuständigen Behörde den Regelungs- gehalt des § 1 PolG NRW nicht beeinflussen kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Für die Abgrenzung der Zuständigkeit ist im Ausgangspunkt allein auf den Inhalt der ein- schlägigen gesetzliche Vorschrift abzustellen, im vorliegenden Fall also auf § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW. Danach wird die Polizei – sofern auch andere Gefahrenabwehrbehörden zustän- dig sind – nur in zwei Fällen in eigener Zuständigkeit tätig: 1. Ein Handeln der anderen für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörde erscheint nicht möglich. 2. Ein Handeln der anderen für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörde erscheint nicht rechtzeitig möglich.
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3 Zwar wird vermutlich zutreffen, dass die kommunale Ordnungsbehörden im vorliegenden Fall nicht über die notwendigen Sach- und Personalmittel verfügen, um die Räumung faktisch durchzusetzen. Dies hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass ihr ein Handeln im oben be- schriebenen Sinne nicht möglich erscheint. Stattdessen ist auf die so genannte Vollzugshilfe zu verweisen, die in § 2 OBG NRW i.V.m. den §§ 1 Abs. 3, 47 ff. PolG NRW geregelt ist. Auf die Vollzugshilfe verweist im Übrigen auch die von der Antragstellerin angesprochene „Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ordnungsbehördengesetzes“ (VV OBG). So beschränkt sich die Vollzugshilfe der Polizei nach Nr. 2.1 VV OBG auf Maßnahmen des un- mittelbaren Zwangs, um dies allerdings im vorliegenden Fall geht. Sie wird dann geleistet, wenn die Ordnungsbehörde nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügt oder ihre Maßnahmen nicht auf andere Weise durchsetzen kann, was im vorliegenden Fall anzunehmen sein wird. Kann die kommunale Ordnungsbehörde aber fehlende Sach- und Personalmittel durch Vollzugshilfe kompensieren, so erscheint ein Handeln im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW möglich. Ferner spricht Überwiegendes dafür, dass ein rechtzeitiges Handeln der örtlichen Ordnungs- behörde möglich ist. So ist zu berücksichtigen, dass die Besetzung bereits mehrere Jahre an- dauert. Hinzu kommt, dass auch jetzt noch bis zum Zeitpunkt der Räumung ab dem 01.10.2018 ein nicht geringer zeitlicher Vorlauf besteht. Es ist der örtlichen Ordnungsbehörde somit in zeitlicher Hinsicht möglich, das in § 48 PolG NRW geregelte Verfahren zur Erlan- gung von Vollzugshilfe durchzuführen. Gegen eine Unzuständigkeit der kommunalen Ordnungsbehörde würde schließlich auch nicht sprechen, dass sich die örtliche Zuständigkeit evtl. auf mehrere Behörden verteilt, also mehre- re Ordnungsbehörden zuständig wären. Gesetzlich ist dieser Fall in § 3 VwVfG geregelt. Da- nach ist im Ausgangspunkt die Behörde zuständig, die zuerst mit der Sache befasst war. Prak- tisch noch bedeutsamer ist, dass die örtliche Zuständigkeit durch eine Entscheidung der ge- meinsam fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt werden kann (§ 3 Abs. 2 VwVfG).
