Verwaltungsgericht KölnProblematisches Urteil zu Anträgen über FragDenStaat

Das Verwaltungsgericht Köln hat sich erstmals mit der Frage befasst, ob das Bundesinnenministerium Anfragen über FragDenStaat beantworten muss. Das Urteil dazu ist allerdings oberflächlich und fehlerhaft. Die nächste Instanz wird gründlicher entscheiden müssen.

Geht es nach dem Innenministerium, lassen wir das mit den E-Mails lieber –

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Im August wird FragDenStaat zehn Jahre alt. Zu den Konstanten in diesem Jahrzehnt der Arbeit mit dem Informationsfreiheitsgesetz zählt, dass das Bundesinnenministerium sich seit zehn Jahren weigert, Anfragen an FragDenStaat-Mailadressen zu beantworten. Wer möchte, dass das Bundesinnenministerium eine Anfrage überhaupt auch nur beantwortet, muss ihm eine E-Mail-Adresse etwa von einem kommerziellen E-Mail-Anbieter wie Google oder eine Postadresse angeben.

Die Begründung des Ministeriums ist äußerst dünn: Angeblich sei bei einer Anfrage über fragdenstaat.de nicht sichergestellt, dass die Anfrage überhaupt von einem Menschen veranlasst worden ist. Auch sei nicht davon auszugehen, dass Antworten unverfälscht bei den jeweiligen Anfragesteller:innen ankommen würden. Belege für seine Befürchtungen liefert das Ministerium keine.

Dementsprechend wurde das Bundesinnenministerium durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit angewiesen, Anfragen über fragdenstaat.de zu beantworten, ohne vorab weitere personenbezogene Daten zu erheben. Gegen diese Weisung klagte das Ministerium schließlich.

Gericht wollte uns nicht beiladen

Damit war es im März vor dem Verwaltungsgericht Köln überraschend erfolgreich. Das Gericht, das Auskunftsklagen von uns seit teilweise drei Jahren nicht verhandelt, verhandelte über die Klage des Ministeriums innerhalb von nur einem Jahr und gab dem Ministerium Recht. Es dürfe weiterhin Postadressen von Antragstellern einsammeln, auch wenn dies für eine Beantwortung nicht nötig ist.

Das Verwaltungsgericht hatte sich während des Verfahrens geweigert, uns als Betreiberinnen der Plattform, um die es vor allem ging, beizuladen. Erst unsere Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht NRW führte dazu, dass der Beschluss auf Nichtbeiladung im Januar 2021 aufgehoben wurde und wir Beigeladene waren – da lief das Verfahren schon knapp ein Jahr. Die Gelegenheit, die Funktionsweise unserer Plattform vorzustellen und wesentliche Missverständnisse aufzuklären, erhielten wir nicht mehr.

Das Ergebnis ist ein grotesk falsches Urteil, in dem das Gericht seine rechtliche Würdigung auf Annahmen zur Funktionsweise von fragdenstaat.de stützt, die fernab der Realität sind. Stattdessen verließ es sich vollkommen auf die fehlerhaften Ausführungen des Innenministeriums, das unter anderem behauptete, wir würden E-Mails von Behörden inhaltlich verändern, Ausgangspunkt für Spam-Attacken sein und jedweder Schriftverkehr würde automatisch auf fragdenstaat.de veröffentlicht.

Behörden wollen Praxis ändern

Sowohl der Bundesbeauftragte als auch wir haben daher Berufung gegen das Urteil vor dem Oberverwaltungsgericht Münster angestrengt.

Dass das Verwaltungsgericht entgegen seiner üblichen Praxis zusätzlich eine Pressemitteilung zum Fall versendete, zumal ohne das Urteil zu veröffentlichen, macht den Fall noch ärgerlicher. Resultat davon ist, dass Behörden dieses Einzelurteil eines Instanzgerichts nun vereinzelt nutzen wollen, um ihre Antwortpraxis zu ändern und ebenfalls weitere personenbezogene Daten, insbesondere die Angabe einer Postanschrift, vor Bearbeitung von Anfragen verlangen.

