KlageCorona-Lagebilder und Protokolle immer noch unter Verschluss

Das Bundesinnenministerium ist um die Sicherheit seiner Bürger:innen besorgt. Vor allem, wenn es um Informationen hinsichtlich der aktuellen Pandemie-Lage in Deutschland geht. Die wöchentlichen Corona-Lagebilder und Protokolle des Corona-Krisenstabs möchte es daher nicht herausgeben. Deswegen verklagen wir das Ministerium.

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Bereits im April 2020 hatten wir beim Bundesinnenministerium unter anderem die aktuellen Lagebilder des sog. Corona-Krisenstabs angefragt. Der Gemeinsame Krisenstab aus Bundesinnenministerium und dem Gesundheitsministerium ist dabei fester Bestandteil des Bevölkerungsschutzes im Fall einer Pandemie. Dem Nationalen Pandemieplan zufolge besteht der Zweck des Gemeinsamen Krisenstabs darin, im Fall der Fälle einheitlich und koordiniert im Gesundheitsschutz sowie im Bereich der inneren Sicherheit vorzugehen. So weit, so gut.

Warum die Ministerien allerdings maßgebliche Informationen unter Verschluss halten, auf deren Grundlage die Bundesregierung ihre Maßnahmen-Pakete zur Eindämmung des Coronavirus schnürte und schnürt, bleibt ein Rätsel. Im April 2020 hatten wir eines der Lagebilder veröffentlicht. Aus diesem geht die damalige epidemiologische Ausbreitung des Coronavirus, die Kriminalitätsentwicklung sowie Zahlen zu Amtshilfe-Leistungen der Bundeswehr hervor.

Sensationsreiche Informationen? Fehlanzeige! Vielmehr vermittelt das Lagebild schlicht eine gute Übersicht rund um das Pandemiegeschehen im April 2020. Dabei waren die vom Bundesinnenministerium als besonders empfindlich eingestuften Informationen zur Sicherheitslage in Deutschland bereits veröffentlicht und bekannt – teilweise durch die Presse und teilweise durch das Bundeskriminalamt.

Know your enemy

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen – auch dieser Satz galt anfänglich in der Corona Pandemie für die nun zum Lebensalltag gehörenden Maßnahmen. Diese habe man gemeinsam mit anderen Ministerien im Gemeinsamen Krisenstab diskutiert und auch über deren jeweilige Schwachstellen gesprochen, hieß es in der Antwort des Bundesinnenministeriums. Durch das Wissen um die Lagebilder und Protokolle der Sitzungen könnten Außenstehende das Handeln der Bundesregierung vorhersehen und hierauf Einfluss nehmen. Im schlimmsten Fall könne die “Pandemiebekämpfung vereitelt werden”, so das Ministerium.

Ginge es beim Krisenstab tatsächlich um einen Angriff eines Feindes von außen, wäre diese Argumentation womöglich nachvollziehbar. Im Fall eines Virus, der sich ungeachtet menschlicher Strategien über die Atemwege per Tröpfcheninfektion verbreitet, scheint das alles allerdings ziemlich absurd. Gleichzeitig stempelt das Bundesinnenministerium damit die Bürger:innen als unmündige Feinde des Staatsapparates ab.

Lockdown erfordert Transparenz

Wesentlich zur Nachvollziehbarkeit der Pandemiebekämpfung haben die Maßnahmen der Bundesregierung, vor allem zu Beginn dieses Jahres, nicht beitragen können. Das nur schwer mit anzusehende Hin und Her zwischen Bund und Länder verlangte der Bevölkerung einiges an Lockdown-Toleranz ab. Dabei sind Meinungsverschiedenheiten in einer Krisensituation natürlich unumgänglich. Mehr noch ist es in einer Demokratie umso wichtiger, dass die Entscheidungsfindung innerhalb der Bundesregierung für die Bevölkerung nachvollziehbar ist. Das ermöglicht zum einen eine positive Fehlerkultur und erlaubt es zum anderen, am Diskurs über sinnvolle Maßnahmen teilzuhaben.

Das alles sieht das Bundesinnenministerium anders. Nach einer erneuten Anfrage stellte es sich zuletzt auf den Standpunkt, dass immer noch kein Zugang zu den Lagebilder und Protokolle aus dem letzten Jahr gewährt werden könne. Wir finden, das ist Pandemiegeschichte - daher klagen wir.

