Karnevalsfeier statt MahnwacheWir verklagen Bundestag

Einen Tag nach dem Terroranschlag von Hanau feierten im vergangenen Jahr Bundestagsmitarbeiter:innen eine ausufernde Karnevalsfeier – während nebenan eine Mahnwache für die Opfer stattfand. Wir haben den Bundestag auf Auskunft zur Party und einem dazugehörigen Einsatz der Bundestagspolizei verklagt.

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Trauerveranstaltung in Berlin am 20. Februar 2020 –

Eine Mahnwache für die Opfer des Terroranschlags von Hanau am Brandenburger Tor, der Bundestag mit Trauerbeflaggung – und wenige Meter davon entfernt feiern Mitarbeiter:innen der Bundestagsverwaltung eine rauschende Karnevalsparty.

Während am 20. Februar des vergangenen Jahres eine Schweigeminute am Brandenburger Tor stattfand, trafen sich rund 100 Personen, darunter hochrangige Mitarbeiter:innen des Bundestags, in einem Bundestagsgebäude Unter den Linden für Musik, Polonaise und einen Kostümwettbewerb. Der Direktor der Bundestagsverwaltung, Horst Risse, hatte aufgrund der Trauerveranstaltungen eine Karnevalsfeier im Bundestag zuvor untersagt.

Die Bediensteten ließen sich davon aber nicht abhalten. Im Gegenteil: Bei der Bundestagsfeier ging es offenbar so wild zu, dass die Polizei anrücken musste – zunächst die Berliner Landespolizei, anschließend die eigene Polizei des Bundestags. Obwohl es im Nachgang zur Party-Nacht durchaus interne Kritik an den daran Beteiligten gab, wurde die Unterabteilungsleiterin des Bundestags, die die Karnevalsfeier parallel zur Mahnwache für die Terroropfer von Hanau organisierte, inzwischen zur Abteilungsleiterin befördert.

Dokumente verschwunden?

Unterlagen dazu gibt der Bundestag allerdings nicht heraus. Laut Süddeutscher Zeitung sprechen mehrere Bundestagsmitarbeiter von einem „Maulkorb-Erlass“. Die Verwaltung habe dafür gesorgt, dass der Vorfall nicht nachvollziehbar ist. Deswegen haben wir den Bundestag vor dem Berliner Verwaltungsgericht verklagt.

Das hat dazu geführt, dass die Bundestagsverwaltung gestern die ursprüngliche Ablehnung unseres Informationsantrags zurücknahm. Ob wir jetzt Zugang zu allen Unterlagen erhalten oder nur zu einigen von ihnen, ist noch offen.

Bisher hatte der Bundestag uns gegenüber argumentiert, Dokumente zu dem Vorfall würden nicht existieren. Die Party in den Räumen des Bundestags sei privat gewesen. Es ist allerdings schon aufgrund der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung klar, dass es durchaus Unterlagen gibt. Dokumente zum Einsatz der Bundestagspolizei bei der Karnevalsfeier hingegen wollte der Bundestag nicht herausgeben, da dadurch angeblich die „Funktionsfähigkeit des Parlaments“ gestört werden könnte. Offenbar geht es dem Bundestag aber vor allem darum, die Funktionsfähigkeit seiner Karnevalsfeiern zu schützen.