Dies ist zum einen dem digitalen Zeitalter nicht angemessen. Vor allem droht aber ein schwerer Schlag für die Informationsfreiheit, wenn Bürger:innen nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Anfragen effizient durch die Verwaltung bearbeiten zu lassen. Wir behalten uns daher vor, gegen jede entsprechende Änderung einer Behördenpraxis rechtlich vorzugehen. Unabhängig von dem Rechtlichen ist es für eine bürgerfreundliche Verwaltung ganz klar der richtige Weg, FragDenStaat-Anfragen auch über FragDenStaat zu beantworten.

zu Dokumenten aus dem Rechtsstreit

zum Urteil

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Beglaubigte Abschrift VERWAL TUNGSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 13 K 1190/20 In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, Klägerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Leipziger Platz 3, 10117 Berlin, Gz.: gegen den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Graurhein- dorfer Straße 153, 53117 Bonn, Gz.: JUS-809-1/001#0026, Beklagten, Prozessbevollmächtigte: 1.                     , c/o BfDI, Graurheindor- fer Straße 153, 53117 Bonn, 2.                                       , c/o BfDI, Graurheindorfer Straße 153, 53117 Bonn, wegen Datenschutzrechts; Verwarnung gern. Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO nach Anfor- derung einer postalischen Adresse im Rahmen eines !FG-Antrags
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-2- hat die 13. Kammer ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 18. März 2021 -••-· · durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht die Richterin am Verwaltungsgericht die Richterin den ehrenamtlichen Richter                                -und den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt: Der Bescheid      des  Beklagten   vom    11. Februar 2020   (Geschäftsz. 25- 206/001#1034 ). Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Ur- teils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstrecken- den Betrages leistet. Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen. Tatbestand Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung durch den Beklagten gegenüber dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) nach der Da- tenschutzgrundverordnung, der die Erhebung einer postalischen Anschrift in einem IFG- Verfahren zugrunde liegt.
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-3- In dem Verfahren 2114-13002/4#1985 stellte der Antragsteller per E-Mail vom 2. Juni 2019 über die Plattform „fragdenstaat.de" unter Berufung u.a. auf das IFG einen Aus- kunftsantrag. Die Internetplattform „fragdenstaat.de" generiert einem antragstellenden Bürger eine E-Mail-Adresse, unter der er einen !FG-Antrag bei der Behörde stellen kann. Die Korrespondenz wird über diese generierte E-Mail-Adresse abgewickelt und automatisch im Internet veröffentlicht. Über den Eingang einer Nachricht bei „fragden- staat.de" wird der Antragsteller über seine im Rahmen der Registrierung hinterlegte E- Mail-Adresse informiert. Mit E-Mail vom 3. Juni 2019 bat das BMI den Antragsteller um Mitteilung seiner Postanschrift bzw. einer persönlichen E-Mail-Adresse und verwies auf § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an den Antrag- steller persönlich sei bei einer Übermittlung an die angegebene E-Mail-Adresse der Plattform nicht sichergestellt. Zudem sei der Zeitpunkt der Bekanntgabe für die Behörde nicht erkennbar, weshalb die Beantwortung eines Informationsgesuchs nur in Schrift- form an die Postanschrift erfolge, sofern der Antragsteller keine persönliche E-Mail- Adresse mitteile. Der Antragsteller übermittelte eine weitere E-Mail-Adresse und wies hinsichtlich der von dem BMI vorgebrachten Zugangsproblematik darauf hin, dass der E-Mail Server auf der Gegenseite mit einem SMTP-Code bestätige, dass eine E-Mail eingegangen und auch angenommen worden sei. Anschließend informiere die Plattform den Antragsteller über den Zugang der E-Mail. In der weiteren Korrespondenz nannte der Antragsteller eine weitere E-Mail-Adresse sowie seine Postanschrift. Gleichzeitig wies er auf§ 1 Abs. 2 IFG hin und wünschte eine Antwort an die angegebene E-Mail- Adresse. Mit formlosen Schreiben vom 12. Juni 2019 teilte das BMI dem Antragsteller mit, dass zu seiner Anfrage keine