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Wolfram Günther * Dr. Simon Schuster Bernhard-Göring-Straße 152 04277 Leipzig (im Haus der Demokratie) Tel.: 0341 / 306 51 60 Bernhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig                                  Fax: 0341 / 306 51 62 Verwaltungsgericht Berlin                                                   14.06.2021 Kirchstraße 7 www.anwaltskanzlei-guenther.de info@anwaltskanzlei-guenther.de 10557 Berlin Bank: GLS Gemeinschaftsbank eG IBAN: DE67 4306 0967 1049 6273 00 BIC: GENODEM1GLS * Die Tätigkeit ist gem. § 47 BRAO seit dem 20.12.2019 ruhend gestellt. An das Verwaltungsgericht Berlin In der Verwaltungsstreitsache des Arne Semsrott, c / o Open Knowledge Foundation e.V., Singerstraße 109, 10179 Berlin - Kläger - Prozessbevollmächtigter: Günther│Schuster Rechtsanwaltskanzlei, Bernhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig gegen die Bundesrepublik Deutschland, Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat - Beklagte - erheben wir Namens des Klägers und ausweislich der in Kopie beigefügten Vollmacht Seite 1 von 14
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Untätigkeitsklage Wegen:                  Anspruch auf Informationserteilung Wert vorläufig:         5.000 EUR und werden beantragen, wie folgt zu erkennen: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den Zugang zu den von ihm mit Antrag vom 15. Dezember 2020 begehrten Informationen zu gewäh- ren. Zunächst wird Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO in sämtliche den Verwaltungsvorgang dieser Sache be- treffenden Unterlagen beantragt. BEGRÜNDUNG: Der Kläger begehrt von der Klägerin Zugang zu Informationen gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. A. Sachverhalt Der Kläger ist als freier Journalist und als Projektleiter der von der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebenen Plattform FragDenStaat.de tätig. Im Rah- men dieser Aktivitäten setzt sich der Kläger für Transparenz bei öffentlichen Stellen ein, um eine öffentliche Debatte und Kontrolle staatlicher Stellen zu ermöglichen und zu fördern. Die Beklagte ist Rechtsträgerin des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Hei- mat. Zur Bewältigung von besonderen Lagen richtet dieses einen Krisenstab ein, in dem Kompetenzen des Bundesinnenministeriums abteilungsübergreifend unter einer einheitlichen Leitung gebündelt werden. Dessen Struktur bildet die Grundlage für ge- meinsame Krisenstäbe mit anderen Ressorts der Bundesregierung. Im Falle einer Pandemie verständigen sich das Bundesinnenministerium und das Bundesministe- rium für Gesundheit auf die Bildung eines Gemeinsamen Krisenstabs. Seite 2 von 14
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Mit E-Mail vom 27. April 2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Zugang zu Informa- tionen bei der Beklagten und verlangte I.    Sämtliche bisherigen Lagebilder des Gemeinsamen Krisenstabs aus Ge- sundheits- und Innenministerium, II.    Sämtliche Protokolle der bisherigen Sitzungen des Gemeinsamen Krisen- stabs aus Gesundheits- und Innenministerium. Der Kläger begehrte damit diejenigen Informationen, die bis zum Zeitpunkt der An- tragsstellung vorlagen. Beweis: E-Mail des Klägers vom 27. April 2020, Anlage K 1. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 2020, Az.: ZII4- 13002/4#2399 unter Bezugnahme auf die Versagungsgründe aus § 3 Nr. 3 b) IFG sowie § 3 Nr. 4 IFG ab. Beweis: Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2020, Anlage K 2. Zur Begründung führte sie aus, eine Veröffentlichung der Protokolle und Lagebilder könne zur Beeinträchtigung zukünftiger Beratungen im Krisenstab führen. Darüber hinaus könne das Bekanntwerden dazu führen, dass Lageentwicklungen offenbar und damit von außen beeinflussbar werden, so dass zukünftige Beratungen in ihrer Sachbezogenheit bzw. Folgerichtigkeit beeinträchtigt würden. Zudem führte die Be- klagte aus, die Protokolle der