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Verwaltungsgericht Berlin Kirchstraße 7 10557 Berlin Bitte wählen Sie direkt Tel.-Nr. (030) 44 67 92 52 Sekretariat Frau Jonas Berlin, den 14.12.2020 / AGI Unser Zeichen 1942/2020-AGI Bitte stets angeben! Klage des Herrn Arne Semsrott, Singerstraße 109, 10179 Berlin, - Kläger - Prozessbevollmächtigte: dka Rechtsanwälte Fachanwälte, Marion Burghardt, Christian Fraatz, Dieter Hummel, Mechtild Kuby, Nils Kummert, Sebastian Baunack, Dr. Lukas Middel, Damiano Valgolio, Daniel Weidmann, Dr. Raphaël Callsen, Dr. Laura Krüger, Sandra Kunze, Dr. Silvia Velikova, Wolfgang Kaleck, Sönke Hilbrans, Sebastian Scharmer, Dr. Kersten Woweries, Dr. Peer Stolle, Henriette Scharnhorst, Gesa Asmus, Gerd Denzel, Norbert Schuster, Anne Weidner, Wolfgang Daniels, Anna Gilsbach, Immanuelkirchstraße 3/4, 10405 Berlin, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Deutschen Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, - Beklagte - wegen Auskunft nach dem IFG
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2 Namens und in Vollmacht des Klägers wird unter Ankündigung der folgenden Anträge Klage erhoben: 1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 22.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2020 verpflichtet, dem Kläger die von ihm am 15.05.2020 angefragten Informationen zu folgenden Auskunftsbegehren zugänglich zu machen: - Sämtliche Unterlagen der Bundestagspolizei in Bezug auf die Karnevalsfeier in UdL 74 am 20.02.2020 (vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/feier-in- berlin-polonaise-statt-schweigeminute-1.4907898-2) - Die hausinterne Rundmail vom 03.03.2020 in Bezug auf das Ereignis - Sämtliche E-Mails und Schreiben der Unterabteilungsleiterin ZV Lang und ihrer Unterabteilung in Vorbereitung und Nachbereitung der Feier - Das Schreiben des Direktors der Bundestagsverwaltung, Horst Risse, der zuvor eine Karnevalsfeier im trauerbeflaggten Bundestag untersagte 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Begründung Der Kläger begehrt von der Beklagten den Zugang zu amtlichen Informationen. I. 1. Der Kläger schrieb die Beklagte am 15.05.2020 über über das Internetportal Frag den Staat per E-Mail an und bat um Übersendung sämtlicher Unterlagen der Bundestagspolizei in Bezug auf die Karnevalsfeier in Unter den Linden 74 am 20.02.2020, die hausinterne Rundmail vom 03.03.2020    in   Bezug   auf   das    Ereignis,  sämtliche  E-Mails   und   Schreiben   der Unterabteilungsleiterin Zentrale Verwaltung Lang und ihrer Unterabteilung in Vorbereitung und Nachbereitung der Feier sowie das Schreiben des Direktors der Bundestagsverwaltung, Horst Risse, der zuvor eine Karnevalsfeier im trauerbeflaggten Bundestag untersagt hatte (E-Mail vom 15.05.2020 – Anlage 1). Zur Erläuterung verwies der Kläger auf den Artikel „Polonaise statt Schweigeminute“ in der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 15.05.2020, zu dem er den Link https://www.sueddeutsche.de/politik/feier-in-berlin-polonaise-statt-schweigeminute- 1.4907898-2 beigefügte (der Link führt zur zweiten Seite des Artikels – zuletzt besucht am 14.12.2020).
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3 Der Artikel behandelt die private Karnevalsfeier von Mitarbeitern des Bundestages in der fünften Etage des Bundestagsgebäudes Unter den Linden 74, die am 20.02.2020 – dem Tag nach den rassistischen Attentaten in Hanau, bei denen 10 Menschen getötet worden – stattgefunden hatte. Die eigentlich für diesen Tag vorgesehene traditionelle Karnevalsfeier im Bundestag war aufgrund der Attentate in Hanau zuvor abgesagt worden. Vor dem Brandenburger Tor fand eine Mahnwache mit Schweigeminute für die Opfer der Anschläge statt und die Flaggen auf dem Reichstagsgebäude hingen an diesem Tag auf Halbmast. Der Zeitungsartikel verweist auf Fotos von der Feier, an der rund 100 Menschen teilgenommen haben sollen, und zitiert einen Augenzeugen. Außerdem erwähnt der Artikel, dass der Süddeutschen Zeitung E-Mails zu der Feier vorliegen würden und verweist insbesondere auf eine E-Mail des Direktors der Bundestagsverwaltung, Herrn Horst Risse, der eine Karnevalsfeier     im    trauerbeflaggten   Bundestag    ausdrücklich    untersagt    habe.  