Transparenz in guter Verfassung

Gerichtsurteile werden selten angezweifelt. Protokolle und die Schriftsätze aus Verfassungsgerichts-Verfahren sollten deshalb im Nachgang veröffentlicht werden.

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Das Grundgesetz –

Ich habe da so eine Vermutung: Vielleicht sind Jurist:innen gar nicht unfehlbar! Wenn ich als Nicht-Jurist Gerichtsentscheidungen lese, bin ich in der Regel erstmal von den Argumenten der Richter:innen komplett überzeugt (wenn ich sie denn verstehe). Urteile werden in einem derart selbstsicheren Ton verfasst, dass bei einem Laien wie mir kein Zweifel an deren Richtigkeit besteht. Ja klar ist das Gesetz verfassungswidrig, wie konnte ich jemals etwas anderes vermuten!

Verfolge ich dann aber die rechtswissenschaftliche Diskussion zu bestimmten Urteilen – sei es die Frage des Mietendeckels, die Verfassungsfragen um das Klimapaket oder um die Corona-Ausgangssperren – merke ich immer schnell, dass es zu allen umstrittenen Rechtsfragen nicht nur eine gut vertretbare objektive Antwort gibt, sondern viele. Welche davon ein Gericht bevorzugt, hängt offenbar von mehr Faktoren ab als nur von deren Plausibilität. Wichtige (rechts)politische Fragen sind eben immer auch Fragen der Weltanschauung und damit Machtfragen.

Hätten Richter immer recht, würden Urteile in höheren Instanzen niemals aufgehoben werden und Urteile ergingen immer einstimmig. Warum also sollte man die Rechtsprechung der höchsten Gerichte wie dem Bundesverfassungsgericht dann auf einmal kritiklos akzeptieren? Immerhin ist, wenn man Karl Marx folgen will, das herrschende Recht immer auch das Recht des Herrschenden.

Eine machtkritische Auseinandersetzung mit wichtigen Urteilen gehört zu einer Demokratie dazu. Dabei hilft auch mehr Transparenz. Gleichzeitig gibt das Bundesverfassungsgericht nach dem Informationsfreiheitsgesetz Dokumente aus Verfahren nicht heraus. Im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit gelten Auskunftsgesetze regelmäßig nicht. Die Justiz hat ihre eigenen Transparenzregeln.

Die sollten sich ändern: Es sollte selbstverständlich werden, dass nicht nur Urteile, sondern auch Protokolle und die Schriftsätze aus Verfassungsgerichts-Verfahren im Nachgang veröffentlicht werden – mindestens, wenn die Verfahren zur Entscheidung angenommen wurden. Dass das grundsätzlich möglich ist, zeigt die umfangreiche Dokumentation des NPD-Verbotsverfahrens aus den Jahren 2013 bis 2017, die kürzlich (leider nur teuer in Print) erschienen ist und auf rund 850 Seiten sämtliche wichtigen Dokumente des Verfahrens zusammenfasst. Sie ermöglicht es, zusätzlich zum Urteil die gesamte rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Diskussion in ihrer Komplexität nachzuvollziehen.

Zusätzliche Transparenz und zusätzliche Zwischentöne bedeuten natürlich auch, dass sich Verfassungsrichter:innen der Kritik weiter öffnen würde. Dabei werden oft Bedenken angeführt, das Verfassungsgericht könnte durch mehr Transparenz unnötig politisiert und polarisiert werden, wie es in den USA mit dem dortigen Supreme Court der Fall ist. Dass es aber in Deutschland eine derart hohe Personalisierung von Entscheidungen geben könnte, scheint unwahrscheinlich.

Institutionen haben traditionell Angst vor Veränderung. Laut dem Verfassungsblog gab es vor 50 Jahren bei der Einführung der Transparenz über Sondervoten, also abweichende Minderheiten-Meinungen von einzelnen Richter:innen, große Bedenken. Inzwischen haben die sich hierzulande in Luft aufgelöst. In Österreich allerdings nicht: Dort plant die Regierungskoalition derzeit im Rahmen des neuen Informationsfreiheitsgesetzes, am Verfassungsgericht ebenfalls Sondervoten einzuführen. Das Gericht hat bereits Bedenken angemeldet, zu viel Transparenz schade dem juristischen Prozess.

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