Die Justiz muss transparenter werden!

Viele Gerichtsurteile und Beschlüsse bleiben unveröffentlicht. Auch Staatsanwaltschaften arbeiten oft intransparent. Das muss sich ändern.

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Mit IFG-Klagen kommt man vors Berliner Verwaltungsgericht. Architektonisch schöner wäre es am Landgericht Berlin –

Gerichtssäle sind Orte radikaler Transparenz. Ob Mordprozess oder eine Anklage wegen Betrugs – wer dem Rechtsstaat live und ungefiltert bei der Arbeit zusehen möchte, kann in jedem Gericht des Landes in der Regel ohne Anmeldung Verhandlungen besuchen und Zeugenbefragungen oder Urteilssprüche miterleben. In ausgesuchten Prozessen gibt es neuerdings die Möglichkeit, dass Gerichte Urteilsverkündungen zusätzlich auch online live streamen.

Dass Verhandlungen grundsätzlich allen Menschen offenstehen, ist ein Kennzeichen eines gut funktionierenden Justizsystems. Es stellt sicher, dass die Öffentlichkeit die Justiz kontrollieren kann. Außerhalb des Gerichtssaals selbst allerdings sieht es anders aus: Sowohl die interne Arbeit von Gerichten als auch die Arbeit von Staatsanwaltschaften, die eher der Exekutive zuzuordnen sind, bleibt für die Öffentlichkeit meistens eine Black Box.

Freilich gibt es dafür Ausnahmen: Einige journalistische Scoops wären undenkbar, hätten manche Vertreter:innen der Presse nicht einen sehr kurzen Draht zu bestimmten Staatsanwaltschaften. Bestimmte Journalist:innen haben über die Justizpressekonferenz sogar ein besonderes Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht. Aber allein schon bei den Entscheidungen von Verwaltungs- und Zivilgerichten hört es mit der Transparenz oft aus. Die meisten Beschlüsse und Urteile, die "im Namen des Volkes" fallen, werden nämlich nicht aktiv veröffentlicht.

Das führt dazu, dass auch wichtige Prozesse nicht der Öffentlichkeit bekannt werden, weil Gerichte selbst nicht darüber berichten. Vor allem aber können strukturelle Probleme nicht anhand von Urteilen offenbar werden. Wie viele Gerichte in den unteren Instanzen welche Urteile zum Abgasskandal gefällt haben? Kaum überprüfbar. Wie viele mutmaßliche rechte Straftaten in Brandenburg 2019 mit welchen Begründungen nicht bestraft wurden? Nicht bekannt.

Das einzige Argument gegen eine grundsätzliche (anonymisierte) Veröffentlichung sämtlicher Entscheidungen ist ein praktisches: Die kaputte IT-Infrastruktur der Gerichte würde eine massenhafte Veröffentlichung vermutlich nicht mitmachen. Im Zuge der hoffentlich bald anstehenden Sanierung sollte Transparenz allerdings direkt mitgedacht werden.

Auch die neuerdings vielfach diskutierten rechten Tendenzen in der Justiz bleiben einer öffentlichen Kontrolle meist verborgen, weil skandalöse Urteile nicht veröffentlicht werden. Erst mit einiger Verspätung wurde im vergangenen Winter bekannt, dass ein Richter des Verwaltungsgerichts Gießen urteilte, der Ausspruch "Migration tötet" sei eine Tatsache. Welche anderen Urteile der Richter unter dem Radar der Öffentlichkeit fällt, ist unbekannt.

Dabei wäre eine Auswertung von Urteilen, möglicherweise angereichert mit weiteren Daten, auch ein Schatz für die Wissenschaft: Wie unterscheidet sich die Rechtsprechung zu einem Paragrafen des Asylrechts in den Bundesländern? Sind Urteile am Morgen härter als am Nachmittag? Und wie beeinflusst das Gender-Verhältnis von Richterbänken die Urteile?

Aber nicht nur von Gerichten, auch von rechten Tendenzen in Staatsanwaltschaften kann sich die Öffentlichkeit kaum ein Bild machen. Die genauen Hintergründe der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Halle beispielsweise, trotz zahlreicher erdrückender Hinweise die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tod von Oury Jalloh einzustellen, bleiben verborgen. Nach der Strafprozessordnung haben nur Prozessbeteiligte Einblick in Akten der Staatsanwaltschaften – vermutlich auch nach Abschluss von Ermittlungen.

Das muss sich ändern. Auch die Justiz muss transparenter werden. Zwar nicht auf dieselbe Art wie in den USA, wo Datenschutz und das Interesse der Öffentlichkeit an einer Resozialisierung von Täter:innen traditionell zu klein ist. Aber auch Vertreter:innen der Justiz sind in einer Demokratie nicht über Kritik erhoben. Schließlich sind auch sie durchaus durch Medien und Versuche der Litigation-PR beeinflussbar.

Dabei geht es vor allem um die Kontrolle der Justiz, nicht um die vor allem in der Boulevard-Presse und neuerdings auch beim NDR übliche Fokussierung auf Täter. Videos von Verhören der Polizei mit mutmaßlichen Tätern sollten zumindest nicht während eines Prozesses weit verbreitet werden – zu unklar ist, ob dies nicht weitere Zeugen beeinflusst und nur die Selbstdarstellung eines mutmaßlichen Täters befeuert.

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