Informationen bei dem BMI vorlägen. ,,Ein Informati- onszugang sei daher nicht möglich." Daraufhin wandte sich der Antragsteller an den Beklagten mit der Bitte um Vermittlung nach § 12 Abs. 1 IFG, da er der Ansicht war, dass seine Anfrage zu „Unrecht auf diese Weise bearbeitet" worden sei, da das BMI auch nach Nennung alternativer E-Mail-Adressen die Antwort per Post versendet habe und daher „vorsätzlich § 1 Abs. 2 IFG" ignoriert habe. In seiner Stellungnahme teilte das BMI dem Beklagten mit, dass§ 1 Abs. 2 IFG die Ar- ten des Informationszugangs regele. Die Entscheidung, auf welchem Weg dem Antrag- steller die Entscheidung übermittelt werde, habe die Behörde nach pflichtgemäßen Er- messen zu treffen. Das BMI habe sich für eine schriftliche Antwort entschieden, da ihm
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-4- die elektronische Antwort wegen der E-Mail-Adressangaben nicht plausibel erschienen sei. Die Anforderung der Postadresse sei erforderlich gewesen, da für die Bekanntgabe des !FG-Bescheids nach § 41 VwVfG eine konkrete Person als Empfänger erforderlich sei. Jedenfalls bedürfe es einer privaten E-Mail-Adresse des Antragstellers. Der Beklag- te hörte das BMI zur beabsichtigten Verwarnung nach Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO an, da das BMI den Antragsteller ohne rechtliche Grundlage um Übersendung einer Post- adresse gebeten und dieses Datum verarbeitet habe. In der Stellungnahme verwies das BMI darauf, dass die Durchführung eines !FG-Verfahrens ein Rechtsverhältnis zwi- schen Antragsteller und Behörde entstehen lasse, das eine hinreichende Sicherheit über die Identität des Antragstellers voraussetze. Das IFG sehe keine anonyme bzw. pseudonyme Antragsstellung vor. Erst nach Mitteilung von Klarnamen und zustellungs- fähiger Postadresse entstehe ein Rechtsanspruch auf Bearbeitung und Beantwortung. Bescheide, die an die Plattform gesandt würden, seien nicht dem Antragsteller be- kanntgegeben, sondern würden von der Plattform für den Antragsteller aufbewahrt und dieser vom Eingang informiert. Mit Bescheid vom        11. Februar 2020 verwarnte der Beklagte das BMI gern. Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO, da in dem unter dem Az. 2114-13002/4#1985 geführten Verfahren der Antragsteller ohne rechtliche Grundlage zur Angabe einer postalischen Adresse aufgefordert worden und dieses Datum durch das BMI unberechtigt weiter ver- arbeitet worden sei. Die Anforderung einer Postanschrift sei nicht erforderlich und man- gels Rechtsgrundlage die Verarbeitung unzulässig gewesen. Der Hinweis, dass keine Informationen vorgelegen hätten, hätte über die von der Plattform „fragdenstaat.de" ge- nerierte E-Mail-Adresse versandt werden können. Bei dem Schreiben vom 12. Juni 2019 an den Antragsteller handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG, da die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Entscheidung fehle. Es handele sich um einen Hinweis und keine formale Ablehnung; eine Bekannt- gabe nach § 41 Abs. 1 VwVfG sei nicht erforderlich gewesen. Am 6. März 2020 hat das BMI Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Zur Begründung trägt es vor, die Nutzungsbedingungen der Plattform „fragdenstaat.de" seien nicht ausreichend zur Verhinderung von Missbrauch. Ein und dieselbe Person könne sich mit mehrfachen E-Mail-Adressen dort registrieren lassen. Der Beklagte habe
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-5- sich nicht auf die Befugnisse aus Art 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO berufen können, da es um eine !FG-rechtliche Frage gehe. Der !FG-Antragsteller habe den Beklagten nach § 12 IFG angerufen. Die Befugnisse seien in § 12 Abs. 3 IFG abschließend und konstitutiv aufgeführt. Der Beklagte habe nur ein Recht zur Beanstandung, nicht zur Verwarnung. Zur Begründetheit der Klage führt das BMI an, die Erhebung der postalischen Anschrift sei eine zulässige Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO i.V.m. § 3 BDSG. Der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c) DSGVO sei eben- falls erfüllt. Die Datenverarbeitung sei für die Erfüllung der dem BMI obliegende Aufga- be erforderlich. Die Beantwortung von !FG-Anträgen liege im öffentlichen Interesse und obliege dem BMI gern. § 1 Abs. 1 IFG als