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4 I. Eng begrenzte Ermächtigungssituation in NRW zur Straftatenverhütung Bereits vor dem Hintergrund des normgrundsätzlichen Regelungsanliegens sprechen über- wiegende Gründe dafür, anzunehmen, dass eine originäre Straftatenverhütungszuständigkeit der Polizei vorliegend nicht wegen § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW gegeben ist. Die Verhütung von Straftaten bezieht sich auf rechtswidrige Handlungen, die mit Kriminal- strafe bedroht sind. Nach allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts kommt es auf die Schuldhaftigkeit der Tatbegehung nicht an (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl., § 1, Rn. 29). Im Unterschied zu anderen Landespolizeigesetzen (z. B. Bayern) nennt Nordrhein-Westfalen Ordnungswidrigkeiten ausdrücklich nicht. Deren Verhinderung ist von der Sonderzuständigkeit der Polizei nicht erfasst und demnach Teil der Aufgaben nach der Generalklausel (so auch Tegtmeyer/Vahle, a. a. O., Rn. 22). Der Auftrag zur Verhütung setzt „nicht an der begangenen, sondern an der noch nicht be- gangenen Straftat an“ (vgl. ausdrücklich Denninger, in: Lisken/ders., Handbuch des Polizei- rechts, 6. Aufl., Kap. D. Rn. 199). Das Anliegen der Straftatenverhütungszuständigkeit bringt der Gesetzgeber explizit zum Ausdruck, wenn er ausführt, dass die Polizei es „gar nicht erst zu der Straftat kommen lassen“ soll (vgl. LT-Drs. 14/10089, S. 26). Durch § 1 Abs. 1 S. 2 Var. 1 PolG NRW wird die präventive polizeiliche Aufgabe in das Vorfeld zukünftiger Schä- digungen polizeilicher Schutzgüter verlagert (vgl. Park, Wandel des klassischen Polizeirechts, S. 149). Nicht erforderlich ist es, dass im Zeitpunkt der „Verhütung“ bereits ein strafbarer Versuch oder eine strafbare Vorbereitungshandlung (§ 30 Abs. 2 StGB) oder ein Vorfeldde- likt (vgl. §§ 89a, 89b StGB) begangen wurde. Gegenteilig sollen diese Stadien im Rahmen der in § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW statuierten Aufgabe nach Möglichkeit verhindert werden (vgl. Gusy/Worms, in: BeckOK Polizeirecht NRW, § 1 PolG, Stand: Mai 2018, Rn. 238). Die Verhütungsaufgabe der Polizei bezieht sich zwar auf Straftaten, ist aber kompetenzrecht- lich weder „Strafrecht“ noch eine Regelung zur „Gerichtsverfassung“ oder des „gerichtlichen Verfahrens“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Insoweit geht es nämlich gerade nicht um die Bestrafung begangenen Unrechts, sondern um die Verhinderung einer Straftat und damit gerade um die Nichtnotwendigkeit einer Bestrafung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.2012 – 6 C
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5 9/11 –, juris Rn. 29 ff.). Die Verhütungsaufgabe des § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW ist insgesamt präventiver Natur (vgl. nur Denninger, a. a. O., Kap. D, Rn. 199 m. w. N.). Indes entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass Straftaten immer und überall gesche- hen und deshalb auch dem Grunde nach überall verhütet werden können. Durch § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW wird und darf indes gerade „kein umfassender gesellschaftsumspannender Auf- klärungs- und Präventionsauftrag“ für die Polizei vermittelt. Erforderlich ist insoweit, dass es sich um „kriminelle, kriminogene, gefährdete oder gefährliche Milieus“ handelt, was auf- grund tatsächlicher Anhaltspunkte im Einzelfall und allgemeiner kriminalistischer Erkennt- nisse oder Erfahrungsregeln erkennbar sein muss (so ausdrücklich Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., § 5, Rn. 4). Legt man diese Vorgaben großzügig aus, ließe sich möglicherweise noch annehmen, dass es sich anhand der Besetzerstruktur um ein „gefährliches Milieu“ im Sinne der vorgenannten Kategorien handelt, weil diese sich einer Räumung oder Auflösung des Protestcamps mit Gewalt und durch die Begehung von Straftaten widersetzen werden. Ob dies tatsächlich der Situation entspricht, die § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW vor Augen hat, ist gleichwohl nicht frei von Zweifeln. Klassischerweise dürfte der Gesetzgeber im Rahmen der Verhütungsaufgabe Kriminalitätsschwerpunkte, wie etwa eine „offene Drogenszene“ vor Augen gehabt haben. Vorliegend würden die Vorschriften über die Straftatenverhütung jedoch in der Erwartung Anwendung finden, dass Störer in einer konkreten Situation, zu einem individualisierbaren Zeitpunkt nicht vor der Begehung von Straftaten zurückschrecken werden. Dies entspricht eher der klassischen konkreten Gefahr im Sinne des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts. II. Systematischer Zusammenhang zu den Regelungen der Vollzugshilfe Auch der systematische Zusammenhang mit der Zuständigkeit der Polizei zur Vollzugshilfe spricht dagegen, dass die Situation des Hambacher Forstes eine originäre Zuständigkeit der Polizei begründet. Nach einigen einleitenden Hinweisen zum Anwendungsbereich der Voll- zugshilferegelungen (hierzu 1.) soll daher der systematische Kontext dargestellt werden, in dem die betreffenden Normen verortet sind (hierzu 2.).
