Amtliches Online-Wissen – uncoole URIs

Fast alle Bundesbehörden haben ihre Online-Auftritte neu geordnet und kaum eine den Leitsatz des Web-Begründers Berners-Lee beachtet: "Cool URIs don’t change."

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Die wahrscheinlich netteste Fehlerseite einer deutschen Behörde hat das Bundesinnenministerium: "Uups, diese Seite ist leider nicht auffindbar", heißt dort die Fehlermeldung etwas unministeriell, wenn man einem alten Link zur Ministeriums-Website gefolgt ist.

Über die vergangenen Jahre haben so gut wie alle Bundesbehörden ihre Online-Auftritte neu gestaltet und neu geordnet. So gut wie keine Bundesbehörde ist dabei dem mehr als 20 Jahre alten Leitsatz des Web-Begründers Tim Berners-Lee gefolgt: "Cool URIs don’t change." Grob auf Deutsch übersetzt lautet die Regel: Coole Webadressen ändern sich nicht.

Der Sinn hinter dem Leitsatz ist klar. Auch nach einem Relaunch von Webseiten sollte man ihre Ressourcen weiterhin erreichen können. Selbst wenn sich Adressen von Webseiten und online bereitgestellter Dokumente ändern müssen, muss zumindest eine Weiterleitung von alten zu neuen Adressen eingerichtet werden.

Dass dieser Leitsatz noch immer kaum Beachtung bei Behörden (bzw. ihren Dienstleistern) gefunden hat, führt dazu, dass etwa in der Wikipedia kaum ein Artikel zu Bundesbehörden lückenfrei funktionierende Belege liefert. Alleine auf den Wikipedia-Seiten zum Bundestag und zur Bundesregierung führen die Hälfte der Einzelnachweise auf Behörden-Websites inzwischen ins Nichts. Ältere Links etwa auf die Seite des Umweltministeriums sind regelmäßig tot, weil das Ministerium 2017 umbenannt wurde – BMU statt BMUB – und es keine Weiterleitung vom nicht mehr erreichbaren bmub.bund.de gibt. Kontrolle und Nachvollziehbarkeit? Hinüber.

Das URI-Problem gibt es wahrlich nicht nur in Deutschland. In den USA berichtete die Harvard Law School schon 2014, dass die Hälfte aller Links aus Urteilen des Obersten Gerichtshofs in den USA nicht mehr funktionieren.

So schlimm ist es beim deutschen Bundesverfassungsgericht zwar nicht – zumal die seltenen Links in Urteilen meist auf das Gericht selbst verweisen, das tatsächlich seit vielen Jahren stabile URIs hat. Beim Bundesverwaltungsgericht allerdings verweisen gerade ältere Urteile regelmäßig ins externe Nirvana. Besonders schwierig wird es, wenn Gesetze und Verordnungen auf Links von Bundesbehörden Bezug nehmen.

Am 9. März 2018 verkündete beispielsweise das Landwirtschaftsministerium im Bundesgesetzblatt: "Die Stoffstrombilanzverordnung vom 14. Dezember 2017 (BGBl. I S. 3942) ist wie folgt zu berichtigen: In Anlage 2 Tabelle 2 Fußnote 2 ist die Angabe "http://gis.uba.de/webseite/depo1" durch die Angabe "http://gis.uba.de/website/depo1/" zu ersetzen." Inzwischen sind beide Links nicht mehr erreichbar.

Die einzige Möglichkeit, um sicherzugehen, dass Inhalte zumindest noch nachschlagbar sind, sind Kopien der Webseiten im Internet Archive. Die gemeinnützige Initiative in den USA ist die beste Ressource für ältere Online-Informationen deutscher Behörden. Auch die Wikipedia arbeitet mit ihr zusammen. Was aber, wenn der Organisation irgendwann aus irgendeinem Grund der Saft abgedreht wird?

Dann müssten deutscher Internetnutzer hoffen, dass die Deutsche Nationalbibliothek noch eine Kopie von Behördenseiten vorhält. Die DNB crawlt nämlich seit einigen Jahren die meisten Websites von Bundesbehörden. Zugänglich sind die Kopien allerdings nicht im Internet, sondern nur in den Lesesälen der Nationalbibliothek. Der Grund dafür: Urheberrecht.

Die Erhaltung des amtlichen Online-Wissens ist also weiterhin prekär. Bevor im Herbst nach einem Regierungswechsel zahlreiche Website-Verantwortliche in der Bundesverwaltung vor der Frage stehen, wie sie mit der Umbenennung der Behörden-Domain umgehen, sollten sie sich nochmal in Ruhe die Erklärung des World Wide Web Consortiums dazu durchlesen, was coole URIs ausmacht. Sie ist einfach im Netz zu finden. Der Link zu ihr ist nämlich seit 23 Jahren stabil.

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