hoheitliche Aufgabe. Die Datenverarbeitung sei auch im vorliegenden Fall erforderlich gewesen, damit das BMI seiner Pflicht zur Bekanntgabe seiner Entscheidung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG genügen könne. Das Schreiben vom 12. Juni 2019 stelle einen Verwaltungsakt dar. Die Regelung sei darin zu sehen, dass das BMI das durch den !FG-Antrag begründete Verwaltungs- rechtsverhältnis mit der Entscheidung habe beenden wollen. Die Bekanntgabe erfolge üblicherweise durch Übersendung des Schreibens per Post, da die Nutzung der von einer Plattform generierten E-Mail-Adresse für die Bekanntgabe nicht ausreiche. Die Bekanntgabe sei nicht im hinreichenden Maße gesichert, da sie vom Willen des Betrei- bers des Internetportals abhänge, auch wenn er hier als Empfangsbote auftrete. Es be- stehe auch keine Pflicht, einen elektronischen Verwaltungsakt zu wählen. Zudem be- dürfe es keines wichtigen Grundes nach § 1 Abs. 2 Satz 2 IFG, da sich das Wahlrecht des Antragstellers auf die Form der Informationsgewährung, nicht auf die Form derbe- hördlichen Entscheidung über die Informationsgewährung bzw. Ablehnung beziehe. Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 11.02.2020 (Geschäftsz. 25-206/001#1034) aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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-6- Der Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei bereits unzulässig. Die Klage sei gegen ihn als Aufsichtsbehörde und nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Die Klage sei auch unbegründet. Die Ermächtigungsgrundlage für die Verwarnung liege in § 16 Abs. 1 Satz 1 BDSG i.V.m. Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO. Es sei irrelevant, ob er anlässlich eines !FG-Verfahrens von einem Datenschutzverstoß Kenntnis erlangt habe, da er auch von Amts wegen von seinen Befugnissen nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO Ge- brauch machen könne. Die Datenverarbeitung sei mangels Erforderlichkeit rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit ergebe sich weder aus Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c) DSGVO noch aus Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO. Für die Anforderung einer postalischen An- schrift fehle es an einer nationalen Rechtsgrundlage. Es könnten weder§ 7 Abs. 1 IFG noch § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG oder allgemeine Vorschriften des VwVfG herangezogen werden. Der Grundsatz der Datenminimierung verlange, dass die Datenverarbeitung auf das absolut Notwendige beschränkt werde. Die Erforderlichkeit ergebe sich hier nicht aus § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, da die Mitteilung des BMI an den Antragsteller über nicht vorhandene Informationen keinen Verwaltungsakt darstelle, sondern ein in- formatorisches Schreiben ohne Regelungswirkung. Selbst wenn aber ein Verwaltungs- akt vorliege, sei jedenfalls eine Postadresse für eine Bekanntgabe nach § 41 VwVfG nicht erforderlich gewesen. Das !FG-Verfahren und der das Verfahren beendende Ver- waltungsakt seien formfrei. Im Rahmen der elektronischen Kommunikation mit dem !FG-Antragsteller sei die Wahl eines elektronischen Verwaltungsaktes geboten, § 10 Satz 2 VwVfG. Der Antragsteller habe hinsichtlich der Art der Informationsgewäh- rung ein Wahlrecht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 IFG. Dabei sei die informationspflichtige Stelle gehalten, die vom Antragsteller gewählte Form der Informationserteilung zu be- achten. Der Zugang sei auch gesichert. Es greife die Zugangsfiktion des § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ein. Da „fragdenstaat.de" als Empfangsbote agiere, gelange der Verwal- tungsakt mit Speicherung auf dem Server in den Machtbereich des Empfängers. Auch die Argumentation, dass man vor dem Hintergrund laufender Rechtsbehelfsfristen ein berechtigtes Interesse an einer postalischen Bekanntgabe anerkenne, greife hier nicht durch. Dem BMI sei es ohne weiteres möglich gewesen, dem Antragsteller per E-Mail zu antworten. Sollte doch ein berechtigtes Interesse an der postalischen Übersendung eines schriftlichen Bescheids bestehen, dürfe die Postadresse jedenfalls nicht bereits im Rahmen der Antragstellung nach § 7 Abs. 1 IFG angefordert werden. Es habe zu- nächst eine Prognoseentscheidung zu erfolgen, ob die Informationserteilung abzu-
