Zentrales Problem der InformationsfreiheitKernbereich exekutiver Eigenverantwortung

Die tatsächliche Kontrolle politischer Vorhaben wird durch den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung unmöglich gemacht und Beamte können ungestört arbeiten.

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Wenn man Beamten in deutschen Ministerien lange genug auf die Finger schaut, erreicht man irgendwann einen dunklen, fast hypnotischen und orientierungslosen Zustand. Der Ort, an dem man in diesen Zustand eintritt, hat einen Namen: Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.

Ob im Zusammenhang mit der Offenlegung von Kabinettsprotokollen oder Planungen des Innenministeriums zu neuen Sicherheitsgesetzen – immer ist angeblich der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen und Transparenz damit angeblich unmöglich.

Die „unmittelbare Willensbildung“ muss geheim bleiben

Was bürokratisch klingt, ist es auch: Wenn Behörden Informationen nicht herausgeben wollen – etwa nach Anfragen durch Untersuchungsausschüsse der Parlamente oder auch auf Basis von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz – verweisen sie gerne auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Was in diesen Kernbereich fällt, argumentieren sie, betrifft die „unmittelbare Willensbildung“ der Regierung und muss geheim bleiben.

Doch wo genau fängt der Kernbereich an und wo hört er auf? Wann fällt eine Information darunter, wann nicht? Das weiß niemand so genau, denn gesetzlich ist er nicht definiert. Ausgerechnet im Jahr 1984 erfand das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich in einem Urteil zum Flick-Untersuchungsausschuss. Es entschied, dass der Bundestag bestimmte Unterlagen der Finanz- und Wirtschaftsministerien zu möglicher Korruption nicht einsehen dürfe, da diese eben im geheimen Bereich der Exekutive lägen.

Kabinettsprotokolle nach 30 Jahren zugänglich

Damit stärkte das Verfassungsgericht die Exekutive maßgeblich. In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten steigerte sie ihre Ressourcen um ein Vielfaches, gerade im neuen Jahrtausend. Das Bundesinnenministerium alleine steigerte etwa sein Budget in den Jahren 2014 bis 2017 von 5,9 auf 8,9 Milliarden Euro. Was das Ministerium mit seinen umfangreichen Geldern im Einzelnen plant, darf es oft geheim halten – Kernbereich eben. Und der Bundestag sowie die Gerichte, die die Exekutive kontrollieren sollen, erhalten kaum mehr Ressourcen.

Aber nicht nur das – auch wie lange der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung eigentlich gilt, ist unklar. Im Zusammenhang mit einer Klage von netzpolitik.org führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass auch viele Jahre alte Kabinettsprotokolle nicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben werden müssten, da dies den Kernbereich verletzen würde. Nach 30 Jahren seien diese Dokumente aber über das Bundesarchiv zugänglich.

Recht auf ungestörtes arbeiten

Eine tatsächliche Kontrolle wichtiger politischer Vorhaben wird durch diese verfassungsrechtlichen Vorgaben und eine breite Auslegung durch die Verwaltung unmöglich gemacht. Ob etwa milliardenschwere Entschädigungen von Braunkohlekonzernen oder auch möglicherweise verfassungswidrige Beschlüsse des Klimakabinetts – nach dem Willen der Bundesregierung können weder das Parlament noch die Öffentlichkeit darüber Auskunft erfahren. Erst nach Abschluss der Entscheidungen dürfen sie den irreparablen Schaden, den die Regierung angerichtet hat, beheben.

So erscheint etwa angesichts der Klimakrise und auch der Corona-Krise ein unantastbarer Kernbereich für die Exekutive schon lange nicht mehr zeitgemäß. Beamte sollten in der Demokratie kein gesondertes Recht haben, von der Öffentlichkeit gänzlich ungestört zu arbeiten.

EU-Recht kennt keinen Kernbereich für die Exekutive

Dazu passt es, dass das EU-Recht keinen gesonderten Kernbereich für die Exekutive kennt. Schließlich geben Regierungen in anderen EU-Staaten wie in Spanien regelmäßig Kabinettsprotokolle heraus, ohne dass ein Hahn danach kräht. Gut möglich also, dass das deutsche Verfassungsrecht in dieser Frage bald wieder einmal mit dem europäischen Gerichte zusammenkracht.

Umweltinformationen müssen nach einer EU-Richtlinie nämlich auch dann herausgegeben werden, wenn sie die Willensbildung der Regierung betreffen. Und damit könnte die Bundesregierung zumindest in Bezug auf Planungen zur Klimakrise bald von EU-Gerichten verpflichtet werden, seinen Kernbereich zu öffnen – wenn sich nicht das Verfassungsgericht schützend vor sie wirft.

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