Krisenstabssitzungen seien als Verschlusssache, „VS — NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 Verschlusssachen- anweisung Bund eingestuft. Deshalb dürften die Dokumente nur Personen zugänglich gemacht werden, die aufgrund ihrer Dienstpflichten hiervon Kenntnis haben müssen. Einen Hinweis darauf, ob und wann der Informationszugang ganz oder teilweise zu einem späteren Zeitpunkt voraussichtlich möglich ist (vgl. § 9 Abs. 2 IFG Bund), ent- hält der Bescheid nicht. Am 13. Mai 2020 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. Beweis: Widerspruch des Klägers vom 13. Mai 2020, Anlage K 3. Er wendete ein, der Anspruch auf Informationszugang sei nicht allein deshalb ausge- schlossen, weil die Information formal als Verschlusssache eingestuft werde. Materi- elle Gründe für die Einstufung habe die Beklagte nicht vorgetragen. Darüber hinaus sei weder dargelegt noch ersichtlich, warum die Herausgabe der Informationen – ins- besondere die als Grundlage von Besprechungen dienenden Lagebilder, die als Kurz- gutachten anzusehen seien – Beratungen beeinträchtigen sollten. Seite 3 von 14
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Mit Datum vom 23. Juli 2020 erging ein ablehnender Widerspruchsbescheid, Az.: ZII4-13002/4#2399, dem Kläger zugestellt am 27. Juli 2020. Beweis: Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2020, Anlage K 4. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Argumente aus dem Ausgangsbe- scheid vorgetragen. Erneut wies die Beklagte darauf hin, dass die Lagebilder und die Protokolle der Krisenstabssitzungen nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 Verschlusssachenanwei- sung Bund als Verschlusssache, „VS - Nur für den Dienstgebrauch", eingestuft seien. Die Kenntnisnahme dessen durch Unbefugte könne für die Interessen der Bundesre- publik und das Infektionsgeschehen nachteilige Auswirkungen haben. Das Lagebild beinhalte u.a. Detailangaben zum Personaleinsatz sowie Ressourcen. Weiter könne aus dem Lagebild Rückschlüsse auf die Handlungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Sicherheitsbehörden gezogen werden. Aus den Protokollen gingen etwa konkrete Überlegungen zu verschiedenen Maßnahmen der Pandemieeindämmung (z.B. zur Optimierung der Quarantäneverpflichtungen oder dem Grenz- und Einreisemanage- ment) und auch ihren jeweiligen Schwachstellen hervor. Den Zugang zu den Lagebildern lehnte die Beklagte zudem gemäß § 3 Nr. 1 c) IFG ab, weil sie Ausführungen zu Veranstaltungslagen, der allgemeinen Kriminalitätslage und -entwicklung sowie zu extremistischen Gruppen enthalte. Mit diesem Wissen wäre es einem Außenstehenden möglich, ein eventuelles Handeln der Bundesregie- rung vorherzusehen und darauf Einfluss zu nehmen. Dies solle im Sinne der öffentli- chen Sicherheit vermieden werden. Hinsichtlich des Versagungsgrundes zu den Protokollen nach § 3 Nr. 3 b) IFG verwies die Beklagte auf ihre Ausführungen bezüglich der Historie und Aufgaben des Krisen- stabs aus dem Ausgangsbescheid vom 13. Mai 2020. Weiter führte sie aus, dass zukünftige Beratungen des Krisenstabs auch die bisherigen Sitzungen berücksichtig- ten. Eine Veröffentlichung der Protokolle könne daher zur Beeinträchtigung künftiger Beratungen im Krisenstab und der Entscheidungsfindung führen. Am 15. Dezember 2020 wandte sich der Kläger per E-Mail erneut an die Beklagte und beantragte, ihm sämtliche bisherigen Lagebilder des Gemeinsamen Krisenstabs aus Gesundheits- und Innenministerium sowie sämtliche Protokolle der bisherigen Sitzungen des Gemeinsamen Krisenstabs aus Gesundheits- und Innenministerium zu übersenden. Der Kläger begehrte mit diesem Antrag sämtliche Informationen, die bis zum Tag der Antragsstellung am 15. Dezember 2020 vorhanden waren: sowohl diejenigen, die bereits bis zum 27. April 2020 generiert wurden als auch solche, die erst danach angefertigt wurden. Beweis: E-Mail des Klägers vom 15. Dezember 2020, Anlage K 5. Seite 4 von 14