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-7- lehnen sein werde. Es dürfe nicht die Stellung des ordnungsgemäßen Antrags von der Offenlegung der Identität abhängig gemacht werden. Die Beteiligten haben auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte im Parallelverfahren 13 K 1189/20 Bezug genommen. Entscheidungsgründe Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat Erfolg. Die Klage ist zulässig. Richtiger Beklagter ist hier abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern gemäߧ 20 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) die Aufsichtsbehörde, hier der Beklagte, der gemäß § 20 Abs. 4 BDSG beteiligtenfähig ist, vgl. zum LfDI in Rheinland-Pfalz, VG Mainz, Urteil vom 24. Sep- tember 2020 - 1 K 584/19.MZ -, juris Rn. 18; Lapp, in Go- la/Heckmann, BDSG, 13. Aufl. 2019, §20 Rn. 11; Mundil, in Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 34. Ed., Stand 1.2.2020, § 20 BDSG Rn. 4, 5. Die zunächst gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Klage ist nicht unzuläs- sig. Das Gericht konnte das Rubrum von Amts wegen berichtigen, da durch Auslegung unzweifelhaft zu ermitteln war, dass die Klage sich gegen den Beklagten, der den ange- fochtenen Bescheid erlassen hat, richten sollte. Aus § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VwGO ergibt sich, dass in einem solchen Fall die fehlerhafte Bezeichnung des Beklagten un- schädlich ist. Diese Bestimmung ist entsprechend heranzuziehen, wenn in der Klage- schrift der Rechtsträger bezeichnet wird, richtigerweise aber die Behörde zu verklagen ist,
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-8- vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 13. März 1991 - 22 A 871/90 -, juris Rn. 5; vgl. auch Kintz, in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 55. Ed. 1.10.2020, § 78 Rn. 43 m.w.N„ Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Februar 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 11. Februar 2020 erteilte Verwarnung ist Art. 58 Abs. 2 lit. b) der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), Verordnunq Nr. 2016/679 des Europäischen Parlaments und Ra- tes vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Ver- arbeitunq oersonenbezoqener Daten zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Abi. L 119), i.V.m. § 16 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Danach hat die Aufsichts- behörde    die    Befugnis,  einen  Verantwortlichen    oder  einen   Auftragsverarbeiter zu verwarnen, wenn er mit Verarbeitungsvorgängen gegen die DSGVO verstoßen hat. Der Beklagte konnte sich hier auch auf die datenschutzrechtlichen Befugnisse aus der DSGVO berufen. Dem steht nicht entgegen, dass er im Rahmen eines !FG-Antrags durch den dortigen Antragsteller nach§ 12 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an- gerufen wurde. Nach§ 12 Abs. 1 IFG kann jeder den Bundesbeauftragten für die Infor- mationsfreiheit anrufen, wenn er sein Recht auf Informationszugang nach diesem Ge- setz als verletzt ansieht. Gern.§ 12 Abs. 2 IFG besteht Personalunion mit dem Bundes- beauftragten für den Datenschutz. Das IFG ordnet in § 12 Abs. 3 IFG die entsprechen- de Geltung einzelner Vorschriften des BDSG a.F. zu den Kontrollaufgaben des Bun- desbeauftragten für den Datenschutz an, u.a. das Recht zur Beanstandung aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4, Satz 2 und Abs. 2 und 3 BDSG a.F. Dieser Verweis schließt eine Befugnis zur Verwarnung durch den Beklagten in seiner Funktion als Da- tenschutzbeauftragter nach der DSGVO jedoch nicht aus. Zwar hat § 12 Abs. 3 IFG für die Handlungsmöglichkeiten des Beklagten in seiner Funktion als Informationsfreiheits- beauftragter konstitutive Bedeutung, vgl. Schoch, IFG 2. Aufl. 2016, § 12 Rn. 63.