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6 1. Grundsätzliche Hinweise zur polizeilichen Vollzugshilfe Eine (originäre) Eilkompetenz der Polizei ergibt sich nicht automatisch dort, wo der Einsatz körperlicher Gewalt gegen Personen oder Sachen (sog. unmittelbarer Zwang z. B. durch Schusswaffengebrauch) notwendig ist (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, 5. Aufl., § 3, Rn. 27). Zwar stehen den Ordnungsbehörden die für die Durchführung derartiger Zwangsmaßnahmen erforderlichen Waffen regelmäßig nicht selbst zur Verfügung. Dies ändert aber zunächst nichts am Ausgangspunkt, dass die Ordnungsbehörden grundsätz- lich gemäß § 13 S. 1 OBG NRW die ihnen obliegenden Aufgaben mit eigenen Dienstkräften durchzuführen haben. Gemäß § 2 OBG NRW und § 1 Abs. 3 PolG NRW leistet die Polizei den Ordnungsbehörden Vollzugshilfe nach den Vorschriften der §§ 47 bis 49 PolG NRW. Das PolG NRW versteht unter Vollzugshilfe ausschließlich die durch die Polizei erfolgende Anwendung unmittelbaren Zwanges auf Ersuchen anderer Behörden zur Durchsetzung der von diesen betroffenen Maß- nahmen (vgl. nur Keller, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, § 47 PolG NRW, Stand: November 2017, Rn. 23). Als Beispiel wird im Schrifttum etwa die Situation genannt, dass die Ordnungsbehörde einen Obdachlosen in eine Wohnung einweisen will, der Vermieter der Wohnung sich dem jedoch körperlich widersetzt (vgl. Kugelmann, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, § 2 OBG NRW, Stand: November 2017, Rn. 7.1). Ein Tätigwerden der Polizei im Wege der Vollzugshilfe ist kein gesetzlicher Automatismus. Die polizeiliche Vollzugshilfe ist gleichsam vom Grundsatz der Subsidiarität polizeilichen Handelns geprägt. Dieses Erfordernis knüpft an den das Polizeirecht (auch) in NRW beherr- schenden Grundsatz der Trennung von Ordnungsverwaltung und Polizei und daran anknüp- fend an den Grundsatz der Subsidiarität polizeilichen Handelns an. Der Einsatz uniformierter, unmittelbar dem Land zugeordneter Polizeikräfte ist hiernach auf Eil- und Notfälle beschränkt (§ 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW). Grundsätzlich ist jede Behörde verpflichtet, die ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben mit eigenen persönlichen und sachlichen Mitteln zu erfüllen. Das gilt auch für die zwangsweise Durchsetzung behördlicher Maßnahmen einschließlich der Anwen- dung unmittelbaren Zwangs (vgl. nur OVG Münster, Urt. v. 29.09.2009 – 8 A 1531/09 –, juris Rn. 37). Zur Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes gilt insoweit:
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7  Bezüglich der tatsächlichen Unmöglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung einer Verfügung ist nicht auf ein einzelnes städtisches Amts, sondern die Vollzugskräfte der Gebietskörperschaft (§ 3 OBG NRW) insgesamt abzustellen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 19.02.2016 – 17 K 6092/12 –, juris Rn. 70).  Dabei ist prognostisch zu ermitteln, welche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs er- forderlich werden können (bspw. einfache körperliche Gewalt; Waffeneinsatz etc.). Insoweit bedarf es eines „substantiierten, in sich nachvollziehbaren Vortrages“, das städtische Vollzugskräfte „sämtlich, ggf. bei zumutbarer Zurückstellung anderer Auf- gaben“ zu dieser Art der Zwangsanwendung nicht in der Lage oder nicht geschult sind (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 19.02.2016 – 17 K 6092/12 –, juris Rn. 84). 2. Körperlicher Widerstand als Wesensmerkmal der Vollzugshilfe Will man nun argumentieren, eine Zuständigkeit der Polizei zur Straftatenverhütung würde sich ergeben, weil die Personen im Hambacher Forst gegen die Räumung gewalttätig vorge- hen, ergäbe sich ein letztlich unauflöslicher systematischer Widerspruch. Die Vollzugshilfe durch die Polizei ist in NRW auf die Unterstützung im Falle unmittelbaren Zwangs begrenzt. Unmittelbarer Zwang ist in § 58 Abs. 1 PolG NRW und § 67 Abs. 1 VwVG NRW dahingehend legaldefiniert, dass er die „Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen“ erfasst. Daraus wird deutlich, dass die Vollzugshilfe gerade und dort stattfinden soll, wo Personen sich einer behördlichen Handlung gegenüber widersetzen (und somit eine Straftat begehen). Würde man im Falle des Hamba- cher Forstes hieraus eine originäre Zuständigkeit der Polizei (aus § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW) annehmen, dann gäbe es keinen sinnhaften und eigenständigen Anwendungsbereich mehr für die Vollzugshilfe. Diese ist gerade darauf ausgerichtet, die Durchsetzung behördlicher Maß- nahmen notfalls gegen körperliche Widerstände durchzusetzen. Wo dies allerdings prognos- tisch zu erwarten ist, geht der Gesetzgeber jedoch gerade nicht von der Situation einer origi- nären und vorverlagerten Zuständigkeit der Polizei aus § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW aus, son- dern sieht gerade den Anwendungsbereich der Zuständigkeitsvorschrift des § 1 Abs. 3 PolG NRW als eröffnet an.