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Eine Bescheidung dieses Antrags lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 15. Januar 2021, Az.: ZII4-13002/4#2760 ab. Sie teilte dem Kläger mit, dass bereits mit Bescheid vom 13. Mai 2020 der Antrag auf Informationszugang vom 27. April 2020 zu sämtli- chen Lagebildern und Protokollen der bisherigen Sitzungen des Gemeinsamen Kri- senstabs aus Gesundheits- und Innenministerium rechtskräftig abgelehnt worden sei. Die Regelungen im Bescheid vom 13. Mai 2020 hätten weiterhin Bestand und entfal- teten Bindungswirkung zwischen den Beteiligten. Insofern werde bzgl. des Antrages vom 15. Dezember 2020 auf diesen Bescheid verwiesen. Beweis: Schreiben der Beklagten vom 15. Januar 2021, Anlage K 6. Mit gleichem Datum erhob der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten Wider- spruch und verwies in der Sache auf seinen Widerspruch vom 13. Mai 2020. Beweis: Widerspruch des Klägers vom 15. Januar 2021, Anlage K 7. Mit Schreiben vom 18. März 2021 bezog sich die Beklagte auf den Widerspruch des Klägers. Der Widerspruch sei unzulässig. Sie teilte mit, es handele sich bei der er- gangenen Ablehnung nicht um einen eigenen Bescheid, sondern um eine wiederho- lende Verfügung. Die Begründung aus dem zwischenzeitlich bestandskräftig gewor- denen Bescheid vom 13. Mai 2020 sei damit immer noch gültig und habe auch wei- terhin Bestand. Gegen die Verfügung sei der Rechtsweg nicht eröffnet, weshalb das Schreiben auch keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalte. Beweis: Schreiben der Beklagten vom 18. März 2021, Anlage K 8. B. Rechtliche Würdigung Die Klage ist zulässig und begründet. Insbesondere kann er von der Beklagten verlangen, dass diese seinen Antrag vom 15. Dezember 2020 bescheidet. Zum einen trifft der Bescheid vom 13. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2020 keine Sachentscheidung be- züglich sämtlicher Dokumente über das Datum des Antrags hinaus. Zum anderen kann die Beklagte dem Begehren des Klägers hinsichtlich der Dokumente, die bereits mit dem ersten Antrag eingefordert wurden, nicht mit einer wiederholenden Verfügung ohne eigenständige Sachentscheidung begegnen. Auch hierzu muss nach dem ge- setzgeberischen Willen mit einem neuen Antrag eine erneute Sachentscheidung ge- troffen werden. Seite 5 von 14
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Der Kläger hat auf seinen Antrag vom 15. Dezember 2020 hin auch einen Anspruch auf Herausgabe aller vorhandenen Lagebilder und Protokolle des Krisenstabs aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Versagungsgründe sind nicht einschlägig bzw. sind diese zwischenzeitlich weggefal- len. Die zunächst von der Beklagten vorgebrachten Ausnahmegründe bestehen nicht mehr. Das dynamische Pandemiegeschehen hat sich nunmehr stark verändert. Die zuständigen Organe haben sich auf vielfältige Weise an das Geschehen angepasst. Bei der Veröffentlichung der geforderten Dokumente ist mit keinerlei nachteiligen Aus- wirkungen auf das Infektionsgeschehen zu rechnen. I. Zulässigkeit Die als Verpflichtungsklage statthafte Klage ist vorliegend abweichend von § 68 VwGO ohne Abschluss eines Vorverfahrens als sog. Untätigkeitsklage nach § 75 S. 1 VwGO zulässig. Es besteht zumindest die Möglichkeit, dass die Beklagte in den Anspruch des Klägers auf Zugang zu den begehrten Lagebildern und Protokollen durch Weigerung der Be- scheidung und damit faktischen Ablehnung des Antrags rechtswidrig eingegriffen hat. Ein Zugangsanspruch ist nicht dadurch ausgeschlossen, weil die Beklagte einen vor- herigen Antrag des Klägers auf Informationszugang vom 27. April 2020 schon einmal mit Bescheid vom 13. Mai 2020 abgelehnt und dieser nach Bestätigung durch den Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2020 bestandskräftig geworden ist. Auf den neuen Antrag des Klägers hin hat dieser einen Anspruch auf (Neu-) Beschei- dung des Begehrens auf Zugang zu den Lagebildern und Protokollen des Krisenstabs für den gesamten