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-9- Erlangt der Beklagte Kenntnis von einer möglicherweise unzulässigen Datenverarbei- tung, kann er von seinen Befugnissen nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO auch von Amts we- gen Gebrauch machen, val. Svdow. Europäische Datenschutzorundverordnuno. 2. Auflaoe 2018. Art. 77 Rn. 19; Mundil, in Wolff/Brink, BeckOK Datenschutz- recht, 34. Ed., Stand 01.02.2020, Art. 77 Rn. 3. Dies folgt im Übrigen schon daraus, dass die DSGVO zwingendes Unionsrecht darstellt und nach Art. 288 UAbs. 1 Satz 1 und 2 AEUV Anwendungsvorrang genießt. Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, da die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO nicht vorliegen. Die Verarbeitung der postalischen Adresse stellt keinen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften dar. Die Anforderung der pos- talischen Adresse auch vor Aufnahme der Bearbeitung eines !FG-Antrags verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1 lit. a) DSGVO. Danach müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden (,,Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz"). Die Erhebung der postalischen Adresse stellt eine Verar- beitung eines personenbezogenen Datums dar (Art. 4 Nr.1 und Nr. 2 DSGVO), die nach Art. 6 DSGVO gerechtfertigt ist. Danach ist eine Datenverarbeitung nur dann rechtmä- ßig, wenn eine der dort unter Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) bis f) DSGVO genannten Be- dingungen erfüllt ist. Die Datenverarbeitung ist vorliegend nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO gerechtfertigt. Danach ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Das öffentliche Interesse erstreckt sich auch auf die Verarbeitung personenbezogener Da- ten, die für die Verwaltung und das Funktionieren von Behörden und öffentlichen Stellen erforderlich ist. Die Ausübung öffentlicher Gewalt betrifft die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben auf der Grundlage rechtlich festgelegter Aufgaben und Befugnisse, vgl. Heberlein, in Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 21 f. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 DSGVO wird die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Absatz 1 Buchstaben c und e durch Unionsrecht oder das Recht der Mitglied- staaten, dem der Verantwortliche unterliegt, festgelegt. Die nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1
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- 10 - lit. e), Abs. 3 DSGVO erforderliche Rechtsgrundlage ist hier in der nationalen Regelung des§ 3 BDSG zu sehen, vgl. Schulz, in Gola, a.a.O., Art. 6 Rn. 201. Nach § 3 BDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist. § 3 BDSG ist ebenso wie Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e) DSGVO darauf angewiesen, dass eine andere Rechtsnorm die öffentliche Aufgabe oder die Ausübung öffentlicher Gewalt festschreibt. Die Datenverarbeitung in Form der Erhe- bung einer postalischen Adresse war zur Erfüllung der dem BMI als die den Antrag nach § 7 Abs. 1 IFG bearbeitende und daher bescheidende Stelle obliegenden Be- kanntgabepflicht nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erforderlich, da es sich um die Be- kanntgabe eines ablehnenden Bescheids gehandelt hat. Darüber hinaus ergibt sich die Erforderlichkeit auch einer standardmäßigen Anforderung weiterer Kontaktdaten aus dem Erfordernis, den nach§ 7 Abs. 1 Satz 1 IFG gestellten !FG-Antrag zu bearbeiten. Die streitgegenständliche Datenverarbeitung war vorliegend bereits erforderlich, damit der BMI der Bekanntgabepflicht aus § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in rechtmäßiger Weise nachkommen konnte. Eine Datenverarbeitung ist erforderlich, wenn die Zielerreichung im konkreten Einzelfall ohne die Verarbeitung nicht, nicht vollständig oder nicht in rechtmäßiger Weise erfolgen kann. Ausreichend ist hingegen nicht, wenn sie für eine der in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 DSGVO genannten Voraussetzungen förderlich ist, vgl. AlbersNeit, in Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, Stand 1.5.2020, 34. Ed., Art. 6 Rn. 16 f.; Starnecker, in Go- la/Heckmann, a.a.O., § 3 Rn. 28. Das Erforderlichkeitskriterium trägt zum einen den Grundsätzen des Art. 5 Abs. 1 lit. c (Datenminimierung) und e (Speicherbegrenzung) Rechnung. Nach ständiger Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofes ist die Datenverarbeitung mit Blick auf die betroffenen Grundrechte aus Art. 7 und 8 der Grundrechtecharta auf das „absolut Not- wendige" zu begrenzen, vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. Dezember 2008 - C 73/07 -, juris Rn. 56; Buchner/Petri, in Küh-
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