Der „Ersatzkarneval“ in den Bundestagsbüros Unter den Linden 74 sei vor allem auf Betreiben der Unterabteilungsleiterin der Zentralen Verwaltung organisiert worden. Der Artikel verweist weiter auf eine hausinterne Rundmail vom 03.03.2020, aus der hervorgehe, dass ranghohe Beamte an der Feier beteiligt gewesen seien, nicht nur die Räume zur Verfügung gestellt hätten, sondern auch Getränke und Essen organisiert. Unter Verweis auf einen Augenzeugen führt der Artikel weiter aus, dass die Musik so laut gewesen sei, dass sich Anwohner beschwert hätten. Etwa gegen 23:00 Uhr seien sechs Beamte der Berliner Landespolizei angerückt und hätten darum gebeten, die Lautstärke zu reduzieren. Später sei auch die Bundestagspolizei gekommen. Nachdem der Pförtner in den Feierabend gegangen war, hätten Teilnehmer an der Feier zudem einen stillen Alarm ausgelöst. Die    Bundestagsverwaltung       habe    der  Süddeutschen     Zeitung    bestätigt,  dass  die Bundestagspolizei zur Prüfung der Situation am Eingang der Liegenschaft Unter den Linden 74 vor Ort gewesen sei. Unter Verweis auf „gut unterrichtete Kreise“ teilt der Artikel mit, dass von zwölf Einsätzen der Bundestagspolizei an diesem Tag nur noch fünf einsehbar seien, sodass der Vorgang anlässlich der Karnevalsparty sich unter den nicht sichtbaren sieben befinden müsse. 2. Mit Bescheid vom 22.07.2020 wurde der Antrag des Klägers von der Beklagten zurückgewiesen. Dies wurde damit begründet, dass die angefragten Unterlagen der Polizei beim Deutschen Bundestag nicht heraus gegeben werden könnten, da das Bekanntwerden
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4 der Informationen nachteilige Auswirkungen auf Belange der inneren Sicherheit haben könnte, § 3 Nr. 1 lit. c) IFG, und zudem gemäß § 3 Nr. 2 IFG die öffentliche Sicherheit gefährden könnte. Zu den übrigen Punkten des Antrages lägen keine Informationen vor. Eine hausinterne Rundmail vom 03.03.2020 in Bezug auf die Karnevalsfeier sei ebenso wenig bekannt wie ein Schreiben des Direktors beim Deutschen Bundestag, mit dem dieser eine Karnevalsfeier im trauerbeflaggten Bundestag untersage. Die Absage der Karnevalsfeier des Personalrats sei durch diesen als Veranstalter in Abstimmung mit der Hausleitung erfolgt. Es existierten keine E-Mails oder Schreiben der Unterabteilungsleiterin der Zentralen Verwaltung oder der Unterabteilung Zentrale Verwaltung in Vor- oder Nachbereitung der rein privaten Feier (Bescheid vom 22.07.2020 – Anlage 2). 3. Am 27.07.2020 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch und führte aus, dass die Ausführungen der Beklagten im Ablehnungsbescheid lediglich pauschal behauptet würden, aber keine nachvollziehbare Begründung vorläge. Er bat darum, im internen E-Mail-System des Bundestages nach den im Artikel der Süddeutschen Zeitung genannten und nach deren Angaben dort vorliegenden E-Mails zu suchen. 4. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 16.11.2020 zurückgewiesen. Die Beklagte verwies zur Begründung erneut auf die Ausschlussgründe des § 3 Nr. 1 c) und § 3 Nr. 2 IFG. Danach besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen auf Belange der inneren oder äußeren Sicherheit haben kann oder das Bekanntwerden der Informationen die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Die hier gegenständlichen Dokumente enthielten schützenswerte Angaben im Sinne des § 3 Nr. 1 c) und § 3 Nr. 2 IFG, z. B. Zeitangaben zur Besetzung eines Einganges, die Anzahl entsandter Polizeikräfte oder für notwendig erachtete Maßnahmen der Polizei und die Art der Dokumentation. Der Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlamentes verlange, dass polizeiliche Maßnahmen nicht ausrechenbar seien und Handlungsabläufe nicht nachvollzogen werden könnten. Dies gelte auch, wenn gegebenenfalls einzelne Informationen gleichwohl zugänglich seien (z. B. Öffnungszeiten der Eingänge). Erst die Verknüpfung zahlreicher
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5 Informationen lasse mögliche Handlungskonzepte erkennen. Dies sei unabhängig von der Gewichtung der konkreten Einsatzlage, hier einer privaten Karnevalsfeier. Die    Auswertung       zur   Verfügung  gestellter Dokumente   und  gegebenenfalls   deren Veröffentlichung, auf die die Verwaltung des Deutschen Bundestages keinen Einfluss habe, könne von weiteren Personen dazu genutzt werden, mögliche Handlungen zum Nachteil des Deutschen Bundestages auszuführen, die Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Parlamentes haben könnten. Eine Gefährdung des Deutschen Bundestages könne bei Herausgabe der Dokumente nicht ausgeschlossen werden. Soweit der Kläger Informationen zu einer hausinterne Rundmail vom 03.03.2020, zu E-Mails und Schreiben der Unterabteilungsleiterin der Zentralen Verwaltung und ihrer Unterabteilung in Vorbereitung und Nachbereitung der Feier sowie zu einem Schreiben des ehemaligen Direktors der Bundestagsverwaltung begehre, lägen diese Informationen nicht vor (Bescheid vom 16.11.2020 – Anlage 3). II. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf Zugänglichmachung der begehrten Informationen. Es wird zunächst Akteneinsicht beantragt und um Mitteilung gebeten, wann die Akte zur Mitnahme in unser Büro bereit liegt. Anschließend wird die Klage begründet werden. Eingereicht per beA. Qualifiziert elektronisch signiert durch Anna Gilsbach, LL.M. Rechtsanwältin
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