Zeitraum aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Eine abschließende Sachent- scheidung durch die vorläufige Ablehnung vom 13. Mai 2020 hat die Beklagte weder hinsichtlich der mit Antrag vom 27. April 2020 und schon gar nicht hinsichtlich der mit Antrag vom 15. Dezember 2020 begehrten Unterlagen, die über den Zeitraum der Erstantragsstellung hinausgehen, getroffen. Sie ist zum Treffen einer umfänglichen Sachentscheidung verpflichtet. Auf eine sog. wiederholende Verfügung kann sie sich nicht berufen. Weil bis heute keine sachliche Entscheidung getroffen wurde und die Beklagte eine solche auch final abgelehnt hat, ist die angemessene Frist zur Sachentscheidung auch abgelaufen. Seite 6 von 14
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1. Anspruch des Klägers auf Bescheidung des Antrags vom 15. Dezember 2020 inklusive der Unterlagen vor dem 27. April 2020 Der Kläger hat einen Anspruch auf Bescheidung und damit Zugang zu sämtlichen mit Antrag vom 15. Dezember 2020 geforderten Unterlagen. Davon sind alle Lagebilder und Protokolle seit Bestehen des Krisenstabs umfasst. Das Antragsbegehren ist eindeutig auf sämtliche Lagebilder und Protokolle des Corona-Krisenstabs seit dessen Bestehen gerichtet. Der Gemeinsame Krisenstab des Bundesinnenministeriums und Bundesgesundheitsministeriums tagt seit dem 28. Februar 2020 turnusmäßig zweimal pro Woche (siehe Anlage K 2). Sowohl vor als auch nach dem 27. April 2020 haben regelmäßig Sitzungen des Krisenstabs stattge- funden und sind dementsprechend weitere aktuelle Lagebilder und Sitzungsproto- kolle entstanden. Entgegen der Annahme der Beklagten hat sie über dieses Informationsbegehren vom 15. Dezember 2020 nicht bereits mit Bescheid vom 13. Mai 2020 entschieden. Dies gilt insbesondere bezüglich des Antragsbegehrens auf Zugang zu den Lagebildern und Protokollen ab dem 27. April 2020. Über den Zugangsanspruch dieser potentiel- len Unterlagen konnte zum Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung noch nicht ent- schieden worden sein: Erstens gab es die Dokumente zum Entscheidungszeitpunkt noch gar nicht; zweitens waren sie nicht Teil des eindeutig gefassten Antrags. Im Ablehnungsbescheid konnte dazu also auch noch keine Regelung getroffen werden. Auf die Ablehnungsentscheidung, die sich auf nur vorübergehend bestehende Versa- gungsgründe stützt, kann sich die Beklagte also nicht berufen. 2. Keine materielle Bestandskraft und Bindungswirkung der behördlichen Ent- scheidung über den Antrag vom 27. April 2020 vom 13. Mai 2020 Der Kläger hat über den Antrag vom 15. Dezember 2020 auch einen Zugangsan- spruch zu den Informationen, die bereits mit Antrag vom 27. April 2020 begehrt wor- den sind. Das Entstehen des Zugangsanspruch ist durch den zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheid auf den Antrag vom 27. April 2020 hin, nicht aus- geschlossen. Auch hier besteht Anspruch auf eine neue Sachentscheidung. Auf eine sog. rein wiederholende Verfügung ohne eigene Sachentscheidung kann sich die Be- klagte nicht berufen. Der Einwand der Beklagten, der Bescheid vom 13. Mai 2020 und die darin getroffenen Regelungen hätten weiterhin Bestand und würden Bindungswir- kung zwischen den Beteiligten entfalten, greift nicht. Seite 7 von 14
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Ein erneuter Bescheidungsanspruch auch bezüglich des Zugangs zu den bereits be- gehrten Unterlagen ergibt sich schon daraus, dass das IFG einen Antragsteller ge- rade bei zeitlich bedingten Versagungsgründen eine erneute Antragstellung auferlegt (aa)). Weiter ergibt sich ein Bescheidungsanspruch zu den Unterlagen, die bereits von dem Bescheid vom 27. April 2020 umfasst waren daraus, dass es sich bei dem Antrag inhaltlich um einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens i. S. des § 51 VwVfG handelt (bb)). Auf eine Bindungswirkung des alten Ablehnungsbescheids kann sich daher nicht berufen werden. a) Erneuter Bescheidungsanspruch wegen zeitlich