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8 Hieran wird erneut deutlich, dass sich die Situation im Hambacher Forst nicht als eine (von § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW erfasste) Situation eines latenten Kriminalitätsschwerpunktes dar- stellt, sondern die klassische Situation der Abwehr einer konkreten Gefahr im Einzelfall im Sinne des klassischen Gefahrenabwehrrechts. III. Grenzen des Vorgehens über § 34 Abs. 2 PolG NRW In den vorliegenden Schreiben der Kommunen, mit denen der Antrag der RWE Power abge- lehnt wird, wird ausgeführt, nur ein Vorgehen über § 34 Abs. 2 PolG NRW könne die Situati- on im Hambacher Forst bewältigen. Dieser Sichtweise kann nicht gefolgt werden. Dabei sei daran erinnert, dass die Überlegungen zu § 34 Abs. 2 PolG NRW insoweit „hilfsweise“ erfol- gen, weil vorliegend eine originäre Zuständigkeit der Polizei bereits den vorgenannten rechts- grundsätzlichen und systematischen Gründen abzulehnen war. Aufenthaltsverbote nach § 34 Abs. 2 PolG NRW werden von der Polizei insbesondere einge- setzt, um das Entstehen und die Verfestigung sog. offener Drogenszenen zu bekämpfen. Eine offene Drogenszene zeichnet sich dadurch aus, dass Drogenabhängige auf öffentlichen Stra- ßen und Plätzen mit Betäubungsmitteln handeln und diese dort auch konsumieren. Im Gefolge offener Drogenszenen kommt es nicht selten zu aggressiver Bettelei, Prostitution sowie zu einer Zunahme der (Beschaffungs-)Kriminalität (vgl. etwa Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., Kap. E, Rn. 439). Das wiederum kann nachteilige Aus- wirkungen auf die sozialen Strukturen in den betroffenen Stadtteilen haben (vgl. nur VGH München, Beschl. v. 18.02.1999 – 24 CS 98.1398 –, juris Rn. 26). Bereits vor diesem Hintergrund scheint fraglich, ob die Situation des Hambacher Forstes mit dem intendierten Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 PolG NRW deckungsgleich ist. Über- wiegendes spricht sogar dagegen. § 34 Abs. 2 PolG NRW geht von einem (latent) delinquen- ten räumlichen Bereich aus und zwar unabhängig von der Durchsetzung einer bestimmten sonderordnungs-)behördlichen Maßnahme. Nicht gemeint sind hingegen Fälle, bei der es um die zwangsweise Durchsetzung einer bestimmten staatlichen Maßnahme im Einzelfall geht. Die befürchteten Straftaten sollen vorliegend insbesondere in Widerstandshandlungen (§ 113
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9 StGB) liegen. Diese drohen indes bei der Durchsetzung der Räumung des Hambacher Forstes. Auch hierbei handelt es sich um die klassische Situation der polizeilichen Vollzugshilfe im Einzelfall. Würde man vorliegend die befürchteten Widerstände bei der Räumung als Anlass für ein Einschreiten nach § 34 Abs. 2 PolG NRW begreifen, müsste dies konsequenterweise bei jeder staatlichen Maßnahme der Fall sein, bei der Widerstand befürchtet wird. Die Situati- on der Vollzugshilfe und § 34 Abs. 2 PolG NRW würden sich ihrem Anwendungsbereich nach praktisch decken. Eine sinnvolle Abgrenzung mit eigenständigen Anwendungsbereichen der Normen wäre kaum möglich. Es sei daran erinnert, dass die Vollzugshilfe und der mit ihr verbundene unmittelbare Zwang gerade die körperliche (und strafbare) Widerstandshandlung erfassen. Das Aufenthaltsverbot dient dazu, in einem bestimmten örtlichen Bereich die Begehung einer Straftat zu verhindern. Unter einer Straftat ist eine tatbestandsmäßige rechtswidrige Handlung i. S. d. § 1 StGB zu verstehen. Unerheblich ist, ob die Straftat schuldhaft begangen wird. Zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unterhalb der Schwelle zur Straftat, etwa zur Unterbindung von Beeinträchtigungen des Stadtbilds und -lebens durch Bet- telei, öffentlichen Alkoholkonsum und öffentliches Auftreten von Obdachlosen und Nicht- sesshaften, dürfen Aufenthaltsverbote gemäß § 34 Absatz 2 nicht eingesetzt werden (vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, a. a. O., § 16, Rn. 24). Mit dem Erlass eines Aufenthaltsverbots kann die Polizei folglich auch nicht das Ziel verfolgen, den Maßnahmeadressaten von der Verwirk- lichung einer Ordnungswidrigkeit abzuhalten (hierzu noch unter 2.). Die Absicht der Polizei, das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu stärken, vermag den Erlass eines Aufenthaltsver- bots ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Eine Maßnahme nach § 34 Absatz 2 PolG NRW darf auch nicht dazu eingesetzt werden, um das Verhalten des Maßnahmeadressaten zu sanktionie- ren (vgl. Roggan/Kutscha/Hecker, Handbuch zum Recht der inneren Sicherheit, 331 [352]). § 34 Absatz 2 PolG NRW selbst regelt daher insoweit abschließend, wem gegenüber ein Auf- enthaltsverbot erlassen werden darf. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Störervorschriften der §§ 4 ff. PolG NRW ist nicht erforderlich oder möglich (vgl. ausdrücklich Keller, in: Schüt- te/Braun/ders., Polizeigesetz NRW, § 34, Rn. 19). Als Adressaten eines Aufenthaltsverbots kommen Personen in Betracht, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausge- gangen werden kann, dass sie in dem betreffenden örtlichen Bereich eine Straftat begehen
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10 werden. Der bloße Hinweis auf die „Szenezugehörigkeit“ oder den „regelmäßigen Aufent- halt“ in der Drogenszene kann nicht den insoweit erforderlichen Nachweis ersetzen, dass der in Anspruch Genommene voraussichtlich eine Straftat begehen wird (so ausdrücklich Ogorek, in: BeckOK Polizeirecht NRW, § 34 PolG, Stand: Mai 2018, Rn. 38). Hieran ändert auch die Wortwahl „beitragen“ in § 34 Abs. 2 PolG NRW letztlich nichts. Der Begriff „beitragen“ be- inhaltet nämlich ebenfalls ein Kausalitätserfordernis. Die Frage nach der Kausalität des vom Maßnahmeadressaten geleisteten Beitrags ist dabei nach den im Polizeirecht herrschenden Grundsätzen, also der Theorie der unmittelbaren Verursachung zu beantworten. Ein Verhalten ist demnach nur dann ursächlich, wenn es für sich gesehen die polizeirechtliche Gefahren- schwelle überschreitet und dadurch die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts begründet oder erhöht wird (vgl. Ogorek, a. a. O., Rn. 39). Hierzu ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung zu sog. Aufenthaltsverbo- ten dem Grunde nach stets eine strenge Einzelfallprüfung bezüglich der Tatbestandsvoraus- setzungen verlangt. Insoweit hat der VGH Mannheim (vgl. Beschl. v. 30.09.1996 – 1 S 2531/96 –, NVwZ-RR 1997, 225 [226]) ausgeführt, dass eine „Verfügung an alle Personen, die sich in einem im Einzelnen näher bezeichneten Bereich aufhalten und offensichtlich der Drogenszene zuzurechnen sind oder zu ihr Kontakte suchen, den Antreffort zu verlassen und für die Dauer von drei Monaten nicht mehr zu betreten, sofern kein berechtigtes Interesse an einem Aufenthalt in einem der genannten Bereiche nachgewiesen ist, […] als Allgemeinverfü- gung wegen Verstoßes gegen das Gebot der pflichtgemäßen Ermessensausübung und wegen Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtswidrig“ sei. Auf eine ebensolche oder zumindest sehr ähnliche Tenorierung und Formulierung liefe es indes auch im Hambacher Forst hinaus. Auch aus Effektivitäts- und Eignungsgesichtspunkten vermag ein Vorgehen über § 34 Abs. 2 PolG NRW nicht zu überzeugen. Rechtsfolge eines Aufenthaltsverbotes ist „nur“, dass sich eine Person (zur Adressatenproblematik s. o.) nicht in einem bestimmten räumlichen Bereich aufhalten oder ihn betreten darf. Auf der Grundlage von § 34 Abs. 2 PolG NRW würde es indes nicht gelingen, die bauliche Infrastruktur und Rückzugsmöglichkeiten der „Camper“ zu beseitigen. Gerade in der gut ausgebauten und gesicherten Infrastruktur mit ihren Versteck-
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