bedingtem Regelungscharak- ter bei Ablehnung auf Grundlage vorübergehender Versagungsgründe Grundsätzlich richtet sich die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsakts nach dessen Regelungsgehalt. Dieser ergibt sich vornehmlich aus dem Tenor und ist ggf. durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmen (Schoch/ Schneider, VwVfG, § 43 Rn. 75, 87). Grundsätzlich entfaltet der Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts seine rechtsgestaltende Wirkung so lange bis er aufgehoben wird oder sich erledigt hat (Schoch/ Schneider, VwVfG, § 43 Rn. 87). Der Regelungs- gehalt eines Bescheids wird dabei begrenzt durch das Begehren des:r Antragsstel- lers:in. Wegen der besonderen Prägung des subjektiv-öffentlichen Anspruchs auf Zugang zu Informationen – gerade, wenn die Ablehnung auf Grundlage von nur vorübergehend greifenden Versagungsgründen ergeht – steht einem erneuten Zugangsbegehren die materielle Bestandskraft einer vorherigen Entscheidung nicht entgegen. Wegen der zum ersten Antrag geänderten Sachlage ist darüber noch keine Sachentscheidung und damit Regelung getroffen worden. Die bestandskräftige Regelung deckt das neue Begehren inhaltlich nicht. Trotz der Ablehnung des Zugangsanspruchs mit der Ent- scheidung vom 13. Mai 2020 in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2020 gefunden hat, hat die Beklagte daher eine neue Entscheidung auch bezüglich der Informationen zu treffen, die bis zum 27. April 2020 entstanden sind. Bei Ablehnungsentscheidungen nach dem IFG ist die Rechtslage hinsichtlich materi- eller Bestandskraft besonders vor dem Hintergrund des § 9 Abs. 2 IFG zu beurteilen. Demgemäß hat die Behörde im Falle der gänzlichen oder teilweisen Ablehnung eines Informationsgesuchs mitzuteilen, ob und wann der Informationszugang ganz oder teil- weise zu einem späteren Zeitpunkt voraussichtlich möglich ist. Das muss insbeson- dere dann gelten, wenn die Ausnahmen, auf deren Grundlage der Zugang versagt wurde, nur zeitlich befristet gelten. Die Norm dient nach der Gesetzesbegründung der Seite 8 von 14
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Verfahrensvereinfachung und soll verhindern, dass die Ablehnung des Informations- antrags von vornherein befristet werden muss (BT-Drs. 15/4493, S. 16). Die beschei- derlassende Stelle bringt damit zum Ausdruck, dass die Hindernisse, die einem Zu- gang entgegenstehen, nur temporär sind und ggfs. später ein Zugangsanspruch be- steht. Eine andere Wertung, die von einer materiellen Bestandskraft mit dauerhafter Bin- dungswirkung ausgeht, ist nicht mit dem Grundgedanken des § 9 Abs. 2 IFG verein- bar. Insbesondere bei einer Anfrage, die aufgrund vorübergehender Ablehnungs- gründe verweigert wurde, kann der zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zulässige Informationszugang möglicherweise später durchgeführt werden (Schoch, IFG, § 9 Rn. 32). Aufgrund des Sinns und Zwecks des Anspruchs auf Informationszugang, der einen möglichst umfangreichen Zugang zu amtlichen Informationen gewährleisten möchte, würde eine restriktivere Auslegung, wonach ein neuerlicher Zugangsantrag ausgeschlossen sein soll, dem gesetzgeberischen Willen widersprechen. Entgegen des ersten Anscheins des Wortlauts, hat der Wegfall temporärer Versa- gungsgründe allerdings nicht zur Folge, dass die begehrten Informationen automa- tisch zugänglich zu machen sind. Vielmehr soll durch die zuständigen Behörden ein Hinweis ergehen, dass ein neuer Antrag möglich ist, 9 Abs. 2 IFG. Die Ablehnung eines Antrags auf Grundlage vorübergehender Versagungsgründe muss danach so verstanden werden, dass die Anfrage nur bis zum Zeitpunkt der Entscheidung, vor- liegend damit der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids, wirksam beschieden ist. Eine Fortwirkung der Entscheidung auf spätere Anträge besteht nicht. Ein aktualisier- ter Antrag und damit eine Neubescheidung durch die informationspflichtige Behörde ist mithin auch bei vorheriger Ablehnung notwendig (Brink/Polenz/Blatt, IFG, § 9 Rn. 14). Die mit der Entscheidung in einem früheren Bescheid getroffene Regelungswir- kung kann wegen ihrer zeitlichen Bedingtheit, die sie durch die zeitlich gebundenen Versagungsgründe gefunden hat, nicht unbegrenzt gelten. Auf sie kann selbst bei Greifen der Versagungsgründe auch dann nicht verwiesen werden, wenn die beschei- dende Behörde der Meinung ist, die Versagungsgründe greifen nach wie vor. Weil die Sachlage sich geändert haben kann, hat die Behörde das Vorliegen der Tatbestands- voraussetzungen neu darzulegen. Das muss zumindest dann gelten, wenn nachvoll- ziehbare Gründe dafür sprechen, dass sich die Entscheidungsgrundlage für die Frage der Rechtmäßigkeit des Vortrags der Versagungsgründe wesentlich verändert hat. Eine andere Auffassung würde dazu führen, dass ein Zugangsanspruch dauerhaft ausgeschlossen wäre, obwohl ein Zugangsanspruch der antragstellenden Person zwischenzeitlich wegen des Wegfalls der zeitlich bedingten Versagungsgründe be- stehen würde. Seite 9 von 14
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Für den Anspruch auf Neubescheidung spricht weiter die gesetzgeberische Intention zu § 4 Abs. 2 IFG. Dieser sieht vor, dass im Falle der Ablehnung wegen laufender behördlicher Entscheidungsprozesse Antragsteller:innen über den Abschluss des je- weiligen Verfahrens informiert werden sollen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass bei Entfallen des Ausnahmegrundes dem:der Antragssteller:in nunmehr Zugang zu gewähren sei. Informierte Antragsteller:innen könnten sich daraufhin ent- scheiden, ob sie einen neuen Antrag zu stellen (BT-Drs. 15/4493, S. 12). Diese ge- setzgeberische Intention ist auf andere zeitlich befristete Ablehnungsgründen über- tragbar. Es ist auch nicht ersichtlich, warum diese anders behandelt werden sollten. Die Mitteilung i.S. des § 9 Abs. 2 IFG kann bei der Einschätzung, wann eine neue Antragstellung sinnvoll und erfolgsversprechend ist, Anhaltspunkte bieten. Fehlt es an einer solche Mitteilung, darf sich dies nicht zum Nachteil von Antragsteller: innen auswirken. Es kann für das Recht auf eine neue Antragstellung nicht darauf ankom- men, ob die Behörde ihrer Hinweispflicht nachgekommen ist oder nicht. Die Grenze für einen Bescheidungsanspruch dürfte erst mit einer rechtsmissbräuch- lichen Antragstellung vorliegen. Dies kann nur angenommen werden, wenn offen- sichtlich ist, dass sich die Tatsachen, die der Ablehnung des vorherigen Antrags zu- grunde lagen, nicht geändert haben. Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Pandemie- geschehen hat sich seit dem ersten Antrag Ende April und auch bereits seit dem zweiten, hier streitgegenständlichen Antrag seit Mitte Dezember 2020 maßgeblich gewandelt. Nach dieser Wertung hat die Beklagte den Antrag des Klägers vom 15. Dezember 2020 vollumfänglich, d.h. auch die Informationen des ersten Antrags betreffend, zu bescheiden und den Zugang zu den begehrten Informationen zu gewähren. Die Beklagte hat ihre ursprüngliche Entscheidung auf temporäre Ausnahmegründe, im Einzelnen § 3 Nr. 4 IFG (Einstufung als Verschlusssache), § 3 Nr. 1 c) IFG (Be- lange innerer Sicherheit) sowie § 3 Nr. 3 b) IFG (Beratung von Behörden) gestützt. Der Ablehnungsgrund nach § 3 Nr. 3 b) IFG ist schon seinem Wortlaut („solange“) nach vorübergehender Natur. Aber auch bei der Ausnahmeregelung des § 3 Nr. 4 IFG handelt es sich um einen temporären Ablehnungsgrund. Die Einstufung als Ver- schlusssache kann laufend überprüft werden. Dies bestätigte die Beklagten sogar selbst, als sie anlässlich des Widerspruchs des Klägers vom 13. Mai 2020 die Einstu- fung als Verschlusssache nochmal überprüfte und zu dem Ergebnis kam, dass mate- rielle Geheimhaltungsgründe weiter bestünden (Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2020, S. 2 und 4). Letztlich können auch alle übrigen Verweigerungsgründe durch Seite 10 von 14
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